Zurück
Newsletter vom 02.08.2023
Betreff: Rechts-Newsletter 31. KW / 2023: Kanzlei Dr. Bahr



1. BGH: (Un)Zulässige Online-Öffentlichkeitsarbeit einer Kommune ("muenchen.de")

2. BVerwG Österreich: Filmaufnahmen von lärmenden Kindern zu Beweiszwecken sind DSGVO-Verstoß

3. BGH: Zulässigkeit der Ladenöffnung an Sonntagen im in Fashion Outlet Center

4. BGH: Keine Eigentumsbeeinträchtigung durch Suchmeldung von Kulturgut in Lost Art-Datenbank

5. KG Berlin: Abmahnfrist von wenigen Stunden reichen auch bei unerlaubter Online-Veröffentlichung von Bildern nicht aus

6. OLG Brandenburg: Code of Conduct der Wirtschaftsauskunfteien ist DSGVO-konform / Löschfrist von 3 Jahren nicht zu beanstanden

7. OLG Frankfurt a.M.: Kein Unterlassungsanspruch gegen Online-Shop bei Datenübermittlung an Google Tag Manager und Google Fonts

8. VG Düsseldorf: Rassistische und antisemitische Chatnachrichten führen zur Entlassung aus dem Polizeidienst

9. LG Frankfurt a.M.: Stromanbieter darf Kundendaten nicht anlasslos an SCHUFA übermitteln

10. LG Karlsruhe: dm-Werbung "klimaneutral" und "umweltneutral" irreführender Wettbewerbsverstoß

Die einzelnen News:

____________________________________________________________

1. BGH: (Un)Zulässige Online-Öffentlichkeitsarbeit einer Kommune ("muenchen.de")
_____________________________________________________________

Der BGH hatte erneut zur Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit einer Kommune (hier: die Domain "muenchen.de" zu entscheiden (BGH, Urt. v. 13.07.2023 - Az.: I ZR 152/21).

Die amtlichen Leitsätze lauten:

"1. Zu der mit Blick auf das Gebot der Staatsferne der Presse zulässigen Öffentlichkeitsarbeit der Kommune gehören grundsätzlich auch das Stadtmarketing und die Tourismusförderung.

2. Eine Anzeigenwerbung ist in einer kommunalen Publikation nur als fiskalisch motivierte Randnutzung zulässig. Für die Bestimmung einer zulässigen Randnutzung ist auf den Umfang der Anzeigenschaltung abzustellen. Die Randnutzung muss als Annextätigkeit eine untergeordnete, quantitativ nachgeordnete Tätigkeit in innerem Zusammenhang mit der Hauptnutzung bleiben (Fortführung von BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - I ZR 112/17, GRUR 2019, 189 [juris Rn. 41] - Crailsheimer Stadtblatt II).

3. Nach allgemeinen Regeln unzulässige geschäftliche Handlungen der öffentlichen Hand sind bei der Prüfung eines Verstoßes gegen das Gebot der Staatsferne der Presse nicht in die Gesamtwürdigung einzubeziehen. Wettbewerbsverstöße dieser Art sind nach den allgemeinen lauterkeitsrechtlichen Regelungen, wie zum Beispiel § 4 Nr. 4, §§ 4a, 5 Abs. 1 oder § 5a Abs. 4 Satz 1 UWG, zu beurteilen; sie können zudem nur zu einem Verbot des jeweils konkret angegriffenen Beitrags, nicht aber der kommunalen Publikation in der konkreten Verletzungsform insgesamt führen."



zurück zur Übersicht

_____________________________________________________________

2. BVerwG Österreich: Filmaufnahmen von lärmenden Kindern zu Beweiszwecken sind DSGVO-Verstoß
_____________________________________________________________

Das österreichische Bundesverwaltungsgericht (öBVerwG) hat entschieden, dass ein Mieter keine Filmaufnahmen von lärmenden Kindern im Innenhof des Gebäudes anfertigen darf, um der Hausverwaltung gegenüber Verstöße gegen die Hausordnung nachzuweisen (BVerwG, Urt. v. 25.05.2023 - Az.: W211 2267125-1).

Ein Mieter hatte von lärmenden Kindern im Innenhof per Handy aufgenommen, um Verstöße gegen die Hausordnung zu dokumentieren. Der Mieter übersandte die Videos der Hausverwaltung.

Dies stufte die zuständige Datenschutzbehörde und nun auch das öBVerwG als Datenschutzverletzung ein:

"Darüber hinaus ist der Datenschutzbehörde im angefochtenen Bescheid auch dahingehend recht zu geben, dass der Beschwerdeführerin (=BF ) gelindere Mittel zur Vertretung und Verteidigung ihrer Interessen zur Verfügung gestanden hätten: so hätte die Hausverwaltung in einem ersten Schritt mit der Unterschriftenliste und einer verbalen, schriftlichen Beschreibung der Vorkommnisse informiert werden können, bevor Videomaterial von Minderjährigen angefertigt und vorgelegt wird.

In einem zweiten Schritt wären auch (nur) Tonaufnahmen denkbar gewesen; und hätte die BF tatsächlich die Meinung gehabt, einzelne Geschehnisse, wie Fahrradfahren und Äste abbrechen, auch bildlich festhalten zu müssen, so hätten dazu einzelne gezielte Fotos, zB mit verpixelten Kindern, oder eine Dokumentation des angerichteten Schadens wohl auch ausgereicht."


Und weiter:
"Dass mit den Eltern der minderjährigen Person (=mP) als ein vorhergehender Schritt zur Problemlösung ein Gespräch über ihr konkretes Verhalten gesucht worden wäre, kam im Verfahren nicht hervor.

Minderjährige Kinder verdienen nach dem Gesetzgeber im Datenschutz einen besonderen Schutz, wie sich aus dem ErwG 38, aber auch aus Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO selbst ergibt: während der BF ein grundsätzliches Interesse an der Dokumentation einer Belästigung in der Wohnhausanlage, in der sie lebt, keinesfalls abgesprochen wird, stehen diesen Interessen jene eines damals 8-jährigen Minderjährigen gegenüber, der darüber hinaus auch die grundsätzlich vorgeworfenen Verhaltensweisen, wie Fußballspielen spät abends und besondere Lärmentwicklung, gar nicht verursachte.

Das Interesse des Minderjährigen daran, dass seine personenbezogenen (Bild-) Daten nicht verarbeitet, und zwar als Video über ein Smartphone aufgezeichnet und an zwei Hausverwaltungen weitergeleitet, werden, überwiegt die Interessen der BF an einer Dokumentation von Belästigungen, für die ihr gelindere Mittel zur Verfügung standen."



zurück zur Übersicht

____________________________________________________________

3. BGH: Zulässigkeit der Ladenöffnung an Sonntagen im in Fashion Outlet Center
_____________________________________________________________

Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Zulässigkeit der Sonntagsöffnung eines Geschäfts im Zweibrücken Fashion Outlet Center davon abhängt, ob die eine solche Öffnung gestattende Durchführungsverordnung auch nach der Herabstufung des Flugplatzes Zweibrücken zum Sonderlandeplatz noch wirksam ist.

