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Newsletter vom 12.07.2023
Betreff: Rechts-Newsletter 28. KW / 2023: Kanzlei Dr. Bahr



1. EuGH: Kartellamt darf DSGVO-Verhalten von Meta überprüfen

2. EuGH: Flaschenpfand muss nicht in Grundpreisangabe mit eingerechnet werden

3. OLG Düsseldorf: Katjes darf seine Produkte "klimaneutral" nennen

4. VG Berlin: Exmatrikulation wegen Teilnahme an Online-Chat während einer Klausur

5. VG Berlin: Bundesfinanzministerium muss Fragen zum Grußwort des Ministers Lindner für eine Bank beantworten

6. LG Frankfurt a.M.: Persönlichkeitsrechte von Transfrauen im Online-Bereich

7. LG Flensburg: Online-Dating-Portal darf nicht Fake-Agents einsetzen

8. LG Hamburg: Spieler hat gegen stationären Sportwetten-Anbieter Rückzahlungsanspruch, wenn dieser Spielersperre missachtet

9. LG Tübingen: Wann eine Cyber-Versicherung für Hacker-Angriffe haften muss

10. Europäische Kommission erlässt neuen Angemessenheitsbeschluss für Datenverkehr mit USA

Die einzelnen News:

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1. EuGH: Kartellamt darf DSGVO-Verhalten von Meta überprüfen
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Eine nationale Wettbewerbsbehörde kann im Rahmen der Prüfung, ob eine beherrschende Stellung missbraucht wird, einen Verstoß gegen die DSGVO feststellen

Aufgrund ihrer Bindung an den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit muss sie jedoch eine etwaige Entscheidung oder Untersuchung seitens der nach der DSGVO zuständigen Aufsichtsbehörde berücksichtigen

Meta Platforms Ireland betreibt in der Union das soziale Online-Netzwerk Facebook. Durch die Anmeldung bei Facebook stimmen die Nutzer den von diesem Unternehmen festgelegten Allgemeinen Nutzungsbedingungen und damit auch den Richtlinien für die Verwendung von Daten und Cookies zu. Nach diesen Richtlinien erfasst Meta Platforms Ireland Daten über Nutzeraktivitäten innerhalb und außerhalb des sozialen Netzwerks und ordnet sie den Facebook-Konten der betroffenen Nutzer zu.

Bei den Daten, die Aktivitäten außerhalb des sozialen Netzwerks betreffen (auch „Off-Facebook-Daten“ genannt), handelt es sich zum einen um Daten über den Aufruf dritter Websites und Apps und zum anderen um Daten über die Nutzung anderer zum Meta-Konzern gehörender Online- Dienste (darunter Instagram und WhatsApp). Die dementsprechend erhobenen Daten ermöglichen es insbesondere, die an die Facebook-Nutzer gerichteten Werbenachrichten zu personalisieren.

Das deutsche Bundeskartellamt verbot es insbesondere, in den Allgemeinen Nutzungsbedingungen die Nutzung des sozialen Netzwerks Facebook durch in Deutschland wohnhafte private Nutzer von der Verarbeitung ihrer Off- Facebook-Daten abhängig zu machen und diese Daten ohne ihre Einwilligung zu verarbeiten. Es begründete seinen Beschluss damit, dass diese Verarbeitung, da sie nicht mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)1 im Einklang stehe, eine missbräuchliche Ausnutzung der beherrschenden Stellung von Meta Platforms Ireland auf dem deutschen Markt für soziale Online-Netzwerke darstelle.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf, bei dem eine Beschwerde gegen diesen Beschluss anhängig ist, fragt den Gerichtshof, ob die nationalen Wettbewerbsbehörden prüfen dürfen, ob eine Datenverarbeitung den Anforderungen der DSGVO entspricht. Außerdem fragt dieses Gericht, wie bestimmte Vorschriften der DSGVO auszulegen und auf eine Datenverarbeitung durch den Betreiber eines sozialen Online-Netzwerks anzuwenden sind.

In seinem heute verkündeten Urteil führt der Gerichtshof aus, dass es sich für die Wettbewerbsbehörde des betreffenden Mitgliedstaats im Rahmen der Prüfung, ob ein Unternehmen eine beherrschende Stellung missbraucht, als notwendig erweisen kann, auch zu prüfen, ob das Verhalten dieses Unternehmens mit anderen als den wettbewerbsrechtlichen Vorschriften, etwa mit den Vorschriften der DSGVO, vereinbar ist.

Wenn die nationale Wettbewerbsbehörde einen Verstoß gegen die DSGVO feststellt, tritt sie allerdings nicht an die Stelle der durch diese Verordnung eingerichteten Aufsichtsbehörden. Die Prüfung, ob die DSGVO eingehalten wird, erfolgt nämlich ausschließlich, um den Missbrauch einer beherrschenden Stellung festzustellen und gemäß den wettbewerbsrechtlichen Vorschriften Maßnahmen zur Abstellung dieses Missbrauchs aufzuerlegen.

Um eine kohärente Anwendung der DSGVO zu gewährleisten, sind die nationalen Wettbewerbsbehörden verpflichtet, sich abzustimmen und loyal mit den Behörden, die die Einhaltung dieser Verordnung überwachen, zusammenzuarbeiten. Hält es eine nationale Wettbewerbsbehörde für erforderlich, die Vereinbarkeit des Verhaltens eines Unternehmens mit der DSGVO zu prüfen, so muss sie insbesondere ermitteln, ob dieses oder ein ähnliches Verhalten bereits Gegenstand einer Entscheidung durch die zuständige Aufsichtsbehörde oder auch durch den Gerichtshof war. Ist dies der Fall, darf sie davon nicht abweichen, wobei es ihr aber freisteht, daraus eigene Schlussfolgerungen unter dem Gesichtspunkt der Anwendung des Wettbewerbsrechts zu ziehen.

