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Die einzelnen News
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1.
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EuGH: Amazon muss Werbearchiv für Online-Werbung bereitstellen, Antrag auf Aussetzung abgelehnt
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Online-Werbung: Der Antrag von Amazon auf Aussetzung ihrer Pflicht, ein Werbearchiv öffentlich zugänglich zu machen, wird zurückgewiesen Amazon Services Europe gehört zum Amazon-Konzern. Ihre geschäftlichen Aktivitäten umfassen den Online-Einzelhandel und weitere Dienstleistungen wie Cloud Computing und Online-Streaming. Sie erbringt Online-Marktplatzdienste an Drittverkäufer und ermöglicht ihnen, Waren im Amazon Store zum Kauf anzubieten. Mit Beschluss vom 23. April 2023, der gemäß der Verordnung über einen Binnenmarkt für digitale Dienste erlassen wurde, benannte die Kommission Amazon Store als sehr große Online-Plattform. Dies bedeutet u. a., dass Amazon Store ein Werbearchiv mit detaillierten Informationen über ihre Online-Werbung öffentlich zugänglich machen muss. Amazon beantragte beim Gericht der Europäischen Union die Nichtigerklärung dieses Beschlusses. Sie stellte außerdem einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz. Mit Beschluss vom 27. September 2023 ordnete der Präsident des Gerichts die Aussetzung des Beschlusses der Kommission an, soweit Amazon Store damit verpflichtet wird, das Werbearchiv öffentlich zugänglich zu machen. Die Kommission hat gegen den Beschluss des Präsidenten des Gerichts beim Gerichtshof ein Rechtsmittel eingelegt. Mit seinem heutigen Beschluss hebt der Vizepräsident des Gerichtshofs den Teil des Beschlusses des Präsidenten des Gerichts auf, mit dem der Beschluss der Kommission in Bezug auf das Werbearchiv ausgesetzt wird. Er stellt fest, dass der Kommission unter Verstoß gegen den Grundsatz eines kontradiktorischen Verfahrens die Möglichkeit vorenthalten wurde, zu den Argumenten, die von Amazon im Verfahren vor dem Gericht vorgetragen wurden, Stellung zu nehmen. Da die Kommission vor dem Gerichtshof die Argumente vorgetragen hat, mit denen sie dem Vorbringen von Amazon vor dem Gericht entgegentreten wollte, entscheidet der Vizepräsident des Gerichtshofs den Rechtsstreit endgültig und weist den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurück. Der Vizepräsident des Gerichtshofs ist der Ansicht, dass das Vorbringen von Amazon, die vom Unionsgesetzgeber eingeführte Pflicht, ein Werbearchiv öffentlich zugänglich zu machen, schränke ihre Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf unternehmerische Freiheit rechtswidrig ein, dem ersten Anschein nach nicht als unerheblich und außerdem völlig haltlos angesehen werden kann. Zudem würde Amazon, wenn keine Aussetzung erfolgt, vor einem eventuell ergehenden Urteil, mit dem der Beschluss der Kommission für nichtig erklärt wird, wahrscheinlich einen schwerwiegenden und nicht wiedergutzumachenden Schaden erleiden. Diese Feststellungen sind jedoch für sich allein genommen nicht entscheidend. Es ist nämlich zu prüfen, ob die Abwägung sämtlicher beteiligter Interessen die Versagung der Aussetzung rechtfertigen kann. Hierzu stellt der Vizepräsident des Gerichtshofs fest, dass Amazon in dem Fall, dass die Aussetzung nicht gewährt wird, weiterhin ein Interesse an der Nichtigerklärung des Beschlusses der Kommission hätte. Außerdem ist nicht dargetan, dass in diesem Fall die Existenz oder die langfristige Entwicklung von Amazon auf dem Spiel stünden. Darüber hinaus würde die Aussetzung bedeuten, das vollständige Erreichen der Ziele der Verordnung über einen Binnenmarkt für digitale Dienste möglicherweise über mehrere Jahre hinauszuschieben und damit möglicherweise ein Online¬Umfeld bestehen oder sich entwickeln zu lassen, das eine Bedrohung für die Grundrechte darstellt; der Unionsgesetzgeber war aber der Auffassung, dass die sehr großen Online-Plattformen eine wichtige Rolle in diesem Umfeld spielen. Die vom Unionsgesetzgeber vertretenen Interessen gehen im vorliegenden Fall den materiellen Interessen von Amazon vor, weshalb die Abwägung zugunsten der Zurückweisung des Aussetzungsantrags ausfällt. Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs in der Rechtssache C-639/23 P(R) | Kommission/Amazon Services Europe Quelle: Pressemitteilung des EuGH v. 27.03.2024
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2.
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OLG Hamm: Zeitpunkt des Zugangs einer Willenserklärung über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA)
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Verschickt ein Anwalt an einen anderen eine Nachricht über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA), geht das Schreiben in dem Moment zu, zu dem der Empfänger unter normalen Umständen Kenntnis hätte nehmen können. Entscheidend ist dabei alleine die Möglichkeit zur Kenntnisnahme, nicht jedoch die Tatsache, wann eine Benachrichtigung über neue beA-Nachricht eingegangen ist (OLG Hamm, Urt. v. 22.02.2024 - Az.: 22 U 29/23). Das beA ist ein elektronisches Postfach für Rechtsanwälte in Deutschland. Seit 2018 besteht eine Nutzungspflicht. Im vorliegenden Rechtsstreit ging um die Frage, wann ein wichtiges Schreiben der Gegenseite, das per beA übermittelt worden war, dem Empfänger zugegangen war. 1. Allgemeine Ausführungen zum Zugang: Zunächst fasst das OLG Hamm noch einmal die allgemeinen Zugangsvoraussetzungen zusammen: "Gem. § 130 BGB ist eine Willenserklärung dann zugegangen, wenn sie derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass er unter normalen Umständen von ihrem Inhalt Kenntnis nehmen kann (vgl. ständige Rspr. z.B. BGH, Urteil vom 26. November 1998 - VIII ZR 22/97, - NJW 1998, 976, 977; beckOGKBGB-Gomille, § 130 Rn. 48 m.w.N.). Eine während der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit eingegangene E-Mail geht - zumindest im unternehmerischen Geschäftsverkehr - grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zu; dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang somit nicht erforderlich, vgl. BGH, Urteil vom 6. Oktober 2022 - VII ZR 895/21 -, juris Rn. 19."