Sachverhalt:  
Der Kläger betreibt unter anderem in der Pfalz Ladengeschäfte, in denen er auch Damenmodeartikel verkauft.

Die Beklagte ist ein Damenoberbekleidungsunternehmen, das eine Filiale im Zweibrücken Fashion Outlet betreibt, das in der Nähe des Flugplatzes Zweibrücken liegt. Gemäß der aufgrund von § 7 Abs. 2 Ladenöffnungsgesetz Rheinland-Pfalz (nachfolgend: LadöffnG) erlassenen Durchführungsverordnung vom 13. März 2007 (nachfolgend: Durchführungsverordnung) ist die Sonntagsöffnung im zeitlichen Zusammenhang mit den jährlichen Oster-, Sommer- und Herbstferien in Rheinland-Pfalz erlaubt.

Im Jahr 2014 wurde der kommerzielle Linienflugverkehr des Flugplatzes Zweibrücken eingestellt. Seit 2018 liegt eine Genehmigung als Sonderlandeplatz vor, die Fracht- und Geschäftsreiseverkehr sowie Flüge zu privaten sowie Ausbildungs- und Schulungszwecken gestattet.

Der Kläger meint, die Ladenöffnungen der Beklagten an Feriensonntagen verstießen gegen § 3 LadöffnG und seien nach §§ 3, 3a UWG wettbewerbswidrig. Er nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.

Bisheriger Prozessverlauf:  
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat angenommen, der Beklagten sei keine unlautere geschäftliche Handlung gemäß §§ 3, 3a UWG vorzuwerfen, weil die Durchführungsverordnung ihr Verhalten legitimiere.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs: 
Der Bundesgerichtshof hat auf die Revision des Klägers das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Die Durchführungsverordnung legitimiert die in der Sonntagsöffnung der Beklagten liegende geschäftliche Handlung nur, sofern sie wirksam ist. Eine infolge Rechtswidrigkeit nichtige Rechtsverordnung entfaltet keine Legitimationswirkung.

Für die Beurteilung der Wirksamkeit der Durchführungsverordnung können auch nach ihrem Erlass eingetretene Umstände (hier: die Herabstufung des Flugplatzes Zweibrücken zum Sonderlandeplatz) von Bedeutung sein.

Die Nichtigkeit einer (wie die Durchführungsverordnung) im Ermessen des Normgebers stehenden, ursprünglich rechtmäßigen Rechtsverordnung kann eintreten, wenn der Normgeber die Änderung oder Aufhebung der Rechtsverordnung unterlassen hat, obwohl sein Ermessen zu einem solchen Tätigwerden wegen einer nach Erlass der Rechtsverordnung eingetretenen Veränderung der maßgeblichen Umstände auf Null reduziert ist.

Der Bundesgerichtshof hat dem Oberlandesgericht aufgegeben zu prüfen, ob hinreichende Sachgründe bestehen, die mit Blick auf den hohen verfassungsrechtlichen Rang des in Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV sowie Art. 47, 57 Abs. 1 Satz 2 und 3 der Verfassung für Rheinland-Pfalz vorgesehenen Sonn- und Feiertagsschutzes die von der Durchführungsverordnung vorgesehene Sonntagsöffnung im Zweibrücken Fashion Outlet Center rechtfertigen.

Hierfür kommt ein erhöhter, am Flugplatz Zweibrücken nicht gedeckter Bedarf an Ladenöffnung in Betracht. Weiter ist zu prüfen, ob die Durchführungsverordnung auch dem Ziel regionaler Wirtschaftsförderung dient und dieses Ziel die Einschränkung der Sonn- und Feiertagsruhe rechtfertigt.

Urteil vom 27. Juli 2023 - I ZR 144/22

Vorinstanzen:
LG Zweibrücken - Urteil vom 15. Oktober 2021 - HK O 46/20 
OLG Zweibrücken - Urteil vom 4. August 2022 - 4 U 202/21

Quelle: Pressemitteilung des BGH v. 27.07.2023

zurück zur Übersicht

____________________________________________________________

4. BGH: Keine Eigentumsbeeinträchtigung durch Suchmeldung von Kulturgut in Lost Art-Datenbank
_____________________________________________________________

Der unter anderem für Ansprüche aus Eigentum zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass die auf wahren Tatsachen beruhende Suchmeldung eines Kulturgutes auf der Internetseite der Lost Art-Datenbank keine Eigentumsbeeinträchtigung darstellt und daher keinen Anspruch des gegenwärtigen Eigentümers gegen den Veranlasser der Meldung auf Beantragung der Löschung begründet.

Sachverhalt:
Der Kläger, ein Kunstsammler, erwarb im Jahr 1999 im Rahmen einer Auktion in London das Gemälde "Kalabrische Küste" des Malers Andreas Achenbach.

Das Gemälde befand sich in der Zeit von 1931 bis 1937 im Besitz der Galerie Stern in Düsseldorf, die der jüdische Kunsthändler Dr. Max Stern in dieser Zeit von seinem Vater übernahm. Bereits im Jahre 1935 wurde ihm durch die Reichskammer der bildenden Künste die weitere Berufsausübung untersagt, die Verfügung wurde jedoch zunächst nicht vollzogen.

Im März 1937 verkaufte Dr. Stern das Gemälde an eine Privatperson aus Essen. Im September 1937 wurde er endgültig gezwungen, seine Galerie aufzugeben, woraufhin er über England nach Kanada emigrierte. Sein Nachlass wird von einem kanadischen Trust verwaltet, dessen Treuhänder die Beklagten sind.

Im Juni 2016 wurde auf Veranlassung der Beklagten eine Suchmeldung für das Gemälde auf der Internetseite der Lost Art-Datenbank veröffentlicht.

Die von einer Stiftung mit Sitz in Magdeburg betriebene Datenbank dokumentiert Kulturgüter, die insbesondere jüdischen Eigentümern aufgrund der Verfolgung durch den Nationalsozialismus entzogen wurden, oder für die ein derartiger Verlust nicht auszuschließen ist. Mithilfe der Veröffentlichung sollen frühere Eigentümer bzw. deren Erben mit heutigen Besitzern zusammengeführt und beim Finden einer gerechten und fairen Lösung über den Verbleib des Kulturgutes unterstützt werden.

Im Rahmen einer Ausstellung des Gemäldes in Baden-Baden wurde der Kläger über die Suchmeldung und eine in Kanada veranlasste Fahndung nach dem Gemälde durch Interpol informiert. Er fühlt sich durch den Eintrag in der Lost Art-Datenbank und die Interpol-Fahndung in seinem Eigentum beeinträchtigt.

Bisheriger Prozessverlauf:
Der Kläger verlangt von den Beklagten, es zu unterlassen, sich des Eigentums an dem Gemälde zu berühmen. Hilfsweise begehrt er, sie zu verurteilen, die Löschung der Suchmeldung in der Lost Art-Datenbank zu beantragen. Die Klage ist bei dem Landgericht und dem Oberlandesgericht erfolglos geblieben. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der Bundesgerichtshof hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde:

Der Kläger hat keinen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB auf die mit dem Hauptantrag verlangte Unterlassung, weil die Beklagten sich nicht des Eigentums an dem Gemälde des Klägers berühmt haben.

