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Newsletter vom 14.07.2021
Betreff: Rechts-Newsletter 28. KW / 2021: Kanzlei Dr. Bahr


1. EuG: Geräusch beim Öffnen einer Getränkedose nicht als Hörmarke markenrechtlich schutzfähig

2. BGH: Datenschutzrechtlicher Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO ist extrem weit auszulegen

3. BGH: Kein Wertersatz trotz ordnungsgemäßer Verwendung der fernabsatzrechtlichen Muster-Widerrufsbelehrung

4. BVerwG: Bundesnachrichtendienst muss Presse Auskünfte zu sog. Kennenlernterminen erteilen

5. OLG Stuttgart: Recht auf Online-Durchsuchung (§ 100b StPO) verpflichtet Webhoster nicht zur Herausgabe der Server-Daten

6. LG Bamberg: Irreführende Nährwertangaben durch bloße Sternchen-Angaben bei Quarkriegel

7. VG Frankfurt a.M.: BaFin durfte Flatex Negativzinsen nicht untersagen

8. LAG Kiel: Gendersternchen ist keine Diskriminierung

9. LAG Stuttgart: Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO setzt kein besonderes Rechtsschutzbedürfnis voraus

10. LG Wiesbaden: DSGVO-Vereinbarkeit des Code of Conduct der Wirtschaftsauskunfteien

Die einzelnen News:

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1. EuG: Geräusch beim Öffnen einer Getränkedose nicht als Hörmarke markenrechtlich schutzfähig
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Eine Audiodatei, die den Klang enthält, der beim Öffnen einer Getränkedose entsteht, gefolgt von Geräuschlosigkeit und einem Prickeln, kann nicht als Marke für verschiedene Getränke und Behälter aus Metall für Lagerung und Transport eingetragen werden, da sie nicht unterscheidungskräftig ist Die Ardagh Metal Beverage Holdings GmbH & Co. KG meldete beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) ein Hörzeichen als Unionsmarke an.

Dieses mittels Audiodatei dargestellte Zeichen erinnert an den Klang, der beim Öffnen einer Getränkedose entsteht, gefolgt von etwa einer Sekunde ohne Geräusch und einem Prickeln von etwa neun Sekunden. Die Eintragung wurde für verschiedene Getränke und Behälter aus Metall für Lagerung und Transport beantragt.

Das EUIPO wies diese Anmeldung zurück und begründete dies mit der fehlenden Unterscheidungskraft der angemeldeten Marke.

In seinem Urteil weist das Gericht der Europäischen Union die Klage der Ardagh Metal Beverage Holdings ab und äußert sich erstmals zur Eintragung einer im Audioformat dargestellten Hörmarke. Es erläutert die Kriterien für die Beurteilung der Unterscheidungskraft von Hörmarken und die Wahrnehmung dieser Marken im Allgemeinen durch die Verbraucher.

Würdigung durch das Gericht
Zunächst weist das Gericht darauf hin, dass die Kriterien für die Beurteilung der Unterscheidungskraft von Hörmarken keine anderen sind als die für die übrigen Markenkategorien geltenden, und ein Hörzeichen über eine gewisse Resonanz verfügen muss, anhand deren der angesprochene Verbraucher es als Marke und nicht bloß als funktionalen Bestandteil oder als Indikator ohne wesenseigene Merkmale erkennen kann.

Der Verbraucher der in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen muss somit durch die bloße Wahrnehmung der Marke, ohne dass diese mit anderen Elementen wie insbesondere Wort- oder Bildelementen oder gar einer anderen Marke kombiniert ist, in der Lage sein, die Verbindung zu ihrer betrieblichen Herkunft herzustellen.

Soweit das EUIPO die Rechtsprechung  analog angewandt hat, nach der nur eine Marke, die erheblich von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweicht, auch Unterscheidungskraft besitzt, weist das Gericht sodann darauf hin, dass diese Rechtsprechung im Hinblick auf dreidimensionale Marken entwickelt worden ist, die aus der Form der Ware selbst oder ihrer Verpackung bestehen, obwohl es eine Norm oder Branchenüblichkeit in Bezug auf diese Form gibt. 

Allerdings wird in diesem Fall der betroffene Verbraucher, der gewohnt ist, eine oder mehrere Formen zu sehen, die der Norm oder der Branchenüblichkeit entsprechen, die dreidimensionale Marke nicht als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der Waren wahrnehmen, wenn ihre Form mit der oder den üblichen Formen identisch oder ihr ähnlich ist. Diese Rechtsprechung stellt keine neuen Kriterien für die Beurteilung der Unterscheidungskraft einer Marke auf, sondern stellt lediglich klar, dass bei der Anwendung dieser Kriterien die Wahrnehmung des Durchschnittsverbrauchers im Fall einer dreidimensionalen Marke nicht notwendig die gleiche ist wie im Fall einer Wort-, Bild- oder Hörmarke, die aus einem Zeichen besteht, das vom Erscheinungsbild oder der Form der Waren unabhängig ist. 

Folglich kann diese zu dreidimensionalen Marken ergangene Rechtsprechung grundsätzlich nicht auf Hörmarken angewandt werden. Obwohl das EUIPO diese Rechtsprechung zu Unrecht angewandt hat, stellt das Gericht jedoch fest, dass dieser Fehler nicht geeignet ist, die in der angefochtenen Entscheidung angestellten Erwägungen fehlerhaft erscheinen zu lassen, da diese auch auf einen anderen Grund gestützt ist.

Zu diesem anderen Grund, der auf der Wahrnehmung der angemeldeten Marke durch die maßgeblichen Verkehrskreise als funktionelles Element der in Rede stehenden Waren beruht, führt das Gericht zum einen aus, dass der Klang, der beim Öffnen einer Dose entsteht, in Anbetracht der Art der Waren tatsächlich als ein rein technisches und funktionelles Element angesehen werden wird.

