Ein DSGVO-Auskunftsanspruch bei Videoaufzeichnungen in öffentlichen S-Bahnen ist idR. unzumutbar für das Beförderungsunternehmen, sodass das Begehren als unbegründet zurückgewiesen werden kann (VG Berlin, Urt. v. 12.10.2023 - Az.: 1 K 562/21).
Dem Rechtsstreit lag der Sachverhalt zugrunde, den bereits das AG Pankow Anfang 2022 zu entscheiden hatte, vgl. unsere Kanzlei-News v. 08.04.2022.
Ein Kunde fuhr in Berlin mit der öffentlichen S-Bahn. In einigen Zügen erfolgt eine Videoaufzeichnung, die 48 Stunden aufbewahrt wird. Er verlangte nach Art. 15 DSGVO Auskunft. Das Personenbeförderungsunternehmen lehnte dies ab und löschte die Daten innerhalb der 48 Stunden. Die daraufhin erhobene Schadensersatzklage des Kunden nach Art. 82 DSGVO wies das AG Pankow ab, da die begehrte Informationserteilung unzumutbar gewesen sei.
Im vorliegenden Fall stritten sich nun das Unternehmen und die zuständige Datenschutzbehörde. Das Datenschutzamt hatte nämlich aufgrund der fehlenden Auskunft eine Verwarnung ausgesprochen.
Dagegen klagte die Beförderungsfirma und bekam vor dem VG Berlin Recht:
"Soweit die Klage (...) zulässig ist, ist sie auch begründet, weil die (...) ausgesprochene Verwarnung rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt (...).
Der Beigeladene hatte gegenüber der Klägerin keinen Anspruch aus Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO auf Zurverfügungstellung einer Kopie von durch die Klägerin verarbeiteten, auf seine Person bezogenen Daten. (…)
Zwar dürften die Aufzeichnungen von Personen durch Videoüberwachungskameras jedenfalls bei abstrakter Betrachtungsweise personenbezogene Daten i.S.d. Art. 4 Nr. 1 DSGVO darstellen. (…)
Letztlich kann jedoch offenbleiben, ob die im Rahmen der Videoüberwachung in den S-Bahnen der Klägerin gewonnenen Aufzeichnungen (…) personenbezogene Daten darstellen. Denn der Beigeladene hatte, unter keinem Gesichtspunkt einen Anspruch auf Zurverfügungstellung einer Kopie der Videoaufzeichnungen.
Der insoweit nach dem allgemeinen Günstigkeitsprinzip (…) darlegungsbelastete Beigeladene hat schon nicht nachgewiesen, dass (…) er tatsächlich die "betroffene Person" i.S.d. Art. 15 DSGVO ist, deren Bilddaten zu dem von ihm angegebenen Zeitraum in dem von ihm benannten Zug der Klägerin gespeichert wurden.
Die Klägerin hat in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass, um die Herausgabe an unberechtigte Dritte ausschließen zu können, eine zweifelsfreie Übereinstimmung der Person des Auskunftsbegehrenden mit der Person des auf den Videos Abgebildeten gewährleistet werden muss. Hierfür reichen aber allein Angaben, wie der Beigeladenen sie gemacht hat (Zeitraum der Beförderung, Zugnummer, äußeres Erscheinungsbild und Verhaltensweise der Person) nicht aus. Denn es erscheint beispielsweise denkbar, dass ein Antragsteller derartige Angaben zu einer anderen Person macht, die ihm etwa deshalb bekannt sind, weil er mit ihr zusammen in einem der Züge der Klägerin gefahren ist, um so an die Videoaufzeichnungen dieser Person zu gelangen."
Und weiter: Der Auskunftswunsch sei insbesondere aufgrund Unzumutbarkeit zurückzuweisen gewesen:
"Hinzu kommt, dass der Klägerin die Auskunftserteilung auch wegen eines dafür zu treibenden unverhältnismäßigen Aufwandes nicht zumutbar war. Hierzu hat das Amtsgericht Pankow in einem Verfahren, in dem der Beigeladene die Klägerin, gestützt auf Art. 82 DSGVO, wegen der Zurückweisung eines weiteren Auskunftsbegehrens auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch genommen hat, Folgendes ausgeführt (Urteil vom 28. März 2022 - 4 C 199/21, juris):
"Hinsichtlich des hierauf basierenden Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 DSGVO ist der Beklagten das Erfüllen dieses Auskunftsanspruchs jedoch aufgrund unverhältnismäßigen Aufwands unzumutbar gemäß § 275 Abs. 2 BGB (…).
Ein solch grobes Missverhältnis besteht jedoch hier. Denn das Transparenzinteresse des Klägers ist äußerst gering. Insbesondere war er sich des Ob, Wie und Was der Datenverarbeitung bewusst (…). Der Kläger wusste genau, dass und in welchem Umfang personenbezogene Daten erhoben werden. (…)"
Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer an. Zwar ist in Art. 15 DSGVO keine ausdrückliche Ausnahme wegen unverhältnismäßigen Aufwands vorgesehen. Der durch das Amtsgericht herangezogene § 275 Abs. 2 BGB beinhaltet jedoch einen allgemeinen Rechtsgedanken, der auch in Erwägungsgrund 62 der DSGVO zum Ausdruck kommt. Danach darf eine Leistung verweigert werden, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Gebots von Treu und Glauben, das nach Art. 8 Abs. 2 Satz 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 5 Abs. 1 lit. a DSGVO über dem gesamten Verarbeitungsvorgang steht, in einem groben Missverhältnis zum Leistungsinteresse des Gläubigers steht (…)."