Die tatrichterliche Beurteilung des Berufungsgerichts, mit der Suchmeldung des Gemäldes auf der Internetseite der Lost Art-Datenbank und der Fahndung über Interpol werde ohne gegenwärtige Eigentumsanmaßung lediglich an das früher bestehende Eigentum des Dr. Max Stern angeknüpft, ist nicht zu beanstanden. Zweck der Veröffentlichung auf der Internetseite der Lost Art-Datenbank ist es, die früheren Eigentümer bzw. deren Erben sowie die heutigen Besitzer eines Kulturgutes zusammen zu bringen und diese bei der Erarbeitung einer gerechten und fairen Lösung im Sinne der Washingtoner Erklärung aus dem Jahr 1998 über den Umgang mit während der NS-Zeit abhanden gekommenen Kunstwerken zu unterstützen.

Hiervon ausgehend nimmt das Berufungsgericht zu Recht an, dass mit der Suchmeldung lediglich auf das frühere Eigentum an dem Kunstwerk und die Umstände des Verlustes Bezug genommen wird; eine Aussage über das gegenwärtig bestehende Eigentum oder etwaige daran anknüpfende Ansprüche ist damit weder verbunden noch beabsichtigt.

Das gilt auch für die Eintragung des Gemäldes in der Fahndungsdatenbank von Interpol, weil lediglich das Abhandenkommen des Gemäldes am 13. November 1937 in Düsseldorf gemeldet wurde.

Auch mit dieser Meldung ist keine Aussage darüber verbunden, dass sich die Beklagten nach heutiger Rechtslage als Eigentümer des Gemäldes ansehen und darstellen. Dass der Kläger bei einer Verbringung des Gemäldes nach Kanada oder in die Vereinigten Staaten von Amerika polizeiliche Maßnahmen zu befürchten hätte, die ihn in der Verfügungsgewalt über das Gemälde einschränken würden, ist lediglich Folge des Umstandes, dass die Rechtsordnungen einzelner Staaten an das verfolgungsbedingte Abhandenkommen von Kulturgütern und spätere Erwerbsvorgänge unterschiedliche Rechtsfolgen knüpfen.

Selbst wenn sich die Beklagten diesen Umstand bewusst zunutze gemacht hätten, stellte ihre Meldung keine Eigentumsanmaßung dar, weil sie lediglich (wahre) Tatsachen zu Vorgängen aus dem Jahre 1937 enthält und die rechtliche Bewertung dieser Vorgänge den Behörden – bzw. gegebenenfalls den Gerichten – überlassen wird.

Dem Kläger steht auch der mit dem Hilfsantrag geltend gemachte Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB auf Beantragung der Löschung der Suchmeldung des Gemäldes in der Lost Art-Datenbank nicht zu.

Denn die auf wahren Tatsachen beruhende Suchmeldung eines Kulturgutes auf der Internetseite der Lost Art-Datenbank stellt keine Eigentumsbeeinträchtigung im Sinne dieser Vorschrift dar und begründet daher keinen auf Beantragung der Löschung gerichteten Anspruch des gegenwärtigen Eigentümers gegen den Veranlasser der Meldung. Durch die Suchmeldung wird die Eigentumszuordnung – wie bereits ausgeführt – nicht infrage gestellt und die Verfügungsbefugnis des Eigentümers jedenfalls in rechtlicher Hinsicht nicht eingeschränkt.

Eine auf wahren Tatsachen beruhende sachliche Information über den Verdacht des NS-verfolgungsbedingten Verlustes eines Kulturgutes beeinträchtigt die Rechte aus dem Eigentum aber auch schon deshalb nicht, weil der Betroffene die Behauptung und Verbreitung wahrer Tatsachen in der Regel hinzunehmen hat, auch wenn dies für ihn nachteilig ist.

Das berechtigte Interesse früherer Eigentümer von Kulturgut bzw. ihrer Rechtsnachfolger sowie das allgemeine öffentliche Interesse an der Provenienz NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter überwiegen jedenfalls ein in der Regel allein auf wirtschaftlichen Erwägungen beruhendes Interesse des gegenwärtigen Eigentümers an der Geheimhaltung solcher Tatsachen.

Ob eine Eigentumsbeeinträchtigung anzunehmen ist, wenn in Bezug auf die Sache unwahre marktrelevante Tatsachen behauptet bzw. wertbildende Faktoren falsch dargestellt werden, ist fraglich, bedurfte aber keiner abschließenden Entscheidung, da es dem Kläger nicht um die Abwehr unzutreffender Tatsachenbehauptungen über das Gemälde geht. Nach § 44 Satz 1 Nr. 1 des Kulturgutschutzgesetzes besteht wegen der Umstände des Verkaufs im Jahr 1937 jedenfalls die Vermutung, dass das Gemälde einem früheren Eigentümer NS-verfolgungsbedingt entzogen worden ist.

Die Veröffentlichung der Suchmeldung in der Lost Art-Datenbank macht damit lediglich publik, was aufgrund der bekannten Umstände des Verkaufs ohnehin vermutet wird und - jedenfalls im Fall eines gewerblichen Inverkehrbringens - näherer Aufklärung bedarf.

Anders als die Revision meint, kann eine Eigentumsbeeinträchtigung auch nicht mit der Begründung bejaht werden, die Aufrechterhaltung der Suchmeldung in der Lost Art-Datenbank führe zu einem rechtswidrigen Zustand. Eintragungen und Meldungen zu Kulturgütern in der Lost Art-Datenbank sind zwar als staatliches Informationshandeln anzusehen, so dass bei Überschreitung des Zwecks der Veröffentlichung entweder ein im verwaltungsgerichtlichen Verfahren durchzusetzender öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch oder – weil die Datenbank inzwischen durch eine privatrechtliche Stiftung betrieben wird – ein zivilrechtlicher Löschungsanspruch nach den Grundsätzen des sog. Verwaltungsprivatrechts in Betracht kommen könnte.

Ein solcher Anspruch könnte sich aber nur gegen die Stiftung als Betreiberin der Datenbank richten, nicht gegen die Beklagten als bloße Veranlasser der Meldung. Wenn der Staat eine Internetdatenbank einrichtet, in der Such- und Fundmeldungen von Privatpersonen zu Kulturgütern veröffentlicht werden, dann ist er bzw. die von ihm als Betreiberin der Datenbank errichtete Stiftung dafür verantwortlich, dass die veröffentlichte Meldung sich innerhalb der Grenzen hält, die das öffentliche Recht und namentlich die Grundrechte – hier der Eigentümer der betroffenen Gemälde – dem staatlichen Informationshandeln ziehen.

Es ist Sache der Betreiberin der Datenbank zu entscheiden, ob sie eine Meldung veröffentlicht und ob bzw. wann sie sie wieder löscht. Es liegt in ihrer Verantwortung, die fortdauernde Einhaltung des Zwecks der Veröffentlichung zu überwachen und sicherzustellen, dass die Aufrechterhaltung der Veröffentlichung gegenüber dem Eigentümer des Kunstwerks weiterhin zu rechtfertigen ist.