Das Öffnen einer Dose oder Flasche ist nämlich einer technischen Lösung im Rahmen des Umgangs mit Getränken zum Zwecke ihres Verzehrs inhärent, so dass dieser Klang nicht als ein Hinweis auf die betriebliche Herkunft dieser Waren wahrgenommen werden wird. Zum anderen verbinden die maßgeblichen Verkehrskreise den Klang des Prickelns von Perlen unmittelbar mit Getränken.

Ferner weisen die Klangelemente und die etwa eine Sekunde dauernde Geräuschlosigkeit in ihrer Gesamtheit betrachtet kein wesentliches Merkmal auf, das ermöglicht, von diesen Verkehrskreisen als Hinweis auf die betriebliche Herkunft von Waren wahrgenommen zu werden. Diese Elemente sind nicht prägnant genug, um sich von vergleichbaren Klängen auf dem Gebiet der Getränke zu unterscheiden. Folglich bestätigt das Gericht das Ergebnis des EUIPO in Bezug auf die fehlende Unterscheidungskraft der angemeldeten Marke.

Schließlich weist das Gericht die Feststellung des EUIPO zurück, dass es auf den Märkten der Getränke und Getränkeverpackungen unüblich sei, ausschließlich mit Hilfe von Klängen den kommerziellen Ursprung eines Produkts zu signalisieren, da diese Waren bis zu ihrem Verzehr geräuschlos seien.

Die meisten Waren sind nämlich an sich geräuschlos und erzeugen nur dann einen Klang, wenn sie konsumiert werden. Die bloße Tatsache, dass ein Klang nur beim Verzehr zu hören ist, bedeutet daher nicht, dass die Verwendung von Klängen zur Kennzeichnung der betrieblichen Herkunft eines Produkts auf einem bestimmten Markt noch unüblich ist. Jedoch führt ein etwaiger Fehler des EUIPO in dieser Hinsicht nicht zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, da er keinen entscheidenden Einfluss auf den verfügenden Teil der angefochtenen Entscheidung hatte.

Urteil in der Rechtssache T-668/19 Ardagh Metal Beverage Holdings / EUIPO

Quelle: Pressemitteilung des EuG v. 07.07.2021
 

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2. BGH: Datenschutzrechtlicher Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO ist extrem weit auszulegen
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In einem Grundlagen-Urteil hat der BGH entschieden, dass der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch gem. Art. 15 DSGVO weit auszulegen ist (BGH, Urt. v. 15.06.2021 - Az.: VI ZR 576/19).

Ein Versicherungsnehmer stritt mit seiner Versicherung über den Umfang seines datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs. Zwischen den Parteien war streitig, was alles hierunter fiel.

Nun hat der BGH diese Frage geklärt und festgestellt, dass der Anwendungsbereich der Norm weit zu interpretieren ist.

Grundsätzlich führen die Richter aus:

"Gemäß Art. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 DS-GVO sind "personenbezogene Daten" alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. 

Nach dieser Definition und der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist der Begriff weit zu verstehen. Er ist nicht auf sensible oder private Informationen beschränkt, sondern umfasst potenziell alle Arten von Informationen sowohl objektiver als auch subjektiver Natur in Form von Stellungnahmen oder Beurteilungen, unter der Voraussetzung, dass es sich um Informationen über die in Rede stehende Person handelt. 

Die letztgenannte Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Information aufgrund ihres Inhalts, ihres Zwecks oder ihrer Auswirkungen mit einer bestimmten Person verknüpft ist (...). 

Soweit die Revisionserwiderung meint, Art. 15 DS-GVO sei im Hinblick auf den Begriff der "personenbezogenen Daten" teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass der Personenbezug im Rahmen von Art. 15 DS-GVO voraussetze, dass es um "signifikante biografische Informationen" gehe, die "im Vordergrund" des fraglichen Dokuments stünden (...), ist diese Auffassung mit der zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, die sich zweifelsfrei auf den Begriff der personenbezogenen Daten im Sinne des Art. 15 i.V.m. Art. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 DS-GVO übertragen lässt, ersichtlich nicht zu vereinbaren (...).

Nach Erwägungsgrund 63 Satz 1 der DS-GVO dient das Auskunftsrecht der betroffenen Person hinsichtlich der sie betreffenden personenbezogenen Daten dem Zweck, sich der Verarbeitung (...) bewusst zu sein und deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu können."

Konkret erläutern die Robenträger dann, dass sämtliche Korrespondenz, die Daten aus dem Versicherungsschein sowie interne Vermerke und interne Kommunikation unter den Begriff fallen könnten.

Hinsichtlich der Korrespondenz:

"Auch die Schreiben der Beklagten an den Kläger unterfallen dem Auskunftsanspruch insoweit, als sie Informationen über den Kläger nach den oben genannten Kriterien enthalten. Dass die Schreiben dem Kläger bereits bekannt sind, schließt für sich genommen entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts den datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch nicht aus (...).

Die Beklagte soll Auskunft darüber geben, ob sie die im Schriftverkehr enthaltenen personenbezogenen Daten aktuell verarbeitet, insbesondere speichert. Die Auskunft soll den Kläger, wie bereits dargelegt, in die Lage versetzen, sich der Datenverarbeitung bewusst zu werden und deren Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Er soll sich insbesondere vergewissern können, dass die ihn betreffenden Daten richtig sind und in zulässigerweise verarbeitet werden (...). Das etwaige Bewusstsein des Klägers, dass die fragliche Korrespondenz einst gewechselt wurde, genügt insoweit nicht."


