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1. BVerwG: Indizierung des Bushido-Albums "Sonny Black" rechtlich nicht zu beanstanden
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Ein Album mit weitgehend gewaltverherrlichenden und massiv diskriminierenden Songtexten kann als jugendgefährdend indiziert werden. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden.
Der Kläger, ein bekannter Rapper, brachte ein Album mit 15 Titeln heraus, deren Texte den kriminellen Lebenswandel der Titelfigur, die von dieser begangenen Straftaten und deren permanente Gewaltbereitschaft beschreiben, sowie nahezu durchgängig herabwürdigende Äußerungen in Bezug auf Frauen und Homosexuelle in vulgärer Sprache enthalten. Innerhalb weniger Wochen nach der Veröffentlichung wurden mehr als 100 000 Exemplare verkauft.
Ein halbes Jahr später leitete die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien das Indizierungsverfahren ein. Dieses führte dazu, dass die Bundesprüfstelle entschied, das Album in die Liste der jugendgefährdenden Medien einzutragen. Eine solche Eintragung zieht unmittelbar kraft Gesetzes Verbreitungs- und Werbeverbote nach sich, die verhindern sollen, dass sich Minderjährige das indizierte Werk beschaffen können.
Die Bundesprüfstelle gab zur Begründung an, die das Album dominierenden gewaltverherrlichenden und grob diskriminierenden Passagen seien geeignet, schädliche Wirkungen auf gefährdungsgeneigte, d.h. besonders empfängliche Minderjährige auszuüben. Es bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Album die Einstellungen und das Verhalten dieser Minderjährigen beeinflusse. Die Botschaft, dass eine skrupellos kriminelle Lebensweise, verbunden mit der Demütigung anderer, zum Erfolg führe, sei geeignet, Empathie und Solidarität mit anderen als hinderliche Schwäche anzusehen, Verachtung anderer zu fördern und ein feindseliges Klima herzustellen.
Die Indizierung könne nicht wegen des Kunstgehalts des Tonträgers unterbleiben. Die Abwägung ergebe, dass dem Jugendschutz Vorrang vor der Kunstfreiheit einzuräumen sei. Das Album habe Unterhaltungswert; eine gesteigerte künstlerische Bedeutung komme ihm nicht zu.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberverwaltungsgericht hat ihr stattgegeben. Dabei hat es ausschließlich darauf abgestellt, dass die Bundesprüfstelle den Kunstgehalt nicht vollständig erfasst habe, weil sie die an einzelnen Titeln des Albums mitwirkenden Texter und Komponisten nicht ordnungsgemäß angehört habe. Dies könne im gerichtlichen Verfahren nicht nachgeholt werden, weil der Bundesprüfstelle für die Abwägungsentscheidung ein gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbarer Beurteilungsspielraum eröffnet sei.
Die Revision der Beklagten hatte Erfolg. Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Rechtsprechung aus den 1990er-Jahren nicht fortgeführt und einen Beurteilungsspielraum der Bundesprüfstelle nicht mehr anerkannt. Ein solcher Beurteilungsspielraum ist mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes nicht vereinbar. Ein Sachgrund für die Zurücknahme der gerichtlichen Kontrolle einer Indizierungsentscheidung ist nicht gegeben. Die pluralistische Zusammensetzung der Bundesprüfstelle reicht hierfür ebenso wenig aus wie deren Weisungsunabhängigkeit.
Die tatsächlichen Feststellungen und Wertungen der Bundesprüfstelle zu den jugendgefährdenden Wirkungen und dem künstlerischen Stellenwert eines Kunstwerks sind sachverständige Aussagen, rechtfertigen aber nicht die Annahme eines Beurteilungsspielraums. Daher kann allein wegen der unterbliebenen Anhörung der weiteren am Album beteiligten Künstler im Verwaltungsverfahren die Indizierungsentscheidung nicht aufgehoben werden.
Die Indizierungsentscheidung erweist sich als rechtmäßig. Aus den Feststellungen der Bundesprüfstelle ergibt sich, dass das Album nach den von diesem zutreffend zugrunde gelegten Maßstäben jugendgefährdende Wirkungen hat. Der Kläger hat diese sachverständige Beurteilung nicht zu erschüttern vermocht. Gleiches gilt für die Beurteilung des Kunstgehalts des Albums als bloße Unterhaltung, auch unter Berücksichtigung des vom Kläger vorgelegten Gutachtens.