Wird durch die Aufrechterhaltung einer Meldung das Eigentum an einem Kunstwerk beeinträchtigt, dann trifft die Verantwortung hierfür folglich allein die Stiftung. Ob hier eine solche Eigentumsbeeinträchtigung vorliegt, bedurfte keiner Entscheidung, weil sich die Klage gegen die Beklagten als Veranlasser der Meldung richtet.

Urteil vom 21. Juli 2023 - V ZR 112/22

Vorinstanzen:
LG Magdeburg – Urteil vom 27. November 2019 – 2 O 599/18
OLG Naumburg – Urteil vom 24. Mai 2022 – 1 U 292/19

Quelle: Pressemitteilung des BGH v. 21.07.2023

zurück zur Übersicht

____________________________________________________________

5. KG Berlin: Abmahnfrist von wenigen Stunden reichen auch bei unerlaubter Online-Veröffentlichung von Bildern nicht aus
_____________________________________________________________

Eine Abmahnfrist von wenigen Stunden reichen auch bei einer unerlaubter Online-Veröffentlichung von Bildern nicht aus. Dies gilt auch dann, wenn es sich bei dem Veröffentlichenden um einen großen Presseverlag handelt (KG Berlin, Beschl. v. 18.07.2023 - Az.: 10 W 79/23).

Der Antragsteller mahnte die Antragsgegnerin, einen großen Presseverlag, wegen zwei Fotos ab, die gegen den Willen und ohne Kenntnis online veröffentlicht wurden.

Der Anwalt des Antragstellers übersandte daraufhin am 8. August 2022 um 12:53 Uhr eine Abmahnung und setzte eine Frist bis 18:00 Uhr desselben Tages  Eine Fristverlängerung bis zum nächsten Tag wurde für den Fall in Aussicht gestellt, dass die beanstandeten Inhalte noch am 8. August 2022 entfernt würden.

Die Antragsgegnerin teilte noch am gleichen Tag mit, dass  "aufgrund ferienbedingter Abwesenheiten sowohl in der Redaktion als auch in der Rechtsabteilung" eine Klärung am gleichen Tag nicht möglich und versprach, sich am nächsten Tag zu melden. Am nächsten Tag gab sie dann eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab.

Der Antragsteller hatte bereits am 8. August 2023 abends eine einstweilige Verfügung bei Gericht beantragt. Nach Abgabe der Unterlassungserklärung ging es dann nur noch um die Kosten des gerichtlichen Rechtsstreits.

Das KG Berlin entschied, dass die gesetzte Frist zu kurz gewesen sei, sodass der Antragsteller die angefallenen Entgelte zu tragen habe.

Es gebe keinen Grundsatz, dass gerade bei Online-Berichten automatisch eine kürzere Frist angemessen sei. Vielmehr würden auch für das World Wide Web die allgemeinen Grundsätze aus dem Offline-Bereich gelten:

"Richtig ist allerdings, wie ausgeführt, dass bei einem besonders schweren Verstoß (...) und/oder bei einer besonderen Eilbedürftigkeit ausnahmsweise etwas anders gelten kann. Der Senat kann einen solchen besonders schweren Verstoß im Fall aber nicht erkennen. (...)

Für die Veröffentlichung bei „…- also eine Online-Berichterstattung – gilt indes nichts anderes.

Die Verfügungskläger machen eine besondere Schwere der Verletzung durch die abgebildete Situation im Übrigen auch nicht näher geltend und führen zu einer besonderen Eingriffstiefe weder im Einzelnen aus noch machen sie diese glaubhaft.

Die Überlegung, eine Online-Veröffentlichung sei stets gefährlicher als eine Print-Veröffentlichung, kann im Einzelfall zwar zutreffend sein. Im Fall mangelt es aber schon an jedem Vortrag, welchen Zugriff es auf die Veröffentlichungen konkret gab. So ist es durchaus möglich, dass die Online-Veröffentlichungen eine viel geringere Breitenwirkung als die Print-Veröffentlichung hatten. Jedenfalls aber gibt es keinen Grundsatz, dass bei Veröffentlichungen, die im Internet verbreitet werden, grundsätzlich Fristen gelten müssten, die sich nur auf wenige Stunden beliefen. Beispielsweise der Medien-Anwalt H., in: H./M., Presserecht, 1. Auflage 2022, § 20 Randnummer 74, meint, es sei eine Frist von wenigen Tagen angemessen, wenn es um Veröffentlichungen geht, die im Internet verbreitet werden. Die Verfügungskläger zeigen nicht auf, dass in der Rechtsprechung etwas anderes angenommen wird."


Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Tatsache, dass es sich bei dem Antragsgegner um einen großen Presseverlag handle:
"Allerdings ist nicht zu verkennen, dass die Verfügungsbeklagte ein großes Presseunternehmen ist.

Es ist in der Untersuchung der angesprochenen Fragen erfahren und verfügt sogar über eine eigene Rechtsabteilung.

Auch in einem solchen Falle ist es aber grundsätzlich richtig, in der Regel wenigstens eine Prüfungsfrist von noch einigen Tagen einzuräumen. Im Fall kommt als Besonderheit hinzu, dass die Verfügungsbeklagte mitgeteilt hatte, sich bis zum 9. August 2022 zu melden und damit die Stellungnahmefrist selbst auf längstens, gerechnet von einer Geschäftszeit bis 18:00 Uhr, auf 29 Stunden verkürzt hatte.

Die Verfügungskläger konnten daher erkennen, dass sie nur einen weiteren Tag vor der Einleitung eines Rechtsstreits warten mussten."



zurück zur Übersicht

_____________________________________________________________

6. OLG Brandenburg: Code of Conduct der Wirtschaftsauskunfteien ist DSGVO-konform / Löschfrist von 3 Jahren nicht zu beanstanden
_____________________________________________________________

Die freiwilligen Verhaltensregelungen der Auskunfteien (Code of Conduct der Wirtschaftsauskunfteien) ist DSGVO-konform. Insbesondere die dort enthaltenen Löschfristen von 3 Jahren nach Tilgung von Verbindlichkeiten ist rechtlich nicht zu beanstanden (OLG Brandenburg, Urt. v. 03.07.2023 - Az.: 1 U 8/22).

Ein Schuldner wehrte sich vor Gericht gegen einen Eintrag in der Datenbank der verklagten Auskunftei. Eine Löschung der Einträge erfolgt nach dem Code of Conduct der Wirtschaftsauskunfteien grundsätzlich 3 Jahre nach ihrer Erledigung.

Im vorliegenden Fall ging es um eine offene Forderung, die der Schuldner in Ratenzahlung getilgt hatte. Nach vollständiger Bezahlung verlangte er die Entfernung des Eintrags. Die verklagte Auskunftei wies darauf hin, dass die Informationen erst nach Ablauf von 3 Jahren gelöscht würden.