In puncto Daten aus dem Versicherungsschein:
"Dies spricht ebenfalls gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, das Auskunftsrecht nach Art. 15 DS-GVO beschränke sich auf Daten, die dem Betroffenen noch nicht bekannt sind. Daher sind auch etwaige Zweitschriften und Nachträge zu dem Versicherungsschein, auf die sich das Auskunftsbegehren des Klägers ausweislich des Sitzungsprotokolls mit erstreckt, nicht grundsätzlich vom datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch ausgeschlossen, soweit die darin enthaltenen personenbezogenen Daten bei der Beklagten verarbeitet werden. Dementsprechend ist auch nicht ersichtlich, warum bei der Beklagten verarbeitete Daten über Prämienzahlungen des Klägers nicht grundsätzlich Gegenstand des Auskunftsanspruchs sein sollten."

Und hinsichtlich interner Vermerke und interner Kommunikation heißt es:
"Interne Vermerke oder interne Kommunikation bei der Beklagten, die Informationen über den Kläger enthalten, kommen als Gegenstand des Auskunftsanspruchs nach Art. 15 Abs. 1 DS-GVO ebenfalls grundsätzlich in Betracht.

Dies ist beispielsweise entsprechend der Beurteilung der Schreiben des Klägers bei Vermerken der Fall, die festhaften, wie sich der Kläger telefonisch oder in persönlichen Gesprächen geäußert hat (...). Auch Vermerke über den Gesundheitszustand des Klägers enthalten personenbezogene Daten.

Die Erwägung des Berufungsgerichts, es handele sich bei Vermerken um "interne Vorgänge der Beklagten", ist im Hinblick auf den Begriff der personenbezogenen Daten ohne Relevanz. Der Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 Abs. 1 DS-GVO setzt offensichtlich weder nach seinem Wortlaut noch nach Sinn und Zweck voraus, dass die fraglichen Daten extern zugänglich sind.

Soweit der Kläger Auskunft über die internen Bewertungen der Beklagten zu den Ansprüchen des Klägers aus der streitgegenständlichen Versicherungspolice verlangt, ist allerdings zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union rechtliche Analysen zwar personenbezogene Daten enthalten können, die auf der Grundlage dieser personenbezogenen Daten vorgenommene Beurteilung der Rechtslage selbst aber keine Information über den Betroffenen und damit kein personenbezogenes Datum darstellt (...).

Daten über Provisionszahlungen der Beklagten an Dritte haben nach den vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Kriterien ebenfalls keinen Bezug zur Person des Klägers, Sein nach dem Vorbringen der Revision auch hierauf gerichtetes Auskunftsbegehren kann der Kläger daher nicht auf die DS-GVO stützen."



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3. BGH: Kein Wertersatz trotz ordnungsgemäßer Verwendung der fernabsatzrechtlichen Muster-Widerrufsbelehrung
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Auch bei ordnungsgemäßer Nutzung der fernabsatzrechtlichen Muster-Widerrufsbelehrung steht einem Unternehmen kein Wertersatz zu, wenn es gleichzeitig an anderer Stelle fehlerhafte oder irreführende Hinweise hierzu erteilt (BGH, Urt. v. 20.05.2021 - Az.: III ZR 126/19).

Die Klägerin war Verbraucherin und hatte bei der Beklagten, einer Online-Partnervermittlung, einen kostenpflichtigen Vertrag abgeschlossen. Laufzeit des Kontraktes waren 12 Monate zu einem Gesamtpreis iHv. 269,40 EUR. Noch vor dem Ende der Widerrufsfrist forderte die Klägerin die Beklagte auf, mit ihren Leistungen zu beginnen.

Die Beklagte belehrte die Klägerin ordnungsgemäß nach der fernabsatzrechtlichen Musterwiderrufsbelehrung. Unter einem Link "Hinweise zum Wertersatz"  war zudem ausgeführt, dass das Unternehmen den Wertersatz nach näher erläuterten Bedingungen berechne.

Wenige Zeit später widerrief die Klägerin den Vertrag und verlangte die Rückzahlung des gezahlten Gesamtpreises. Die Beklagte berief sich jedoch auf Wertersatz und zahlte von den 269,40 EUR nur einen geringen Teilbetrag (51,40 EUR) zurück.

Daraufhin die Kunden Leistungsklage auf Rückzahlung des einbehaltenen Geldes.

Zu Recht wie der BGH nun entschied.

Zwar sei die amtliche Muster-Widerrufsbelehrung ordnungsgemäß benutzt worden. Jedoch stünde dem Unternehmen gleichwohl kein Wertersatz zu, da es gleichzeitig fehlerhafte bzw. irreführende Hinweise erteilt habe:

"Die von der Beklagten verwendete Wertersatzklausel ist unwirksam, denn von den Regelungen zum Widerrufsrecht kann gemäß § 361 Abs. 2 BGB nicht zum Nachteil des Verbrauchers abgewichen werden. Dabei ist es unerheblich, dass - wie das Berufungsgericht meint - die Klausel sich auch zugunsten des Verbrauchers auswirken könnte. Maßgeblich ist, ob sie abstrakt eine Schlechterstellung des Verbrauchers ermöglicht (...) beziehungsweise ob sie sich im konkreten Fall nachteilig für den Verbraucher auswirkt (....).

 Durch die von der Beklagten verwendeten "Hinweise zum Wertersatz" wird der Verbraucher in die Irre geführt und kann von einem rechtzeitigen Widerruf abgehalten werden. Dies hat zur Folge, dass die Widerrufsbelehrung insgesamt nicht ordnungsgemäß ist, so dass die Voraussetzungen für einen Wertersatzanspruch der Beklagten (...) nicht erfüllt sind."


Unerheblich sei auch, dass die Klausel nicht direkt in der Widerrufsbelehrung enthalten waren:
"Dabei ist es (...) unerheblich, dass die Klausel nicht in der verwendeten Muster-Widerrufsbelehrung selbst enthalten war und diese mit dem Zusatz "Ende der Widerrufsbelehrung" abschloss.

Die "Hinweise zum Wertersatz" ergänzen und konkretisieren die in der Belehrung enthaltene Bezugnahme auf die Verpflichtung des Kunden, einen "angemessenen Beitrag" für die bereits erbrachten Leistungen der Beklagten zu zahlen, und sind damit als Einheit mit der Belehrung zu verstehen.