Darüber hinaus weist der Gerichtshof darauf hin, dass die von Meta Platforms Ireland vorgenommene Datenverarbeitung offenbar auch besondere Kategorien von Daten betrifft, die u. a. die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse Überzeugungen oder die sexuelle Orientierung offenbaren können und deren Verarbeitung nach der DSGVO grundsätzlich untersagt ist.

Das nationale Gericht wird daher zu prüfen haben, ob bestimmte der erhobenen Daten tatsächlich die Offenlegung solcher Informationen ermöglichen, unabhängig davon, ob diese Informationen einen Nutzer des sozialen Netzwerks oder eine andere natürliche Person betreffen.

Was die Frage betrifft, ob die Verarbeitung solcher sogenannten „sensiblen Daten“ ausnahmsweise zulässig ist, weil die betroffene Person diese Daten offensichtlich öffentlich gemacht hat, stellt der Gerichtshof klar, dass die bloße Tatsache, dass ein Nutzer Websites oder Apps aufruft, die solche Informationen offenbaren können, keineswegs bedeutet, dass er seine Daten im Sinne der DSGVO offensichtlich öffentlich macht. Ebenso verhält es sich, wenn ein Nutzer Daten auf solchen Websites oder in solchen Apps eingibt oder darin eingebundene Schaltflächen betätigt, es sei denn, er hat zuvor explizit seine Entscheidung zum Ausdruck gebracht, die ihn betreffenden Daten einer unbegrenzten Zahl von Personen öffentlich zugänglich zu machen.

In Bezug auf die von Meta Platforms Ireland vorgenommene Verarbeitung in einem allgemeineren Sinne (einschließlich der Verarbeitung „nicht sensibler“ Daten) prüft der Gerichtshof sodann, ob diese unter die in der DSGVO genannten Rechtfertigungsgründe fällt, nach denen eine Datenverarbeitung rechtmäßig sein kann, ohne dass die betroffene Person ihre Einwilligung erteilt hat. Insoweit stellt der Gerichtshof fest, dass dieErforderlichkeit, den mit dieser Person geschlossenen Vertrag zu erfüllen, die streitige Praxis  nur dann rechtfertigt, wenn die Datenverarbeitung insofern objektiv unerlässlich ist, als der Hauptgegenstand des Vertrags ohne sie nicht erfüllt werden könnte.

Vorbehaltlich einer Überprüfung durch das nationale Gericht äußert der Gerichtshof Zweifel daran, dass die Personalisierung der Inhalte oder die durchgängige und nahtlose Nutzung der Dienste des Meta-Konzerns diese Kriterien erfüllen können. Zudem befindet der Gerichtshof, dass die Personalisierung der Werbung, mit der das soziale Netzwerk Facebook finanziert wird, nicht als berechtigtes Interesse von Meta Platforms Ireland die fragliche Datenverarbeitung rechtfertigen kann, sofern keine Einwilligung der betroffenen Person vorliegt.

Abschließend stellt der Gerichtshof fest, dass der Umstand, dass der Betreiber eines sozialen Online-Netzwerks als für die Verarbeitung Verantwortlicher eine beherrschende Stellung auf dem Markt für soziale Netzwerke einnimmt, für sich genommen nicht ausschließt, dass die Nutzer dieses Netzwerks im Sinne der DSGVO wirksam in die Verarbeitung ihrer Daten durch diesen Betreiber einwilligen können.

Da eine solche Stellung aber geeignet ist, die Wahlfreiheit der Nutzer zu beeinträchtigen und ein klares Ungleichgewicht zwischen den Nutzern und dem Verantwortlichen zu schaffen, ist sie ein wichtiger Aspekt für die Prüfung, ob die Einwilligung tatsächlich wirksam, insbesondere freiwillig, erteilt wurde, wofür der betreffende Betreiber die Beweislast trägt.

Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-252/21 | Meta Platforms u. a. (Allgemeine Nutzungsbedingungen eines sozialen Netzwerks)

Quelle: Pressemitteilung des EuGH v. 04.07.2023

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2. EuGH: Flaschenpfand muss nicht in Grundpreisangabe mit eingerechnet werden
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Der EuGH (Urt. v. 29.20.2023 - Az.: C-543/21) hat eine lang umstrittene Frage zur Grundpreisangabe entschieden und klargestellt, dass das Flaschenpfand nicht in die Grundpreisangabe nach der Preisangabenverordnung (PAngVO) eingerechnet werden muss.

Nach § 4 PAngVO muss bei im B2C-Bereich der Grundpreis einer jeden Ware angegeben werden:

"§ 4 PAngVO: Pflicht zur Angabe des Grundpreises
(1) Wer als Unternehmer Verbrauchern Waren in Fertigpackungen, offenen Packungen oder als Verkaufseinheiten ohne Umhüllung nach Gewicht, Volumen, Länge oder Fläche anbietet oder als Anbieter dieser Waren gegenüber Verbrauchern unter Angabe von Preisen wirbt, hat neben dem Gesamtpreis auch den Grundpreis unmissverständlich, klar erkennbar und gut lesbar anzugeben. Auf die Angabe des Grundpreises kann verzichtet werden, wenn dieser mit dem Gesamtpreis identisch ist.
(2) Wer als Unternehmer Verbrauchern lose Ware nach Gewicht, Volumen, Länge oder Fläche anbietet oder als Anbieter dieser Waren gegenüber Verbrauchern unter Angabe von Preisen wirbt, hat lediglich den Grundpreis anzugeben."