2. Übertragung dieser Grundsätze auf das beA: Dann setzt sich das Gericht mit Frage auseinander, ob diese Grundsätze auch auf das beA übertragbar sind und kommt zu einem eindeutigen Ja: "Dies gilt vorliegend auch für die Zusendung des Schreibens per beA (…). Das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) ist dafür bestimmt, dass darüber auch rechtsverbindliche Erklärungen abgegeben werden können. Innerhalb der Geschäftszeiten durfte von einer Kenntnisnahme ausgegangen werden. Die Klägervertreterin vermochte - bei einem Zugang während der Geschäftszeiten am 05.03.2021 - von dem Schreiben Kenntnis zu nehmen, was für einen Zugang ausreicht. Auch während der Coronapandemie und dem in dieser Zeit verbreiteten Homeoffice durfte der Geschäftsverkehr in Anbetracht der weit verbreiteten Fernzugriffsmöglichkeiten von einem Zugang während der Geschäftszeiten ausgehen. Dass die Klägervertreterin tatsächlich das Schreiben erst am 09.03.2021 zur Kenntnis genommen hat, ist irrelevant."
Entscheidend sei auch nicht, wann der Anwalt eine Nachricht über den Zugang eines Schreibens erhalten habe. Denn bei dieser Benachrichtigungsfunktion des beA handle es sich um einen bloßen Service: “Nicht entscheidend ist die Benachrichtigungsmail über den Eingang einer beA-Nachricht, sondern der Eingang der beA-Nachricht an sich. Denn dieser Kommunikationsweg war zur Abgabe und zur Entgegennahme von rechtserheblichen Erklärungen eröffnet. Während der Geschäftszeiten konnte der Rechtsverkehr erwarten, dass zumindest zum Ende der Geschäftszeiten das beA-Postfach - auch ohne E-Mail-Nachricht, die lediglich der komfortablen Nutzung des beA dient und nicht zwingend eingestellt sein muss - kontrolliert wird.”
Anmerkung von RA Dr. Bahr: Das OLG Hamm überträgt die bekannten Grundsätze zum Zugang einer Willenserklärung konsequent und zutreffend auch auf den Bereich des beA.
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3.
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OLG München: Cloud-Dienste wie Dropbox unterliegen nicht der Urheberrechtsabgabe
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Cloud-Anbieter wie Dropbox sind nicht verpflichtet, Urheberrechtsgebühren für Privatkopien zu entrichten, die von ihren Nutzern gespeichert werden (OLG München, Urt. v. 02.02.2024 – 38 Sch 60/22 WG e). Geklagt hatte die Zentralstelle für private Überspielungsrechte (ZPÜ) gegen das Unternehmen Dropbox. Die gesetzliche Regelung zur Privatkopie nach § 53 UrhG erlaubt es, urheberrechtlich geschützte Inhalte, die legal erworben wurden, für den privaten Gebrauch zu benutzen und zu vervielfältigen. Um den Urhebern dafür einen finanziellen Ausgleich zu gewähren, wurde die Urheberrechtsabgabe (§§ 54 fff UrhG) eingeführt. Diese wird in den Verkaufspreisen zahlreicher Geräte und Speichermedien (wie beispielsweise Drucker, USB-Sticks usw.) mit eingerechnet. Die Parteien stritten nun darum, ob auch Cloud-Dienste unter diese Regelung fielen. Das OLG München entschied, dass für diese Anbieter keine Abgabepflicht bestünde. Denn diese sei auf physische Speichermedien beschränkt: "Clouds, zu denen die Klagepartei Auskunft begehrt, unterfallen den Regelungen der §§ 54, 54b, 54e, 54f UrhG gleichwohl nicht, weil die Beklagte im Bundesgebiet keine Geräte oder Speichermedien herstellt und importiert bzw. mit ihnen handelt. (…) Nach §§ 54a, 54b UrhG unterliegen (…) nur Geräte und Speichermedien einer Zahlungspflicht.
aa) Eine Legaldefinition der Begriffe „Gerät“ und „Speichermedium“ existiert nicht. Die Definition ist daher durch Auslegung zu ermitteln.
Unter dem Begriff „Gerät“ ist nach allgemeinem Sprachgebrauch ein körperlicher Gegenstand zu verstehen (…). Unter dem Begriff „Speichermedien“ sind nach der Gesetzesbegründung alle physikalischen Informations- und Datenträger mit Ausnahme von Papier oder ähnlichen Trägern zu verstehen. In der Gesetzesbegründung werden als Beispiele alle elektronischen (z. B. Smartcard, Memory Stick), magnetischen (z. B. Musikkassette, Magnetband, Festplatte, Diskette) und optischen (z. B. Film, DVD, CD-ROM, CD-R, CD-RW, Laserdisk) Speicher genannt (…). Durch die beispielhafte Aufzählung von körperlichen Speichermedien hat der Gesetzgeber klargestellt, dass es sich bei „physikalischen Informations- und Datenträgern“ nur um körperliche Gegenstände handelt."
Und weiter: "Dagegen wird die Überlassung einer internetbasierten Nutzungsmöglichkeit nach dem vom Gesetzgeber vorausgesetzten Verständnis von der gesetzlichen Regelung nicht erfasst, weil der verwendete Begriff des „Trägers“ von Informationen und Daten nach dem allgemeinen Sprachgebrauch einen körperlichen Gegenstand bezeichnet."
Dass der Gesetzgeber in Dienstleistungen der vorliegenden Art kein Inverkehrbringen von Geräten und Speichermedien sieht, ergibt sich auch aus der Gesetzessystematik, wie § 54c UrhG zeigt. Danach sind bestimmte Großgerätebetreiber wie Copyshops, Universitäten, Bibliotheken usw. zur Zahlung einer zusätzlichen Reprografieabgabe verpflichtet, weil sie mit dem Aufstellen der Geräte die Möglichkeit zur Vervielfältigung durch ihre Nutzer schaffen (…). Einer derartigen Regelung hätte es nicht bedurft, wenn bereits die kurzzeitige Zurverfügungstellung eines Ablichtungsgeräts ein Handeltreiben oder ein Importieren darstellen würde."
