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OLG Hamburg: Automatisierte Google Ads-Sperrung rechtswidrig

Eine automatisierte Sperrung von Google Ads-Anzeigen durch Google ist kartellrechtswidrig. Es bedarf vielmehr einer manuellen Überprüfung im Einzelfall.

Google muss Google Ads-Anzeigen im Einzelfall manuell prüfen, bevor es solche Werbung sperrt, da eine automatisierte Sperrung kartellrechtswidrig ist (OLG Hamburg, Urt. v. 31.08.2023 - Az.: 15 U 18/23 Kart).

Die Klägerin betrieb einen Online-Dienst für elektronische Vignetten, sog. “e-Vignetten”. Als die Klägerin entsprechende Google Ads schaltete, sperrte der Internet-Riese.

Dagegen ging das Unternehmen gerichtlich vor.

1. Anspruchsdurchsetzung im einstweiligen Verfügungsverfahren:

Das OLG Hamburg hatte sich auch mit der Frage zu beschäftigen, ob die Ansprüche der Klägerin im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes durchgesetzt werden können und welche Anforderungen für eine solche Durchsetzung vorliegen müssen.

Die Hamburger Richter haben klargestellt, dass hierfür nicht zwingend eine existenzielle Notlage des klägerischen Unternehmens bestehen müsse. Ausreichend sei vielmehr, dass der Gläubiger so dringend auf die Erfüllung des Anspruchs angewiesen sei, dass ihm die Verweisung auf später geltend zu machenden Schadensersatz nicht zumutbar sei.

"Danach darf eine auf Erfüllung des Hauptsacheanspruchs gerichtete einstweilige Verfügung nur ergehen, wenn der Anspruchsteller darlegt und ggf. glaubhaft macht, dass er so dringend auf die sofortige Erfüllung seines Anspruchs angewiesen ist und andernfalls so erhebliche wirtschaftliche Nachteile erleiden würde, dass ihm ein Zuwarten (wenn überhaupt möglich) oder eine Verweisung auf die spätere Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach Wegfall des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs nicht zumutbar ist. 

Es muss aber keine existenzielle Notlage vorliegen, denn andernfalls stünde der Eilrechtsschutz letztlich nur solchen Antragstellern offen, die unmittelbar vor der Insolvenz stehen. Überdies könnten Unternehmen mit mehreren Geschäftszweigen, von denen nur einer kartellrechtswidrig beeinträchtigt wird, keinen wirkungsvollen Eilrechtsschutz erlangen, wenn das Unternehmen dank der weiteren Geschäftszweige nicht in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht ist. (…)

Der Erlass einer auf Anspruchsbefriedigung gerichteten einstweiligen Verfügung kommt dann in Betracht, wenn der dem Antragsteller aus der Nichterfüllung drohende Schaden außer Verhältnis zu demjenigen Schaden steht, der dem Antragsgegner aus der sofortigen Erfüllung droht."

Entscheidend sei auch nicht, ob es zu Gewinneinbußen gekommen sei. Dies gelte insbesondere dann, wenn es sich um Startup handle:

"Die von der Antragstellerin vorgetragenen Umsatzeinbußen sind ganz erheblich, und die Umsätze sind nicht nachholbar. 

Darauf, ob es bei der Antragstellerin auch zu Gewinneinbußen gekommen ist, kommt es nach Auffassung des Senats nicht an. 

Der Senat hält es für plausibel, dass die Antragstellerin als Internet-Start ganz maßgeblich auf Umsatz (-wachstum) und Neukundenakquise angewiesen ist und ihr Gewinn in ihrem derzeitigen Entwicklungsstadium keine entscheidende Rolle spielt, auch und gerade gegenüber Geldgebern und potenziellen Erwerbern des Unternehmens. 

Für Geschäftspartner der Antragstellerin wie insbesondere die Zahlungsdienstleister und damit auch die von diesen gewährten (Sonder-) Konditionen wird ohnehin nicht der Gewinn, sondern der (über sie) generierte Umsatz von vorrangigem Interesse sein. Würde man nur auf den Gewinn abstellen, so würde dies eine Schutzlücke für all jene Unternehmen bedeuten, die sich noch in der Wachstumsphase befinden, aber noch nicht profitabel sind. Daher ist hier aufgrund der Einzelfallumstände ein Verfügungsgrund unabhängig davon zu bejahen, ob und ggf. in welchem Ausmaß der Antragstellerin auch Gewinn entgeht.”

2. Sperrung ist Kartellrechtsverstoß:

Die erfolgte Sperrung sei kartellrechtswidrig, so die Richter weiter.

Denn Google als marktbeherrschendes Unternehmen treffe besondere Pflicht. Zwar könne der Internet-Riese grundsätzlich autonom bestimmen, welche Anzeigen auf seiner Plattform veröffentlicht würden.

Unzulässig sei in jedem Fall eine automatisierte Sperrung ohne manuelle Nachprüfung:

"Jedenfalls vor diesem Hintergrund ist nach Dafürhalten des Senats von der Antragsgegnerin zu verlangen, dass sie zumindest im hier interessierenden Bereich der Werbung für den e-Vignettenvertrieb keine rein automatisierte Prüfung durchführt, sondern im Fall einer automatisierten Anzeigenablehnung eine individuelle (Nach-) Prüfung vornimmt und sich nicht mit einer Pauschalbetrachtung bzw. -regelung begnügt (…). 

Denn eine Pauschalbetrachtung wird der überragend starken Marktstellung der Antragsgegnerin einerseits und der erheblichen Bedeutung ihres Angebots für Unternehmen wie das der Antragstellerin andererseits nicht gerecht und ist angesichts des nach den obigen Ausführungen offenbar eher geringen Gefahrenpotenzials in diesem Geschäftsbereich nicht angemessen. 

Bei fehlendem oder einem nicht hinreichenden konkreten Gefahrenpotenzial der beworbenen Dienstleistung fehlt ein sachlicher Grund für die Ablehnung der entsprechenden Werbung."

Und weiter:

"Der Antragsgegnerin ist eine individuelle (Nach-) Prüfung auch möglich. 

Das zeigt sich daran, dass sie inzwischen mit der neuen Fassung der OSDD-RL (…) ein Zertifizierungsverfahren eingeführt hat. Danach können sich zum einen Werbetreibende, die eine Behörde oder von einer staatlichen Stelle beauftragt sind, für die Werbung für bestimmte, unter die OSDD-RL fallende Dienstleistungen zertifizieren lassen. 

Zum anderen können aber auch Werbetreibende, die keine staatliche Stelle bzw. kein staatlich autorisierter Anbieter sind, eine „regionale oder geschäftliche Ausnahmeregelung“ für sich in Anspruch nehmen oder geltend machen, dass ihre Anzeigen nicht unter die OSDD-RL fallen, da es sich nicht um Werbung für offizielle / staatliche Dokumente und Dienstleistungen handele. Demnach bietet die Antragsgegnerin bereits die Möglichkeit einer individuellen Prüfung u.a. auch der in Rede stehenden konkreten Dienstleistung. Ihr Argument, die Zertifizierungsüberprüfung erfordere keine Einzelfallprüfung der angebotenen Dienstleistung, sondern nur einen schlichten Abgleich der Identität des Werbetreibenden mit den auf den von den offiziellen Mautbetreibern erstellten Listen genannten Vermittlern, ist damit entkräftet."

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