Die Hinweise waren nach den Feststellungen des Berufungsgerichts an der Stelle verortet, wo der Verbraucher mit einer solchen Information gewöhnlich rechnen darf. Inhaltlich ergänzen sie die ganz pauschal gehaltene Beschreibung der Rechtsfolgen in der Widerrufsbelehrung um die konkreten Einzelheiten, auf die es dem Verbraucher ankommt, wenn er eine informierte Entscheidung über den Widerruf treffen möchte. Ein Verbraucher, der vor einer solchen steht, wird daher nicht nur die Widerrufsbelehrung und den darin enthaltenen allgemeinen Hinweis auf eine Wertersatzpflicht, sondern auch die konkreten "Hinweise zum Wertersatz" zum Gegenstand seiner Erwägungen machen."



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4. BVerwG: Bundesnachrichtendienst muss Presse Auskünfte zu sog. Kennenlernterminen erteilen
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Journalisten können auf der Grundlage des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs der Presse aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verlangen, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) mitteilt, welche Medienvertreter aus Anlass sog. Kennenlerntermine Zugang zu seiner Liegenschaft in Berlin erhalten haben.

Demgegenüber muss der BND nicht die Namen der Medienvertreter und der von ihnen vertretenen Medien nennen, mit denen er auf deren Initiative Einzelgespräche geführt hat. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Der Kläger ist Journalist und Redakteur einer Tageszeitung. Er bat den BND um Auskunft, welchen Medienvertretern dieser Zugang zu seiner Liegenschaft in Berlin gewährt und mit welchen dieser im Jahr 2019 vertrauliche Einzelgespräche geführt hat. Ziel des Auskunftsbegehrens ist, Informationen über die Pressearbeit des BND und insbesondere über die Praxis der Einzelgespräche zu erhalten. Der BND hat vorprozessual nur einen Teil der Fragen beantwortet.

Während des Klageverfahrens hat er weitere Fragen beantwortet und unter anderem mitgeteilt, dass seit Anfang 2019 bis zur Auskunftserteilung 44 Medienvertreter um Einzelgespräche nachgesucht haben und 51 Einzelgespräche geführt worden sind.

Mit seiner Klage hat der Kläger Auskunft begehrt, welchen Medienvertretern und welchen von ihnen vertretenen Medien der BND seit dem 4. Juni 2019 an welchem Tag aus welchem Anlass Zugang zu seiner Liegenschaft in Berlin gewährt hat und welche weiteren schriftlichen Informationen dem BND zu dem jeweiligen Termin vorliegen. Zudem hat er wissen wollen, mit welchen Medienvertretern der BND an welchem Tag ein Einzelgespräch geführt hat und welche Medien diese vertreten haben.

Die Klage, über die das Bundesverwaltungsgericht in erster und letzter Instanz zu entscheiden hat, hat teilweise Erfolg gehabt. Hinsichtlich des ersten Auskunftsbegehrens hat der BND während des Klageverfahrens mitgeteilt, dass er Medienvertretern Zugang zu seiner Liegenschaft nur aus Anlass von sog. Kennenlernterminen gewährt hat. Insoweit hat der BND den Auskunftsanspruch erfüllt und die Klage war abzuweisen.

Demgegenüber hatte die Klage insoweit Erfolg, als der BND darüber Auskunft zu erteilen hat, welchen Medienvertretern er an welchem Tag zum Zwecke des Kennenlernens Zugang zu seiner Liegenschaft in Berlin gewährt hat. Dem Auskunftsinteresse stehen schutzwürdige private Interessen der betroffenen Journalisten und der von ihnen vertretenen Medien nicht entgegen.

Der Nennung ihrer Namen kann der BND nicht das Recherche- und Redaktionsgeheimnis entgegenhalten, weil die begehrten Auskünfte keinen Bezug zu einer konkreten Recherche erkennen lassen und daher keine Gefahr besteht, dass durch die Auskünfte über die Kennenlerntermine konkrete Recherchetätigkeiten aufgedeckt werden. Ebenso wenig steht das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Medienvertreter entgegen, da die Auskunft deren auf Öffentlichkeit angelegte berufliche Sphäre betrifft.

Soweit der Kläger weitere Auskünfte zu den Einzelgesprächen begehrt hat, ist die Klage erfolglos geblieben. Sollten die Namen der Medienvertreter und der von ihnen vertretenen Medien sowie das Datum der Einzelgespräche bekannt werden, bestünde die Gefahr, dass diese Informationen Rückschlüsse auf die konkreten Recherchetätigkeiten zulassen.

Diese Informationen können unter Berücksichtigung des zeitlichen Rahmens, auf den sich das Auskunftsbegehren bezieht, und unter Einbeziehung von Veröffentlichungen der jeweiligen Medienvertreter Anhaltspunkte zu deren konkreten Recherchethemen geben. Dies stellt einen Eingriff in das durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Recherche- und Redaktionsgeheimnis der betroffenen Medienvertreter und Medien dar mit der Folge, dass das ebenfalls auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG beruhende Auskunftsinteresse des Klägers im Rahmen der gebotenen Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht überwiegt.

BVerwG 6 A 10.20 - Urteil vom 08. Juli 2021

Quelle: Pressemitteilung des BVerwG v. 08.07.2021

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5. OLG Stuttgart: Recht auf Online-Durchsuchung (§ 100b StPO) verpflichtet Webhoster nicht zur Herausgabe der Server-Daten
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Das Recht der Strafverfolgungsbehörden auf Online-Durchsuchung nach § 100b StPO verpflichtet nicht das Webhosting-Unternehmen zur Herausgabe der Daten (OLG Stuttgart, Beschl. v. 19.5.2021 - Az.: 2 Ws 75/21).