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4.
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VGH Mannheim: Anforderungen an Öffentliche Bekanntmachungen der Gemeinden im Internet
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Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat mit heute den Beteiligten zugestelltem Urteil vom 27. Februar 2024 die rechtlichen Vorgaben für öffentliche Bekanntmachungen der Gemeinden im Internet konkretisiert. Streitgegenstand des Normenkontrollverfahrens vor dem VGH war die Satzung über die 3. Änderung der Vergnügungssteuersatzung der Stadt Breisach am Rhein. Der VGH hat diese Satzung für unwirksam erklärt, da sie nicht ordnungsgemäß durch Bereitstellung im Internet bekannt gemacht worden sei. Die Voraussetzungen für öffentliche Bekanntmachungen der Gemeinden im Internet regelt § 1 Abs. 2 der Verordnung des Innenministeriums zur Durchführung der Gemeindeordnung (DVO GemO). Diese Vorschrift bestimmt u. a., dass öffentliche Bekanntmachungen im Internet auf der Internetseite der Gemeinde so erreichbar sein müssen, dass der Internetnutzer auf der „Startseite“ den Bereich des Ortsrechts erkennt und dass sie durch eine qualifizierte elektronische Signatur zu sichern sind. Der 2. Senat des VGH hat entschieden, dass als „Startseite“ in diesem Sinne die Internetseite der Gemeinde anzusehen sei, deren Internetadresse sie in ihrer Satzung über die öffentliche Bekanntmachung angegeben habe. Auf dieser Startseite müsse der Bereich der öffentlichen Bekanntmachungen für den Bürger erkennbar sein. Bei der Stadt Breisach am Rhein sei dies nicht der Fall gewesen, weil der Internetnutzer unter der angegebenen Internetadresse nur eine Wahlmöglichkeit gehabt habe zwischen der Schaltfläche „Urlaubsregion Breisach am Rhein“, die zu dem touristischen Informationsangebot der Antragsgegnerin geführt habe, und der Schaltfläche „Leben & Arbeiten Breisach am Rhein“, die zur Seite der Stadtverwaltung weitergeleitet habe, auf der die öffentlichen Bekanntmachungen verlinkt gewesen seien. Einen weiteren Verstoß gegen die Regelungen über die öffentliche Bekanntmachung im Internet hat der VGH darin gesehen, dass die auf der Internetseite der Stadt Breisach am Rhein eingestellte Datei der öffentlich bekanntzumachenden Satzung nicht „qualifiziert elektronisch signiert“ war. Die qualifizierte elektronische Signatur sei bei öffentlichen Bekanntmachungen ein Mindesterfordernis zur Sicherung öffentlicher Bekanntmachungen gegen Verfälschung. Die qualifizierte elektronische Signatur gewährleiste als Ersatz für ein gedrucktes Amtsblatt die verlässliche Kenntnisnahme vom geltenden Recht. Fehle es an einer qualifizierten elektronischen Signatur, sei die Satzung unwirksam. Der VGH hat die Revision nicht zugelassen. Die Stadt Breisach am Rhein kann gegen die Nichtzulassung der Revision binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einlegen (Az. 2 S 518/23). Quelle: Pressemitteilung des VGH Mannheim v. 18.03.2024
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5.
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LG Berlin: Inhaber eines Instagram-Accounts haftet für Urheberrechtsverletzungen, auch wenn Posting von einem Dritten stammt
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Der Inhaber eines Instagram-Accounts haftet für etwaige Urheberrechtsverletzungen in Beiträgen, die über sein Nutzerkonto von einem Dritten veröffentlicht werden. Voraussetzung ist, dass er dem Dritten die Zugangsdaten mitgeteilt hat (LG Berlin, Beschl. v. 27.09.2023 - Az.: 15 U 464/23). Die Klägerin ging gegen die Veröffentlichung einer urheberrechtlich geschützten Grafik vor, die über den Instagram-Account der Beklagten veröffentlicht wurde. Die Beklagte wehrte sich mit dem Argument, dass nicht sie das Posting veröffentlicht habe, sondern ihre Tochter. Das LG Berlin stufte die Beklagte als Störerin ein und bejahte eine Verantwortlichkeit. Dadurch, dass sie die Zugangsdaten ihrer Tochter gegeben habe, habe sie einen kausalen Beitrag geleistet und sei haftbar: "Soweit die Antragsgegnerin behaupten wollte, dass der aus S. 2 der Anlage AST 5 ersichtliche Post von ihrer Tochter stammt, haftete sie insoweit jedenfalls als Störerin. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kann als Störer für eine Schutzrechts-/Urheberrechtsverletzung auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, „der (...) in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung eines geschützten Gutes oder zu einer verbotenen Handlung beigetragen hat“ (vgl. BGH, Urteil vom 18.10.2001 - I ZR 22/99). Die Tochter der Antragsgegnerin hätte die Urkunde nur dann auf dem Account der Antragsgegnerin posten können, wenn diese ihr sowohl die entsprechenden Zugangsdaten als auch die Urkunde zur Verfügung stellte. Beides setzt ein willentliches Handeln der Antragsgegnerin voraus. Zudem liegt es bei Zurverfügungstellung sowohl der Zugangsdaten als auch der Urkunde nicht außerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit, dass die Urkunde dort eingestellt." wird.
