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Newsletter vom 09.11.2022
Betreff: Rechts-Newsletter 45. KW / 2022: Kanzlei Dr. Bahr


1. EuGH: Arbeitgeber dürfen Tragen religiöser Kleidung verbieten = keine Diskriminierung

2. BVerfG: Datenweitergabe durch Verfassungsschutz teilweise verfassungswidrig

3. BGH: Zugang einer E-Mail, wenn abrufbereit auf Mailserver, tatsächliche Kenntnis nicht entscheidend

4. BGH: Kein Rückerstattungs-Anspruch gegen Payment-Anbieter bei illegaler Online-Casino-Teilnahme

5. OLG Köln: Medizinische Online-Fernbehandlung per einfachem Online-Fragebogen ist wettbewerbswidrig

6. VG Ansbach: Kein DSGVO-Verstoß: Bürger dürfen Falschparker für eine Anzeige fotografieren und Fotos der Polizei schicken

7. LG Cottbus: Fehlender Aufdruck einer CE-Kennzeichnung ist Wettbewerbsverstoß

8. LG Hamburg: Online-Fernbehandlung ohne vorherigen persönlichen Kontakt rechtswidrig

9. LG Köln: Bei Kündigungsbutton darf Passwort-Abfrage nicht verpflichtend sein

10. LG Köln: Ausländisches Online-Casino muss Spielbeiträge zurückerstatten


Die einzelnen News:

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1. EuGH: Arbeitgeber dürfen Tragen religiöser Kleidung verbieten = keine Diskriminierung
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Eine interne Regel eines Unternehmens, die das sichtbare Tragen religiöser, weltanschaulicher oder spiritueller Zeichen verbietet, stellt keine unmittelbare Diskriminierung dar, wenn sie allgemein und unterschiedslos auf alle Arbeitnehmer angewandt wird Nach Ansicht des Gerichtshofs sind die Religion und die Weltanschauung als ein Diskriminierungsgrund anzusehen, da sonst der durch das Unionsrecht, insbesondere die Richtlinie 2000/78, vorgesehene allgemeine Rahmen für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf beeinträchtigt würde

Seit 2018 stehen sich L.F., eine Muslimin, die das islamische Kopftuch trägt, und S.C.R.L., eine Gesellschaft, die Sozialwohnungen verwaltet, in einem Rechtsstreit gegenüber. In diesem Rechtsstreit geht es darum, dass eine Initiativbewerbung von L.F. um ein Praktikum nicht berücksichtigt wurde, weil sie während eines Gesprächs angegeben hatte, dass sie sich weigere, ihr Kopftuch abzunehmen, um der bei S.C.R.L. geltenden und in ihrer Arbeitsordnung niedergelegten Neutralitätspolitik nachzukommen.

Einige Wochen später erneuerte L.F. ihre Bewerbung um ein Praktikum bei S.C.R.L. und schlug vor, eine andere Kopfbedeckung zu tragen, was ihr mit der Begründung verweigert wurde, dass in den Geschäftsräumen von S.C.R.L. keine Kopfbedeckung erlaubt sei, sei es eine Mütze, eine Kappe oder ein Kopftuch.

L.F. zeigte daraufhin bei der für die Bekämpfung der Diskriminierung zuständigen unabhängigen öffentlichen Einrichtung eine Diskriminierung an und erhob sodann beim französischsprachigen Arbeitsgericht von Brüssel eine Unterlassungsklage: Damit rügte sie, dass kein Praktikumsvertrag geschlossen worden sei, was ihrer Ansicht nach unmittelbar oder mittelbar auf ihrer religiösen Überzeugung beruht, und warf S.C.R.L. somit vor, gegen die Bestimmungen des allgemeinen Antidiskriminierungsgesetzes verstoßen zu haben.

Das Arbeitsgericht hat dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob die in der Richtlinie über die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf1 verwendeten Begriffe „Religion oder … Weltanschauung“ als zwei Facetten ein und desselben geschützten Merkmals oder vielmehr als zwei verschiedene Merkmale anzusehen sind. Zudem möchte es vom Gerichtshof wissen, ob das in der Arbeitsordnung von S.C.R.L. niedergelegte Verbot, ein konnotiertes Zeichen oder Bekleidungsstück zu tragen, eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion darstellt.

In seinem heutigen Urteil führt der Gerichtshof aus, dass Art. 1 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass die darin enthaltenen Begriffe „Religion oder … Weltanschauung“ einen einzigen Diskriminierungsgrund darstellen, der sowohl religiöse als auch weltanschauliche oder spirituelle Überzeugungen umfasst. Er weist insoweit darauf hin, dass nach seiner Rechtsprechung der Diskriminierungsgrund „der Religion oder der Weltanschauung“ von dem Grund „der politischen oder sonstigen Anschauung“ zu unterscheiden ist.

Unter besonderer Bezugnahme auf die Urteile G4S Secure Solutions sowie Wabe und MH Müller Handel führt der Gerichtshof aus, dass eine Bestimmung in einer Arbeitsordnung eines Unternehmens, die es den Arbeitnehmern verbietet, ihre religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen, welche diese auch immer sein mögen, durch Worte, durch die Kleidung oder auf andere Weise zum Ausdruck zu bringen, gegenüber Arbeitnehmern, die ihre Religions- und Gewissensfreiheit durch das sichtbare Tragen eines Zeichens oder Bekleidungsstücks mit religiösem Bezug ausüben möchten, keine unmittelbare Diskriminierung „wegen der Religion oder der Weltanschauung“ im Sinne des Unionsrechts darstellt, wenn diese Bestimmung allgemein und unterschiedslos angewandt wird.