In der Rechtsprechung war bis dato umstritten, ob dabei auch das jeweilige Flaschenpfand einzurechnen war. Die Gerichte urteilten hier bislang sehr unterschiedlich.

Der EuGH hat diese kontroverse Frage nun beantwortet und klargestellt, dass das Flaschenpfand nicht bei  Grundpreisangabe zu berücksichtigen ist:

"Auch wenn der Verbraucher einen Pfandbehälter nicht von sich aus zurückgibt, so dass der gezahlte Pfandbetrag wirtschaftlich endgültig vom ihm getragen wird, ändert dies nichts daran, dass ein Pfandsystem (...) bedeutet, dass dieser Betrag grundsätzlich erstattet werden kann und soll.

Folglich ist der Pfandbetrag, den der Verbraucher beim Kauf einer Ware in einem Pfandbehälter zu entrichten hat, kein Bestandteil des Verkaufspreises (...)."


Und weiter:
"(...) ist dahin auszulegen, dass der dort vorgesehene Begriff des Verkaufspreises nicht den Pfandbetrag enthält, den der Verbraucher beim Kauf von Waren in Pfandbehältern zu entrichten hat."


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3. OLG Düsseldorf: Katjes darf seine Produkte "klimaneutral" nennen
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Die Bewerbung von Produkten als "klimaneutral" stellt nicht ohne weiteres eine Irreführung der Verbraucher dar. Das hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf unter Leitung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Erfried Schüttpelz heute in zwei Verfahren (I-20 U 72/22 und I-20 U 152/22) entschieden, in denen ein Fruchtgummihersteller und eine Herstellerin von Konfitüren durch eine Wettbewerbszentrale jeweils auf Unterlassung der Bewerbung ihrer Produkte als "klimaneutral" in Anspruch genommen worden sind.

Zur Begründung hat der Senat darauf verwiesen, dass der durchschnittliche Verbraucher den Begriff "klimaneutral" im Sinne einer ausgeglichenen Bilanz der CO2-Emissionen eines Produktes versteht, wobei ihm bekannt sei, dass die Neutralität sowohl durch Vermeidung als auch durch Kompensationsmaßnahmen (z.B. Zertifikatehandel) erreicht werden könne.

Das gelte schon deshalb, weil dem Verbraucher bekannt sei, dass auch Waren und Dienstleistungen als klimaneutral beworben werden, die – wie beispielsweise Flugreisen – nicht emissionsfrei erbracht werden können und bei denen Klimaneutralität daher nur durch Kompensationszahlungen möglich sei. Ob sich der Begriff der "Klimaneutralität" auf ein Unternehmen als Ganzes oder nur auf ein konkretes Produkt beziehe, sei dabei unerheblich. Die Werbung beider Herstellerfirmen sei daher jeweils für sich allein genommen nicht irreführend.

Ein Unterlassungsanspruch könne sich im Einzelfall gleichwohl dann ergeben, wenn der Werbende seine Informationspflicht verletzt habe, indem er dem Verbraucher eine wesentliche Information vorenthalten habe. Auf welche Weise die Klimaneutralität eines beworbenen Produktes erreicht werde, stelle eine solche wesentliche Information dar, weil der Klimaschutz für Verbraucher ein zunehmend wichtiges, nicht nur die Nachrichten, sondern auch den Alltag bestimmendes Thema sei und daher erheblichen Einfluss auf eine Kaufentscheidung haben könne.

Gerade weil der Verbraucher wisse, dass eine ausgeglichene Klimabilanz auch durch Kompensationszahlungen erreicht werden könne, bestehe ein Interesse an der Aufklärung über die grundlegenden Umstände der von einem Unternehmen beanspruchten Klimaneutralität.

Während im Falle der Konfitürenherstellerin (I-20 U 72/22) weder ihre Werbeanzeige in einer Zeitschrift für Lebensmittel noch die Produktverpackung einen Hinweis darauf enthalten hätten, wie es zur beworbenen Klimaneutralität komme, habe der Fruchtgummihersteller (I-20 U 152/22) die erforderlichen Informationen in ausreichender Weise zur Verfügung gestellt, da der Leser seiner Anzeige in der Zeitschrift für Lebensmittel über den darin enthaltenen QR-Code die Webseite von "ClimatePartner.com" aufsuchen könne, der die erforderlichen Angaben entnommen werden könnten.

Dies sei zur Information des Verbrauchers ausreichend, da es in einer Zeitungsanzeige letztlich am Platz dafür fehle, die über die bloße Information "Klimaneutralität wird auch durch Kompensation erreicht" hinaus erforderlichen näheren Angaben zu Art und Umfang etwaiger Kompensationsleistungen aufzunehmen.

Der Senat hat daher in beiden Verfahren im Ergebnis das erstinstanzliche Urteil bestätigt. Beide Berufungsurteile sind nicht rechtskräftig, da der Senat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der streitentscheidenden Fragen die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen hat.

Quelle: Pressemitteilung des OLG Düsseldorf v. 06.07.2023

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4. VG Berlin: Exmatrikulation wegen Teilnahme an Online-Chat während einer Klausur
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Der Austausch über Prüfungsinhalte in einer Online-Chatgruppe während einer Online-Klausur stellt eine besonders schwere Täuschung dar, die zur Exmatrikulation führen kann. Das hat das Verwaltungsgericht entschieden.

Die Klägerin nahm als Studentin einer Berliner Hochschule an einer Online-Klausur teil. Nach der Klausur wurden dem Prüfer anonym per E-Mail Screenshots sowie Texte von Chat-Verläufen zugespielt. Diese zeigen die Kommunikation mehrerer Personen über Prüfungsinhalte im Zeitraum der Klausurbearbeitung.

