Angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen nach dem Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) können auch dann vorliegen, wenn keine ausdrückliche Vertraulichkeitsvereinbarung besteht und bestehende Klauseln unwirksam sind. Ein Fall des zulässigen Whistleblowings liegt dann nicht vor, wenn lediglich individuelle Interessen berührt sind (OLG Schleswig, Urt. v. 28.04.2022 - Az.: 6 U 39/21).
Das OLG Schleswig hat sich zu mehreren wichtigen Fragen rund um das GeschGehG geäußert.
1. Klageantrag:
In Gerichtsprozessen ist es grundsätzlich notwendig, das zu schützende Rechtsgut (hier: das Geschäftsgeheimnis) mit in den Klageantrag aufzunehmen.
Dies ist für den Gläubiger kontraproduktiv, da er sich damit vollständig outet, die Gegenseite aber bis dato möglicherweise nur einen Teil des Geschäftsgeheimnisses kannte. Zwar kann das Gericht bestimmte Geheimhaltungsmaßnahmen anordnen, diese haben aber nur begrenzte Wirkung.
Nun hat das OLG Schleswig entschieden, dass ein Antrag auch dann prozessual zulässig sein kann, wenn das Geschäftsgeheimnis weder im eigentlichen Klageantrag aufgeführt noch Aktenbestandteil wird.
Der Verbotsantrag der Klägerin lautete:
"...in der Form einer Excel-Tabelle erstellte Teil-Kostenrechnung über direkte und indirekte Kosten, die der Klägerin bei der Erbringung von Dienstleistungen gegenüber Kunden der H-GmbH in den Geschäftsjahren 2013 bis 2019 entstanden sind, und zwar wie dies ausschnittweise in Anlage K 1 ersichtlich ist"
Dazu das OLG Schleswig:
"Angesichts der detaillierten Beschreibung in Wort und Bild ist der Einwand der Beklagten, es sei vollkommen unklar, wie die vom etwaigen Verbotstenor erfasste Teil-Kostenrechung genau aussehe und welche Informationen sie tatsächlich enthalte (...), unberechtigt. Auch eine Verwechslung mit anderen Dokumenten kann ausgeschlossen werden. (...)
Einer Aufgliederung, welche der Angaben in der Teil-Kostenrechnung Geschäftsgeheimnisse sein sollen und welche nicht, bedarf es nicht. Sie trüge im Gegenteil dem Rechtsschutzziel der Klägerin nicht Rechnung. Nicht in den einzelnen Angaben, sondern gerade in ihrer strukturierten Zusammenstellung sieht die Klägerin die Aussagekraft der Teil-Kostenrechnung und den Inhalt, den sie geheimhalten möchte. Der Inhalt der Anlage K 1 stellt dementsprechend als Ganzes das Geschäftsgeheimnis dar, so dass das Unterlassungsbegehren folgerichtig darauf gerichtet ist, der Beklagten die Verwendung der Teil-Kostenrechnung selbst zu verbieten.
Auch im Hinblick auf das berechtigte Geheimhaltungsbedürfnis der Klägerin muss die vorliegende Antragstellung genügen. Es wäre mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht vereinbar, wenn die Klägerin in dem Antrag - sei es unmittelbar, sei es durch Verweis auf eine Anlage - die Excel-Tabelle aktenkundig machen müsste, die der Beklagten nicht bekannt werden und die sie nicht verwenden soll (...). Die Beklagte hat dem nie klar entgegenhalten, dass ihr das Geschäftsgeheimnis ohnehin bereits bekannt sei. Sie könnte damit aber auch nicht gehört werden, weil sie dann einer zusätzlichen Offenlegung der Tabelle erst recht nicht bedarf. Vielmehr entstünde für die Klägerin dadurch die zusätzliche Gefahr, dass die Beklagte bei der Verwendung der ihr vorliegenden Tabelle gegenüber Dritten nun sogar darauf verweisen könnte, dass die Klägerin deren Authentizität bestätigt habe."
2. Angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen:
Angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen können - so die Richter weiter - auch dann vorliegen, wenn keine ausdrückliche Vertraulichkeitsvereinbarung besteht und bestehende Klauseln unwirksam sind:
"Aus der Unwirksamkeit einer Verschwiegenheitsklausel folgt nicht zwingend, dass sie im Rahmen angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen unbeachtlich sind. Auch das LAG Köln hat nur entschieden, das eine unwirksame Klausel keine Grundlage eines Unterlassungsanspruchs sein könne (LAG Köln BeckRS 2019, 44850 Rnrn. 13 - 15).
Den sodann geprüften Unterlassungsanspruch hinsichtlich einzelner Daten nach § 6 GeschGehG (ebd. Rn. 17) hat es unter anderem daran scheitern lassen, dass die Daten nicht durch angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen geschützt gewesen seien. Insoweit hat es konkreten Vortrag der dortigen Klägerin zum „Geheimhaltungsmanagement“ vermisst, aber nicht etwa auf die Unwirksamkeit der Verschwiegenheitsklauseln verwiesen (ebd. Rn. 23)."
3. Kein Fall des zulässigen Whistleblowings:
Ausnahmsweise darf ein Dritter ohne Genehmigung geschützte Geschäftsinteressen veröffentlichen, wenn ein berechtigtes Interesse besteht (§ 5 GeschGehG).
Ein solches berechtigtes Interesse muss jedoch öffentlich bestehen, d.h. im öffentlichen Interesse liegen. Lediglich individuelle Gründe reichen nicht aus:
"Öffentliches Interesse an der Aufdeckung vermeintlich vertragswidrigen Verhaltens der Klägerin zum Nachteil der Beklagten besteht nicht. Die Beklagte hat solches auch nicht dargelegt, sondern stets nur darauf verwiesen, dass sie die Angaben zur effektiven Durchsetzung des Schadenersatzanspruches benötige, dessen sie sich berühmt.
Die Aufdeckung von Tatsachen allein im Individualinteresse ist aber durch Whistleblowing nicht geschützt.
Wer einen vermeintlichen Anspruch durchsetzen möchte, hat im Rechtsweg prüfen zu lassen, ob und in welchem Umfang der Anspruch tatsächlich besteht. Wer Auskunft begehrt, hat diesen Weg ebenfalls einzuhalten und darf sich die gewünschte Kenntnis nicht eigenmächtig verschaffen. Aus eben diesem Grund hatte die Beklagte Stufenklage auf Auskunft und Zahlung von noch zu bezifferndem Schadensersatz erhoben. Spätestens nach rechtskräftiger Abweisung der Auskunftsklage wäre es mit der Rechtsordnung nicht vereinbar, ihr anstelle eines durchsetzbaren Anspruchs das Recht auf eigenmächtige außergerichtliche Auskunftsverschaffung zuzugestehen."