Da jede Person eine Religion oder religiöse, weltanschauliche oder spirituelle Überzeugungen haben kann, begründet eine solche Regel nämlich, sofern sie allgemein und unterschiedslos angewandt wird, keine Ungleichbehandlung, die auf einem Kriterium beruht, das untrennbar mit der Religion oder der Weltanschauung verbunden ist.

Der Gerichtshof legt dar, dass eine interne Regel wie die bei S.C.R.L. angewandte indessen eine mittelbar auf der Religion oder der Weltanschauung beruhende Ungleichbehandlung darstellen kann, wenn sich erweist – was zu prüfen Sache des Arbeitsgericht ist –, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, die sie enthält, tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden.

Der Gerichtshof ergänzt, dass eine Ungleichbehandlung keine mittelbare Diskriminierung darstellen würde, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt wäre und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich wären. Dabei reicht allerdings der bloße Wille eines Arbeitgebers, eine Neutralitätspolitik zu betreiben – auch wenn er an sich ein legitimes Ziel darstellt –, für sich genommen nicht aus, um eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung sachlich zu rechtfertigen, da eine sachliche Rechtfertigung nur bei Vorliegen eines wirklichen Bedürfnisses des Arbeitgebers festgestellt werden kann, das er nachzuweisen hat.

Schließlich führt der Gerichtshof aus, dass das Unionsrecht es einem nationalen Gericht bei der Beurteilung der Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung nicht verwehrt, im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen denen der Religion oder der Weltanschauung größere Bedeutung beizumessen als denen, die sich u. a. aus der unternehmerischen Freiheit ergeben, soweit sich dies aus seinem innerstaatlichen Recht ergibt.

Der den Mitgliedstaaten eingeräumte Wertungsspielraum kann insoweit jedoch nicht so weit gehen, dass es ihnen oder den nationalen Gerichten erlaubt wäre, einen der in Art. 1 der Richtlinie abschließend aufgeführten Diskriminierungsgründe in mehrere Gründe aufzuspalten, da sonst der Wortlaut, der Kontext und der Zweck dieses Grundes in Frage gestellt würden und die praktische Wirksamkeit des allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf beeinträchtigt würde.

Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-344/20 | S.C.R.L. (Kleidungsstück mit religiösem Bezug)

Quelle: Pressemitteilung des EuGH v. 13.10.2022

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2. BVerfG: Datenweitergabe durch Verfassungsschutz teilweise verfassungswidrig
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Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Übermittlungsbefugnisse der Verfassungsschutzbehörden in Angelegenheiten des Staats- und Verfassungsschutzes nach dem Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nicht vereinbar sind.

Dies gilt, soweit sie zur Übermittlung personenbezogener Daten verpflichten, die mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben wurden. Die betreffenden Vorschriften verstoßen gegen die Normenklarheit und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zudem fehlt es an einer spezifisch normierten Protokollierungspflicht. Die angegriffenen Normen gelten - mit Blick auf die betroffenen Grundrechte jedoch nach einschränkenden Maßgaben - bis zum 31. Dezember 2023 vorübergehend fort.

Sachverhalt:
Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG übermittelt das Bundesamt für Verfassungsschutz personenbezogene Daten und Informationen an Polizeien und Staatsanwaltschaften, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Staatsschutzdelikten erforderlich ist. § 20 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG definiert die Staatsschutzdelikte unter anderem als die in §§ 74a und 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) genannten Straftaten sowie sonstige Straftaten, die gegen die in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchstabe b oder c GG genannten Schutzgüter gerichtet sind.

§ 21 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG erstreckt die Übermittlungspflichten des § 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 BVerfSchG entsprechend auf die Verfassungsschutzbehörden der Länder.

Auf diese Übermittlungsregelungen verweist das Rechtsextremismus-Datei-Gesetz (RED-G). Die Rechtsextremismus-Datei ist eine der Bekämpfung des gewaltbezogenen Rechtsextremismus dienende Verbunddatei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder, die in ihrem Kern der Informationsanbahnung dient. Dazu werden in ihr spezifische personenbezogene Daten gespeichert, wenn ihre Kenntnis für die Aufklärung oder Bekämpfung des gewaltbezogenen Rechtsextremismus erforderlich ist. Der Beschwerdeführer, der im Prozess um den Nationalsozialistischen Untergrund rechtskräftig verurteilt wurde, wendet sich gegen die Übermittlungsbefugnisse der Verfassungsschutzbehörden und rügt eine Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung.

Wesentliche Erwägungen des Senats:
A. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit sie sich gegen die Übermittlungsvorschriften in § 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 und § 21 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 BVerfSchG richtet. Der Beschwerdeführer beanstandet die Übermittlungstatbestände allerdings nur hinsichtlich der Übermittlung mit nachrichtendienstlichen Mitteln heimlich erhobener personenbezogener Daten.

Soweit der Beschwerdeführer zusätzlich die allgemeine Übermittlungsbefugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz nach § 19 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG in der Fassung vom 5. Januar 2007 angegriffen hat, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Nachdem in Folge einer Gesetzesänderung im Jahr 2015 die Altfassung außer Kraft getreten ist, fehlt es insoweit an einem fortdauernden Rechtsschutzbedürfnis. Der Beschwerdeführer hat seine Verfassungsbeschwerde auch nicht fristgerecht auf die Neufassung der Vorschrift umgestellt.

B. Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie auch begründet.

I. Durch Übermittlungen personenbezogener Daten und Informationen nach den angegriffenen Regelungen ist das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG betroffen. Die Übermittlung personenbezogener Daten, mit der eine Behörde die von ihr erhobenen Daten einer anderen Stelle zugänglich macht, begründet einen erneuten Grundrechtseingriff im Verhältnis zur ursprünglichen Datenerhebung.