Nachdem die Hochschule die Klägerin dazu angehört hatte, stellte sie fest, dass die Klägerin am Online-Chat teilgenommen hat und sah darin eine besonders schwere Täuschung. Entsprechend wurde die Klausur der Klägerin als „endgültig nicht bestanden“ bewertet und die Klägerin exmatrikuliert.

Die dagegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Der Behauptung der Klägerin, die Screenshots und die Texte des Chats seien gefälscht, die Hochschule selbst habe die Chatgruppe eingerichtet, folgte das Gericht nicht. Es sei fernliegend, dass die Hochschule den Chat selbst konstruiert habe. Es erscheine plausibel, dass der Übermittler der Chatprotokolle aus Angst vor Repressalien der Kommillitonen anonym habe bleiben wollen.

Entgegen der Darstellung der Klägerin könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass jemand aus politischen Motiven den Chat produziert habe, um der Klägerin zu schaden. Dagegen spreche bereits der enorme zeitliche und intellektuelle Aufwand, dessen es bedürfe, um den ca. 1000 Zeilen umfassenden Chat nebst Schreibfehlern zu produzieren und die lebhafte, fortlaufend aufeinander bezogene Kommunikation abzubilden. Überdies sei die Annahme der Klägerin unzutreffend, wonach die Inhalte des Chats ohnehin sinnlos seien und lediglich „allgemeines Gemurmel“ darstellten.

Denn der Chat habe sich detailliert mit der Aufgabenstellung der Klausur befasst und es seien Lösungsvorschläge untereinander diskutiert worden.

Schließlich ist es dem Urteil des Gerichts zufolge nicht zu beanstanden, dass Folge der Täuschung die Exmatrikulation ist. Bei der Bemessung der Sanktion habe die Hochschule berücksichtigen dürfen, dass die Maßnahme auch generalpräventive Wirkung habe. Das sei mit Blick auf die Vielzahl der bei Online-Klausuren vorgenommenen Täuschungshandlungen gerechtfertigt.

Gegen das Urteil ist der Antrag auf Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg möglich.

Urteil der 12. Kammer vom 6. Juni 2023 (VG 12 K 430/21)

Quelle: Pressemitteilung des VG Berlin v. 05.07.2023

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5. VG Berlin: Bundesfinanzministerium muss Fragen zum Grußwort des Ministers Lindner für eine Bank beantworten
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Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist verpflichtet, der Presse bestimmte Fragen zu einem Videogrußwort des Bundesministers der Finanzen für eine Bank, bei der er zu ähnlicher Zeit einen privaten Immobilienkredit aufnahm, zu beantworten. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin aufgrund des nach wie vor besonders hohen öffentlichen Interesses an diesem Thema in einem Eilverfahren entschieden.

Der Antragsteller, ein Redakteur einer Tageszeitung, hatte dem BMF neun Fragen zu den Vorgängen rund um das im Mai 2022 erstellte Videogrußwort für die Bank und den privaten Verbindungen des Ministers zu dieser Bank und weiteren Unternehmen gestellt. Er stützt sich auf die Pressefreiheit, die ihm einen Anspruch auf Auskunft gegenüber Bundesbehörden wie dem BMF gewähre.

Das Gericht gab dem Antrag in Bezug auf vier Fragen statt. Das BMF müsse etwa Auskunft zu der Frage geben, ob der Minister seine private Kreditaufnahme gegenüber den für die Videoproduktion des Grußworts verantwortlichen Mitarbeitern vor der Veröffentlichung im Magazin „Der Spiegel“ im Oktober 2022 dargelegt habe.

Diese Frage sei nicht durch den Hinweis des BMF darauf beantwortet worden, dass sich aus den für den Minister geltenden Compliance-Regeln keine Pflicht zur Anzeige privater Kreditverbindungen ergebe. Denn daraus folge nicht zwingend, dass es im BMF keine dienstlichen Informationen zu der betreffenden Kreditaufnahme gebe. Das BMF müsse auch Fragen zu Anfragen privatwirtschaftlicher Unternehmen nach Grußworten oder Reden insbesondere in den Monaten April und Mai 2022 beantworten.

Dem stünden keine schutzwürdigen Interessen Privater entgegen, weil Unternehmen mit öffentlicher Aufmerksamkeit für ihre Anfragen rechnen müssten, wenn sie einen Minister um ein Grußwort bäten.

Hinsichtlich fünf weiterer Fragen lehnte das Gericht den Eilantrag dagegen ab. Insbesondere müsse keine Auskunft zu sonstigen privaten Geschäftsbeziehungen des Ministers erteilt werden. Diese seien nicht dienstlich geprägt, sondern privat.

Allein der Umstand, dass ein Minister in dieser Funktion möglicherweise ministerielle Grußworte für private Unternehmen erstellt hat, mit denen ihn eine private Geschäftsbeziehung verbindet oder verbunden hat, rechtfertige nicht die Annahme, er habe seine privaten Belange mit dienstlichem Handeln verquickt.

Gegen den Beschluss kann Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt werden.

Beschluss der 27. Kammer vom 26. Juni 2023 (VG 27 L 28/23)

Quelle: Pressemitteilung des VG Berlin v. 03.07.2023

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6. LG Frankfurt a.M.: Persönlichkeitsrechte von Transfrauen im Online-Bereich
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Die Pressekammer des Landgerichts Frankfurt am Main hat heute in drei Urteilen über Persönlichkeitsrechtsverletzungen von transsexuellen Frauen entschieden. Die Transfrauen waren jeweils gegen verschiedene Äußerungen auf sozialen Netzwerken oder in journalistischen Beiträgen vorgegangen.