Das OLG Brandenburg stufte das Verhalten des Wirtschaftsunternehmens als rechtmäßig. Der zugrunde gelegte Code of Conduct sei nicht zu beanstanden:

"Entgegen der Auffassung des Klägers begegnet die Drei-Jahres-Frist des Code of Conduct keinen grundsätzlichen Bedenken. Insbesondere sind die der Aussetzungsentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28. März 2023 (BGH, NZI 2023, 586) und den Schlussanträgen des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs vom 16. März 2023 (NZI 2023, 399) zugrunde liegenden Erwägungen zu einer vorzeitigen Löschung von Einträgen über Restschuldbefreiungen nach §§ 286, 287a Abs. 1 Satz 1 InsO nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar.

Für die Eintragung einer Restschuldbefreiung ist in § 3 Abs. 1 Satz 1 InsBekV ausdrücklich vorgesehen, dass diese spätestens sechs Monate nach der Aufhebung oder Rechtskraft der Einstellung des Insolvenzverfahrens aus dem Insolvenzregister, aus dem die Beklagte ihre Informationen bezieht, gelöscht wird. Dementsprechend beziehen sich auch die Ausführungen des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof ausdrücklich auf diese Konstellation, in der eine Information aus einem öffentlichen Register entnommen wird und dementsprechend auch den für dieses Register durch den Verordnungsgeber ausdrücklich geregelten Speicherfristen unterliegen soll."


Und weiter:
"Da eine dem § 3 InsBekV vergleichbare Regelung für Negativeinträge wie den hier streitgegenständlichen fehlt, ist die Angemessenheit der Drei-Jahres-Frist des Code of Conduct unter Berücksichtigung der Abwägung der gegenläufigen Interessen nach Maßgabe des Erwägungsgrunds Nr. 39 der DS-GVO zu beurteilen.

Neben dem Umstand, dass die Beklagte sich auf nach den Vorgaben des Art. 40 Abs. 2 DS-GVO erstellte und durch die zuständige Aufsichtsbehörde genehmigte Verhaltensregeln bezieht, ist auch zu berücksichtigen, dass sie nur gegenüber ihren Vertragspartnern und auch diesen gegenüber erst bei einem berechtigten Interesse Auskünfte erteilt, also wenn eines dieser Vertragsunternehmen gegenüber dem Kläger mit einer Dienstleistung oder einer Lieferung in Vorleistung geht und damit ein wirtschaftliches Risiko trägt.

Damit ist zum einen der Kreis an potentiellen Auskunftsberechtigten gegenüber demjenigen des Schuldnerverzeichnisses oder auch des Insolvenzregisters deutlich geringer und zum anderen wird eine Auskunft von der Beklagten als privatrechtlicher juristischer Person an diesen personell geringeren Kreis nur in bestimmten Konstellationen, nämlich bei einer finanziellen Vorleistung gegenüber dem Schuldner, erteilt (...).

Darüber hinaus erscheint die im Code of Conduct vorgesehene Regelfrist von drei Jahren auch mit Blick auf die bereits in § 35 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 BDSG a.F. zum Ausdruck gebrachten Wertungen als angemessen. Danach war im Falle eines erledigten Sachverhalts zum Ende des dritten Kalenderjahres lediglich eine Prüfung der Erforderlichkeit geschäftsmäßig verarbeiteter personenbezogener Daten vorgesehen."



zurück zur Übersicht

_____________________________________________________________

7. OLG Frankfurt a.M.: Kein Unterlassungsanspruch gegen Online-Shop bei Datenübermittlung an Google Tag Manager und Google Fonts
_____________________________________________________________

Einem Betroffenen steht kein Unterlassungsanspruch gegen einen Online-Shop zu, der personenbezogene Daten an Drittdienste (hier u.a. Google Tag Manager und Google Fonts) übermittelt (OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 30.03.2023 - Az.: 16 U 22/22).

Der Kläger machte gegen einen Online-Shop einen Unterlassungsanspruch wegen behaupteter zahlreicher DSGVO-Verstöße geltend. Er beanstandete u.a., dass auf der Webseite folgende Dienste eingebunden seien, ohne dass er dafür zuvor eine Einwilligung erteilt hätte: Google Tag ManagerGoogle AnalyticsGoogle FontsGoogle ReCaptchaGoogle OptimizeDoubleclickYoutubeFacebookPinterestTaboolaFonts Awesome und Fonts.com.

In der Vorinstanz wies das LG Wiesbaden bereits die Klage ab, vgl. unsere Kanzlei-News v. 03.02.2023.

Dieser Ansicht hat sich nun auch das OLG Frankfurt a.M. angeschlossen und einen Unterlassungsanspruch verneint.

Die DSGVO kenne kein derartiges Unterlassungsbegehren:

"In der DS-GVO ist kein Individualanspruch auf Unterlassung der Übermittlung von Daten an Dritte normiert. Die DS-GVO kennt ihrem Wortlaut nach als möglicherweise einschlägige Ansprüche zugunsten der von Datenverarbeitung betroffenen Personen lediglich einen Anspruch auf Löschung von personenbezogenen Daten (Art. 17 DS-GVO), insbesondere, wenn sie unrechtmäßig verarbeitet wurden, und auf Schadensersatz aus Art. 82 für einen Schaden aufgrund eines Verstoßes gegen die DS-GVO. aa) Der Anspruch auf die begehrte Unterlassung ergibt sich nicht aus Art. 17 DS-GVO.

Danach hat die betroffene Person unter bestimmten Voraussetzungen gegen den Verantwortlichen einer Datenverarbeitung einen Anspruch, dass sie betreffende personenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden. Eine Löschung von Daten verlangt der Kläger hier nicht.

Allerdings kann sich aus Art. 17 DS-GVO über den Wortlaut hinaus auch ein Anspruch auf Unterlassung ergeben. Zwar wird in Art. 17 DSGVO nur ein Löschungsrecht normiert; aus diesem in Verbindung mit Art. 79 DSGVO, der wirksame gerichtliche Rechtsbehelfe bei einer Verletzung der Datenschutzgrundverordnung garantiert, kann jedoch zugleich ein Unterlassungsanspruch hergeleitet werden (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 2021 - VI ZR 489/19 -, juris, Rz. 10; BSG, Urteil vom 18. Dezember 2018 - B 1 KR 31/17 R -, BSGE 127, 181-188, Rz. 13).

Denn aus der Verpflichtung zur Löschung von Daten ergibt sich implizit zugleich die Verpflichtung, diese künftig nicht (wieder) zu speichern. So sieht der Bundesgerichtshof in der erstgenannten Entscheidung vom 12.10.2021 im Löschungsanspruch des Art. 17 DS-GVO zugleich einen Unterlassungsanspruch (BGH a.a.O. Rz. 10 und 23).

Dieser aus der inneren Logik des Anspruchs auf Löschung hergeleitete Unterlassungsanspruch richtet sich jedoch nur auf die Unterlassung der Speicherung von Daten. Das Gegenstück der Löschung von Daten ist die Speicherung von Daten. Denn unter Löschen versteht man die Unkenntlichmachung gespeicherter Informationen, so dass es niemand mehr ohne unverhältnismäßigen Aufwand möglich ist, die Information wahrzunehmen (...).

Der Kläger verlangt hier nicht die Unterlassung der Speicherung von Daten über ihn durch die Beklagte, sondern die Unterlassung der Übermittlung von Daten durch die Beklagte an Dritte."