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LG Heidelberg: Online-Verkaufsplattform (Digistore24) haftet für Wettbewerbsverletzungen seiner Geschäftspartner
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Eine Online-Verkaufsplattform (hier: Digistore24) haftet für die Wettbewerbsverletzungen seiner Geschäftspartner (hier: fehlender Kündigungsbutton) (LG Heidelberg, Urt. v. 09.01.2024 - Az.: 3 O 109/23). Digistore24 bot Online-Abonnements zum Kauf an. Die Abos betrafen jedoch keine Webseite der Digistore24, sondern bezogen sich auf Webseiten von Geschäftspartnern der Digistore24, die rechtlich selbständig waren. Im vorliegenden Fall betraf es eine Webseite, auf der ein Verbraucher Online-Mitgliedschaften für das Erlernen der Gitarre durch Videos und Lehrmaterialien anbot. Auf dieser Drittseite fehlte es an dem gesetzlichen vorgeschriebenen Kündigungsbutton. Nun stellte sich die Frage, ob Digistor24 für diesen Verstoß auf der Webseite seines Vertragspartners haftet. Das LG Heidelberg hat diese Frage bejaht. Denn bei dem Geschäftspartner handle es sich um einen zurechenbaren Dritten: "Der Unterlassungsanspruch ist (…) auch gegen den Inhaber des Unternehmens begründet, wenn die Zuwiderhandlungen in einem Unternehmen von einem Mitarbeiter oder Beauftragten begangen werden. Jedenfalls dies ist vorliegend der Fall, da die (…) UG Beauftragte der Beklagten ist. Die Terminologie des Beauftragten ist an § 8 Abs. 2 UWG angelehnt. Hiernach kann Beauftragter auch ein selbstständiges Unternehmen sein. Entscheidend ist, dass der Werbepartner in die betriebliche Organisation des Betriebsinhabers in der Weise eingegliedert ist, dass der Erfolg der Geschäftstätigkeit des beauftragten Unternehmens dem Betriebsinhaber zugutekommt und der Betriebsinhaber einen bestimmenden, durchsetzbaren Einfluss auf diejenige Tätigkeit des beauftragten Unternehmens hat, in deren Bereich das beanstandete Verhalten fällt. Dabei kommt es nicht darauf an, welchen Einfluss sich der Betriebsinhaber gesichert hat, sondern welchen Einfluss er sich sichern konnte und musste (BGH GRUR 2023, 343, 344)."
Und weiter: "Der Erfolg der Geschäftstätigkeit der (…) UG in Gestalt einer Bewerbung des Angebots der Beklagten kam Letzterer unmittelbar zugute, da die Beklagte an der Nachfrage ihrer entgeltlichen Angebote denklogisch ein wirtschaftliches Interesse hatte und die Angebote faktisch ausschließlich durch eine Verlinkung auf der Website (…).de erreichbar waren. Insoweit erweiterte die (…) UG den Geschäftsbetrieb der Beklagten durch die allein von ihr angebotene Erreichbarkeit des beklagtenseitigen Produkts, wobei die Beklagte gerade diese grundsätzlich von ihr zur Verfügung zu stellende Erreichbarkeitsverschaffung auf die (…) UG auslagerte (vgl. hierzu BGH a.a.O.)."
Irrelevant sei auch, dass die Webseite nur von dem Geschäftspartner betrieben werde: "Die Website (…).de ermöglicht auch den Vertragsschluss. So war es Interessenten ohne genaue Kenntnis der Produkt-URL allein auf diesem Wege möglich, das Angebot der Beklagten zu erreichen und den Vertrag mit der Beklagten abzuschließen. Hierbei ist unerheblich, ob die Website allein von der (…) UG und nicht (auch) von der Beklagten betrieben wird. Jedenfalls hatte die Beklagte die Pflicht, sorge dafür zu tragen, dass der Betreiber der Website eine Kündigungsschaltfläche vorhält (…). Auch nicht entscheidungserheblich ist, ob und ggf. ab wann die Beklagte auf der Website digistore24.com eine Kündigungsschaltfläche vorhielt. Das streitgegenständliche Schulungsabonnement ist gerade nicht über diese Website ansteuerbar, sondern wird allein über die Seite (…).de vertrieben. Insoweit enthält auch die Bestellseite digistore24.com/product/xy ausweislich der Anlage K3 keine Kündigungsschaltfläche, wobei eine solche auch nicht unmittelbar zugänglich im Sinne des § 312k Abs. 2 Satz 4 BGB wäre, da der Verbraucher zum Erreichen des Bestellformulars zunächst sein Interesse an dem Produkt durch Klick auf eine entsprechende Schaltfläche auf der Seite guitar-campus.de bekunden müsste."
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig, es läuft das Berufungsverfahren vor dem OLG Celle (Az.: 13 U 7/24).
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7.
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LG Köln: Wann ein Videospiel-Konzept urheberrechtlich geschützt ist - und wann nicht
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Die bloße Idee eines Videospiels kann nicht urheberrechtlich geschützt, sondern stets immer nur die konkrete Ausgestaltung. An der notwendigen individuellen Schöpfungshöhe fehlt es jedoch, wenn der Spielablauf und Spielregeln in weiten Teilen durch Logik vorgegeben werden (LG Köln, Urt. v. 11.01.2024 - Az.: 14 O 441/23). In der vorliegenden rechtlichen Auseinandersetzung ging es um den urheberrechtlichen Schutz eines Mobile Games: "X(...) war sowohl bei Google Play als auch im AppStore mehrfach auf der Bestenliste genannt, es war das "Spiel des Tages" im AppStore und wurde auch mehrfach in der redaktionellen Auswahl beider Plattformen gelistet. X(...) wurde bislang allein auf Google Play etwa 10 Millionen mal heruntergeladen. Das Spiel rangierte bei Antragseingang auf dem 8. Platz (von 200 gelisteten) aller frei erhältlicher Rennsport-Spiele, die derzeit im AppStore angeboten wurden. Stand September 2023 hatte die Antragstellerin US-$ 27,5 Mio. für Marketing für X(...) aufgewendet. Bei X(...) handelt es sich um ein Genre von Rennspiel, welches in der Videospiel-Szene als "Idle Game", "Incremental Game" oder "Clicker Game" bezeichnet wird. Bei dieser Art von Spielen ist es nicht die Aufgabe der Spieler, ihre Spielfigur dirigierend in den Spielverlauf einzugreifen, sondern sie haben die Aufgabe, im Vorfeld jedes Rennens ihre Figur anzupassen und zu trainieren, ihre Fähigkeiten zu entwickeln, die bestmögliche Ausrüstung für jedes Rennen auszuwählen, bestimmte Ausrüstungsgegenstände zu sammeln und die Erscheinung der Spielfigur zu individualisieren, um so jedes einzelne Rennen zu gewinnen. Bei dem eigentlichen Rennen nimmt die Spielfigur autonom und ohne Einfluss des Spielers teil."