Das Gericht stellte klar: Eine Persönlichkeitsrechtsverletzung liegt vor, wenn nach umfassender Würdigung unter Berücksichtigung des Gesamtkontextes der Äußerung der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Transfrau gegenüber dem Recht auf Meinungsäußerung der Presse oder des Netzwerknutzers überwiegt. In seinen heutigen Entscheidungen hat die Pressekammer eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts teilweise verneint und teilweise bejaht.

Die Vorsitzende der Pressekammer erklärte in der mündlichen Urteilsbegründung: „Die geschlechtliche Identität ist Teil der zu achtenden Persönlichkeit eines Menschen. Jedoch ist nicht jede darauf bezogene, abwertende Äußerung per se unzulässig.“

„#DubistEinMann“, Aktenzeichen 2-03 O 228/23

In diesem Verfahren hatte die Antragstellerin, Transfrau und Aktivistin für trans Rechte, auf Twitter um Unterstützung für das sog. Selbstbestimmungsgesetz geworben. Dazu veröffentlichte die Antragsgegnerin einen Kommentar mit dem Zusatz: „#DubistEinMann“.

Der Eilantrag der Antragstellerin gegen diesen Kommentar wurde heute zurückgewiesen.

Die Pressekammer erkannte darin eine Meinungsäußerung, weil der wertende Charakter im Vordergrund stehe.

Eine ablehnende, polarisierende Haltung zum Einsatz für das Selbstbestimmungsgesetz und zur Transgeschlechtlichkeit im Allgemeinen werde daraus deutlich.

„#DubistEinMann“ beinhalte aber weder eine Schmähkritik noch eine Beleidigung. Bei der Abwägung der Meinungsfreiheit der Nutzerin gegenüber dem Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin sei zu berücksichtigen, dass der Kommentar im Kontext der gesellschaftlichen Auseinandersetzung über den Entwurf für ein sog. Selbstbestimmungsgesetzes erfolgt sei.

Das Hashtag-Zeichen verdeutliche das, denn es werde auf Twitter verwendet, um unter einem Schlagwort Diskussionen zu eröffnen. „#DubistEinMann“ sei auch bereits zuvor auf Twitter genutzt worden. Obwohl das Wort „du“ die betroffenen transsexuellen Personen in besonders herausfordernder Form personalisiere, beziehe es sich hier nicht auf eine bestimmte, individuelle Person. Die Verwendung dieses Hashtags sei eine zulässige Meinungsäußerung im Rahmen der öffentlichen Diskussion.

„Totalitär tickende Transe zieht den Schwanz ein“, Aktenzeichen 2-03 O 204/23

Die transsexuelle Antragstellerin dieses Verfahrens trägt im Personenstandsregister den Eintrag „weiblich“ und lebt seit 40 Jahren als Frau. Sie war gerichtlich gegen eine Äußerung des Antragsgegners vorgegangen, hatte jedoch später auf etwaige Unterlassungsansprüche verzichtet.

Daraufhin veröffentlichte dieser auf seinem Blog einen Artikel mit der Überschrift „Versuchte Abmahnung gegen Ansage: Totalitär tickende Transe zieht den Schwanz ein.“

Dem Eilantrag auf Unterlassung dieser Äußerung hatte die Pressekammer im April 2023 entsprochen. Ein dagegen gerichteter Widerspruch des Antragsgegners blieb heute ohne Erfolg.

Das Gericht erklärte: Eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Antragstellerin liege vor, wenngleich auch hier die Grenze der Schmähkritik noch nicht überschritten worden sei. Der Begriff „Transe“ sei umgangssprachlich abwertend und kein bloßes – vermeintlich neutrales – Kurzwort für eine transsexuelle Person. Die herabwürdigende Intention der Äußerung werde durch das Attribut „totalitär tickend“ verstärkt.

Die Aussagekomponente „zieht den Schwanz ein“ stelle außerdem unmissverständlich eine Assoziation zum männlichen Geschlechtsteil her und richte den Fokus auf die Frage seines (Nicht-)Vorhandenseins bei der Klägerin. Diese Hervorhebung habe keinen Sachbezug zu der vorangegangenen rechtlichen Auseinandersetzung zwischen den Parteien. Bei einer Gesamtwürdigung sei die Äußerung unzulässig.

„Transfrau (…) biologischer Mann (…) über 60-jähriger Mann“, Aktenzeichen 2-03 O 149/23

Zwischen der Antragstellerin dieses Verfahrens und der Transfrau des zuvor genannten Rechtstreits (2-03 O 204/23) besteht Personenidentität.

Es ist bekannt, dass sie seit 40 Jahren als Frau lebt, ausschließlich einen weiblichen Vornamen nutzt, sich als Frau identifiziert und als solche angesprochen werden möchte.

Auf dem Onlineportal der Antragsgegnerseite wurde im Februar 2023 ein Artikel veröffentlicht, in dem kritisiert wurde, dass eine gemeinnützige Stiftung die Antragstellerin in einem Rechtsstreit gegen eine junge Biologin finanziell unterstützt hatte. Diese hatte geäußert, es gebe biologisch (nur) zwei Geschlechter. In dem Artikel wurde die Antragstellerin zunächst als „Transfrau“ bezeichnet, später als „biologischer Mann“ und schlussendlich als „über 60-jähriger Mann, der (…) maßgeblich an dem Frauenhass beteiligt ist“, dem die Biologin seit Monaten ausgesetzt sei.