II. Die angegriffenen Vorschriften sind zwar in formeller Hinsicht mit der Verfassung vereinbar. Insbesondere steht dem Bund hier die Gesetzgebungskompetenz zu. Denn die Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG erstreckt sich nicht nur auf die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder, sondern auch auf die der Länder untereinander. Sie umfasst hingegen nicht die Regelung der Zusammenarbeit zwischen Behörden desselben Landes.

III. Die angegriffenen Übermittlungsbefugnisse genügen jedoch nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Normenklarheit und die Verhältnismäßigkeit und enthalten keine ausreichenden Vorgaben für eine Protokollierung der Datenübermittlung.

1. a) Ein Verstoß gegen das Gebot der Normenklarheit folgt hier allerdings nicht ohne weiteres bereits daraus, dass sich der Gesetzgeber mitunter mehrgliedriger Verweisungsketten bedient hat.

Die Normenklarheit setzt der Verwendung gesetzlicher Verweisungsketten Grenzen, steht dieser aber nicht grundsätzlich entgegen. Maßgeblich bleibt die inhaltliche Verständlichkeit der Regelung für den Normbetroffenen. Bei der Normierung sicherheitsrechtlicher Datenverarbeitungen kann es zweckdienlich sein, auf Fachgesetze zu verweisen, in deren Kontext Auslegungsfragen – anders als bei heimlichen Maßnahmen – im Wechselspiel von Anwendungspraxis und gerichtlicher Kontrolle verbindlich geklärt werden können.

Ob eine Verweisung mit dem Gebot der Normenklarheit vereinbar ist, hängt von einer wertenden Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung möglicher Regelungsalternativen ab. Das Erfassen des Normgehaltes wird insbesondere durch Verweisungsketten erleichtert, die die in Bezug genommenen Vorschriften vollständig aufführen.

Danach sind jedenfalls einige der selbst vielgliedrigen Verweisungsketten des § 20 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG unter dem Aspekt der Normenklarheit nicht zu beanstanden.

b) Jedoch regelt § 20 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG die Voraussetzungen der Übermittlungspflicht nicht durchgehend normenklar. Verweisungen dürfen nicht durch die Inbezugnahme von Normen, die andersartige Spannungslagen bewältigen, ihre Klarheit verlieren und in der Praxis nicht zu übermäßigen Schwierigkeiten bei der Anwendung führen.

Dies droht vorliegend dadurch, dass zur Bestimmung der Straftaten, die eine Übermittlungspflicht auslösen, ohne weitere Einschränkung auf § 120 Abs. 2 GVG verwiesen wird. Nach dieser Vorschrift wird die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte für bestimmte Straftaten nur begründet, wenn der Generalbundesanwalt wegen der besonderen Bedeutung des Falles die Verfolgung übernimmt. Ob und inwieweit dieses Tatbestandmerkmal auch im Rahmen der – insbesondere gefahrenabwehrrechtlichen – Übermittlungspflicht zu berücksichtigen ist, lässt § 20 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG in Verbindung mit § 120 Abs. 2 GVG nicht mit hinreichender Klarheit erkennen.

2. Die in § 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 BVerfSchG geregelten Übermittlungsbefugnisse verstoßen zudem gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. a) Zwar dienen sie dem legitimen Zweck, Staatsschutzdelikte effektiv zu bekämpfen und damit einhergehend den Bestand und die Sicherheit des Staates sowie Leib, Leben und Freiheit der Bevölkerung zu schützen. Dass die angegriffenen Übermittlungsbefugnisse zur Erreichung dieser Zwecke grundsätzlich im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet und erforderlich sind, steht nicht in Zweifel.

b) Sie sind jedoch nicht durchweg mit den Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne vereinbar.

aa) Nach diesem gilt für die Übermittlung personenbezogener Daten und Informationen von Verfassungsschutzbehörden an Sicherheitsbehörden mit operativen Anschlussbefugnissen grundsätzlich ein informationelles Trennungsprinzip.

Aufgrund der weitreichenden Überwachungsbefugnisse der Verfassungsschutzbehörden unterliegen derartige Übermittlungen gesteigerten Rechtfertigungsvoraussetzungen. Jedenfalls wenn personenbezogene Daten und Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben wurden, beurteilen sich diese nach dem Kriterium der hypothetischen Neuerhebung.

Danach kommt es darauf an, ob der empfangenden Behörde zu dem jeweiligen Übermittlungszweck eine eigene Datenerhebung und Informationsgewinnung mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln wie der vorangegangenen Überwachung durch die Verfassungsschutzbehörde erlaubt werden dürfte.

(1) Die Übermittlung an eine Gefahrenabwehrbehörde setzt daher voraus, dass sie dem Schutz eines besonders gewichtigen Rechtsguts dient, für das wenigstens eine hinreichend konkretisierte Gefahr besteht.

Im Grundsatz steht es dem Gesetzgeber bei der Normierung der Übermittlungsvoraussetzungen frei, das erforderliche Rechtsgut nicht unmittelbar zu benennen, sondern an entsprechende Straftaten anzuknüpfen. Die Übermittlung kann dabei als Übermittlungsschwelle grundsätzlich auch an die Gefahr der Begehung solcher Straftaten anknüpfen, bei denen die Strafbarkeitsschwelle durch die Pönalisierung von Vorbereitungshandlungen oder bloßen Rechtsgutgefährdungen in das Vorfeld von Gefahren verlagert wird.

Der Gesetzgeber muss dann aber sicherstellen, dass in jedem Einzelfall eine konkrete oder konkretisierte Gefahr für das durch den Straftatbestand geschützte Rechtsgut vorliegt. Diese ergibt sich nicht notwendiger Weise bereits aus der Gefahr der Tatbestandsverwirklichung selbst.

