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OLG Hamburg: Online-Angebot AU-Scheine via WhatsApp ist wettbewerbswidrig

Die Bewerbung von Angeboten, Arbeitsunfähigkeits-Scheine (AU-Scheine) per WhatsApp  im Rahmen einer Fernbehandlung auszustellen, ist wettbewerbswidrig, da es mit der ärztlichen Sorgfalt nicht vereinbar ist, dass der Arzt grundsätzlich auf den persönlichen Kontakt mit dem Patienten verzichtet (OLG Hamburg, Urt. v. 05.11.2020 - Az.: 5 U 175/19).

Die Beklagte bot ihren Kunden an, AU-Scheine durch einen mit ihr kooperierenden Arzt im Rahmen einer Ferndiagnose per WhatsApp  zu erhalten. Hierfür musste der Erkrankte mehrere vorformulierte Fragen online beantworten.

In der 1. Instanz nahm das LG Hamburg (Urt. v. 03.09.2019 - Az.: 406 HK O 56/19) eine Wettbewerbsverletzung an, da das das Arzt-Patient-Verhältnis grundsätzlich eine persönliche Beurteilung vor Ort voraussetze und eine grundsätzliche Behandlung mittels Ferndiagnose daher nicht zulässig sei. Die medizinische Sorgfalt gebiete einen unmittelbaren Kontakt zwischen Arzt und Patient. Damit sei es nicht zu vereinbaren, dass über besondere Einzelfälle hinaus AU-Scheine regelmäßig ohne persönlichen Kontakt erteilt würden.

Dieser Meinung schloss sich das OLG Hamburg nun in der Berufung an.

"Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erfüllt die Werbung der Beklagten nicht die Voraussetzungen des § 9 S. 2 HWG. Im Rahmen des Geschäftsmodells der Beklagten muss der Interessent zunächst online verschiedene Fragen beantworten, die vor allem die Symptome und die Risikofaktoren des Nutzers betreffen.

Wenn die Antworten zu der Diagnose einer Erkältung passen, werden sie an den „Tele-Arzt“ gesendet, welcher die mitgeteilten Symptome überprüft und eine entsprechende AU-Bescheinigung ausstellt, sollten die mitgeteilten Symptome mit der vermuteten Diagnose einer Erkältung übereinstimmen.

Wenn die Antworten auf die voreingestellten Fragen nicht zu der entsprechenden Diagnose führen, erscheint eine Meldung, wonach der Patient den Dienst nicht nutzen könne. Es steht dem Patienten dann allerdings offen, die Fragen erneut zu beantworten.

Wenn der Arzt eine AU-Bescheinigung ausstellt, wird diese per WhatsApp und per Post an den Nutzer geschickt. Der Arzt kommt zu keinem Zeitpunkt in Kontakt mit dem Patienten, es sei denn er hält Rückfragen per Telefon oder Video-Chat für notwendig. Zu diesem Fall kommt es im streitgegenständlichen Setting aber voraussehbar nicht, da dem Arzt nur solche Antworten übermittelt werden, die zur Diagnose einer Erkältung passen. Fälle, in denen Rückfragen angezeigt wären, werden vom System vorzeitig aussortiert. Die Anamnese beruht in diesem Setting ausschließlich auf den Antworten des Patienten auf die vorformulierten Fragen.

Eine Abwägung im Einzelfall kann auf diese Weise nicht stattfinden. Das würde vielmehr voraussetzen, dass sich der behandelnde Arzt einen umfassenden Eindruck vom Gesundheitszustand des Patienten verschafft. Dies ist durch das voreingestellte Setting im Rahmen des beworbenen Geschäftsmodells gerade nicht möglich."

Und weiter:

"Anders als die Beklagte meint, führt dieses Ergebnis auch nicht zu einer generellen Unzulässigkeit telemedizinischer Behandlungen, was dem Willen des Gesetzgebers widerspräche.

Dies liegt zunächst schon daran, dass § 9 HWG nur die Bewerbung der Fernbehandlung und nicht die Zulässigkeit der Fernbehandlung als solche betrifft. Darüber hinaus schließt dieses Ergebnis auch Fernbehandlungen als solche nicht aus, da lediglich eine Prüfung des konkreten Einzelfalls hinsichtlich der medizinischen Vertretbarkeit einer ausschließlichen Fernbehandlung vorgenommen werden muss.

Eine telemedizinische Behandlung kann erhebliche Vorteile bieten, die dem Patienten nicht vorenthalten werden sollen. Dies gilt aber nur, soweit der behandelnde Arzt überprüfen kann, ob ein persönlicher Kontakt zum Patienten im konkreten Einzelfall tatsächlich nicht notwendig ist, wie z.B. im Rahmen einer Videosprechstunde.

Auch der Einwand der Beklagten, ihr seien nach über 70.000 Ferndiagnosen keinerlei Fehldiagnosen gemeldet worden, vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Unabhängig davon, ob bisher tatsächlich keine Fehldiagnosen gestellt wurden oder diese aus anderen Gründen nicht an die Beklagte herangetragen wurden, führt dieser Einwand nicht zu einem Wegfall der notwendigen Prüfung im konkreten Einzelfall."

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