Einem Eilantrag der Antragstellerin, sie nicht wie in diesem Artikel geschehen als „Mann“ zu bezeichnen, hatte die Pressekammer im März 2023 stattgegeben. Diese Entscheidung hat das Gericht heute bestätigt.

Die Pressekammer stellte klar: Im Rahmen der freien Rede sei eine scharfe, aggressive Sprache prinzipiell erlaubt.

Auch sei sowohl eine Kritik an der Antragstellerin als auch an der finanziellen Unterstützung durch die gemeinnützige Stiftung zulässig. Die hier angegriffene Äußerung „über 60-jähriger Mann“ könne im Gesamtkontext aber nicht als bloße neutrale Feststellung des biologischen Geschlechts der Antragstellerin verstanden werden. Die Wortwahl sei vielmehr ein bewusstes Stilmittel, um einen plakativen Kontrast zu der jungen, weiblichen Biologin herzustellen und die klagende Transfrau als frauenhassenden Mann zu beschreiben.

Dies obwohl die Antragstellerin seit 40 Jahren erkennbar als Frau lebe. Im Gesamtkontext der getätigten Äußerung sei die Bezeichnung als „Mann“ daher bewusst verunglimpfend und persönlichkeitsrechtsverletzend. Die Urteile sind nicht rechtskräftig. Gegen sie kann innerhalb eines Monats Berufung bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main eingelegt werden.

Quelle: Pressemitteilung des LG Frankfurt a.M. v. 06.07.2023

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7. LG Flensburg: Online-Dating-Portal darf nicht Fake-Agents einsetzen
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Ein Online-Dating-Portal darf in seinen AGB nicht darauf hinweisen, dass ein Chat-Partner möglicherweise ein professionell eingesetzter Call-Agent ist (LG Flensburg, Urt. v. 28.10.2022 - Az.: 8 O 29/22).

Die Beklagte betrieb im Internet eine Kommunikationsplattform für Dating und bot ihre Leistungen u.a. auch kostenpflichtig an.

In den AGB räumte sich die Firma die Möglichkeit ein, dass sie professionelle Call-Agents als vermeintliche Nutzer einsetzen durfte:

"... dass im Chat durch das Unternehmen beschäftigte Controller/Controllerrinnen eingesetzt werden und tätig sind, die unter mehreren Identitäten am Chat teilnehmen.

Insbesondere Dialoge mit anderen Teilnehmern führen.
Diese sind nicht ausdrücklich als Controller/Controllerinnen gekennzeichnet oder wahrnehmbar, sondern über Scheinaccounts/-Profile im Chat tätig. Es ist also möglich, dass ein externer angemeldeter Teilnehmer Dialoge mit einem für das Unternehmen tätigen Controller bzw. einer für das Unternehmen tätigen Controllerin führt, ohne dass dieser/diese sich als solcher/solche zu erkennen gibt. 

Der Einsatz von für das Unternehmen tätigen Controllern bzw. Controllerrinnen dient insbesondere dazu, eine Austauschmöglichkeit auch bei einem ggf. temporären Mangel an sonstigen (externen) Teilnehmern zu gewährleisten und die Einhaltung der Teilnehmerpflichten zu überwachen. In diesem Zusammenhang wird auch darauf hingewiesen, dass die den einzelnen Profilen zugeordneten Personen Abbildungen nicht zwingend mit der tatsächlich hinter dem Profil stehenden natürlichen Person übereinstimmen. Insbesondere und auch gilt dies für die vom Unternehmen eingesetzten Controller/Controllerrinnen, die unter verschiedenen Profilen/Identitäten (m/w) tätig sein können.“"


Dies bewertete das LG Flensburg als wettbewerbswidrig.

Der Kunde erwarte, dass er auf der Plattform reale Personen treffe, die ihn ein persönliches Interesse hätte, sich persönlich kennenzulernen.

Dieser Vertragszweck werde durch die AGB-Klausel erheblich beeinträchtigt. Der Verbraucher werde hierdurch unangemessen benachteiligt:

"Die Klausel, dass die Beklagte bei ihr beschäftigte Controller oder Controllerinnen einsetzen darf, die mit fiktiven Profilen an der Kommunikation mit den Nutzern teilnehmen, gefährdet den Vertragszweck, § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB.

Eine Kommunikation mit Controllern kann den beworbenen und von den Nutzern angestrebten Erfolg, einen anderen Menschen persönlich kennenzulernen, nicht erreichen.

Die Geschäftsbedingungen erlauben es der Beklagten, Nutzer zum Zwecke der Kommunikation an von der Beklagten beschäftigte Controller / Controllerinnen zu vermitteln, die mit Scheinprofilen und unter mehreren Identitäten auftreten können. Professionelle Chatpartner haben indessen kein Interesse daran, ihre wahren Motive und ihre Persönlichkeit zu offenbaren, was Voraussetzung für ein Kennenlernen ist. Mit der Anlage von Scheinprofilen soll die wahre Identität des Controllers vor dem Nutzer geheim werden, was bei Aufrechterhaltung dieser Anonymität durch den Controller - was der Regelfall sein dürfte - ein Kennenlernen unmöglich macht."


Auch sei die Bestimmung nicht hinreichend transparent, denn sie lasse offen, wann und wie häufig überhaupt Controller eingesetzt würden:
"Die Klausel lässt den Nutzer im Unklaren, wann und wie oft ein Controller oder eine Controllerin eingesetzt wird.

Der Nutzer muss die gekauften Flirtchips einsetzen, bevor er erkennen kann, ob er mit einem Nutzer bzw. einer Nutzerin oder einem Controller bzw. einer Controllerin kommuniziert.