Die Staatsanwaltschaft verlangte vom Webhoster die Herausgabe der auf dem Server gespeicherten Daten, da sie in einem Strafverfahren ermittelte. Sie stützte dabei ihre Befugnisse auf das Recht zur Online-Durchsuchung nach § 100b StPO.

Dies lehnten die Stuttgarter Richter ab.

§ 100b StPO berechtigte die Behörden, heimlich auf die IT-Systemen des Betroffenen zuzugreifen und dort Daten zu speichern. Die Norm verpflichtete jedoch nicht zu einer aktiven Mitwirkungshandlung des einzelnen Webhosters:

"§ 100b StPO regelt den verdeckten Zugriff der Ermittlungsbehörden auf ein vom Beschuldigten genutztes informationstechnisches System mit technischen Mitteln und sieht keine heimlich auszuübende Mitwirkungsverpflichtung eines Dritten vor. (...)

Die Gesetzesmotive (...) verdeutlichen, dass der Gesetzgeber eine Online-Durchsuchung im Sinne eines verdeckten, d.h. heimlichen, staatlichen Zugriffs auf ein fremdes informationstechnisches System mit dem Ziel, dessen Nutzung zu überwachen und gespeicherte Inhalte auszuleiten, verstanden wissen wollte. (...)

Diesem gesetzgeberischen Willen und den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechend ist bei der Anwendung und Auslegung der Norm nach Ansicht des Senats Zurückhaltung geboten. Die vom Gesetzgeber vorgenommene Typisierung der einzelnen Ermittlungsmaßnahmen und der ihnen jeweils innewohnende Charakter muss im Blick behalten werden: Im Ausgangspunkt erfährt daher eine Onlinedurchsuchung (...) im Gegensatz zur Durchsuchung und Beschlagnahme (...) ihre spezifische Prägung durch die Heimlichkeit der Maßnahme."


Und weiter:
"Für nicht zulässig hält es der Senat allerdings, im Wege eines Erst-Recht-Schlusses - wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerde argumentiert - die Verpflichtung eines Dritten zur Mitwirkung als vermeintlich milderes Mittel gegenüber einer technischen Infiltration auf Grundlage von § 100b StPO anzuordnen; hierin ist kein Minus, sondern vielmehr ein Aliud zu sehen.

Die Vorschrift des § 100b StPO behandelt nämlich nur das Verhältnis von staatlichen Ermittlungsbehörden gegenüber Beschuldigten und nicht auch gegenüber Dritten. Hätte der Gesetzgeber über das in § 100b Abs. 3 S. 2 StPO bereits vorgesehene Maß hinaus in Rechte Dritter eingreifen und sie etwa zur Mitwirkung verpflichten wollen, hätte dies bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen einer ausdrücklichen Regelung bedurft.

Denn eine offene, den Diensteanbieter verpflichtende Maßnahme nach § 100b StPO würde neben dem Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts auf Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme und dem Eingriff in das Fernmeldegeheimnis auch einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Diensteanbieters darstellen, der nach Art. 12 Abs.1 S.2 GG einer besonderen gesetzlichen Grundlage bedürfte."



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6. LG Bamberg: Irreführende Nährwertangaben durch bloße Sternchen-Angaben bei Quarkriegel
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Nährwertangaben auf Lebensmitteln müssen klar und verständlich sein. Hierfür reicht es nicht aus, wenn auf einem Produkt die Angabe  "[Protein 8,8 g*]"  abgedruckt ist, der Sternchenhinweis auf der Verpackung jedoch nicht näher erläutert wird (LG Bamberg, Urt. v.  04.05.2021 - Az.: 13 O 370/20).

Die Beklagte, ein bekannter Lebensmittel-Discounter, vertrieb einen  Quarkriegel, auf dem die Angabe

"[Protein 8,8 g*]" 

abgedruckt war. Auf dem Produkt selbst fanden sich aber keine weitergehenden Informationen.

Dies stufte das LG Bamberg als irreführend ein.

Grundsätzlich müssten nach den bestehenden gesetzlichen Regelungen derartige Informationen klar und unmissverständlich sein.

Dies sei hier nicht der Fall:

"Der Sternchen-Hinweis wird unstreitig auf dem Produkt nicht aufgeklärt. Es findet sich kein Hinweis darauf, ob die Angabe Protein 8,8 g sich auf eine Portion (mit welcher Größe?) oder auf einen Referenzwert (mit welchem Basiswert?) bezieht. Es ist auch dem mündigen Verbraucher nicht zuzumuten, sich über die angegebene Nährwerttabelle diesen Wert zu erschließen. (...)

Ein üblicher Weg für eine rechtlich gebotene Aufklärung in der Werbung sind deutliche Stern­chen-Hinweise. Die Durchschnittsverbraucher sind diese gewohnt und werden sie bei neuartigen Angeboten auch zur Kenntnis nehmen.

Ein Sternchen-Hinweis muss jedoch kiarund unmissver­ständlich, gut lesbar und grundsätzlich vollständig sein. Er muss der klarzustellenden Aussage räumlich zugeordnet sein (...). Diesen Anforderungen wird ein nicht aufgelöster Sternchen-Hinweis nicht ge­recht."



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7. VG Frankfurt a.M.: BaFin durfte Flatex Negativzinsen nicht untersagen
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Die für Verfahren nach dem Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz zuständige 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 24.06.2021 eine Untersagungsverfügung der BaFin aufgehoben.

Die BaFin hatte gestützt auf § 4 Abs. 1 a S. 2 des Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes (FinDAG) der Klägerin – einer Bank, deren geschäftlicher Schwerpunkt auf der Vermittlung von Wertpapiergeschäften als „online-Broker“ liegt, untersagt, Negativzinsen auf „Cash-Konten“ bei ihren Bestandkunden zu erheben.

