Mit Urteil vom heutigen Tag hat der 4. Zivilsenat unter Vorsitz von Vorsitzendem Richter am Oberlandesgericht Markus Geßler die Berufung einer Strafverteidigerin des Inspekteurs der Polizei Baden-Württemberg gegen das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 3. August 2023 (Aktenzeichen 11 O 82/23) als unbegründet zurückgewiesen. Der Senat hat damit das landgerichtliche Urteil im einstweiligen Verfügungsverfahren (Eilrechtsschutz) bestätigt, mit dem der Strafverteidigerin mehrere Äußerungen in einer Presseerklärung im Zusammenhang mit dem vor der 5. Großen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart geführten Strafverfahren Az. 5 KLs Js 118377/21 untersagt wurden.
Sachverhalt und Entscheidung des Landgerichts
Die Verfügungsbeklagte (im folgenden Beklagte) ist eine Strafverteidigerin des Inspekteurs der Polizei Baden-Württemberg, gegen den beim Landgericht Stuttgart ein Strafverfahren wegen sexueller Nötigung der hiesigen Verfügungsklägerin (im folgenden Klägerin) geführt wurde (Az. 5 KLs Js 118377/21) und das am 14. Juli 2023 mit einem Freispruch endete. Dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Die vorliegend in Rede stehende Presseerklärung enthielt mehrere Äußerungen zu der Klägerin und wurde von der Beklagten vor Beginn der Hauptverhandlung am 21. April 2023 an Medienvertreter verteilt.
Auf Antrag der Klägerin hatte das Landgericht Stuttgart der Beklagten im Wege der einstweiligen Verfügung untersagt in Bezug auf die Klägerin zu behaupten,
a) „Die Staatsanwaltschaft Stuttgart erhebt Anklage aufgrund der Aussage der Anzeigenerstatterin, die … nachweislich mehrfach zu dem Verlauf des Abends mit Andreas R. gegenüber der Polizei die Unwahrheit gesagt hat.“
und/oderb) dass die Verfügungsklägerin „zu einem anderen, deutlich älteren und verheirateten Vorgesetzten im Innenministerium seit Monaten ein intimes Verhältnis unterhalten hat“
und/oderc) „In einer Sprachnachricht an diesen Liebhaber hat die Anzeigenerstatterin unmittelbar nach dem Abend mit Andreas R. selbst ausgeführt, dass sie genau gewusst habe, was sie tue, man könne nichts auf den Alkohol schieben.“ und/oder
d) „Wir haben es hier mit einer Anzeigenerstatterin zu tun, deren beruflicher und persönlicher Lebensweg dadurch geprägt war, dass sie bewusst ältere, höher gestellte Männer suchte, um die Kontakte zu ihrem eigenen Vorteil auszunutzen.“
jeweils wenn dies geschieht wie im Rahmen der „Presseerklärung vom 21. April 2023 der Verteidigung des Angeklagten Andreas R.“
Entscheidung des 4. Zivilsenats
Mit ihrer dagegen gerichteten Berufung verfolgte die Beklagte die Abänderung des landgerichtlichen Urteils und die Abweisung der Unterlassungsklage. Mit Urteil vom heutigen Tag hat der 4. Zivilsenat die Berufung zurückgewiesen.
Zwar werde ein Rechtsanwalt, soweit er sich im Interesse eines Mandanten äußere, nicht als Privatperson tätig, sondern in seiner Funktion als Rechtsanwalt und Vertreter seines Mandanten, dies regelmäßig in dessen Namen und in Vollmacht. Vorliegend handele es sich aber schon nach dem Einleitungssatz der Pressemitteilung nicht um eine Erklärung des Inspekteurs der Polizei, sondern um eine ausdrücklich persönliche Erklärung der Beklagten im eigenen Namen.
Die in Rede stehenden Äußerungen seien keine privilegierten Äußerungen einer Strafverteidigung im Rahmen des Strafverfahrens, sondern eine sogenannte Litigation-PR, mit der die Kommunikation der Verteidigung nach außen strategisch gesteuert werden sollte. Bei einer solchen Pressearbeit als Öffentlichkeitsarbeit neben einem Strafverfahren seien die gleichen Grundsätze zu beachten, die für öffentliche Äußerungen gelten.
Danach beeinträchtigten die Äußerungen die Klägerin in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, da sie sich kritisch mit deren Verhalten im Ermittlungsverfahren beschäftigten und in ihrem sozialen Geltungsanspruch beeinträchtigten. Die erforderliche Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Klägerin und dem Äußerungsrecht der Beklagten führe zu einem Vorrang der schützenswerten Interessen der Klägerin.
Die Aussage, die Klägerin habe „nachweislich mehrfach zu dem Verlauf des Abends mit Andreas R. gegenüber der Polizei die Unwahrheit gesagt“, sei eine unwahre und für eine Polizistin als Berufszeugin ehrenrührige Tatsachenbehauptung, die die Klägerin nicht hinnehmen müsse. Denn die für die Wahrheit ihrer Behauptung beweisbelastete Beklagte sei insoweit beweisfällig geblieben. Das Strafurteil sei nicht rechtskräftig und deshalb als solches im einstweiligen Verfügungsverfahren noch kein taugliches Beweismittel für eine Glaubhaftmachung.
Die Behauptung der Beklagten zu einem intimen Verhältnis der Klägerin zu einem Vorgesetzten im Innenministerium sei unstreitig unwahr und betreffe die Privatsphäre der Klägerin. Auf ein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse könne sich die Beklagte nicht berufen, insbesondere auch nicht aus dem erklärten Ziel, einer öffentlichen Vorverurteilung ihres Mandanten vorzubeugen.
Denn es sei nicht Aufgabe einer Strafverteidigerin, die Öffentlichkeit über ein Strafverfahren zu informieren.
Bei der Veröffentlichung des (wesentlichen) Inhalts einer Sprachnachricht handele es sich um Inhalte, die dem Bereich der Privat- beziehungsweise Geheimsphäre zuzuordnen seien. Die Wiedergabe des Inhalts einer solch vertraulichen Kommunikation sei regelmäßig rechtswidrig, ohne dass es auf den Wahrheitsgehalt dieser Informationen ankomme. Es bleibe ohne Relevanz, dass die Sprachnachricht in der öffentlichen Hauptverhandlung des Strafverfahrens thematisiert worden sei, denn hierdurch sei diese nicht Teil der Sozialsphäre geworden.
Bei den Äußerungen zum beruflichen und persönlichen Lebensweg handele es sich um eine Meinungsäußerung mit einem Tatsachenkern, der mangels hinreichender Anknüpfungstatsachen als rechtswidrig anzusehen sei. Die Aussage beeinträchtige die Klägerin dazuhin in ihrem sozialen Achtungsanspruch und in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, weil sie damit als berechnende nur auf ihren eigenen Vorteil bedachte Person dargestellt werde, die Gefühle insoweit zurückstelle.
Eine Revision gegen das im einstweiligen Verfügungsverfahren ergangene Urteil ist nicht eröffnet. Das Urteil ist damit rechtskräftig.
Aktenzeichen
OLG Stuttgart: 4 U 129/23
LG Stuttgart: 11 O 92/23
Quelle: Pressemitteilung des OLG Stuttgart v. 24.01.2024