Guerlain meldete beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) eine dreidimensionale Unionsmarke für Lippenstifte an. Es handelt sich um ein dreidimensionales Zeichen, das aus der Form des wie folgt wiedergegebenen Lippenstifts besteht.
Der Prüfer des EUIPO stellte fest, dass die angemeldete Marke keine Unterscheidungskraft habe(1) und wies die Anmeldung zurück. Die Beschwerdekammer bestätigte diese Entscheidung und stellte fest, dass die Marke nicht hinreichend von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweiche.
Das Gericht hat die Entscheidung der Beschwerdekammer aufgehoben und entschieden, dass die angemeldete Marke Unterscheidungskraft hat, denn sie weicht erheblich von der Norm und der Branchenüblichkeit von Lippenstiften ab.
Würdigung durch das Gericht
Erstens hat das Gericht darauf hingewiesen, dass die Unterscheidungskraft nicht anhand der Originalität oder der mangelnden Benutzung der angemeldeten Marke im Bereich der betreffenden Waren und Dienstleistungen zu beurteilen ist. Eine dreidimensionale Marke, die aus der Form der Ware besteht, muss nämlich zwangsläufig erheblich von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweichen. Daher ist die bloße Neuheit dieser Form für die Bejahung der Unterscheidungskraft nicht ausreichend. Allerdings bedeutet die Tatsache, dass eine Branche durch eine große Vielfalt an Warenformen gekennzeichnet ist, nicht, dass eine etwaige neue Form zwangsläufig als eine dieser Warenformen wahrgenommen wird.
Zweitens bedeutet nach Ansicht des Gerichts der Umstand, dass die Waren ein Qualitätsdesign aufweisen, nicht zwangsläufig, dass eine in der dreidimensionalen Form dieser Waren bestehende Marke diese Waren von denen anderer Unternehmen unterscheiden kann. Es hat festgestellt, dass die Berücksichtigung des ästhetischen Erscheinungsbilds der angemeldeten Marke nicht einer Bewertung der Schönheit der in Rede stehenden Ware gleichkommt, sondern geprüft werden soll, ob dieses Erscheinungsbild in der Lage ist, eine objektive und in den Augen der maßgeblichen Verkehrskreise ungewöhnliche visuelle Wirkung hervorzurufen.
Drittens und abschließend hat das Gericht unter Berücksichtigung der Bilder, die von der Beschwerdekammer als Norm und Branchenüblichkeit herangezogen wurden, festgestellt, dass die in Rede stehende Form für einen Lippenstift ungewöhnlich ist und sich von jeder anderen Form auf dem Markt unterscheidet.
Es hat nämlich ausgeführt, dass diese Form an die eines Schiffsrumpfs oder einer Babytragetasche erinnert. Eine solche Form weicht erheblich von den Bildern ab, die von der Beschwerdekammer berücksichtigt wurden und die in den meisten Fällen zylindrische und quaderförmige Lippenstifte darstellten. Das Vorhandensein der kleinen erhabenen ovalen Form ist ungewöhnlich und trägt zur ungewöhnlichen Erscheinungsform der angemeldeten Marke bei. Die Tatsache, dass sich der von dieser Marke dargestellte Lippenstift nicht aufrecht hinstellen lässt, verstärkt den ungewöhnlichen visuellen Aspekt seiner Form.
Infolgedessen hat das Gericht entschieden, dass die maßgeblichen Verkehrskreise von dieser leicht einprägsamen Form überrascht sein werden und sie als erheblich von der Norm und der Branchenüblichkeit von Lippenstiften abweichend und als geeignet auffassen werden, auf die Herkunft der betreffenden Waren hinzuweisen. Die angemeldete Marke verfügt daher über Unterscheidungskraft, weshalb sie eingetragen werden kann.
Quelle: Pressemitteilung/Zusammenfassung des EuG v. 14.07.2021