Die Geschäfte werden so abgewickelt, dass die Kunden zunächst auf für sie von der Klägerin eingerichteten Geld- bzw. „Cash“ Konten Gelder zu dem Zweck der Wertpapierkäufe einzahlen. Im Fall von Wertpapierverkäufen wird der Erlös durch die Klägerin auf das Cash-Konto gebucht. Anderweitiger Zahlungsverkehr findet über diese Konten nicht statt.

Die Klägerin teilte im März 2017 ihren etwa 180.000 Bestandskunden mit, dass sie sich gezwungen sehe, ab dem 15.03.2017 Negativzinsen von derzeit 0,4 % p.a. zu berechnen.

Daraufhin erließ die Beklagte die hier angefochtene Verfügung. Sie stützt diese auf die Vorschrift des § 4 Abs. 1 a S. 2 FinDAG. Danach wird sie ermächtigt, Anordnungen zu treffen, die geeignet und erforderlich sind, um verbraucherschutzrelevante Missstände zu beseitigen, wenn eine generelle Klärung im Interesse des Verbraucherschutzes geboten erscheint.

Die gegen diese Verfügung erhobene Klage war nun erfolgreich.

Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24.06.2021 hat die für das Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz zuständige 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main die angefochtenen Bescheide aufgehoben.

Das Gericht hat zu dem durch Art. 1 Nr. 1 des Kleinanlegerschutzgesetzes vom 03.07.2015 ins Gesetz aufgenommenen § 4 Abs. 1 a FinDAG festgestellt, dass diese Norm der BaFin eine eigenständige Befugnis gebe, um Belange des Verbraucherschutzes aufsichtsrechtlich durchzusetzen.

Die Kammer hat jedoch die zwingende gesetzliche Voraussetzung für ein aufsichtsbehördliches Einschreiten, dass nämlich eine generelle Klärung durch sie im Sinne des Verbraucherschutzes geboten erscheinen muss, verneint.

Die den Handlungsbereich der BaFin einschränkende Regelung des § 4 Abs. 1a S.2 FinDAG werde nicht allein durch die Feststellung eines Missstandes erfüllt. Das Gericht geht davon aus, dass verbraucherschutzrelevante Fragen traditionsgemäß vorrangig vor den Zivilgerichten im ordentlichen Rechtsweg abgehandelt werden, und die Beklagte nur dann aufsichtsrechtlich agieren darf, wenn gerade eine generelle Klärung durch die BaFin geboten erscheine.

Dies sei nur dann anzunehmen, wenn nicht schon im ordentlichen Rechtsweg den Belangen des Verbraucherschutzes in hinreichender Weise genüge getan werde.

Da im vorliegenden Fall bereits mehrere Verfahren im Hinblick auf die Erhebung von Negativzinsen und die Änderungen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Banken und Sparkassen vor den Obergerichten und dem Bundesgerichtshof anhängig waren und sich der Bundesgerichtshof darüber hinaus im April 2021 in mehreren Entscheidungen zur Wirksamkeit der Änderungen der AGB der Banken und Sparkassen geäußert hat, sei ein aufsichtsbehördliches Handeln der Beklagte nicht mehr geboten gewesen.

Der Gesetzgeber habe in der Begründung zu § 4 Abs. 1 a FinDAG zum Ausdruck gebracht, dass verbraucherschutzrelevante Umstände zunächst vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit aufgrund ihrer Sachnähe abzuhandeln seien und ein Einschreiten der Beklagten nur subsidiär sei. Erst dann, wenn aufgrund vorangegangener höchstrichterlicher Entscheidungen zur Frage der Wirksamkeit vertraglicher Änderungen bei der Festlegung von Negativzinsen auf der Grundlage der AGB der Banken und Sparkassen die einzelnen Banken den Handlungspflichten nicht nachkämen, könne darin ein Missstand im Sinne des § 4 Abs. 1 a S. 2, S. 3 FinDAG vorliegen, der eine generelle Klärung durch die BaFin geboten erscheinen lasse. Dies konnte im vorliegenden Fall jedoch nicht angenommen werden.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Verwaltungsgericht hat die Berufung in diesem Verfahren zugelassen.
Aktenzeichen 7 K 2237/20.F

Quelle: Pressemitteilung des VG Frankfurt a.M. v. 06.07.2021

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8. LAG Kiel: Gendersternchen ist keine Diskriminierung
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Sich auf eine Stellenanzeige bewerbende Menschen dürfen gemäß §§ 1, 7 AGG nicht wegen ihres Geschlechts benachteiligt werden. Eine solche Diskriminierung soll eigentlich u.a. sprachlich durch die Verwendung des sogenannten Gendersternchens (*) vermieden werden.

In einer Entscheidung über eine Entschädigungsklage musste sich das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (22. Juni 2021 - 3 Sa 37 öD/21) nun damit auseinandersetzen, ob eine solche Schreibweise Menschen mit nicht binärer Geschlechteridentität benachteiligt.

Das Landesarbeitsgericht hat dies verneint.

Eine Gebietskörperschaft hatte mehrere Stellen für Diplom-Sozialpädagog*innen, Diplom-Sozialarbeiter*innen, Diplom-Heilpädagog*innen ausgeschrieben, u. a. mit den Sätzen:

„Näheres entnehmen Sie bitte dem nachstehenden Anforderungsprofil einer Fachkraft (m/w/d).“

sowie:
„Schwerbehinderte Bewerber*innen werden bei entsprechender Eignung bevorzugt berücksichtigt.“

Die zweigeschlechtlich geborene schwerbehinderte klagende Partei bewarb sich und erhielt eine Absage.

Mit ihrer Klage machte sie Entschädigungsansprüche nach dem AGG geltend. Sie sei u.a. wegen des Geschlechts diskriminiert worden, da das seitens der beklagten Gebietskörperschaft genutzte Gendersternchen bei der Formulierung „Schwerbehinderte Bewerber*innen“ entgegen den Vorgaben des SGB IX nicht geschlechtsneutral sei.