Auch Art. 82 DSGVO scheide aus, da diese Norm einen Schaden voraussetze:
"Der vom Kläger geltend gemacht Unterlassungsanspruch ergibt sich auch nicht aus Art. 82 DS-GVO.

Zwar kann sich unter Umständen (...) aus einem Schadensersatzanspruch auch ein Unterlassungsanspruch ergeben.

Allerdings sind die Voraussetzungen dafür hier nicht gegeben. Der Kläger hat schon einen konkreten Schaden, der ihm durch die Weiterleitung der Daten als Folge der von ihm vorgetragenen dreimaligen Aufrufe der Webseite der Beklagten entstanden sein soll, nicht dargelegt. Ein Anspruch setzt aber die Entstehung eines - unter Umständen auch immateriellen - Schadens voraus. (...)

Zum anderen (...)  und das ist entscheidend, kann sich aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes nur dann ein Unterlassungsanspruch ergeben, wenn die erfolgte Verletzungshandlung noch andauert oder der pflichtwidrig geschaffene Zustand fortdauert (...).

Der Kläger verlangt hier jedoch nicht die Beseitigung von Datenweitergaben, welche anlässlich der drei behaupteten Nutzungen der Website erfolgt sind, oder die Beseitigung von deren Folgen, sondern die Unterlassung von Datenübermittlungen bei einer künftigen Nutzung der Online-Shop-Seite der Beklagten. Es handelt es insofern um einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch."


Ein Rückgriff auf das BGB sei nicht möglich, da die DSGVO insoweit eine Sperrwirkung entfalte, so die Richter weiter:
"Dem Kläger steht ein Anspruch auf Unterlassung auch nicht aus den §§ 1004 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. mit den nach Auffassung des Klägers durch die Datenübermittlung an die Drittdienste verletzten Art. 5, 6 DS-GVO oder Art. 44 DS-GVO oder Art. 32 DS-GVO zu.

Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass Schadensersatzansprüche und Unterlassungsansprüche des nationalen Rechts, soweit dies auf Verstöße gegen Regeln zur Verarbeitung personenbezogener Daten und anderer Regelungen der DS-GVO gestützt sind, keine Anwendung finden, weil Vorschriften des DS-GVO eine abschließende, weil voll harmonisierende europäische Regelung bilden (...).

Wegen dieses Anwendungsvorrangs des unionsweit abschließend vereinheitlichten Datenschutzrechts kann ein Anspruch nicht auf Vorschriften des nationalen deutschen Rechts gestützt werden (...). Auf nationales Recht kann nur zurückgegriffen werden, wenn sich aus der DS-GVO eine entsprechende Öffnungsklausel ergibt."


Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Es läuft das Rechtsmittelverfahren vor dem BGH (VI ZR 144/23).

zurück zur Übersicht

_____________________________________________________________

8. VG Düsseldorf: Rassistische und antisemitische Chatnachrichten führen zur Entlassung aus dem Polizeidienst
_____________________________________________________________

Ein Kommissaranwärter, der vor seiner Ernennung zum Polizeibeamten fremdenfeindliche und antisemitische Nachrichten in einer Chatgruppe verbreitet hat, weckt Zweifel an seiner persönlichen Eignung und darf daher aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf entlassen werden. Das hat die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf mit heute verkündetem Urteil entschieden und damit die Klage des Polizeibeamten gegen das Land Nordrhein-Westfalen abgewiesen.

Der 2002 geborene Polizeibeamte hatte 2019 in einer WhatsApp-Gruppe zwei Bilder verbreitet, die Anspielungen auf farbige bzw. jüdische Menschen enthielten. 2021 wurde er in den Polizeivollzugsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen aufgenommen und versah seinen Dienst als Kommissaranwärter beim Polizeipräsidium Duisburg.

Im Rahmen eines gegen einen Dritten geführten Ermittlungsverfahrens wurde eine Chatgruppe aufgefunden, deren Mitglied der Kläger war. Das Polizeipräsidium Duisburg verbot dem Beamten zunächst die Führung der Dienstgeschäfte und entließ ihn sodann aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf. Zur Begründung berief es sich auf erhebliche Zweifel an der charakterlichen Eignung des Klägers.

Die von Polizeibeamten geforderte charakterliche Grundeinstellung beginne nicht erst mit dem Eintritt in den Polizeivollzugsdienst.

Das Gericht hat die durch das Polizeipräsidium Duisburg ausgesprochene Entlassung bestätigt und zur Urteilsbegründung ausgeführt:

Nach § 23 Abs. 4 Satz 1 des Beamtenstatusgesetzes kann ein Beamter auf Widerruf jederzeit entlassen werden.

Das Polizeipräsidium hat die Entlassungsverfügung zu Recht auf durchgreifende Zweifel an der mangelnden charakterlichen Eignung des Polizeianwärters gestützt. Es hat zutreffend darauf abgestellt, dass gerade von Polizeibeamten zu erwarten ist, dass ihr Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht wird, die ihr Beruf erfordert.

Mit diesen Anforderungen ist das Verhalten des Klägers nicht vereinbar, auch wenn er es nicht im, sondern vor dem Eintritt in den Polizeivollzugsdienst gezeigt hat. Nicht zu beanstanden ist die Wertung des Dienstherrn, es sei mehr als jugendliches Fehlverhalten, dass der Kläger in der einen Nachricht Menschen mit dunkler Hautfarbe und in der anderen Nachricht Menschen jüdischen Glaubens in unerträglicher Weise herabgewürdigt und zur Verharmlosung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes beigetragen hat. An seinen menschenverachtenden Aussagen muss der Beamte sich festhalten lassen, auch wenn er sie heute bedauert.

Gegen das Urteil ist der Antrag auf Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht in Münster möglich.

Aktenzeichen: 2 K 2957/23

Quelle: Pressemitteilung des VG Düsseldorf v. 25.07.2023

zurück zur Übersicht

_____________________________________________________________

9. LG Frankfurt a.M.: Stromanbieter darf Kundendaten nicht anlasslos an SCHUFA übermitteln
_____________________________________________________________

Ein Stromanbieter darf Kundendaten nicht anlasslos an die SCHUFA übermitteln (LG Frankfurt a.M., Urt. v. 26.05.2023 - Az.: 24 O 156/21).

Eprimo verwendete folgende Klausel in ihren AGB:

"14.3  [eprimo ist berechtigt, eine Bonitätsauskunft über Sie einzuholen.] eprimo übermittelt im Rahmen dieses Vertragsverhältnisses erhobene personenbezogene Daten über [die Beantragung], die Durchführung und Beendigung dieser Geschäftsbeziehung [sowie Daten über nicht vertragsgemäßes Verhalten oder betrügerisches Verhalten] an die SCHUFA Holding AG, Kormoranweg 5, 65201 Wiesbaden. (...) Rechtsgrundlagen dieser Übermittlungen sind Art. 6 Abs. 1 Buchstabe b und Art. 6 Abs. 1 Buchstabe f der DatenschutzGrundverordnung (DSGVO). [...].