Der Nutzer hat aber ein Interesse daran, zu erfahren, ob er mit einem „echten“ Nutzer oder mit einem Controller kommuniziert.

Die Kommunikation mit einem Controller wird in der Regel nicht zu einem weitergehenden persönlichen Kontakt führen, weil der Controller hieran kein Interesse hat. Der Controller chattet, weil er hierfür ein Entgelt erhält. Er und die Beklagte haben ein Interesse daran, dass die Nutzer möglichst häufig und möglichst lange chatten, weil mit der Häufigkeit und der Dauer der Kommunikation sich auch die Zahl der hierzu benötigten Flirtchips erhöht, die der Nutzer von der Beklagten erwerben muss, um an der Kommunikation teilnehmen zu können.

Da die Controller mit fiktiven Profilen an den Chats teilnehmen und sich nicht als solche offenbaren müssen, kann der Nutzer zunächst nicht erkennen, dass der Controller  ausschließlich aus monetären Gründen an häufigen Chatkontakten interessiert ist und kein ideelles Interesse verfolgt.

Damit wird der Nutzer über das Interesse des anderen Teilnehmers am Chat getäuscht. Das Vorenthalten der Information, dass es sich bei dem anderen Chatteilnehmer um einen Controller mit einem fiktiven Profil handelt, berührt auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Persönlichkeitsrecht des Nutzers, aus dem auch das Recht des Nutzers abgeleitet wird, selbst zu entscheiden, mit welchen anderen Nutzern er in Kontakt treten möchte (...)."



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8. LG Hamburg: Spieler hat gegen stationären Sportwetten-Anbieter Rückzahlungsanspruch, wenn dieser Spielersperre missachtet
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Ein Spieler hat gegen einen Sportwetten-Anbieter einen Rückzahlungsanspruch, wenn dieser keinen Abgleich mit dem Spielersperrsystem OASIS vornimmt und daher eine Selbstsperre missachtet (LG Hamburg, Urt. v. 12.04.2023 - Az.: 304 O 162/22).

Der Kläger war glücksspielsüchtig und hatte sich in der Vergangenheit sperren lassen.

Die Beklagte betrieb lokale Wettannahmestellen und vermittelte dort private Sportwetten. Ein Abgleich mit dem offiziellen Sperrsystem OASIS, in dem die Selbstsperren von Spielern eingetragen sind, erfolgte nicht.

Der Kläger spielte in den Räumlichkeiten der Beklagten und erlitt einen Verlust von rund 6.000,- EUR.

Diesen verlangte er nun ersetzt.

Zu Recht, wie das LG Hamburg nun entschied.

"Aus § 8 Abs. 1 GlüStV 2021 geht (...) hervor, dass zum Schutz der Spieler und zur Bekämpfung der Glücksspielsucht ein zentrales Sperrsystem zu unterhalten ist, gem. § 8 Abs. 2 S. 1 GlüStV 2021 dürfen gesperrte Spieler nicht an öffentlichen Glücksspielen teilnehmen. Die Norm dient somit auch den Schutz des Einzelnen. (...)

Dieses Schutzgesetz wurde durch die Beklagte verletzt. Schließlich dürfen gem. § 8 Abs. 2 S. 1 GlüStV 2021 gesperrte Spieler nicht am öffentlichen Glücksspiel teilnehmen. Veranstalter und Vermittler von Glücksspielen, an denen gesperrte Spieler nicht teilnehmen dürfen, sind zudem gem. § 8 Abs. 3 S. 1 GlüStV 2021 verpflichtet, spielwillige Personen durch Kontrolle eines amtlichen Ausweises oder einer vergleichbaren Identitätskontrolle zu identifizieren und einen Abgleich mit der Sperrdatei gem. § 23 GlüStV 2021 vorzunehmen.

Diesen Pflichten kam die Beklagte nicht nach.

Die Beklagte, die als Vermittlerin von Glücksspiel in ihren Wettbüros auftrifft, ist dabei zunächst als Wettvermittlungsstelle nach § 3 Abs. 6 GlüStV 2021 zu qualifizieren. Wie zwischen den Parteien unstreitig ist, führte die Beklagte keinerlei Kontrolle hinsichtlich gesperrter Spieler durch und ermöglichte diesen so die Teilnahme an Glücksspielen, an denen gesperrte Spieler nicht teilnehmen dürfen."


Und weiter:
"Diese Pflicht ist auch nicht durch den Umstand, dass die Beklagte zumindest zum streitgegenständlichen Zeitraum nicht auf das Spielersperrsystem OASIS zugreifen konnte, entfallen.

Dabei sieht die Kammer, dass die Umsetzung der Regulierung des Glücksspielmarktes durch staatliche Stellen für die Beklagte zu großer Unzufriedenheit führte. Dies vermag die Schutzpflichten aus § 8 GlüStV 2021 indes nicht entfallen lassen.

Schließlich obliegt es einzig und allein der Beklagten, als Betreiberin von Wettbüros den ihr obliegenden Verpflichtungen aus dem GlüStV 2021, die u.a. das Entstehen von Glückspielsucht und Wettsucht verhindern und die Voraussetzungen für eine wirksame Suchtbekämpfung schaffen sollen (§ 1 S. 1 Nr. 1 GlüStV 2021), nachzukommen.

Es ist zudem einzig und allein der Risikosphäre der Beklagten zuzuordnen, über keine Genehmigung zu verfügen und in der Folge auch nicht auf das Sperrsystem OASIS zugreifen zu können. Andererseits würde das Genehmigungserfordernis auch völlig leerlaufen.