BVerwG 6 C 18.18 - Urteil vom 30. Oktober 2019
Vorinstanzen: OVG Münster, 19 A 2001/16 - Urteil vom 16. Mai 2018 - VG Köln, 19 K 3287/15 - Urteil vom 02. September 2016 -
Quelle: Pressemitteilung des BVerwG v. 01.11.2019
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2. KG Berlin: Umfassende Handlungspflichten des Schuldners bei Verbot im Online-Bereich
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Wird einem Unternehmen gerichtlich eine bestimmte Werbehandlung verboten, so treffen es umfassende Pflichten, zukünftige Verstöße zu vermeiden. Dafür reicht es nicht aus, bloß Mitarbeiter und Vertriebspartner zu informieren, sondern vielmehr ist durch konkrete Maßnahmen auf diese einzuwirken und die Einhaltung genau zu überwachen (KG Berlin, Beschl. v. 19.07.2019 - Az.: 5 W 122/19).
Der Schuldnerin war in der Vergangenheit gerichtlich verboten worden, ihre Immobilienanzeigen lediglich mit dem Hinweis "gew." zu kennzeichnen, denn dies genügte nicht, um die Gewerblichkeit des Angebots klarzustellen, vgl. unsere News v. 15.05.2019.
Nun tauchten die Online Anzeigen auch nach Zugang des Urteils auf und das Gericht hatte zu beurteilen, ob ein Verstoß gegen die gerichtliche Entscheidung vorlag.
Zunächst stellt das Gericht noch einmal klar, welche Pflichten einen Online-Schuldner treffen:
"Ein Schuldner muss nicht nur alles unterlassen, was zu einer Verletzung führen kann, sondern er muss auch alles tun, was im konkreten Fall erforderlich und zumutbar ist, um künftige Verletzungshandlungen zu verhindern (...) Es reicht nicht aus, Mitarbeiter lediglich über den Inhalt des Titels zu informieren und sie zu entsprechendem Verhalten aufzufordern. Der Schuldner ist regelmäßig gehalten, auf die Mitarbeiter durch Belehrungen und Anordnungen im jeweiligen konkreten Einzelfall entsprechend einzuwirken und die Befolgung genau zu überwachen. (...)
Vorstehende Grundsätze gelten im Ausgangspunkt auch gegenüber selbstständig handelnden Dritten (...)."
Dann äußert sich das Gericht, welche konkreten Pflichten den Schuldner im Verhältnis zu Vertriebspartnern, also Dritten, treffen:
"Der Schuldner eines Unterlassungsanspruchs hat zwar für das selbstständige Handeln Dritter grundsätzlich nicht einzustehen. Er ist jedoch gehalten, auf Dritte, deren Handeln ihm wirtschaftlich zugutekommt, einzuwirken, wenn er mit einem Verstoß ernstlich rechnen muss und zudem rechtliche oder auch nur tatsächliche Einflussmöglichkeiten auf das Verhalten der Dritten hat.
Er ist verpflichtet, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren auf Dritte einzuwirken, soweit dies zur Beseitigung eines fortdauernden Störungszustands erforderlich ist (...). Insoweit reicht es zur Einhaltung der Unterlassungsverpflichtung nicht aus, dass der Schuldner das von ihm beauftragte Vertriebsunternehmen über das Unterlassungsgebot schlicht informiert.
Erforderlich ist auch insoweit, auf diese Personen durch Belehrungen und Anordnungen einzuwirken, auf die Nachteile aus einem Verstoß sowohl hinsichtlich des Dienstverhältnisses als auch der Zwangsvollstreckung deutlich hinzuweisen, Rückmeldungen anzuordnen und zu kontrollieren sowie Sanktionen für die Nichteinhaltung der Anordnung anzudrohen.
Darüber hinaus muss die Anordnung auch streng überwacht und gegebenenfalls angedrohte Sanktionen wie Kündigungen auch verhängt werden, um die Durchsetzung von Anordnungen sicherzustellen (...). "
Nicht erforderlich sei, dass dem Schuldner rechtlich durchsetzbare Ansprüche gegenüber dem Dritten zustünden. Vielmehr greife die Verpflichtung auch dann, wenn kein Rechtsanspruch bestehe.