Das Arbeitsgericht Elmshorn (Urteil vom 17. November 2020 – 4 Ca 47 a/20) hat der klagenden Partei aus anderen Gründen eine Entschädigung in Höhe von EUR 2.000,00 zugesprochen. Diese hat für die Berufungsinstanz Prozesskostenhilfe beantragt mit der Begründung, die Entschädigung müsse aufgrund der diskriminierenden Verwendung des Gendersternchens mindestens EUR 4.000,00 betragen.

Das Landesarbeitsgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussicht zurückgewiesen.

Die Verwendung des Gendersternchens in einer Stellenausschreibung diskriminiert mehrgeschlechtlich geborene Menschen nicht.

Das Gendersternchen dient einer geschlechtersensiblen und diskriminierungsfreien Sprache und ist auf eine Empfehlung der Antidiskriminierungsstelle der Bundesregierung zurückzuführen. Ziel der Verwendung ist es, nicht nur Frauen und Männer in der Sprache gleich sichtbar zu machen, sondern auch alle anderen Geschlechter zu symbolisieren und der sprachlichen Gleichbehandlung aller Geschlechter zu dienen.

Ob das Gendersternchen den offiziellen deutschen Rechtschreibregeln entspricht, kann dahingestellt bleiben. Dass geschlechtsneutral ausgeschrieben werden sollte, wird im Übrigen auch durch den sich im Ausschreibungstext befindlichen Zusatz „m/w/d“ deutlich. Damit hat auch die Verwendung des Begriffs „Bewerber*innen“ statt „Menschen“ keinen diskriminierenden Charakter.

Die Rechtsbeschwerde ist nicht zugelassen worden.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Quelle: Pressemitteilung des LAG Kiel v. 06.07.2021

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9. LAG Stuttgart: Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO setzt kein besonderes Rechtsschutzbedürfnis voraus
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Der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO setzt kein besonderes Rechtsschutzbedürfnis voraus. Zudem besteht ein Recht, die gespeicherten Daten in Kopie zu erhalten (LAG Stuttgart, Urt. v. 17.03.2021 - Az.: 21 Sa 43/20).

Im Rahmen einer arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung stritten die Parteien um einen datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO.

Das Gericht stellt klar, dass der einzelne Betroffene einen Anspruch darauf hat, die gespeicherten Daten in Kopie zu erhalten:

"Auszugehen ist bei der Auslegung von Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO zunächst davon, dass der Normzweck in der Transparenz und der Rechtmäßigkeit der Verarbeitung der Daten liegt (...).

Darüber hinaus ergibt sich aus Sicht der erkennenden Kammer aus dem Wortlaut (...), dass ein Arbeitgeber, der Daten seines Arbeitnehmers (...) verarbeitet, diesem eine „Kopie“ der in Art. 15 Abs. 1 DSGVO geregelten Angaben zur Verfügung stellen muss."


Der Umfang der anzugebenden Inhalte sei weit auszulegen. Es seien auch keine besonderen Voraussetzungen notwendig:
"Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen in seiner Entscheidung vom 9. Juni 2020 (Az: 9 Sa 608/19)  beschränkt sich der Auskunfts- und Zurverfügungstellungsanspruch des Arbeitnehmers nicht nur auf solche Dokumente, die der Arbeitnehmer im Prozess konkretisiert hat. Ebenso wenig muss der Arbeitnehmer zur Schlüssigkeit seiner Anträge darlegen, ob und gegebenenfalls welche Dokumente über vom Verantwortlichen verarbeitete Daten seiner Person er bereits von diesem erhalten hat.

Vielmehr genügt es, wenn der Arbeitnehmer vorträgt, dass sein Arbeitgeber personenbezogene Daten seiner Person  (...) verarbeitet hat (anderer Ansicht: LAG Niedersachsen a.a.O. - m.w.N.).

Ansonsten müsste er die Dokumente/Daten, die der Verantwortliche von der betroffenen Person verarbeitet hat, bereits kennen, was auch im Hinblick auf die Art. 13 und 14 DSGVO nicht notwendig der Fall ist, wenn der Verantwortliche diesen Informationspflichten nicht nachkommt oder die Ausnahmetatbestände der Informationspflichten gem. Art. 13 Abs. 4 und Art. 14 Abs. 5 DSGVO vorliegen.

Es liegt vielmehr nach Geltendmachung der Ansprüche durch die betroffene Person am Verantwortlichen darzulegen und gegebenenfalls nachzuweisen, dass er der betroffenen Person über alle oder bestimmte verarbeitete Daten dieser Person bereits Auskunft erteilt und/oder Kopien im Sinne des Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO erteilt hat und insoweit Ansprüche nicht mehr bestehen."


Anmerkung von RA Dr. Bahr:
Erst vor kurzem hat der BGH in einer Grundlagen-Entscheidung (Urt. v. 15.06.2021 - Az.: VI ZR 576/19) klargestellt, dass der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch extrem weit zu verstehen ist, vgl. dazu unsere News v. 07.07.2021.

So falle nicht nur jede Korrespondenz hierunter, sondern auch interne Vermerke oder eine sonstige Kommunikation.

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10. LG Wiesbaden: DSGVO-Vereinbarkeit des Code of Conduct der Wirtschaftsauskunfteien
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Das VG Wiesbaden (Urt. v. 07.06.2021 - Az.: 6 K 307/20.WI) hat entschieden, dass die hessische Datenschutzbehörde das Begehren eines Bürgers, der sich gegen die langfristige Speicherung seiner Insolvenzdaten wehrt, erneut überprüfen muss, da der bisherige Bescheid fehlerhaft ist. Dabei geht es insbesondere um die Vereinbarkeit des Code of Conduct der Wirtschaftsauskunfteien mit der DSGVO.

Die Klägerin wehrte sich gegen die Speicherung einer Restschuldbefreiung durch die SCHUFA. Als ihr Löschbegehren bei dem Unternehmen keinen Erfolg hatte, wandte sie sich an die hessische Datenschutzbehörde.