Zudem ist zu beachten, dass § 8 Abs. 2 S. 1 GlüStV 2021 lediglich auf das Bestehen einer Spielsperre abstellt. Daher kann offen bleiben, ob der Kläger den Nachweis einer krankhaften Spielsucht geführt hat."



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9. LG Tübingen: Wann eine Cyber-Versicherung für Hacker-Angriffe haften muss
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Das LG Tübingen (Urt. v. 26.05.2023 - Az.: 4 O 193/21) hatte die Frage zu beantworten, wann eine Cyber-Versicherung für einen Hacker-Angriff haften muss.

Es ging um eine Schadenssumme von 3,7 Mio. EUR, die das klägerische Unternehmen von seiner Versicherung aus einem Cyber-Versicherungsvertrag verlangte. Zugesprochen wurden der Firma rund 2,85 Mio. EUR.

 Die amtlichen Leitsätze lauten:

"1. Gelingt es, dass bei einem sog. "Pass-the-Hash"-Cyber-Angriff unter Ausnutzung einer bekannten Schwachstelle des Betriebssystems von Microsoft Administratorenrechte für alle Server des geschädigten Unternehmens erbeutet werden, lässt der Umstand, dass nicht alle Server mit den aktuellen Sicherheits-Updates ausgestattet waren, einen Leistungsanspruch gegen den Versicherer unberührt, weil eine mögliche Verletzung einer diesbezüglichen Anzeigeobliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht ursächlich ist, es sei denn, der Versicherungsnehmer hat arglistig gehandelt.

2. Der Anwendungsbereich von § 81 Abs. 2 VVG ist dann nicht eröffnet, wenn die betreffende Gefahrenlage - hier: fehlende Sicherheitsmaßnahmen zur Vermeidung eines Cyber-Angriffs, die über den Einsatz einer Firewall und eines Anti-Viren-Scanners hinausgehen - bereits bei Vertragsschluss bestand und Grundlage der Risikoprüfung des Versicherers war bzw. hätte sein können."



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10. Europäische Kommission erlässt neuen Angemessenheitsbeschluss für Datenverkehr mit USA
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Wie die Europäische Kommission in einer Pressemitteilung erklärt, hat sie am 10.07.2023 einen neuen Angemessenheitsbeschluss für einen sicheren und vertrauenswürdigen Datenverkehr zwischen der EU und den USA erlassen.

Grundlage hierfür ist das Trans-Atlantic Data Privacy Framework :

"In dem Beschluss wird festgelegt, dass die Vereinigten Staaten ein angemessenes Schutzniveau – vergleichbar mit dem der Europäischen Union – für personenbezogene Daten gewährleisten, die innerhalb des neuen Rahmens aus der EU an US-Unternehmen übermittelt werden. Auf der Grundlage des neuen Angemessenheitsbeschlusses können personenbezogene Daten sicher aus der EU an US-Unternehmen übermittelt werden, die am Rahmen teilnehmen, ohne dass zusätzliche Datenschutzgarantien eingeführt werden müssen.

Mit dem Datenschutzrahmen EU-USA werden neue verbindliche Garantien eingeführt, um allen vom Europäischen Gerichtshof geäußerten Bedenken Rechnung zu tragen; so ist vorgesehen, dass der Zugang von US-Nachrichtendiensten zu EU-Daten auf ein notwendiges und verhältnismäßiges Maß beschränkt ist und ein Gericht zur Datenschutzüberprüfung (Data Protection Review Court, DPRC) geschaffen wird, zu dem Einzelpersonen in der EU Zugang haben. Der neue Rahmen bringt erhebliche Verbesserungen gegenüber dem im Rahmen des Datenschutzschilds bestehenden Mechanismus mit sich.

Stellt das Gericht zur Datenschutzüberprüfung beispielsweise fest, dass bei der Datenerhebung gegen die neuen Garantien verstoßen wurde, kann es die Löschung der Daten anordnen. Die neuen Garantien im Bereich des staatlichen Zugriffs auf Daten werden die Pflichten ergänzen, denen US-Unternehmen, die Daten aus der EU einführen, nachkommen müssen."


Und weiter:
"US-Unternehmen können sich dem Datenschutzrahmen EU-USA anschließen, indem sie sich zur Einhaltung detaillierter Datenschutzpflichten verpflichten, darunter beispielsweise die Pflichten, personenbezogene Daten zu löschen, wenn sie für den Zweck, für den sie erhoben wurden, nicht mehr erforderlich sind, und den Fortbestand des Schutzes zu gewährleisten, wenn personenbezogene Daten an Dritte weitergegeben werden. (...)

Darüber hinaus sieht der US-Rechtsrahmen bestimmte Garantien in Bezug auf den Zugang von US-Behörden zu innerhalb des Rahmens übermittelten Daten vor, insbesondere für Datenzugriffe zum Zwecke der Strafverfolgung und der nationalen Sicherheit. Der Zugang zu Daten ist auf das zum Schutz der nationalen Sicherheit notwendige und verhältnismäßige Maß beschränkt."


Anmerkung von RA Dr. Bahr:
Damit ist formal ein Datenaustausch mit den USA ab sofort (theoretisch) wieder möglich, weil der Angemessenheitsbeschluss sofort Wirkung entfaltet. Die US-Unternehmen müssen sich nur zur Einhaltung der neuen Datenschutz-Regelungen verpflichten und entsprechend dem Abkommen beitreten.

Das Abkommen und der Angemessenheitsbeschluss haben von Seiten der Datenschützer massive Kritik erfahren, da aus ihrer Sicht auch weiterhin keine Datensicherheit bestünde. Es ist daher nur eine Frage der Zeit, bis der EuGH zur Klärung dieser Frage angerufen werden wird.