LG Ravensburg: Entsperrung von Mobiltelefon durch zwangsweise Abnahme von Fingerabdrücken

13.03.2023

Werden Fingerabdrücke eines Beschuldigten zwangsweise genommen, können diese auch dazu verwendet werden, ein Mobilfunk zu entsperren (LG Ravensburg, Beschl. v. 14.02.2023 - Az.: 2 Qs 9/23).

Der Beschuldigte wehrte sich gegen eine polizeiliche Maßnahme. Die Strafverfolgungsbehörden hatten ihm zwangsweise Fingerabdrücke abgenommen und diese eingesetzt, um sein Handy zu entsperren.

Er sah darin eine Verletzung seiner Grundrechte.

Diese Ansicht teilte das LG Ravensburg nicht, sondern beurteilte das Handeln der Polizei ausdrücklich als zulässig.

"Auch die Nutzung der festgestellten Fingerabdrücke für Zwecke des Entsperrens des Mobiltelefons des Beschuldigten. ist als „ähnliche Maßnahme" von § 81b Abs. 1 StPO umfasst. (...)

 Bei dieser Maßnahme handelt es sich sicherlich nicht um den klassischen Fall, welcher dem Erlass des § 81b Abs. 1 StPO zugrunde lag. (...) Durch die offene Formulierung wird erreicht, dass sich der statische Gesetzeswortlaut an den jeweiligen Stand der Technik anpasst (...). Mit der „technikoffenen" Formulierung hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass auch solche Maßnahmen gedeckt sind, die dem gesetzlichen Leitbild der Abnahme und Verwendung von äußeren körperlichen Beschaffenheitsmerkmalen zu Identifizierungs- oder Tatnachweiszwecken entsprechen (...)"

Und weiter:

"Im weiteren Sinn kommt der Nutzung der festgestellten Fingerabdrücke zum Entsperren eines Mobiltelefons auch eine Identifizierungsfunktion zu (...). Die Identifizierungsfunktion wird hier im Unterschied zum klassischen Fall des § 81b StPO allerdings nicht unmittelbar zum Führen eines Tatnachweises verwendet, sondern als Zwischenziel zur Erlangung der für den Nachweis erforderlichen gespeicherten Daten.

Inwieweit die Maßnahme notwendig für das Strafverfahren ist, ist eine Frage der noch zu thematisierenden Verhältnismäßigkeit. Die Verwendung von biometrischen Körpermerkmalen zur Entschlüsselung von Daten durch einen Abgleich mit den im Endgerät hinterlegten Schlüsselmerkmalen ist deshalb auch vom Wortlaut umfasst (...)."

Die erfolgte Maßnahme sei auch verhältnismäßig, so das Gericht:

"Die Abnahme und Verwendung von Fingerabdrücken für das Entsperren des Mobiltelefons ist für Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens notwendig und mithin verhältnismäßig. Insbesondere bleibt das Grundrecht des Beschuldigten auf informationelle Selbstbestimmung hinter dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafrechtspflege zurück. (...)

Das Entsperren des Mobiltelefons soll in einem nachfolgenden Schritt die Erlangung der auf dem Mobiltelefon gespeicherten Daten ermöglichen. Der Zugriff auf die gespeicherten Daten kann in der Regel mit ähnlicher Begründung auf andere StPO-Normen wie etwa § 110 StPO gestützt werden. Das Entsperren des Speichermediums ist mithin ein notwendiges Zwischenziel. Letztlich sind die dadurch erlangten Daten geeignet, den Tatnachweis für den Verdacht des vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu führen.

Die Maßnahme ist auch erforderlich, weil eine Entsperrung des Mobiltelefons per Code mangels freiwilliger Herausgabe durch den Beschuldigten und Nicht-Auffindens etwaiger Zugangspasswörter bei der Durchsuchung nicht möglich ist. Ein Zugriff auf die gespeicherten Daten kann unter gewissen Umständen je nach Modell zwar auch auf andere Weise erreicht werden. Ein solches Vorgehen ist jedoch aufgrund des Zeit- und Kostenaufwands nicht gleichermaßen effektiv im Vergleich zur hiesigen Maßnahme."

Und schließlich:

"Die Verwendung der festgestellten Fingerabdrücke ist auch angemessen, da das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aufgrund der hier eher geringen Eingriffsintensität hinter dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung zurückbleibt.

Bei der Abwägung ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Speicherung der Fingerabdrücke von nur kurzer Dauer ist und der Zweck der Maßnahme mit dem Entsperren des Mobiltelefons erreicht ist. Auch in die Abwägung zu stellen ist der ermöglichte eingriffsintensivere Zugriff auf die gespeicherten Daten, welcher neben dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung auch das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme tangiert."