(2) Die Übermittlung an eine Strafverfolgungsbehörde kommt nur zur Verfolgung besonders schwerer Straftaten in Betracht und setzt voraus, dass ein durch bestimmte Tatsachen begründeter Verdacht vorliegt, für den konkrete und verdichtete Umstände als Tatsachenbasis vorhanden sind. bb) Diesen Anforderungen genügen die angegriffenen Vorschriften nicht. § 20 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG benennt bei der Regelung der Übermittlung nachrichtendienstlich erhobener Daten zur Gefahrenabwehr nicht unmittelbar das zu schützende Rechtsgut, sondern knüpft – grundsätzlich zulässig – ebenso wie bei der Übermittlung zur Strafverfolgung an die in § 20 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG aufgeführten Straftaten an.

Allerdings können nicht alle in den §§ 74a, 120 GVG genannten und durch die Vorschrift pauschal in Bezug genommenen Straftaten als besonders schwere Straftaten qualifiziert werden. Gleiches gilt für den offenen Übermittlungstatbestand, der beliebige sonstige Straftaten alleine aufgrund ihrer Zielsetzung oder des Motivs des Täters mit einbezieht.

Insoweit hilft es auch nicht, dass § 23 Nr. 1 BVerfSchG ein allgemeines Verbot unverhältnismäßiger Übermittlungen enthält. Dieser Pauschalvorbehalt strukturiert den Abwägungsprozess trotz der inzwischen erfolgten verfassungsgerichtlichen Konkretisierung der Anforderungen jedenfalls wegen der in § 20 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG normierten Pflicht zur Übermittlung nicht in einer Weise, dass eine Beschränkung der Übermittlung auf Fälle gesichert wäre, in denen die notwendigen Voraussetzungen vorliegen.

Darüber hinaus fehlt es an der verfassungsrechtlich gebotenen Übermittlungsschwelle. Die angegriffenen Vorschriften erlauben eine Übermittlung bereits dann, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese zur Verhinderung oder Verfolgung von Staatsschutzdelikten erforderlich ist. Sie ermöglichen damit die Übermittlung von Informationen, die unabhängig von einer konkretisierten Gefahrenlage oder von bestimmten, den Verdacht begründenden Tatsachen als erforderlich angesehen werden können.

3. Schließlich genügen die Übermittlungsvorschriften den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine spezifisch normierte Pflicht zur Protokollierung der Übermittlung sowie zur Nennung der für die Übermittlung in Anspruch genommenen Rechtsgrundlage nicht.

Beschluss vom 28. September 2022 - Az.: 1 BvR 2354/13

Quelle: Pressemitteilung des BVerfG v. 03.11.2022

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3. BGH: Zugang einer E-Mail, wenn abrufbereit auf Mailserver, tatsächliche Kenntnis nicht entscheidend
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In einem aktuellen Urteil hat der BGH festgestellt, dass für den juristischen Zugang einer E-Mail alleine die Abrufbarkeit auf dem Mailserver des Empfängers innerhalb der üblichen Geschäftszeiten entscheidend ist. Wann der Empfänger hingegen die elektronische Nachricht tatsächlich gelesen hat, ist irrelevant (BGH, Urt. v. 06.10.2022 - Az.: VII ZR 895/21).

In einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung ging es um die Frage, ob und wann eine versendete E-Mail dem Empfänger zugeht. Im vorliegenden Fall ging es dabei um einen Abschluss eines Vergleichs.

Die BGH-Richter haben klargestellt, dass hierfür alleine die Abrufbarkeit auf dem Mailserver des Empfängers innerhalb der üblichen Geschäftszeiten entscheidend ist. Ob und wann der Empfänger hingegen den Inhalte gelesen habe, spiele keine Rolle:

"Jedenfalls für den (...) Fall, dass die E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird, ist sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Denn damit ist die E-Mail so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen zur Kenntnis nehmen kann. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich.

Der von einem Empfänger für den Empfang von E-Mail-Nachrichten genutzte Mailserver ist jedenfalls dann, wenn der Empfänger durch Veröffentlichung der E-Mail-Adresse oder sonstige Erklärungen im Geschäftsverkehr zum Ausdruck bringt, Rechtsgeschäfte mittels elektronischer Erklärungen in Form von E-Mails abzuschließen, als sein Machtbereich anzusehen, in dem ihm Willenserklärungen in elektronischer Form zugehen können.

Elektronische Willenserklärungen in Form von E-Mails werden als Datei gespeichert von dem Mailserver des Absenders an den Mailserver des Empfängers weitergeleitet. Dieser wird über den Eingang der E-Mail unterrichtet. In diesem Zeitpunkt ist der Empfänger in der Lage, die E-Mail-Nachricht abzurufen und auf seinem Endgerät anzeigen zu lassen (...)."


Damit sind jedoch nicht alle Rechtsfragen gelöst. Ausdrücklich offen gelassen hat der BGH die Frage, wenn die E-Mail außerhalb der üblichen Geschäftszeiten (z.B. sonntags oder an einem Feiertag) eingeht. Liegt der Zugang hier erst am nächsten Werktag? Oder bereits zu dem Zeitpunkt, wo die Nachricht auf dem Mailserver eingeht? Oder wenn der Empfänger die Mitteilung ist?
"Wann eine E-Mail als zugegangen gilt, ist in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt.

(1) Zum Teil wird angenommen, dass eine E-Mail dem Empfänger unmittelbar in dem Zeitpunkt zugeht, in dem sie abrufbereit in seinem elektronischen Postfach eingegangen ist (...). Eine Ausnahme soll für den Fall gelten, dass die E-Mail zur Unzeit oder außerhalb der üblichen Geschäftszeiten eingeht; in diesem Fall liege der Zugang der Erklärung am Folgetag (...).