Die Klägerin argumentierte, diese Ausgestaltung mache das Game zu einem einzigartigen Spielkonzept, welches urheberrechtlich geschützt sei. Die Beklagte hatte ein ähnliches Spiel auf den Markt gebracht. Dies wollte die Klägerin verbieten lassen. Das LG Köln wies die Klage ab. Zwar sei das Mobile Game als Computerprogramm urheberrechtlich geschützt. Im vorliegenden Fall wolle die Klägerin jedoch nicht die konkrete Ausformung, sondern ihr Spielkonzept an sich schützen: "Der Schutz des Spieles X(…) als Computerprogramm wird von der Verfügungsklägerin vorliegend für sich genommen nicht geltend gemacht. Auch der Schutz bestimmter audiovisueller Spieldaten, also Grafiken, Musik, Filmsequenzen, Texte und Modelle, wird von der Verfügungsklägerin nicht verlangt. (…) Vielmehr begehrt die Verfügungsklägerin Unterlassung hinsichtlich der öffentlichen Zugänglichmachung des Videospiels der Verfügungsbeklagten „F. V.“ insgesamt und zwar nur dann, „wenn und soweit die Version des Videospiels "F. V." das Spielkonzept enthält, dass ein sogenanntes "idle game" Rennspiel vorliegt, bei dem die Spielfigur in vier verschiedenen Disziplinen ein bestimmtes Terrain autonom zu überwinden hat, der Spieler dabei die Aufgabe hat, vor jedem Rennen seine Figur durch Trainings und bestimmte Ausrüstung bestmöglich vorzubereiten, damit die Spielfigur sodann autonom das jeweilige Rennen bestreitet, und durch das Gewinnen von Rennen, bestimmte Ereignisse oder den Erwerb im Shop die Ausrüstungsgegenstände erlangt werden können (…)."
Dies lehnten die Richter ab: "Dabei ist indes zu beachten, dass die bloße Idee, also bloße Vorstellungen von einem Werk, die noch keine konkrete Form gefunden haben, nicht geschützt ist. Erst wenn diese Ideen eine konkrete Gestalt angenommen haben, beginnt der Urheberrechtsschutz (…). Eine Fabel im Sinne der Gestaltung eines Romanstoffs entnimmt die Kammer den von der Verfügungsklägerin vorgetragenen Merkmalen von X(…) indes nicht. Denn die Zusammenfügung der Merkmale (…) erzählt keine Geschichte und beschreibt auch keinen (komplexen) Handlungsstrang im Sinne einer solchen Fabel. Vielmehr stellt sie ein in sich geschlossenes System von Spielregeln und die Abfolge von Inhalten dar, die überdies in weiten Teilen durch Logik vorgegeben sind. An dieser Stelle ist für eigenschöpferische Tätigkeit kein Raum. (…) Dies führt dazu, dass die Zuerkennung des urheberrechtlichen Schutzes, wie ihn die Verfügungsklägerin begehrt, bei Lichte betrachtet zu einer Monopolisierung eines „Idle Game“ Rennspiels mit Trainingsfunktion, mit Ausstattungsoptionen vor jedem Rennen und Progressionssystem unabhängig von der konkreten Ausgestaltung führen würde. Damit würde aber ein dem Urheberrecht fremder Ideenschutz bewirkt."
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8.
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LG Mannheim: Kein Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO bei Facebook-Scraping-Vorfall mangels Schaden
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Ein Schadensersatz-Anspruch nach Art. 82 DSGVO bei den sogenannten Facebook-Scraping-Vorfällen setzt einen ersatzfähige, materielle Benachteiligung, also einen Schaden, voraus. Allein der objektive Kontrollverlust reicht nicht aus, um einen solchen zu bejahen (LG Mannheim, Urt. v. 15.03.2024 - Az.: 1 O 93/23). Die Klägerin begehrte Schadensersatz wegen der Scraping-Ereignisse auf Facebook. Das LG Mannheim entschied, dass zwar eine Datenschutzverletzung vorliege, jedoch kein ersatzfähiger Schaden vorliege. "Allein der (objektive) Verlust der Kontrolle über ihre personenbezogenen Daten reichte allerdings von vornherein nicht aus, mag dieser auch im 85. Erwägungsgrund als Beispiel für einen immateriellen Schaden genannt werden. Denn mit der Offenlegung von personenbezogenen Daten gegenüber Dritten geht stets der Verlust der Hoheit über diese Daten einher, so dass der Verstoß mit dem Schaden gleichgesetzt werden müsste, was jedoch – wie ausgeführt – unzulässig wäre. Stattdessen ist mit den Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs auf die konkreten Umstände bei der jeweils betroffenen Person abzustellen. Entsprechend formuliert der Gerichtshof, dass die Veröffentlichung personenbezogener Daten im Internet und der daraus resultierende kurzzeitige Verlust der Hoheit über diese Daten den betroffenen Personen einen „immateriellen Schaden“ im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO zufügen können."
Und weiter: "Wenn aber der Verlust der Hoheit über die Daten einen Schaden „zufügen“ kann, dann entspricht er nicht dem Schaden selbst, sondern dieser ist durch das Gericht gesondert festzustellen. Über den (unschlüssigen) Vortrag hinaus, wonach der Kontrollverlust ein immaterieller Schaden sei, hat die Klägerin jedoch vorgetragen, dass sie befürchte, dass ihre personenbezogenen Daten in vielfacher Art und Weise gegen ihren Willen und mit einem hohen Risiko für ihre persönliche wie auch finanzielle Lage missbraucht würden. Dabei sorge sie sich insbesondere darüber, Opfer von Spamanrufen und Betrugsversuchen zu werden. Diese Sorgen hätten erhebliche Auswirkungen auf die Lebensgestaltung der Klägerin. Träfe dies zu, so könnte dies nach der zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes einen immateriellen Schaden darstellen. Denn im vorliegenden Fall wäre die Sorge vor einem Missbrauch der Daten nicht „aus der Luft gegriffen“, sondern durchaus begründet. So wurde eine Liste mit der Mobiltelefonnummer der Klägerin offensichtlich im Internet veröffentlicht, so dass die Webseite www.haveibeenpwnd.com den Zusammenhang zwischen dem Scraping-Vorfall bei der Beklagten und der Mobiltelefonnummer der Klägerin herstellen konnte. Wenn es aber jener Webseite möglich ist, so ist es auch Dritten möglich an diese Daten zu gelangen und sie für missbräuchliche Zwecke – welcher Art auch immer – zu verwenden."