Da die Schuldnerin diese Verpflichtung verletzt habe, verhängte das Gericht ein Ordnungsmittel iHv. 15.000,- EUR.
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3. OLG Koblenz: E-Mail-Werbung per Newsletter für Zigaretten ist wettbewerbswidrig
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Wirbt ein Unternehmen per E-Mail in Form eines Newsletters für Zigaretten, verstößt dies gegen § 19 Abs.3 TabakerzG und stellt einen Wettbewerbsverstoß dar. Ausgenommen von dem Verbot ist die Newsletter-Werbung gegenüber Bestandskunden (OLG Koblenz, Urt. v. 14.08.2019 - Az.: 9 U 825/19).
Nach § 19 Abs.3 TabakerzG ist die Werbung für Zigaretten auch im Online-Bereich verboten. Die Norm lautet:
"§ 19 TabakerzG: Werbeverbot (...) (2) Es ist verboten, für Tabakerzeugnisse, elektronische Zigaretten oder Nachfüllbehälter in der Presse oder in einer anderen gedruckten Veröffentlichung zu werben. (...) (3) Absatz 2 gilt für die Werbung in Diensten der Informationsgesellschaft entsprechend."
Die Beklagte warb mittels Newsletter für ihre Zigaretten-Produkte.
Dies bewertete das OLG Koblenz als Verletzung des § 19 Abs.3 TabakerzG. Da die Norm eine Marktverhaltensregel sei, liege darin zugleich ein Wettbewerbsverstoß, der gerichtlich verfolgt werden könne.
Denn durch die Möglichkeit, den Newsletter über die Webseite zu beziehen, wende sich die Beklagte an die allgemeine Öffentlichkeit.
Etwas anderes gelte jedoch bei der Aussendung gegenüber Bestandskunden, die den Newsletter nicht über die Homepage abonniert hätten. Hier liege keine breite Öffentlichkeit vor, sodass diese Handlung nicht von dem Verbot erfasst sei.
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4. OLG Köln: Elektronikmarkt muss nicht auf Sicherheitslücken und fehlende Updates des Betriebssystems Android hinweisen
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Ein Elektronikmarkt muss nicht auf Sicherheitslücken und fehlende Updates des Betriebssystems der von ihm verkauften Smartphones hinweisen. Das hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln entschieden und eine klageabweisende Entscheidung des Landgerichts Köln bestätigt.
Der klagende Verbraucherverband hatte bei dem beklagten Elektronikmarkt Testkäufe durchgeführt und die erworbenen Smartphones von Experten des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) auf Sicherheitslücken untersuchen lassen.
Eines der Geräte wies 15 von 28 getesteten Sicherheitslücken auf, ein anderes nur eine Sicherheitslücke, obwohl bei beiden Geräten nominell dieselbe ältere Version des Betriebssystems Android werksseitig aufgespielt war. Hintergrund ist, dass das Betriebssystem vom jeweiligen Hersteller auf das jeweilige Smartphone-Modell angepasst wird und auch neue Versionen des Betriebssystems erst genutzt werden können, wenn die neue Version des Betriebssystems zuvor für das jeweilige Modell des Smartphones angepasst wurde.
Das BSI gelangte zu der Einschätzung, dass das Gerät mit den 15 Sicherheitslücken für die Nutzer ein eklatantes Sicherheitsrisiko darstelle. Nachdem sich das BSI erfolglos an den Hersteller gewandt hatte, verlangte der Kläger vom Betreiber des Elektronikmarkts, die Geräte nicht weiter ohne Hinweis auf die Sicherheitslücken zu verkaufen.
Die in der Folge erhobene Unterlassungsklage haben Landgericht und Oberlandesgericht Köln abgewiesen. Der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts hat im Rahmen der Zurückweisung der Berufung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen eines Unterlassungsanspruchs nicht erfüllt seien. Es stelle für die Beklagte einen unzumutbaren Aufwand dar, sich die Informationen über Sicherheitslücken für jedes einzelne von ihr angebotene Smartphone-Modell zu verschaffen.
Zwar sei die Information über das Vorliegen von Sicherheitslücken für die Verbraucher von großer Bedeutung, da hierdurch die Privatsphäre der Verbraucher verletzt und erlangte Daten zu betrügerischen Zwecken missbraucht werden könnten. Es sei aber auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte die Sicherheitslücken nur durch Tests feststellen könne, welche sich auf den jeweiligen Typ des Smartphones beziehen müssten. Auch sei es nicht möglich, alle vorhandenen Sicherheitslücken festzustellen.