(2) Nach anderer Ansicht geht eine E-Mail dem Empfänger, wenn ein Abruf im geschäftlichen Verkehr erwartet werden kann, an dem Tag zu, an dem sie abrufbereit im Postfach liegt. Maßgeblich ist danach, wann der Absender mit einer Kenntnisnahme der E-Mail nach dem üblichen Geschäftsablauf rechnen kann. Insoweit wird angenommen, dass ein Abruf der E-Mails spätestens bis zum Ende der Geschäftszeit zu erwarten ist (...).

(3)  Der Streitfall gibt keinen Anlass, die Rechtsfrage umfassend zu entscheiden. Jedenfalls für den nach den unangefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts gegebenen Fall, dass die E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird, ist sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen."



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4. BGH: Kein Rückerstattungs-Anspruch gegen Payment-Anbieter bei illegaler Online-Casino-Teilnahme
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Es besteht gegen den eigenen Payment-Anbieter kein Rückforderungsanspruch, der auftragsgemäß Überweisungen an ein ausländisches Online-Casino, das in Deutschland verboten ist, übernommen hat (BGH, Beschl. v. 13.09.2022 - Az.: XI ZR 515/21).

Der Kläger verlangte von der beklagten Bank Erstattung von Beträgen, die die Beklagte dem Konto des Klägers aufgrund von Kreditkartenzahlungen beim Online-Glücksspiel belastet hatte.

Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen.

Nun teilte auch der BGH diese Rechtsansicht und verneinte einen Rückforderungsanspruch.

Zwar sei das durchgeführte Glücksspiel in Deutschland verboten. Dies führe jedoch nicht zur Unwirksamkeit der vorgenommenen Zahlungen:

"Der vom Berufungsgericht festgestellte Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 GlüStV 2011 zieht jedoch nicht die Nichtigkeit der Autorisierungen nach sich. Die Vorschrift enthält kein gesetzliches Verbot mit Nichtigkeitsfolge im Sinne des § 134 BGB. Aufgrund dessen kann dahinstehen, ob - woran es vorliegend fehlen würde - weitere tatbestandliche Voraussetzung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 GlüStV 2011 die vorherige Mitteilung unerlaubter Glücksspielangebote durch die Glücksspielaufsicht nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 GlüStV 2011 ist (...) oder ob es sich bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 GlüStV 2011 um ein "allgemeines Zahlungsmitwirkungsverbot" handelt, das unabhängig von einer solchen Mitteilung gilt (...).

Die Frage, ob der Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führt, ist, wenn - wie bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 GlüStV 2011 - eine ausdrückliche Rechtsfolgenregelung fehlt, nach dem Zweck des Verbotsgesetzes zu beantworten. (...)

Nach diesen Maßgaben führt der Verstoß eines Zahlungsdienstleisters gegen das Verbot nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 GlüStV 2011, an Zahlungen im Zusammenhang mit unerlaubtem Glücksspiel mitzuwirken, indem er den vom Spieler autorisierten Zahlungsvorgang ausführt, nicht zur Nichtigkeit der Autorisierung. (...)"


Und weiter:
"§ 4 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 GlüStV 2011 beinhaltet ein einseitig an den Zahlungsdienstleister gerichtetes Verbot, an Zahlungen im Zusammenhang mit unerlaubtem Glücksspiel mitzuwirken. Der Zahlungsdienstnutzer, der durch seine Autorisierung die Zahlungen zwar bewirkt, hieran aber nicht mitwirkt, ist dagegen nicht Normadressat (...). Der Zweck des gesetzlichen Verbots richtet sich nach den Zielen des Glücksspielstaatsvertrags 2011, der gemäß § 1 Satz 1 GlüStV 2011 gleichrangig der Bekämpfung der Spielsucht (Nr. 1), der Kanalisation der Spiel- und Wettnachfrage auf legale Angebote (Nr. 2), dem Jugend- und Spielerschutz (Nr. 3) und der Bekämpfung der Begleit- und Folgekriminalität (Nr. 4) dient."

Es bestünde auch keine generelle Warnpflicht der Bank, ihre Kunden in diesen Fällen zu warnen:

"Das Berufungsgericht hat im Einklang mit der Senatsrechtsprechung festgestellt, dass hier kein Fall der rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme der Beklagten durch die Vertragsunternehmen vorliegt. Dazu hätte der Kläger die Beklagte durch entsprechende Informationen in die Lage versetzen müssen, die Nichtigkeit des Valutaverhältnisses gemäß § 134 BGB i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Fall 1 GlüStV 2011 gegenüber den Vertragsunternehmen substantiiert behaupten und liquide beweisen zu können, und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem sie den Ausgleich der autorisierten Zahlungsvorgänge gegenüber den Vertragsunternehmen noch verweigern konnte (...). 

Gemessen an diesen Grundsätzen wäre hier eine Warnpflicht schon deswegen zu verneinen, weil sich der Kläger selbst an unerlaubtem Glücksspiel beteiligt hat. Bestünden gerade mit Blick auf seine Teilnahme massive Anhaltspunkte für eine Schädigung des Klägers, müsste sie sich auch ihm aufdrängen. Damit fehlte es der Beklagten an einer überlegenen Sachkunde, die jedoch kennzeichnend für das Bestehen einer Warnpflicht ist (...). "



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5. OLG Köln: Medizinische Online-Fernbehandlung per einfachem Online-Fragebogen ist wettbewerbswidrig
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Eine medizinische Fernbehandlung per einfachem Online-Fragebogen ist wettbewerbswidrig (OLG Köln, Urt. v. 10.06.2022 - Az.: 6 U 204/21).

Auf der betreffenden Webseite hatten deutsche Verbraucher die Möglichkeit, eine Indikation zu wählen und nach Beantwortung eines Online-Fragebogens und anschließender Auswertung durch ausländische Ärzte ein Privatrezept zu erhalten.