Und weiter: "Allerdings vermochte das Gericht sich nicht die volle Überzeugung zu bilden, dass die Klägerin tatsächlich eine solche Befürchtung oder Sorge hat. Im Rahmen der informatorischen Anhörung hat die Klägerin auf die bewusst offen gestellten Fragen des Gerichtes weder von Sorgen noch von Befürchtungen oder anderen Emotionen berichtet. Die Klägerin merkte lediglich an, dass sie seit dem Datenleck vorsichtiger geworden sei; zuvor sei sie unbeschwerter damit umgegangen. Allerdings machte die Klägerin nicht den Eindruck auf das Gericht, dass sie sich noch wegen des Scrapings sorgte oder Befürchtungen verspürte. Vielmehr hat die Klägerin die Sache schon in zeitlicher Nähe zum Vorfall selbst in die Hand genommen, die Verbraucherzentrale kontaktiert und die erforderlichen Änderungen hinsichtlich ihres Nutzerkontos vorgenommen. Wenn der Vorfall sie dazu motiviert haben mag, sich aufgrund der allgemein bestehenden Gefahren bei der Nutzung von Social Media usw. vorsichtiger zu verhalten, ist dies zunächst einmal zu begrüßen. Denn die Nutzung des Internets und der darüber vermittelten Dienste bergen eigene Gefahren, denen sich mündige Nutzer bewusst sein sollten. Der Wegfall der „Unbeschwertheit“ ist dann aber gerade kein immaterieller Schaden. Von weiterhin bestehenden Befürchtungen oder Sorgen hat die Klägerin nicht berichtet. Schließlich konnte sich das Gericht nicht die Überzeugung bilden, dass das von der Klägerin berichtete – schriftsätzlich behauptete: „massenhafte“ – SPAM-Aufkommen in Nachrichten per SMS oder per WhatsApp sowie Anrufen im Zusammenhang mit der Offenlegung ihrer Daten durch das gegenständliche „Scraping“ zusammenhängt. Die Klägerin hat zunächst auf Frage ausgeführt, dass sie aufgrund dieses Datenlecks nichts erhalten habe. Erst auf konkretere Nachfrage des Gerichtes erklärte die Klägerin, dass sie diverse SPAM-Nachrichten und Anrufe von unbekannten Nummern erhalte. Allerdings bleibt damit ungewiss, ob die Klägerin diese Nachrichten gerade wegen des gegenständlichen Scrapings erhält. Sie selbst hat ausgeführt, dass sie solche Nachrichten „nach dem Leck vermehrt“ bekomme. Damit ist klar, dass es auch schon zuvor solche Nachrichten gegeben hat. Wenn aber ihre Kontaktdaten schon unabhängig von dem Scraping hierfür von Unbefugten genutzt wurden, dann ist gerade nicht ausgeschlossen, dass auch der Anstieg mit einer vom Scraping unabhängigen Verbreitung ihrer Daten zusammenhängt. Vielleicht mag gerade im Fall der Klägerin, die schon in zeitlichem Zusammenhang mit dem Scraping feststellte, dass sie keinen Zugriff mehr auf ihr […]-Konto hatte, es in gewissem Maß – wenngleich nicht überwiegend – wahrscheinlich sein, dass sie den Anstieg an SPAM-Nachrichten und Anrufen richtig diesem Ereignis zuordnet. Da sich aber noch nicht einmal eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Behauptung der Klägerin in Bezug auf die SPAM-Nachrichten feststellen lässt, genügt dies weder dem geminderten Beweismaß nach § 287 ZPO, geschweige denn dem Beweismaß des § 286 ZPO."
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LG Mannheim: 50,- EUR Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO bei Facebook-Scraping-Vorfall
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Für einen Schadensersatzanspruch nach der DSGVO muss ein materieller Schaden vorliegen, ein bloßer Verlust der Kontrolle über die Daten reicht nicht aus. Ist der Betroffene nachweislich in Sorge um die unerlaubte Verwendung seiner Daten steht ihm ein Ersatzanspruch iHv. 50,- EUR zu (LG Mannheim, Urt. v. 15.03.2024 - Az.: 1 O 99/23). Die Klägerin verlangte mindestens 3.000,- EUR Schadensersatz wegen des unerlaubten Daten-Scrapings auf Facebook. Das LG Mannheim entschied, dass zwar eine Datenschutzverletzung vorliege, jedoch nur ein ersatzfähiger Schaden iHv. 50,- EUR begründet sei. 1. Anforderungen an ersatzfähigen Schaden: Grundsätzlich führt das Gericht zur Ersatzfähigkeit des Schadens nach Art. 82 DSGVO aus: "Ein Verstoß allein gegen die Vorschriften der DSGVO reicht nicht aus, um einen Anspruch zu begründen. Denn schon nach dem Wortlaut des Art. 82 DSGVO ist hierfür zudem ein „Schaden“ erforderlich (EuGH, Urteil vom 04.05.2023 – C-300/21, Rn. 33). Der Begriff des materiellen oder immateriellen Schadens ist in der gesamten Europäischen Union autonom und einheitlich auszulegen (EuGH, Urteil vom 04.05.2023 – C-300/21, Rn. 29, 30 mwN). (…) Allerdings bedeutet diese Auslegung nicht, dass eine Person, die von einem Verstoß gegen die DSGVO betroffen ist, der für sie negative Folgen gehabt hat, vom Nachweis befreit wäre, dass diese Folgen einen immateriellen Schaden im Sinne von Art. 82 dieser Verordnung darstellen (EuGH, Urteil vom 04.05.2023 – C-300/21, Rn. 50; EuGH, Urteil vom 14.12.2023 – C-340/21, Rn. 84). Die Personen, die Schadensersatz nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO begehren, müssen also den Nachweis erbringen, dass sie tatsächlich einen solchen Schaden – so geringfügig er auch sein mag – erlitten haben (EuGH, Urteil vom 14.12.2023 – C-456/22, Rn. 22). Insbesondere muss das angerufene nationale Gericht, wenn sich eine Person, die auf dieser Grundlage Schadenersatz fordert, auf die Befürchtung beruft, dass ihre personenbezogenen Daten in Zukunft aufgrund eines solchen Verstoßes missbräuchlich verwendet werden, prüfen, ob diese Befürchtung unter den gegebenen besonderen Umständen und im Hinblick auf die betroffene Person als begründet angesehen werden kann (EuGH, Urteil vom 14.12.2023 – C-340/21, Rn. 85). An dieser Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für einen Schaden, ändert die Formulierung des Europäischen Gerichtshofes (Urteil vom 14.12.2023 – C-340/21, Rn. 74) nichts wonach, der Verantwortliche nachweisen muss, dass er in keinerlei Hinsicht für den Umstand, durch den der betreffende Schaden eingetreten ist, verantwortlich ist."