Alle Anbieter von Betriebssystemen würden selbst immer wieder - teilweise erst aufgrund von Angriffen durch Dritte - Sicherheitslücken im Betriebssystem finden. Schließlich könnten sich die feststellbaren Sicherheitslücken jederzeit ändern, so dass die Beklagte die Tests in regelmäßigen Abständen wiederholen müsste.
Nichts anderes gelte für die Information über die Bereitstellung von Sicherheitsupdates. Ob für ein konkretes Modell noch Sicherheitsupdates bereitgestellt würden, sei der Beklagten zum Zeitpunkt des Verkaufs in der Regel nicht bekannt.
Sie habe auch keine Möglichkeit, diese Information ohne ein Zutun der Hersteller zu erlangen. Allein der Hersteller entscheide, ob und wann er ein Sicherheitsupdate für das jeweilige Smartphone-Modell anpasse. Auch hier könne sich die entsprechende Information täglich ändern, zumal auch dem Hersteller nicht bekannt sei, ob und wann ein Sicherheitsupdate, das von ihm angepasst werden könnte, veröffentlicht wird.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen.
Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 30.10.2019 - Az. 6 U 100/19
Quelle: Pressemitteilung des OLG Kölln v. 31.10.2019
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5. VG Düsseldorf: Stadt Düsseldorf muss Tour-de-France-Vertrag offenlegen
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Die Landeshauptstadt Düsseldorf hat sich zu Unrecht geweigert, den anlässlich der Tour de France 2017 mit der französischen Gesellschaft Amaury Sport Organisation (A.S.O.) geschlossen Vertrag offenzulegen. Das hat die 29. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf durch heute zugestelltes Urteil entschieden und die Stadt verpflichtet, dem Kläger eine Kopie des Vertrages zu übersenden.
Das Gericht stellte fest, dass der Kläger – ein Journalist – einen Auskunftsanspruch nach den Vorschriften des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein Westfalen (IFG NRW) hat. Dem könne die Stadt ein Geheimhaltungsinteresse nicht entgegenhalten. Die Stadt habe dem Gericht nicht ausreichend erläutert, dass der Vertrag Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse der A.S.O. enthalte. Auch könne die Stadt sich nicht auf eine Vertraulichkeitsvereinbarung mit der A.S.O. berufen. Durch eine solche Vereinbarung dürfe die Stadt den umfassenden Auskunftsanspruch nach dem IFG NRW nicht einschränken.
Zudem habe die Öffentlichkeit ein überwiegendes Interesse an der Offenlegung des Vertrages, besonders weil die Durchführung und Finanzierung des Grand Départ im Rahmen der Tour de France 2017 Düsseldorf bereits kontrovers in der Öffentlichkeit diskutiert worden seien.
Gegen das Urteil kann die Landeshauptstadt Düsseldorf beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die Zulassung der Berufung beantragen.
Aktenzeichen: 29 K 2845/18
Quelle: Pressemitteilung des VG Düsseldorf v. 29.10.2019
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6. LG Feldkirch: 800,- EUR Schadensersatz für Betroffenen wegen DSGVO-Verletzung
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Das österreichische Landgericht Feldkirch hat entschieden, dass die Österreichische Post wegen DSGVO-Verletzungen dem Betroffenen einen Schadensersatz iHv. 800,- EUR bezahlen muss (LG Feldkirch, Beschl. v. 07.08.2019 - Az.: 57 Cg 30/19b - 15).
Hintergrund des Rechtsstreits ist die aktuelle Auseinandersetzung um die Frage, ob die Österreichische Post unerlaubt besondere personenbezogene Daten (hier: politische Orientierung) von österreichischen Bürgern verarbeitet hat. Dies führte u.a. dazu, dass vor wenigen Tagen die Österreichische Datenschutzbehörde gegen das Unternehmen ein DSGVO-Bußgeld iHv. 18 Mio. EUR verhängt hat (= vgl. unsere News v. 30.10.2019).
Die Entscheidung des LG Feldkirch ist bereits im August gefällt worden.