Dies stufte das OLG Köln als wettbewerbswidrig ein, denn die praktizierte Vorgehensweise erfülle nicht die gesetzlichen Voraussetzungen:

§ 9 HWG
Unzulässig ist eine Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier beruht (Fernbehandlung). Satz 1 ist nicht anzuwenden auf die Werbung für Fernbehandlungen, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.

Denn es entspreche nicht den "allgemein anerkannten fachlichen Standards", wenn keine direkte Kommunikation zwischen Arzt und Patient erfolge:
"Entgegen der Ansicht der Beklagten greift der Ausnahmetatbestand von § 9 S. 2 HWG nicht ein, weil die Anwendung eines Online-Fragebogens, ohne dass ein weiterer Kontakt zwischen Arzt und Patient vorgesehen ist, nicht den anerkannten fachlichen Standards in Deutschland entspricht. (...)

Der deutsche anerkannte fachliche Standard gemäß § 9 S. 2 HWG gilt auch für Fernarztdienstleistungsunternehmen mit Sitz im Ausland.

Der Anwendung des § 9 HWG steht kein zwingendes Unionsrecht entgegen (vgl. BGH, GRUR 2022, 399 Rn. 30 ff. - Werbung für Fernbehandlung). Dies ergibt sich unter Berücksichtigung der vom BGH dargelegten Grundsätze schon daraus, dass die Werbung sich nicht allein auf die Bewerbung von Arzneimitteln bezieht. Insgesamt wird die Behandlung von zahlreichen Indikationen beworben.

Soweit die Beklagte ausführlich darlegt, dass die Fernbehandlung europarechtlich zulässig sei, führt dies - die Zulässigkeit der Fernbehandlung an sich unterstellt - ebenfalls nicht zu einer Ausnahme vom Werbeverbot des § 9 S. 1 HWG. Denn die Vorschrift des § 9 HWG ist nicht einschränkend dahin auszulegen, dass eine berufsrechtlich zulässige Fernbehandlung generell nicht dem Werbeverbot dieser Bestimmung unterfällt (...). "



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6. VG Ansbach: Kein DSGVO-Verstoß: Bürger dürfen Falschparker für eine Anzeige fotografieren und Fotos der Polizei schicken
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Das Verwaltungsgericht Ansbach hat mit heute bekanntgegebenen Urteilen zwei Klagen gegen Verwarnungen des Landesamtes für Datenschutzaufsicht (LDA) stattgegeben, mit denen das LDA die Ablichtung von Falschparkern rügte. Gegenstand der Verwarnungen waren von den Klägern angefertigte Fotoaufnahmen von ordnungswidrig geparkten Fahrzeugen, die die Kläger mitsamt Anzeigen an die zuständige Polizei übersandten.

Bei den angezeigten Verstößen handelte es sich beispielsweise um Parken im absoluten Halteverbot oder ordnungswidrig auf Gehwegen.

Das Gericht hatte darüber zu entscheiden, ob die Übermittlung der Bildaufnahmen eine rechtmäßige Datenverarbeitung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. f der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) darstellte. Die Regelung setzt voraus, dass die Datenverarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist.

Die Beteiligten stritten insbesondere um die rechtliche Frage, ob für die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung eine persönliche Betroffenheit des Anzeigenerstatters durch die Parkverstöße erforderlich sei und ob nicht für eine Anzeige die bloße schriftliche oder telefonische Schilderung des Sachverhalts unter Angabe des Fahrzeugkennzeichens genüge, sodass eine Übermittlung von Bildaufnahmen nicht erforderlich sei.

Problematisch sei nach Ansicht des LDA zudem, dass mit den Fotos oft Daten erhoben würden, die über den reinen Parkvorgang hinausgingen, z.B. bei Ablichtung anderer Fahrzeuge und Personen. Die Kläger verwiesen auf ihnen gegenüber ergangene Hinweise der Polizei, wonach die Parksituation zum Beweis durch Fotoaufnahmen möglichst genau dokumentiert werden sollte.

Zudem würde die Verfolgung der Ordnungswidrigkeiten durch die Anfertigung von Fotos vereinfacht.

Die 14. Kammer des Verwaltungsgerichts Ansbach gab den Klagen mit Entscheidung vom 2. November 2022 statt. Die schriftlichen Urteilsbegründungen liegen noch nicht vor.

Die Entscheidungen sind nicht rechtskräftig. Gegen die Urteile kann Antrag auf Zulassung der Berufung zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gestellt werden.

(VG Ansbach, Urteile vom 2. November 2022 – AN 14 K 22.00468 und AN 14 K 21.01431)

Quelle: Pressemitteilung des VG Ansbach v. 03.11.2022

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7. LG Cottbus: Fehlender Aufdruck einer CE-Kennzeichnung ist Wettbewerbsverstoß
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Verfügt die zu verkaufende Ware über keine CE-Kennzeichnung (hier: elektrisch verstellbarer Sitz), so handelt es sich dabei um einen Wettbewerbsverstoß (LG Cottbus, Urt. v. 15.06.2022 - Az.: 11 O 5/20).

Die Beklagte verkaufte einen elektronisch verstellbaren Sitz. Auf dem Produkt selbst befand sich keine CE-Kennzeichnung und es lag auch keine Konformitätserklärung bei  Nur auf dem mitgelieferten Netzteil befand sich eine CE-Angabe.

Dies stufte das LG Cottbus als Wettbewerbsverletzung ein:

"Nach § 3 Abs. 1 ProdSG (...) darf ein Produkt (...) auf dem Markt nur bereitgestellt werden, wenn es die in den Rechtsverordnungen vorgesehenen Anforderungen erfüllt. Die (...) erlassene (...) Verordnung (...) bestimmt in § 3 Abs. 2 Nr. 6, dass der Hersteller oder sein Bevollmächtigter vor dem Inverkehrbringen der Maschine die CE-Kennzeichnung (...) anbringen muss. Nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 ProdSG ist es verboten, ein Produkt auf dem Markt bereitzustellen, das nicht mit der CE-Kennzeichnung versehen ist (...).