2. Im vorliegenden Fall: Ersatzfähiger Schaden iHv. 50,- EUR Im vorliegenden Fall, so das Gericht weiter, habe der Kläger ausreichend Nachweise erbracht: "Allein der (objektive) Verlust der Kontrolle über personenbezogenen Daten reichte allerdings von vornherein nicht aus (…). Das Gericht erachtet allerdings als überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger in Sorge ist um die Verwendung seiner Daten durch Unbefugte aufgrund der Offenlegung derselben als Folge der Verstöße der Beklagten gegen Art. 25 DSGVO und Art. 32 DSGVO. Der Kläger hat insoweit angegeben, dass er in Sorge um seine Daten sei. Es sei für ihn so, als habe er seinen Haustürschlüssel verloren. Das Ganze hänge wie ein Damoklesschwert über ihm. Er fürchte Identitätsdiebstahl oder ähnliches und dass er sich dann für die unbefugte Verwendung seiner Daten z.B. im Rahmen von Spoofing rechtfertigen müsse. Er wolle die Verantwortung für die Situation nicht bei sich haben. Ihm sei bekannt, das die „Leak-Liste“ gehandelt werde, sei deshalb aber nicht verärgert, sondern eben in Sorge. Selbstverständlich berücksichtigt das Gericht, dass der Kläger „in eigener Sache“ aussagt. Gleichwohl war seine Darstellung nicht überzogen, sondern differenziert. So berichtete er nicht von „schlaflosen Nächten“ wie noch schriftsätzlich vorgetragen. Auch berichtete er nicht von Ärger. Seine Sorge konnte er auf Nachfrage auch spezifizieren im Hinblick auf die verschiedenen Möglichkeiten diese unbefugt zu verwenden. Dabei zeigte sich, dass dem Kläger die technischen Zusammenhänge und Möglichkeiten bei der missbräuchlichen Verwendung seiner Daten bewusst sind. Gerade deshalb ist auch nachvollziehbar, dass sich der Kläger sorgt, da er die konkreten Gefahren kennt, die mit der Offenlegung seiner Daten verbunden sind. Trotz des Eigeninteresses des Klägers am Ausgang des Verfahrens reicht dies aus, um zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger sich wirklich um den Umgang mit seinen offengelegten Daten sorgt."
Das LG Mannheim nahm hier einen Wert iHv. 50,- EUR an: "Unter Berücksichtigung dieser Umstände erscheint ein Betrag in Höhe von 50 € angemessen, um den immateriellen Schaden des Klägers auszugleichen. Von vornherein unerheblich sind auf Grundlage des vorstehend dargestellten rechtlichen Rahmens die Ausführungen der Klägerseite zu der Vielzahl und Schwere der Verstöße (…). Denn die Schwere des Verstoßes bleibt bei der Bemessung des immateriellen Schadens außer Betracht. Gleiches gilt für den Umstand, dass die Offenlegung der Daten des Klägers auf zwei Verstöße der Beklagten – nämlich gegen Art. 25 DSGVO und Art. 32 DSGVO – zurückzuführen ist. Auch eine Straf- oder Abschreckungsfunktion darf nicht berücksichtigt werden. Dem dienen – wie ausgeführt – Artt. 83, 84 DSGVO. Entscheidend kommt es aufgrund der Ausgleichsfunktion auf den durch die Verstöße erlittenen Schaden an. Dieser besteht hier (allein) in der Sorge des Klägers um die Verwendung seiner unbefugt offengelegten Daten. (…) Das Ausmaß der Sorge des Klägers rechtfertigt ein Schadensersatz in der Größenordnung, wie von der Klägerseite beantragt, in keinem Fall. Es steht nicht fest, dass diese Sorge den Kläger in seiner sonstigen Lebensgestaltung beeinträchtigen oder gar einschränken würde. (…) Bei dieser Entscheidung ist die Sorge auch anhand der Qualität von Daten zu messen, um sich der Begründetheit der Sorge und ihrem Ausmaß zu nähern, da hiervon auch die Missbrauchsmöglichkeiten, um die sich der Kläger begründet sorgt, abhängen. Im vorliegenden Fall ist dies einerseits die verifizierte Mobiltelefonnummer durch die Offenlegung. Durch die Mobiltelefonnummer kann ein unmittelbarerer und „störender“ Kontakt versucht werden als beispielsweise per E-Mail. (…) Angesichts des geringen Umfanges, durch den der Kläger durch seine Sorge in der Lebensführung beeinträchtigt wird, der Art der offengelegten Daten, einschließlich des Umstandes, dass nicht der wahre Nachname angegeben wurde, sowie der sich hieraus und im Hinblick auf die Mobiltelefonnummer ergebenden Missbrauchsmöglichkeiten, erscheint ein Betrag von 50 € zum Ausgleich als angemessen."
Anmerkung von RA Dr. Bahr: Das gleiche Gericht hat vor kurzem einen identischen Fall komplett abgewiesen, da die dortige Klägerin keinen ersatzfähigen Schaden nachweisen konnte, vgl. unsere Kanzlei-News v. 01.04.2024.
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10.