Ein großer Streitpunkt der gesamten Problematik ist dabei die Frage, ob es sich bei den Informationen, die sich auf die politische Ausrichtung des Betroffenen beziehen, überhaupt um personenbezogene Daten besonderer Kategorien nach Art. 9 DSGVO handelt. Denn die Österreichische Post verarbeitete nicht reale Daten, sondern lediglich Prognose-Entscheidungen. Die Österreichische Post verteidigte sich insbesondere damit, dass es dabei nur um Affinitäten handle und nicht um tatsächliche Fakten.
Diese Argumentation ließ das Gericht nicht gelten. Vielmehr vertrat es den Standpunkt, dass auch reine Affinitäten unter die DSGVO fielen:
"Aus Sicht des Gerichts handelt es sich bei den von der beklagten Partei mittels Marketinganalyseverfahren ermittelten Affinitäten aufgrund der Tatsache, dass diese in weiterer Folge dem Kläger als Individuum zugeschrieben wurden, klar um sich auf eine identifizierte natürliche Person beziehende Informationen, sohin um personenbezogene Daten.
Auch wenn die beklagte Partei damit argumentiert, dass die Daten ihren Ausgang in anonymen Erhebungen haben, ändert dies nichts daran, dass es sich aufgrund der Zuweisung zu Einzelpersonen gerade nicht um Aussagen einer allgemein Statistik, sondern um Aussagen über identifizierte Individuen handelt.
Auch die Frage, ob die Parteiaffinitäten unter die besonderen Kategorien personenbezogener Daten fallen, ist aus Sicht des Gerichts klar zu bejahen, da es sich um Abbildungen politischer Meinungen handelt.
Nach den getroffenen Feststellungen hat die beklagte Partei weder eine Einwilligung des Klägers zur Ermittlung und Speicherung (= Verarbeitung iSd Art 7 Z 2 DSGVO) von ihn betreffenden Parteiaffinitäten eingeholt, noch ihn persönlich darüber informiert. Hierin ist eine erhebliche Verletzung der DSGVO zu erblicken, welche den Kläger in seinem Grundrecht auf Datenschutz und seinen damit einhergehenden Freiheiten in störender Weise beeinträchtigt hat. Dass die naturgemäß allgemein gehaltene Datenschutzerklärung der beklagten Partei online über die Website abrufbar war und ist, vermag daran nichts zu ändern."
Hinsichtlich der Höhe des Schadensersatzes bewertet das Gericht einen Anspruch iHv. 800,- EUR für angemessen. Der Kläger hatte 2.500,- EUR gefordert:
"Die Tatsache, dass die beklagte Partei Parteiaffinitäten des Klägers ohne dessen Einwilligung und Information ermittelt und gespeichert hat, rechtfertigt einen immateriellen Schadenersatz. In Anbetracht der Tatsache, dass es sich einerseits bei der politischen Meinung einer Person um besonders schützenswerte und sensible Daten handelt, andererseits die von der beklagten Partei gespeicherten Parteiaffinitäten des Klägers feststellungsgemäß nicht an Dritte übermittelt wurden, erscheint ein Betrag in Höhe von EUR 800,-- zur Abgeltung des vom Kläger erlittenen immateriellen Ungemachs angemessen."
Das LG Feldkirch äußert sich auch ganz grundsätzlich zu der Frage, in welchen Fällen einer DSGVO-Verletzung überhaupt Schadensersatz zu gewähren ist. So gab es im vorliegenden Fall auch einen Verstoß gegen die datenschutzrechtlichen Auskunftspflichten. Hier verneinte das Gericht einen Ausgleich:
Allgemeine Ausführungen:
"Der Schadensbegriff nach der DSGVO ist weit und autonom auszulegen. Er umfasst den physischen, materiellen und immateriellen Schaden. Gemäß ErwGr 75 sind mögliche ersatzfähige Schäden eine Diskriminierung, ein Identitätsdiebstahl oder -betrug, ein finanzieller Verlust, eine Rufschädigung, ein Verlust der Vertraulichkeit von dem Berufsgeheimnis unterliegenden personenbezogenen Daten, eine unbefugte Aufhebung der Pseudonymisierung und andere erhebliche wirtschaftliche oder gesellschaftliche Nachteile.
Ein Schaden kann nach ErwGr 75 auch darin bestehen, dass die betroffene Person um ihre Rechte und Freiheiten gebracht oder daran gehindert wird, die sie betreffenden personenbezogenen Daten zu kontrollieren (...).