Im Ergebnis der Beweisaufnahme steht mit der notwendigen Überzeugung fest, dass sich zwar auf dem mitgelieferten Netzteil eine CE-Kennzeichnung befand, nicht jedoch auf dem Sessel selbst."


Und weiter:
"Die CE-Kennzeichnung auf dem Netzteil ist nicht als gesetzeskonform anzusehen. Die CE- Kennzeichnung ist auf dem Typenschild des beigefügten Netzteils mit der Bezeichnung „AC/DC Switching Power Supply“ angebracht. Damit gehört diese CE-Kennzeichnung schon augenscheinlich nicht zum Sessel selbst, sondern zum beigefügten Netzteil. (...)

Mit der Verletzung dieser Vorschriften geht auch eine spürbare Beeinträchtigung der Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern einher. Produktkennzeichnungspflichten dienen in aller Regel dem Schutz der Verbraucher und stellen damit Marktverhaltensregelungen im Interesse der Verbraucher dar (...).

Mit der CE-Kennzeichnung und der EG-Konformitätserklärung wird gewährt, dass das Produkt den geltenden Anforderungen der Harmonisierungsrechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft genügt. Diese dienen damit der Sicherheit, dem Gesundheitsschutz und dem Umweltschutz.

Das Erfordernis der Herstellerangabe sichert eine dauerhafte Zuordnung des Produktes und damit einen Rückgriff auf den Hersteller. Die Verletzung dieser Vorschriften ist damit regelmäßig geeignet, die Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen (...). Unerheblich ist, dass die notwendigen Kennzeichnungen regelmäßig erst nach der geschäftlichen Entscheidung zur Kenntnis gelangen. Die Erwerbsentscheidung eines Verbrauchers wird in der Erwartung der gesetzeskonformen Sicherheit des Produktes getroffen. Diese Erwartung wird im vorliegenden Fall nicht erfüllt."



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8. LG Hamburg: Online-Fernbehandlung ohne vorherigen persönlichen Kontakt rechtswidrig
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Eine reine Online-Fernbehandlung von Neu-Patienten ohne vorherigen persönlichen Kontakt ist rechtswidrig (LG Hamburg, Urt. v. 06.09.2022 - Az.: 406 HK O 14/22).

Der Beklagte betrieb ein Online-Portal, auf dem auch Neu-Patienten Rezepte von Ärzten erhielten, ohne dass zuvor ein persönliches Gespräch stattgefunden hatte.

Dies stufte das LG Hamburg als Wettbewerbsverstoß ein:

"Die hier streitige Erteilung von Rezepten für verschreibungspflichtige Arzneimittel durch Ärzte, die den Patienten zuvor nicht behandelt haben, verstößt gegen ärztliche Berufspflichten, wie sie in § 7 III der Berufsordnung der Ärzte für Hamburg niedergelegt sind, wonach der Arzt Patienten im persönlichen Kontakt berät und behandelt. Er kann dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen.

Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die ärztliche Sorgfalt, insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird.

Danach verstößt die hier streitgegenständliche Erteilung von Rezepten für verschreibungspflichtige Arzneimittel gegen die ärztliche Sorgfalt, weil in keiner Weise sichergestellt ist, dass der Zweck der Verschreibungspflicht gewahrt wird. Die Verschreibungspflicht dient gerade dazu, eine Selbstmedikation des Patienten zu verhindern und die medizinisch sachgerechte Behandlung des Patienten mit diesen Arzneimitteln durch den Arzt sicherzustellen.

Hierzu kann bei einem Folgerezept zwar auch eine telefonische Rezeptanforderung ausreichen. Hierbei ist es jedoch notwendig, dass der das Rezept ausstellende Arzt den Patienten bereits zuvor behandelt hat und daher über seinen Gesundheitszustand und die Notwendigkeit der Verordnung dieses Arzneimittels orientiert ist."


Und weiter:
"Dabei muss der Arzt auch bei Folgeverordnungen in gewissen Abständen bestimmte Untersuchungen des Patienten veranlassen, etwa bestimmte Blutwerte bestimmen lassen oder bei Arzneimitteln zur Senkung des Blutdrucks, wie dem hier angebotenen Präparat Candesartan, eine Kontrolle der ord­nungsgemäßen Einstellung des Blutdrucks etwa durch eine 24-Stunden-Messung in Erwägung ziehen.

Für den hier streitgegenständlichen Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Sorgfalt und Berufsaus­übung ist die Beklagte unmittelbar verantwortlich, indem sie in Kenntnis des Sachverhalts dieses Ge­schäftsmodell über ihre Internetpräsenz angeboten und verbreitet hat (...)."



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9. LG Köln: Bei Kündigungsbutton darf Passwort-Abfrage nicht verpflichtend sein
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Bei dem gesetzlich vorgeschriebenen Kundigungsbutton darf die Abfrage des Passworts nicht verpflichtend sein (LG Köln, Beschl. v. 29.07.2022 - Az.: 33 O 255/22).

Ab dem 01.07.2022 besteht für Unternehmen im Online-Bereich die gesetzliche Pflicht, Dauerschuldverhältnisse, die online abgeschlossen werden können, auch wieder online zu kündigen (sog. Kündigungsbutton), vgl. § 312k BGB.

Das LG Köln hat nun - soweit ersichtlich - die erste Entscheidung hierzu gefällt, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes mittels einer einstweiligen Verfügung.

