Umfang der Löschungspflichten bei rechtswidrigen Internet-Seiten
Ein Artikel von Rechtsanwalt Dr. Bahr
Der zugrundeliegende Fall ist schnell erzählt: Aus einem beliebigen Grund verletzt eine meiner Seiten das Recht eines Dritten. Selbstverständlich nehme ich die Seite vom Netz und entschuldige mich für die nicht beabsichtigte Rechtsverletzung. Jetzt verlangt der Dritte aber auch die Löschung der betreffenden Webseite internetweit. D.h., die Seite soll in keiner Suchmaschine, in keinem Proxy und in keinem sonstigen Cache mehr auftauchen.
Eine Frage, die sich schon viele Webseiten-Betreiber gestellt haben: Hat der Dritte auf eine solche Handlung einen Anspruch?
Wichtig festzuhalten ist zunächst, dass es hier nicht um die Konstellation geht, dass der Geschädigte mittels Cache-Funktion oder Online-Archiv eine Verletzungshandlung nachweist, weil der Verletzter zwischenzeitlich die Webseite vom Netz genommen hat. Ein solcher Fall beinhaltet kein materiell-rechtliches Problem, denn die Verletzungshandlung liegt ja unzweifelhaft vor. Vielmehr geht es dort nur um das Problem der Beweisbarkeit.
Anders in dem hier zu erörternden Beispiel: Hier ist fraglich, welchen Umfang die materiell-rechtlichen Löschungspflichten haben.
1. Pflicht zur Löschung:
Lassen wir einmal den Punkt der technischen Realisierbarkeit einer solchen Forderung zunächst unberücksichtigt und widmen uns nur der rechtlichen Seite.
Jeder wird zustimmen, dass der Verletzter verpflichtet ist, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen, der vor der rechtswidrigen Handlung bestand. D.h., er muss sämtliche Inhalte löschen und vom Netz nehmen.
Sehen wir uns dazu den Fall an, den das OLG München (Beschl.v. 11. November 2002 – Az.: 1 W 1991/02) zu entscheiden hatte: Die Beklagte war verurteilt worden, eine bestimmte Äußerung nicht mehr im Internet zu verbreiten. Sie hatte die besagte Äußerung mittels einer Pressemitteilung betrieben, die sie auf der eigenen Homepage veröffentlicht hatte. Kurze Zeit nach dem Gerichtsurteil nahm die Beklagte die Pressemitteilung vom Netz. Sie hatte dabei jedoch übersehen, dass die betreffende Pressemitteilung weiterhin im Pressearchiv auf ihrer Webseite abrufbar war.
Die Münchener Richter hatten nun zu entscheiden, ob die Beklagte dadurch gegen das Urteil verstoßen hatte.
Die Juristen bejahten dies:
„Die Pressemitteilung war den Internet-Nutzern weiterhin zugänglich. Dies stellt einen objektiven Verstoß gegen das Unterlassungsurteil dar. Aus der Sicht des durchschnittlichen Empfängers (...) handelt es sich um ein gleichwertiges Aufstellen und Verbreiten der untersagten Behauptung.“ Und weiter heißt es: „Die Aufnahme der verbotenen Pressemeldung in (...) das Archiv erklärt sich für den Durchschnittsleser zwanglos mit bloßer zeitlicher Zuordnung. Dafür aber, dass diese auch von ihrem Inhalt her keineswegs überholte Pressemitteilung nicht mehr gültig sein soll (...), findet sich auf der Internetseite (...) keinerlei Hinweis.“
Das OLG München hat auch besondere Maßstäbe an die Sorgfaltspflicht angelegt. Die Beklagte hatte argumentiert, der Systemadministrator sei damals zur vollständigen Löschung angewiesen worden, habe jedoch aus Versehen das Archiv übersehen.
„Mit der bloßen, einmaligen Anweisung an den Systemadministrator hat die Schuldnerin nicht die ihr möglichen und zumutbaren Anstrengungen unternommen, ihrer Verpflichtung nachzukommen. Der Vertreter der Schuldnerin hat die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außerachtgelassen, indem er sich nicht ausreichend darüber vergewissert hat, dass die beanstandete Pressemitteilung auf der Internetseite (...) gelöscht ist.“
Das Gericht setzt hier einen extrem hohen Maßstab an die Überprüfungspflicht an:
„Er hätte selbst die Pressemeldungen (...) darauf überprüfen müssen (...). Dies wäre ihm – auch ohne besondere Kenntnisse über das Internet (...) – ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen.“
Somit trifft nach Ansicht der Richter den jeweiligen Vertreter die absolute Pflicht, sich über die Veröffentlichungen seiner Organisation im Internet Gewissheit zu verschaffen.
2. Umfang der Löschungspflicht:
a) Grundsatz: Keine Pflicht zu unmöglichem Handeln
Über die Frage, ob ein Verstoß auch dann anzunehmen wäre, wenn die Pressemitteilung im Archiv eines Dritten (z.B. Google Cache oder The Wayback Machine) weiterhin vorhanden gewesen wäre, sagt das Urteil nichts aus.