Die DSGVO normiert keine Erheblichkeitsschwelie für den Ersatz des immateriellen Schadens. Dennoch sind nicht alle Unlustgefühle, die mit einer Rechtsverletzung verbunden sind, ersatzfähig, sondern muss der Interessenbeeinträchtigung ein Gewicht zukommen, weil dem österreichischen Schadenersatzrecht eine solche Erheblichkeitsschwelle immanent ist (...).
Die Art und Weise der Bemessung des immateriellen Schadens ist in der DSGVO und im DSG nicht geregelt. Da die Feststellung der Höhe eines immateriellen Schadens erhebliche Schwierigkeiten bereitet, wird auf die Ausmittlung des Schadens nach freier richterlicher Überzeugung iSd § 273 ZPO zurückgegriffen.
Es kommt zu einer Globalbemessung aufgrund der Umstände des Einzelfalls. Relevante Bemessungskriterien sind insbesondere die Auswirkungen bei der geschädigten Person, die Kategorie der betroffenen Daten, Schwere und Dauer des Verstoßes sowie ob Daten etwaigen Dritten übermittelt wurden (...).
Die haftungsbegründenden Tatsachen sind vom Geschädigten zu behaupten und zu beweisen, sohin der Eintritt eines (materiellen oder immateriellen) Schadens, der Normverstoß, also die (objektive) Rechtswidrigkeit durch den Schädiger, sowie die Ursächlichkeit des Verhaltens des Schädigers am eingetretenen Schaden. Der in Anspruch genommene Schädiger hat die Möglichkeit, unter Beweis zu stellen, dass er in keiner Weise für den eingetretenen Schaden verantwortlich ist, also die Schadensursachen außerhalb seines Verantwortungsbereichs liegen bzw er keine Möglichkeit hatte, den Schadenseintritt zu verhindern (...)."
Konkret auf den vorliegenden Rechtsstreit:
"Was die Frage der verspäteten Auskunftserteilung betrifft, ist nicht ersichtlich, worin hier ein ersatzfähiger immaterieller Schaden gelegen sein soll. Art 12 Abs 3 DSGVO normiert zwar, dass Auskünfte unverzüglich, in jedem Fall aber längstens Innerhalb eines Monats nach Eingang eines auf Auskunft gerichteten Antrags zu erteilen sind. Diese Frist hat die beklagte Partei, die für interne Weiterieitungsschwierigkeiten an die von ihr eingerichtete spezielle Stelle selbst einzustehen hat, nicht eingehalten.
Durch die nachträgliche Auskunftserteilung im Rahmen des Beschwerdeverfahrens wurde eine diesbezügliche Rechtsverletzung jedoch beseitigt bzw hat die nachträgliche Auskunft zumindest eine quanzifizierbare Schädigung des Klägers in diesem Zusammenhang verhindert.
Dasselbe gilt für eine Verletzung von Informationspflichten (über die Thematik Parteiaffinitäten hinaus). Die beklagte Partei ist auf Basis des festgestellten Sachverhalts ihren Informationspflichten nach Art 14 DSGVO von sich aus nicht ausreichend nachgekommen. Erst - aber immerhin - über Auskunftsersuchen des Klägers in Verbindung mit den von ihm eingebrachten Beschwerden hat die beklagte Partei dem Kläger schließlich in zwei Auskünften Informationen zukommen lassen, weshalb auch insoweit kein relevanter immaterieller Schaden ersichtlich ist."
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.
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7. LG Karlsruhe: Kein Schadensersatz-Anspruch nach der DSGVO aus generalpräventiven Gründen
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Ein DSGVO-Schadensersatzanspruch kommt nicht zwingend bei jeder Datenschutzverletzung in Betracht. Vielmehr bedarf es einer konkreten, tatsächlichen Persönlichkeitsverletzung. Hierfür genügt es nicht, dass ein Kreditinstitut aufgrund eines fehlerhaften Basisscores einen Kreditvertrag mit dem Verbraucher ablehnt (LG Karlsruhe, Urt. v. 02.08.2019 - Az.: 8 O 26/19).
Der Kläger begehrte von dem Beklagten Schadensersatz auf Basis von Art. 82 DSGVO, weil er der Ansicht war, dass eine Datenschutzverletzung vorliege.
Die Beklagte war eine Auskunftei und hatte zu dem Kläger einen Basisscore gespeichert.