Der Tenor lautet:

"Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, Ordnungshaft zu vollstrecken an den Mitgliedern der Geschäftsführung, es im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern künftig zu unterlassen, auf der Webseite www.o.de die den Abschluss von entgeltlichen Telekommunikationsverträgen in Form von Dauerschuldverhältnissen auf elektronischem Wege ermöglicht, keine unmittelbar und leicht zugängliche, insbesondere nicht erst nach Einloggen mit Kundennummer und Kundenkennwort erreichbare, Bestätigungsseite, sowie Schaltfläche für die Bestätigung einer Kündigung vorzuhalten, wenn dies geschieht, wie nachfolgend abgebildet (...)"

Zur Begründung seiner Ansicht führt das Gericht aus:
"Die Antragsgegnerin, die über ihre Website den Abschluss von Dauerschuldverhältnissen ermöglicht, verletzt ihre Pflicht aus § 312k Abs. 2 Satz 2 BGB, den Verbraucher nach Betätigung der Kündigungsschaltfläche unmittelbar zu einer Bestätigungsseite zu führen, die den Verbraucher auffordert und ihm ermöglicht, die in § 312k Abs. 2 Satz 2 BGB genannten Angaben zu machen.

Die nach dem Gesetz abzufragenden Angaben sind ausweislich der Gesetzesbegründung zugleich als Minimalvorgabe und als Maximalvorgabe zu verstehen. Die Beschränkung der zu verlangenden Angaben soll Ausgestaltungen verhindern, bei denen der Unternehmer weitere, für den Verbraucher nicht ohne Weiteres verfügbare Daten abfragt und so eine einfache und unkomplizierte Kündigung erschwert. Zugleich soll die Abfrage dem Grundsatz der Datensparsamkeit nach der DS-GVO Rechnung tragen (BT-Drs. 19/30840, S. 15, 18; MüKoBGB/Wendehorst, 9. Aufl. 2022, BGB § 312k Rn. 16).

Durch die Abfrage des Kundenkennworts baut die Antragsgegnerin eine Hürde auf, die in der genannten Vorschrift nicht vorgesehen und geeignet ist, ihn von der Kündigung abzuhalten, weil ihm das Kennwort möglicherweise nicht zugänglich ist.

Wenn derartige Identifizierungsmöglichkeiten angeboten werden, muss zugleich eine Möglichkeit bestehen, durch Angabe von Namen und weiteren gängigen Identifizierungsmerkmalen (Wohnanschrift, E-Mail-Adresse und dergleichen) eine Kündigung zu erklären (MüKoBGB/Wendehorst, 9. Aufl. 2022, BGB § 312k Rn. 18). Dies ist hier nicht der Fall."


Die Entscheidung hinterlässt viele offene Fragen.

Es ist bereits absehbar, dass der neue Paragraf die Gerichte noch In den nächsten Monaten und Jahren umfangreich beschäftigen wird.

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10. LG Köln: Ausländisches Online-Casino muss Spielbeiträge zurückerstatten
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Ein in Gibraltar ansässiges Online-Casino muss die Spielbeiträge zurückerstatten, die ein in Deutschland ansässiger Spieler gezahlt hat (LG Köln, Urt. v. 02.09.2022 - Az.: 37 O 317/20).

Ein Spieler verlangte seine Entgelte zurück, die er an einen ausländischen Online-Glücksspiel-Anbieter überwiesen hatte. Er berief sich dabei darauf, dass das Angebot in Deutschland illegal und der Vertrag somit unwirksam sei.

Das LG Köln gab ihm Recht und verurteilte das Unternehmen zur Rückzahlung von knapp 93.000,- EUR:

"Die Leistungen des Klägers erfolgten ohne Rechtsgrund.

Der Rahmenvertrag als auch die einzelnen Glücksspielverträge sind gemäß § 134 BGB nichtig. Die Verträge verstoßen gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012, der das Veranstalten und Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet verbietet.

 (...) Die Beklagte bot die Online-Sportwetten über eine deutsche Internetdomain an und eröffnete so Personen mit Wohnsitz in Deutschland die Möglichkeit zur Teilnahme an den Glücksspielen von dort aus (vgl. auch BGH, Urteil v. 28.09.11 – I ZR 93/10).

Gemäß § 4 Abs. 5 GlüStV 2012 können Sportwetten im Internet von den Bundesländern erlaubt werden, wofür es aber gemäß § 4a Abs. 1 GlüStV 2012 einer Konzession bedarf, über die die Beklagte im maßgeblichen Zeitraum unstreitig nicht verfügte. (...)"


Und weiter:
"Die Vorschrift des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 ist ein gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB (...).

Diese Vorschrift ist auch europarechts- und verfassungskonform. (...) Auch nach Auffassung des Bundesgerichtshofs war das vor der Einführung der Erlaubnismöglichkeit für Sportwetten bestehende absolute Onlineverbot für Glücksspiele wegen der Verfolgung legitimer Gemeinwohlinteressen, namentlich der Bekämpfung von Spielsucht und des Jugendschutzes europarechtskonform (vgl. BGH GRUR 2012, 193, 197).

Im Übrigen steht die Ince-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, Urteil v. 04.02.2016 – C-336/14) dem Schutz dieser legitimen Gemeinwohlinteressen nicht entgegen, da sie die Vermittlung von Sportwetten vor Ort betrifft. Von der Vermittlung vor Ort gehen aufgrund der besseren Kontrollierbarkeit der Spieler und des Erfordernisses des physischen Erscheinens am Teilnahmeort weniger Gefahren aus als von einem Online-Angebot, sodass Sportwetten vor Ort nicht mit dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbar nicht.

Die Beklagte kann ferner nicht damit gehört werden, dass das Angebot geduldet worden sei, da auch eine etwaige Duldung des Angebots durch staatliche Behörden das Verbotsgesetz nicht außer Kraft setzen würde, die Verantwortung gegenüber dem Verbraucher vielmehr bestehen bleibt (vgl. LG Gießen, Urteil v. 25.02.21 – 4 O 84/20)."



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