14.4. Die Berechtigung von eprimo zur Weitergabe der in Ziff. 14.3. benannten Daten und Informationen zu den dort benannten Zwecken besteht auch für die folgende weitere Gesellschaft: Creditreform Offenbach Gabold & Bleul KG, Goethering 58, D- 63067 Offenbach.“

Das LG Frankfurt a.M. stufte diese Regelungen als DSGVO-Verstoß und damit als rechtswidrig ein.

Die Richter stellen zunächst klar, dass es hier um die Konstellation gehe, dass anlasslos eine Übermittlung stattfinden. Nicht zu beanstanden seien hingegen Fälle, bei denen es einen sachlichen Grund (z.B. betrügerisches Verhalten) gebe:

"Die Berechtigung zur Einholung einer Bonitätsauskunft (Ziffer 14.3. Satz 1) sowie die Berechtigung zur Übermittlung von personenbezogenen Daten über die Beantragung dieser Geschäftsbeziehung sowie Daten über nicht vertragsgemäßes Verhalten oder betrügerisches Verhalten (Ziffern 14.3. und 14.4.) werden von dem Kläger nicht beanstandet, blieben vom Antrag ausdrücklich ausgenommen und bleiben daher trotz der teilweisen Aufnahme in den Tenor ausdrücklich unberührt (siehe insoweit die eckigen Klammern)."

Eine anlasslose Übermittlung von Daten an die SCHUFA und andere Auskunfteien sei hingegen unverhältnismäßig:
"Die Ziffern 14.3. und 14.4. weichen in erheblicher und damit unangemessener Weise vom Schutzbedürfnis des Art. 6 Abs. 1 DSGVO als gesetzlicher Regelung ab, weil nach ihrer kundenfeindlichsten Auslegung in nicht zu rechtfertigender Weise isoliert nicht bonitätsrelevante Kundendaten an Auskunfteien weitergeleitet werden dürfen. (...)

In Auslegung der Ziffern 14.3. und 14.4. der AGB der Beklagten meldet diese entgegen ihrer Rechtsauffassung auch Positivdaten an die Wirtschaftsauskunfteien bzw. sind die AGB nach kundenfeindlichster Auslegung so zu verstehen, dass sie dies auf der Grundlage der AGB unabhängig von der gestatteten Einmeldung von Negativdaten an die Auskunfteien tun könnte."


Und weiter:
"Ausgehend hiervon ist in Ziffer 14.3. der AGB der Beklagten eine Aufzählung dergestalt enthalten, dass die Beklagte neben den - von der Klägerseite jeweils nicht beanstandeten - Daten über die Beantragung und über nicht vertragsgemäßes sowie betrügerisches Verhalten auch und isoliert davon Daten über die Durchführung und Beendigung des Vertrages mit dem Kunden an die Auskunfteien einmeldet oder einmelden kann, die keine Bonitätsrelevanz aufweisen.

Wenn die Beklagte die Auffassung vertritt, dass die Begriffe der „Durchführung“ und „Beendigung“ nicht die Weiterleitung von Positivdaten meinten, ist dieser Einwand nicht nachvollziehbar.

Der Begriff der „Durchführung“ ist zunächst, in zeitlicher Hinsicht abzugrenzen von dem Status der Beantragung, im Rahmen dessen die Beklagte eine Abfrage bei der Auskunftei einholt, um ihr Vertrags- und Vorleistungsrisiko zu verringern bzw. auf entsprechender Datengrundlage entscheiden zu können, ob sie das Vertragsangebot des Kunden oder der Kundin annimmt oder nicht.

Durch die Verwendung des Begriffes der Beantragung wird für den Kunden hinreichend klar, dass vor dem Vertragsschluss zunächst von der Beklagten personenbezogene Daten wie sein Name oder seine Anschrift weitergeleitet werden, bei denen es nicht um Negativdaten geht.

Um diese Datenverarbeitung geht es vorliegend jedoch nicht. Der Vertrag wird denklogisch zeitlich hiernach „durchgeführt“, wenn die Beklagte dem Kunden Strom gegen die Zahlung des vereinbarten Entgelts liefert. Die Ziffer 14.3. kann nun, nach der kundenfeindlichsten Auslegung, nach Auffassung des Gerichts jedenfalls auch so verstanden werden, als die Beklagte Daten im Rahmen dieses zunächst in der Regel beanstandungsfrei laufenden Vertragsstatus ebenfalls an die Auskunfteien weiterleitet.

Die Beklagte schränkt den Begriff der Durchführung im Rahmen der Ziffer 14.3. überhaupt nicht ein bzw. nur auf die. „erhobenen“ Daten, wobei unklar bleibt, welche Daten überhaupt erhoben werden. Das gleiche gilt für den Begriff der Beendigung. Die Beklagte beschreibt den Begriff insbesondere ohne die Beweggründe der Beendigung, etwa in Form der Vertragsverletzung durch den Vertragspartner, zu konkretisieren oder zu begrenzen."


Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.

zurück zur Übersicht

_____________________________________________________________

10. LG Karlsruhe: dm-Werbung "klimaneutral" und "umweltneutral" irreführender Wettbewerbsverstoß
_____________________________________________________________

Nach mündlicher Verhandlung am 24.05.2023 hat das Landgericht Karlsruhe in seinem heute verkündeten Urteil der Klage der Deutschen Umwelthilfe e.V. stattgegeben und entschieden, dass die Beklagte, die dm-drogerie markt GmbH & Co. KG, es künftig zu unterlassen hat, Produkte (hier: Flüssigseife, Sonnenmilch, Cremedusche) auf der Verpackung mit dem Begriff „klimaneutral“ (unter Verweis auf eine „ClimatePartner“-Nummer und mit dem Zusatz „CO2-kompensiert“) und Produkte (hier: Spülmittel) auf der Verpackung mit dem Begriff „Umweltneutrales Produkt“ zu bewerben.

Das Gericht stützt sein Urteil im Wesentlichen auf folgende Erwägungen:

1. Zur Werbung mit dem Claim „klimaneutral“
Die Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ (verstanden als „ausgeglichene Treibhausgasbilanz“) ist bei zwei der herausgegriffenen Produkte nach § 5a Abs. 1 UWG zu unterlassen, weil die Beklagte dem angesprochenen Verbraucher wesentliche Informationen zum Verständnis dieses Begriffs vorenthält. Die Beklagte hat bei den betroffenen Produkten jeweils angegeben, das Produkt sei klimaneutral im Sinne von CO2-kompensiert. Weitere Informationen dazu finden sich auf der Verpackung nicht, wohl aber sind sie auf Internetseiten der ClimatePartner GmbH zu finden, von der die Beklagte das entsprechende Logo bezogen hat.

Dabei geht es um die weiteren, für den umweltinteressierten durchschnittlichen Verbraucher wesentlichen Informationen darüber,

a) auf welche Schritte im Lebenszyklus eines Produkts sich der Claim der Klimaneutralität bezieht, mit anderen Worten, ob bestimmte (gasförmige) Emissionen von der Bilanzierung ausgenommen wurden,

b) anhand welcher Kriterien die Prüfung für das Label des jeweiligen Zertifizierungspartners – hier der ClimatePartner GmbH – erfolgt ist.