Im deutschen Recht gilt der Grundsatz, dass niemand zu einer Pflicht verurteilt werden kann, die von niemandem eingehalten werden kann und die somit objektiv unmöglich ist (arg. § 275 BGB)
An dieser Stelle spielt nun entscheidend die technische Seite mit hinein, die wir weiter oben zunächst ausgeklammert hatten: Was ist denn überhaupt technisch machbar? Kann ein Webmaster wirklich internetweit sämtliche Kopien der betreffenden Seite aufspüren und löschen? Oder trifft ihn nur eine Pflicht, die "Top Five"-Suchmaschinen zu benutzen und deren Ergebnisse zu kontrollieren?
b) Entscheidung des OLG Hamburg
Mit dieser Frage hatte sich das OLG Hamburg (Beschl. v. 09.09.2002 - Az.: 3 W 60/02) zu beschäftigen. Das Gericht kommt zu dem Schluss:
"Ein schuldhafter Verstoß liegt nicht darin, dass die beanstandete Seite (...) nur noch im Speicher eines dritten Servers befand und von dort aufgerufen werden konnte."
Und hinsichtlich der Verpflichtung zur Löschung führt das Gericht weiter aus:
"Der Schuldner eines derartigen Verbots (...) ist zumindest nicht verpflichtet, einen ihm verbotenen Suchbegriff bei sämtlichen Suchmaschinen (...) einzugeben, um nach verbotenen Verwendungen zu suchen, und/oder die Betreiber von Suchmaschinen ohne konkrete Anhaltspunkte anzuschreiben, um sie zu veranlassen, dass bei Eingabe des umstrittenen Suchbegriffs seine Seite nicht mehr aus dem Server der Suchmaschinen aufgerufen werden kann.
Schon angesichts der Vielzahl der Suchmaschinen ist das für ihn unzumutbar. Nach vollständiger Löschung seiner Seite (...) darf sich der Schuldner vielmehr grundsätzlich auf eine regelmäßige Aktualisierung der Datenbanken der Suchmaschine verlassen und muss nicht damit rechnen, dass eine vom ihm bereits gelöschte Seite sich für längere Zeit weiterhin im Speicher eines dritten Servers befindet und von dort noch aufgerufen werden kann."
Wohl keiner wird bestreiten können, dass es sich hier um eine vernünftige und angemessene Entscheidung handelt.
c) Besonderheiten bei dauerhaften Online-Archiven
Nun liegt der Sachverhalt, den das OLG Hamburg zu entscheiden hatte, zeitlich gesehen schon ein wenig zurück. Zu diesem Zeitpunkt existierte noch kein dauerhaftes Online-Archiv wie The WayBack Machine (vgl. zur urheberrechtlichen Seite RA Dr. Bahr: "The Wayback Machine und Google Cache - eine Verletzung deutschen Urheberrechts?").
Hierbei handelt es sich um eine Plattform, die sämtliche Internet-Seiten seit 1996 dauerhaft speichert und jedermann zum freien Abruf zur Verfügung stellt.
Die Frage ist nun, was hier gilt. Denn die Argumentation des OLG Hamburg bezog sich ja entscheidend auf den Umstand, dass der Verletzer sicher sein konnte, dass die Suchmaschinen-Betreiber ihre Inhalte regelmäßig aktualisieren und somit innerhalb eines bestimmten Zeitraumes auch die rechtswidrige Seite verschwinden würde. Dies trifft auf dauerhafte Online-Archive ja gerade nicht zu.
Man könnte versucht sein, einen Blick in das Teledienstedatengesetz (TDG) zu werfen. Das TDG statuiert bekanntermaßen die Internet-Haftung des einzelnen Anbieters.
Aber § 10 TDG, der das Caching von Dateien betrifft, beinhaltet lediglich die Haftung eines unbeteiligten Dritten. Hier geht es vielmehr um die Haftung für eigene Inhalte nach § 8 Abs.1 TDG. Nach dem Lesen dieser Norm ist man aber keinen Schritt weiter: "Diensteanbieter sind für eigene Informationen, die sie zur Nutzung bereithalten, nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich."
Aber ein Blick auf die Offline-Welt hilft weiter: Das OLG Köln (Urt. v. 31.1.2002 - Az.: 6 W 14/02) ist z.B. der Ansicht, dass einem Unternehmen zugemutet werden kann, bestimmte rechtswidrige Prospektwerbung, die nicht mehr im Besitz des Unternehmens ist, durch eine Rückruf-Aktion wiederzubeschaffen. Es ist somit immer eine Frage des Einzelfalls, ob es dem betreffenden Rechtsverletzter zugemutet werden kann, die noch bestehende Störung aus der Welt zu schaffen. Eine Pflicht, ein Buch, das an mehrere Millionen in Deutschland verkauft wurde, wiederzubeschaffen, wird kein deutscher Richter aussprechen. Sehr wohl aber die Auflage, noch bestehende, auf Lager liegende Exemplare nicht weiter auszuliefern.
Nichts anderes gilt auch für den Online-Bereich. Auch hier ist im Zuge einer umfassenden Rechtsgüterabwägung festzustellen, welche Maßnahmen dem Verletzter zumutbar und möglich sind. Angesichts der Tatsache, dass eine simple Mail an die Betreiber von The Way Back Machine reicht, damit eine Seite aus dem Archiv genommen wird, können an der Zumutbarkeit einer solchen Maßnahme keine ernsthaften Zweifel bestehen.
Auf einem anderen Blatt steht, ob denn der Webseiten-Betreiber überhaupt verpflichtet ist, Kenntnis von der Existenz eines dauerhaften Online-Archives a la The Way Back Machine zu haben. Dies wird aber durch die Tatsache abgemildert, dass nur schuldhafte (= mindestens Fahrlässigkeit) Verstöße gegen richterliche Urteile verfolgt werden können.