Der Kläger war der Meinung, dass der Score falsch sei, weil er viel zu niedrig sei. Er habe stets alle laufenden Verbindlichkeiten fristgerecht beglichen. Durch den fehlerhaften Score seien ihm notwendige Kreditverträge verwehrt geblieben, da die Finanzinstitute Vertragsabschlüsse abgelehnt hätten.
Das LG Karlsruhe wies die Klage ab.
Zum einen sei bereits keine Datenschutzverletzung erkennbar.
Denn der Scorewert selbst sei ein subjektives Werturteil, also eine Meinungsäußerung der Auskunftei, deren Richtigkeit Aufsichtsbehörden und Gerichte nur beschränkt überprüfen könnten. Eine Verletzung sei hier nicht erkennbar.
Anspruch habe der Kläger, so das Gericht, nur darauf, dass die Beklagte unzutreffende Tatsachen bei der Ermittlung des Score nicht mit einbeziehen dürfe. Eine solche falsche Berücksichtigung habe der Kläger aber nicht nachweisen können.
Zum anderen führe nicht jede Datenschutzverletzung automatisch zu einem Schadensersatzanspruch. Vielmehr bedürfe es einer konkreten, tatsächlichen Persönlichkeitsverletzung.
Hierfür genüge es nicht, dass ein Kreditinstitut aufgrund einer fehlerhaften Basisscores einen Kreditvertrag mit dem Verbraucher ablehne. Notwendig sei vielmehr eine konkrete, tatsächliche Persönlichkeitsverletzung. Hierfür genügt es nicht, dass ein Kreditinstitut aufgrund eines fehlerhaften Basisscores einen Kreditvertrag mit dem Verbraucher ablehne:
"Die Ablehnung eines Kreditvertrags durch ein Kreditinstitut, soweit die Ablehnung überhaupt nachweislich auch auf der Mitteilung einer unzutreffenden Einschätzung der Bonität der Kl. durch eine Auskunftei beruht, begründet aus Sicht des Gerichts nicht ohne weiteres eine entschädigungspflichtige Persönlichkeitsverletzung, da es zum einen dem Kreditsuchenden selbst obliegt, seine Bonität im direkten Kontakt zu belegen, und zum anderen ein Anspruch auf Abschluss eines Kreditvertrags zum Zwecke des Konsums nicht besteht (...)."
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8. Österreichische Datenschutzbehörde: 18 Mio. EUR DSGVO-Bußgeld gegen Österreichische Post
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Wie die Österreichische Datenschutzbehörde in einer Pressemitteilung erklärt, hat sie ein Bußgeld iHv. 18 Mio. EUR wegen DSGVO-Verstößen gegen die Österreichische Post AG (ÖPAG) verhängt.
Es geht dabei um den Vorwurf, dass die ÖPAG unerlaubt die politische Affinität von Betroffenen verarbeitet haben soll. Darüber hinaus hat die Behörde auch weitere Datenschutzverletzungen festgestellt:
"Die Datenschutzbehörde sah es nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung aufgrund der Beweislage als erwiesen an, dass die ÖPAG durch die Verarbeitung von personenbezogenen Daten über die vermeintliche politische Affinität von Betroffenen gegen die DSGVO verstoßen hat.
Darüber hinaus wurde u.a. eine Rechtsverletzung wegen der Weiterverarbeitung von Daten über die Paketfrequenz und die Häufigkeit von Umzügen zum Zweck des Direktmarketings festgestellt, weil dies keine Deckung in der DSGVO findet.
Diese Rechtsverletzungen wurden rechtswidrig und schuldhaft begangen, weshalb die Verwaltungsstrafe in oben genannter Höhe angemessen war, um andere bzw. gleichartige Rechtsverletzungen hintanzuhalten."
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Die ÖPAG hat angekündigt, Rechtsmittel einzulegen, weil sie die Entscheidung für fälsch hält. Weitere lesenswerte Informationen finden sich auch im Bericht des ORF.
Es laufen parallel auch zivilrechtliche Schadensersatzansprüche von einzelnen Betroffenen gegen die OPÄG. So hatte das LG Feldkirch erst vor kurzem einem Kunden einen Schadensersatzanspruch iHv. 800,- EUR zugesprochen. Auch hier ist die Entscheidung nicht rechtskräftig.
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