Auf eine Internetseite für die näheren Informationen zu verweisen, ist rechtlich zulässig. Der Verbraucher muss aber aus dem Aufdruck auf der Verpackung erkennen können, dass es eine entsprechende Internetseite gibt. Dies ist bei zwei der herausgegriffenen Produkte nicht der Fall, weil hierbei lediglich zusammen mit dem Logo der ClimatePartner GmbH der Schriftzug „ClimatePartner“ und eine längere Ziffernfolge angegeben sind.

Die Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ ist ferner bei allen drei herausgegriffenen Produkten nach § 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 UWG zu unterlassen, weil sie ein klimaneutrales Produkt verspricht, dieses Versprechen aber aus prinzipiellen Gründen nicht einlösen kann.

Dabei kommt es nicht auf eine etwaige subjektive Absicht der Irreführung an, dafür sieht die Kammer auch keinerlei Anhaltspunkt. In objektiver Hinsicht erweckt der Claim indes bei den angesprochenen Verkehrskreisen ein Verständnis, das nicht der Realität entspricht:

Die Kompensation der produktbezogen emittierten Treibhausgase soll bei den von ClimatePartner zertifizierten Produkten durch Zahlungen in bestimmte Projekte erfolgen, unter anderem ein Waldschutzprojekt in Peru.

Dass der weltweite Schutz des Waldes ein wichtiges Mittel beim Klimaschutz darstellt, steht außer Frage.

Daraus lässt sich jedoch nicht schlussfolgern, dass Treibhausgaskompensation über entsprechende Zertifikate auf dem freiwilligen Zertifikatemarkt die wettbewerbsrechtliche Berechtigung verleiht, das kompensierte Produkt als klimaneutral bewerben zu dürfen. Der Claim der Klimaneutralität des Produkts geht nämlich prinzipiell über das hinaus, was mittels CO2-Zertifikaten aus Waldschutz erreichbar ist. Der Verbraucher erwartet, dass eine Kompensation von Emissionen, die im Ergebnis zur Klimaneutralität des Produkts führen soll, diese auch tatsächlich bewirkt. Das produktbezogen emittierte Treibhausgas muss also dauerhaft bilanziell neutralisiert worden sein.

CO2 besitzt jedoch in der Atmosphäre eine Verweildauer, die weit über die Laufzeit der Waldschutzprojekte hinausgeht. Wald bindet und speichert CO2 demgegenüber nur vorübergehend. Wenn ein Baum gefällt wird und vermodert oder auch abbrennt, setzt er das gespeicherte Treibhausgas wieder frei. Erreicht wird durch – erfolgreiche, korrekt aufgesetzte – Waldschutzprojekte sicherlich, dass mehr Wald für längere Zeiträume erhalten wird, wodurch in den entsprechenden Zeiträumen die CO2-Speicherkapazität des geschützten Waldes höher ist als im hypothetischen Szenario ohne das Projekt.

Dies ist allerdings ein völlig anderer Effekt als der, den der Verbraucher aufgrund des Klimaneutral-Claims erwartet. Die produktbedingten, anthropogenen, zusätzlichen CO2-Emissionen sind hunderte oder tausende Jahre nachweisbar, gebunden und gespeichert wird die entsprechende Menge an CO2 durch das konkrete Waldschutzprojekt nur für Jahrzehnte. Danach ist die vorübergehend ausgeglichene CO2-Bilanz des Produkts wieder unausgeglichen.

Um sie dauerhaft auszugleichen, müssten kontinuierlich – auch in 100 oder 1000 Jahren – weitere entsprechende Waldschutzbemühungen unternommen werden.

Das hier fragliche Projekt in Peru läuft jedoch nur bis 2040, die bis dahin ausgegebenen Zertifikate sind ein für allemal „verdient“. Danach kann es zwar, wenn die grundlegenden Bedingungen sich nicht verändert haben, verlängert oder ein neues am selben Ort aufgesetzt werden. Daraus entspringen dann aber neue handelbare Zertifikate für neue Emissionen.

Die Kammer lässt dahinstehen, ob Klimaschutzprojekte wie das hier in Rede stehende im Hinblick auf ihre Zertifizierungs- und Auditierungsmechanismen und die zur Anwendung gelangenden Algorithmen einer naturwissenschaftlichen und soziologischen Analyse im Übrigen standhalten, was in der Öffentlichkeit zunehmend kritisch diskutiert wird. Es bedarf auch keiner näheren Befassung mit dem hier zum Einsatz gekommenen, vom Kläger und in einigen Medien scharf kritisierten Waldschutzprojekt in Tambopata in Peru.

2. Zur Werbung mit dem Claim „Umweltneutrales Produkt“
Auch bei dem insoweit herausgegriffenen Produkt liegt ein Verstoß gegen das Irreführungsverbot des § 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 UWG vor. Die Werbung ist überschießend und damit unzutreffend.

Der neu kreierte Begriff der „Umweltneutralität“ wird von den angesprochenen Verbrauchern – parallel zum bereits bekannten Begriff der Klimaneutralität – im Sinne eines „Produkts mit ausgeglichener Umweltbilanz“ verstanden. Die so beworbenen Produkte besitzen jedoch keine ausgeglichene Umweltbilanz.

Denn bislang werden von dem GREENZERO-Ansatz (den die Beklagte von der Streithelferin übernommen hat) nicht alle Umweltauswirkungen erfasst, sondern nur die Kategorien CO2-Emissionen, Eutrophierung (Nährstoffeintrag), Versauerung, Sommersmog und Ozonabbau. Auch wenn es sich bei diesen fünf Auswirkungen um die mit den relativ höchsten Umweltkosten handeln mag, verbleiben immerhin acht von 13 Wirkkategorien von Umweltbelastungen – nach bisherigem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis – unberücksichtigt. Das Marketing der Beklagten für ihre Pro Climate-Produktlinie kommt insofern verfrüht.

Es gelingt der Beklagten auch nicht, die – absolute, überschießende und mithin falsche – Behauptung der Umweltneutralität durch Erläuterungen auf der Verpackung so zu relativieren, dass nach dem Gesamteindruck des Verbraucherverständnisses eine zutreffende Werbung vorliegt. Dabei unterstellt das Gericht zugunsten der Beklagten, dass der auf zwei Erläuterungen verweisende Sternchenhinweis auf der Verpackung trotz seiner geringen Größe und Positionierung am Rand der Verpackung vom Verbraucher überhaupt entdeckt wird.

Doch bei näherer Betrachtung wird das aus der Werbung mit den Worten „Umweltneutrales Produkt“ fehlerhaft vorgeprägte Verständnis des Verbrauchers durch die näheren Erläuterungen letztlich verstärkt. Der Verbraucher erhält den – unzutreffenden – Eindruck, das Produkt sei durch Reduktion und Kompensation von Umwelteinwirkungen unter dem Strich vollständig umweltneutral gestellt.

LG Karlsruhe , Urt. v. 26.07.2023 - Az.: 13 O 46/22 KfH

Quelle: Pressemitteilung des LG Karlsruhe v. 26.07.2023