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LG Nürnberg-Fürth: Wann eine anonyme Anzeige über ein Hinweisgebersystem für einen Durchsuchungsbeschluss ausreicht
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Eine anonyme Anzeige, die über ein Hinweisgebersystem abgegeben wird, reicht nur dann für einen strafrechtlichen Durchsuchungsbeschluss aus, wenn sie von beträchtlicher sachlicher Qualität ist oder Tatsachenmaterial vorgelegt wird (LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 14.02.2024 - Az.: 18 Qs 49/23, 18 Qs 50/23, 18 Qs 51/23). Die Kläger wehrten sich gegen polizeiliche Durchsuchungen. Grundlage der Razzia war eine anonyme Anzeige über eine Hinweisgeberseite der Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen (ZKG). Der Tippgeber meldete: "In der (…) Apotheke, (…), kommt es immer wieder durch mehrere Kunden zu Betrug der Krankenkassen. Eine spezielle Kundin die ich namentlich kenne (…) kommt regelmäßig zu (…) in die Apotheke um sich auf einmal im Schnitt zwischen 10 – 20 Rezepten, die sie von Ihren Ärzten gesammelt hat, nachquittieren zu lassen. (…) verkauft diese Waren nicht sondern bedruckt lediglich die Rezepte für (…) damit diese die Rezepte bei Ihrer Krankenkasse (privat) einreichen kann. Beide Damen kennen sich schon länger und es geht schon eine ganze Zeit lang so. Das letzte Mal war (…) am (…) in der Apotheke. (…) macht das auch bei anderen ihrer Kunden so, die ich aber namentlich nicht kenne. Zudem verkauft (…) auch sehr viele verschreibungspflichtige Medikamente (darunter auch starke Schlaftabletten) ohne Rezept an ihre Kunden. Als Beweise gibt es die Rezepte der Kundin (…).“
Es folgten noch Angaben zu etwaigen Zeugen, zu konkreten Tatzeiträumen und Tathandlungen. Die Staatsanwaltschaft beantragte daraufhin einen Durchsuchungsbeschluss der Apotheke und der Privaträume der Beschuldigten. Dieser wurde auch erlassen und vollstreckt. Dagegen wehrte sich die Betroffene und wollte, dass die Hausdurchsuchung für rechtswidrig erklärt wird, da kein ausreichender Tatverdacht bestand habe. Zu Unrecht, wie das LG Nürnberg-Fürth nun entschied. Denn der Durchsuchungsbeschluss sei begründet gewesen. 1. Anonyme Anzeigen können ausreichend sein: Ganz allgemein erklärt das Gericht, dass Grundlage für eine solche Maßnahme durchaus auch eine anonyme Anzeige sein könne: "Dabei kann sich die erforderliche Verdachtslage auch aus einer anonymen Anzeige ergeben:
Als Grundlage für eine stark in Grundrechtspositionen eingreifende Zwangsmaßnahme wie eine Durchsuchung kann eine anonyme Aussage genügen, wenn sie von beträchtlicher sachlicher Qualität ist oder mit ihr zusammen schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt worden ist (…). Ein pauschaler Ausschluss anonymer Anzeigen als Grundlage eines Anfangsverdachts widerspräche dem zentralen Anliegen des Strafverfahrens (…). Bei anonymen Anzeigen müssen die Eingriffsvoraussetzungen des § 102 StPO im Hinblick auf die schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten wegen der erhöhten Gefahr und des nur schwer bewertbaren Risikos einer falschen Verdächtigung besonders sorgfältig geprüft werden (…)."
2. Im vorliegenden Fall: Ausreichende Verdachtslage: Im vorliegenden Fall habe es eine solche ausreichende Verdachtslage gegeben, so die Richter weiter: "Der (…) geschilderte Gehalt der anonymen Anzeige war für sich genommen bereits äußerst detailliert und die Ermittlungsbehörde überprüfte die Angaben der anonymen Person durch – beantwortete – Nachfragen zum einen auf ihre Glaubhaftigkeit sowie zum anderen durch weitere Ermittlungen auf Basis der Angaben, welche das Vorgetragene stützen und ergänzen. Bereits die zitierten Erstangaben sind von außerordentlicher sachlicher Qualität, aus der zu schließen ist bzw. war, dass sie erlebnisfundiert waren. Eine Person, die – insbesondere bezüglich der Apotheken der Beschwerdeführerin und der dortigen Abläufe – nicht sachkundig gewesen wäre, hätte kaum diese Ausführungen machen können und insbesondere nichts von einer Kontrolle der Pharmazierätin (…) in der Apotheke gewusst. Die anonyme Person reagierte zuverlässig auf Nachfragen und differenzierte in der Kommunikation zwischen ihr bekannten Umständen und solchen, hinsichtlich derer sie in Unkenntnis war. Die Personalien der ebenfalls Beschuldigten (…) konnten benannt werden. Eine Person, die die Beschwerdeführerin durch eine anonyme Anzeige zu Unrecht hätte belasten wollen, hätte sich so nicht verhalten."
Und weiter: "Hinsichtlich des Sachverhaltes um das Rezept vom (…) war die anonyme Person nicht nur in der Lage dieses, sondern auch noch einen Bildschirmabzug des Warenwirtschaftssystems der Apotheke vorzulegen. Dementsprechend handelt es sich gerade nicht nur um vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen. Vielmehr sind die Angaben von beträchtlicher sachlicher Qualität, auch ohne weitere Übermittlung von schriftlichen Beweismitteln.
Die Begründung der Beschwerde rechtfertigt (…) keine andere Betrachtung. Sie geht hinsichtlich der Erfordernisse einer die Durchsuchung rechtfertigenden Verdachtslage insbesondere im Falle einer anonymen Anzeige zwar von richtigen Ansätzen aus, kommt bei deren Anwendung auf den Sachverhalt aber zu unzutreffenden Ergebnissen.
Aus der Auflistung der zu suchenden Gegenstände lässt sich für die Frage des Anfangsverdachts nichts ableiten. Im Übrigen können alle insoweit genannten Gegenstände der Aufklärung des Tatvorwurfes dienen. Dass bei Vorliegen einer die Anordnung einer Durchsuchung rechtfertigenden Verdachtslage eines Betrugs in einer Vielzahl von Fällen bzw. einer Beihilfe hierzu noch nicht alle Fälle oder sogar nicht ein einzelner Fall geschildert werden können bzw. kann, entspricht der kriminalistischen Erfahrung."
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