Der Werbeblocker Adblock Plus verstößt nicht gegen das Urheberrecht (OLG Hamburg, Urt. v. 24.08.2023 - Az.: 5 U 20/22).
Die Verlagsbranche lässt nicht locker und wehrt sich weiterhin gegen den Werbeblocker Adblock Plus.
Der Streit begann um das Jahr 2015 herum. Damals gingen viele Verlage gegen das Unternehmen mit wettbewerbsrechtlichen Argumenten vor. Im Jahr 2018 entschied der BGH dann, dass das Angebot wettbewerbskonform ist, vgl. unsere Kanzlei-News v. 20.04.2018.
Seitdem stützen sich die Kläger primär auf urheberrechtliche Ansprüche, so auch im vorliegenden Fall vor dem OLG Hamburg.
Aber auch damit drang das klägerische Verlagshaus nicht durch. Die Hanseaten wiesen die Klage ab, da keine Urheberrechtsverletzung vorliege:
"aa. Im vorliegenden Fall liegt keine unberechtigte Vervielfältigung und/oder Umarbeitung von urheberrechtlich geschützten Computerprogrammen i.S.d. §§ 69a, 69c Nr. 1 und 2 UrhG vor.
aaa. Es kann mit dem Landgericht offenbleiben, ob die Dateien, die beim Abruf der Webseiten der Klägerin bzw. ihrer Tochterfirmen an die Nutzer übermittelt werden, als Computerprogramme i.S.d. § 69a UrhG geschützt sind.
Dies kann allerdings durchaus zweifelhaft sein. Neben der Eigenschaft als Computerprogramm bedarf es für die urheberrechtliche Schutzfähigkeit der Programmierung einer Webseite auch einer Beurteilung, inwieweit das erstellte Programm keine ganz einfache handwerklich-technische Gestaltung aufweist (…). Letztlich nimmt die Rechtsprechung für komplexe Computerprogramme zwar eine tatsächliche Vermutung der Schutzfähigkeit an (…).
Indes bestehen moderne Webseiten aus einer Vielzahl von technisch voneinander klar abgegrenzten Einzelelementen, wie Bildern, Texten, Grafiken, Videos und ggf. auch im HTML-Dokument enthaltener Software wie JavaScript-Applets oder PHP-Code (…). In diesen Fällen kann den betreffenden Komponenten durchaus Urheberrechtsschutz zukommen. Ob aber durch den Einsatz von solchen Softwarebestandteilen im HTML-Dokument bei der Webseite insgesamt von einem Computerprogramm auszugehen ist, ist bisher - soweit ersichtlich - nicht entschieden worden. Dies kann jedenfalls dann nicht der Fall sein, wenn diese Softwarebestandteile nicht prägend für den Quellcode der Webseite sind.
Schon aus diesem Grund wird ein Eingriff in einen Programmschutz durch Werbeblockersoftware häufig nicht gegeben sein (…).
bbb. Auch kann mit dem Landgericht dahinstehen, ob die Klägerin hinsichtlich dieser Programme über ausschließliche Nutzungsrechte verfügt und damit aktivlegitimiert ist.
Die Klägerin beruft sich insoweit darauf, dass die jeweiligen Webseiten von Mitarbeitern der WeltN24 GmbH, der Bild GmbH bzw. der Computer Bild Digital GmbH weisungsgemäß entwickelt und individuell programmiert worden seien. Die unbeschränkten ausschließlichen Nutzungsrechte an der Webseitenprogrammierung seien ihr eingeräumt worden. Demgegenüber wenden die Beklagten ein, dass die auf den streitgegenständlichen Webseiten referenzierten JavaScripts und PHP-Passagen größtenteils nicht von der Klägerin stammten, sondern vollständig von Drittunternehmen entwickelt und in einer Vielzahl von anderen Webseiten ebenfalls verwendet worden seien.
Insoweit läge das Fehlen einer Aktivlegitimation mangels eines ausschließlichen Nutzungsrechts nahe."
Und weiter:
"ccc. Jedenfalls haben die Beklagten jedoch die Rechte der Klägerin an den Programmen zur Erstellung der Webseiten nicht verletzt. Die Beklagten sind nicht - gemeinsam mit dem jeweiligen Nutzer - Mittäter einer Urheberrechtsverletzung.
(1) Es liegt, wie vom Landgericht in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, keine unberechtigte Vervielfältigung i.S.d. § 69c Nr. 1 UrhG vor. (…)
Die im Anschluss an das Speichern des Webseitenprogramms erfolgenden Vorgänge, die durch „AdBlock Plus“ erzeugt werden und die dazu führen, dass die Einblendung von Werbung unterbleibt, stellen keine Umarbeitung i.S.d. § 69c Nr. 2 UrhG dar. (…) Bereits der Wortlaut von § 69c Nr. 2 UrhG spricht dafür, dass als Umarbeitung nur eine Änderung der Programmsubstanz anzusehen ist. (…)
Die seitens der Klägerin übermittelten Dateien (u.a. HTML-Dokumente) werden durch das Programm „AdBlock Plus“ nicht geändert. Das Programm hat aber, wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, Auswirkungen auf die Datenstrukturen, die vom Browser erzeugt werden. Einzelne Programmbefehle der Klägerin werden blockiert oder überschrieben. Unstreitig werden der DOM-Datenbaum und - in der Variante des „Element Hiding“ - auch die CSS-Datenstrukturen (u.a. CSSOM) jedenfalls anders erstellt als dies von der Klägerin intendiert ist. (…)
Bei den durch „AdBlock Plus“ bewirkten Handlungen, die sich auf die Datenstrukturen auswirken, handelt es sich nicht um Umarbeitungen i.S.d. § 69c Nr. 2 UrhG. Vielmehr sind die Handlungen als Eingriffe in den Ablauf des Programms zu werten, die nicht von § 69c Nr. 2 UrhG erfasst sind.
Es geht um eine individuelle Konfiguration und insoweit um eine zustimmungsfreie bestimmungsgemäße Benutzung i.S.d. § 69d Abs. 1 UrhG. Eine Pflicht, Inhalte auf eine bestimmte Art zu rezipieren, besteht nicht (…).
Wie die Beklagten zutreffend geltend machen, sind die temporären Datenstrukturen DOM-Knotenbaum, CSSOM und Render Tree jeweils nicht Teil der Programmsubstanz. Sie werden vom Browser lediglich als temporäre Datenstrukturen im Rahmen der Darstellung des HTML-Dokuments berechnet und haben weder statischen noch befehlsartigen Charakter. Der technisch untermauerte Vorwurf der Klägerin beschränkt sich im Kern darauf, dass der DOM-Knotenbaum, der CSSOM und der Render Tree vom Computerprogramm „Browser“ bei aktiviertem „AdBlock Plus“ gar nicht erst so erstellt werden, wie von der Klägerin erwünscht. Damit liegt indes keine Substanzveränderung vor. Etwas, das noch gar nicht erstellt worden ist, kann letztlich, wie die Beklagten zutreffend geltend machen, nicht in seiner Substanz verändert werden. Die Substanz der seitens der Klägerin bereitgestellten Dateien (u.a. HTML-Datei) bleibt unberührt."
Anmerkung von RA Dr. Bahr:
Das OLG Hamburg hat die Revision zum BGH zugelassen. Es ist also damit zu rechnen, dass es auch in dieser Frage in absehbarer Zeit zu einer BGH-Entscheidung kommen wird.