Dort wurde ihr mitgeteilt, dass die bisherige Speicherungspraxis zulässig sei, denn sie diene dem Schutz des Wirtschaftsverkehrs und sei seit vielen Jahren etabliert.

Nach den freiwilligen Verhaltensregelungen (Code of Conduct der Wirtschaftsauskunfteien) verpflichteten sich die Auskunfteien, personenbezogene Daten drei Jahre nach Erledigung des gespeicherten Ereignisses zu löschen, so die Behörde. Erfolge gegen die zugelassene Datenverarbeitung ein Widerspruch, müssten besondere Gründe gegen eine Fortgeltung der Datenverarbeitung sprechen. Danach müsse eine zusätzliche Interessenabwägung ergeben, dass ausgerechnet in diesem Fall eine Datenverarbeitung ausnahmsweise unzulässig sei.

Gegen diesen Bescheid der Aufsichtsbehörde wehrte sich die Klägerin nun erfolgreich vor Gericht. Das VG Wiesbaden verpflichtete die Aufsichtsbehörde, die Angelegenheit zu überprüfen und neu zu bescheiden.

Denn die Datenschützer hätten sich nicht hinreichend konkret mit den Interessen der Klägerin auseinandergesetzt, sondern nur ganz allgemein abgewogen:

"Dies setzt nicht nur ein Auseinandersetzen mit dem Vortrag der Klägerin voraus, sondern auch eine rechtliche Bewertung, welche der DSGVO Geltung verschafft.

Hieran mangelt es vorliegend bei dem Bescheid des Beklagten. Weder hat dieser eine aktuelle Abwägungsentscheidung nach Art. 6 Abs. 1 UA 1 lit. f) DSGVO von der Beigeladenen angefordert, noch ist eine solche ersichtlich, wenn sich die Beigeladene nur mit den Ausführungen der Klägerin ganz allgemein auseinandersetzt und auf die „Verhaltensregeln für die Prüf- und Löschfristen von personenbezogenen Daten durch die deutsche Wirtschaftsauskunfteien vom 25.05.2016“ („Codes of Conduct“) mit den Aufsichtsbehörden Bezug nimmt.

Die nach Art. 40 DS-GVO erlassenen Verhaltensregeln dürfen nicht evident der Datenschutzgrundverordnung widersprechen, sondern dienen dazu, diese zu präzisieren (...). Hierzu zählen u.a. die faire Verarbeitung und die berechtigten Interessen des Verantwortlichen in bestimmten Zusammenhängen. Nicht hierzu zählen unmittelbar „Löschfristen“ und pauschale Interessen des Verantwortlichen.

Dies mit der Folge, dass in jedem Einzelfall die jeweiligen berechtigten Interessen von der Beigeladen darzulegen und von dem Beklagten zu überprüfen sind, woran es gerade in dem hier zu entscheidenden Fall mangelt."


Und weiter:
"Soweit sich die Beigeladene und der Verband der Wirtschaftsauskunfteien e.V. - auch mit Zustimmung des Beklagten - pauschal auf Löschfristen für sog. „Standardverfahren“ geeinigt haben, so mag es im Lichte von Art. 5 Abs. 1 lit. a) (Treu und Glauben), b) (legitime Zwecke) und e) (Speicherbegrenzung) DS-GVO noch angehen, die hier getroffenen Regelungen zunächst als Basis zu nehmen.

Allerdings bestehen schon bei den Regelungen unter II. 2. der selbstauferlegten Verhaltensregeln („Codes of Conduct“) bezüglich der Eintragungen in das Schuldnerverzeichnis bzw. Veröffentlichungen zu Insolvenzverfahren erhebliche europarechtliche Bedenken. Spätestens, wenn eine betroffene Person bei der Beigeladenen ein Löschungsbegehren erhebt, ist eine vollständige individuelle Interessensabwägung zwischen den Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten und den Interessen oder Grundrechten und Grundfreiheiten der betroffenen Person i.S.v. Art. 6 Abs. 1 UA 1 lit f) DSGVO vorzunehmen, da nur bei einem Überwiegenden berechtigten Interesse der Beigeladenen die Datenverarbeitung weiterhin rechtmäßig ist.

Dabei ist jedenfalls ein Abstellen auf die Pauschalisierung der Verhaltensregeln mit bestimmten Fallgruppen keine solche individuelle Abwägung."


Das Gericht kritisiert insbesondere das behördliche Verhalten, dass keine individuelle Prüfung stattgefunden habe:
"Soweit der Beklagte in seinem Bescheid vom 12.02.2021 ausführt, dass es nach der DSGVO keine Löschfristen gebe und sich daher die Auskunfteien „freiwillige Verhaltensregeln“ gegeben hätten, wonach personenbezogene Daten drei Jahre nach Erledigung des gespeicherten Ereignisses zu löschen seien, fehlt von Seiten des Beklagten jegliches Eingehen auf die Vorgaben und die Intention der DSGVO.

Hinzu kommt vorliegend, dass die Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren vom 20.05.2015 (ABl. EU L 141 S.19) seit dem 26.06.2017 (Art. 92 S. 2 VO 2015/848) und damit bereits vor „Inkrafttreten“ der „Codes of Conduct“ gilt. (...)

Die in einem elektronischen Informations- und Kommunikationssystem erfolgte Veröffentlichung von Daten aus einem Insolvenzverfahren einschließlich des Eröffnungsverfahrens wird spätestens sechs Monate nach der Aufhebung oder der Rechtskraft der Einstellung des Insolvenzverfahrens gelöscht. Wird das Verfahren nicht eröffnet, beginnt die Frist mit der Aufhebung der veröffentlichten Sicherungsmaßnahmen.

(...) Für die Veröffentlichungen im Restschuldbefreiungsverfahren einschließlich des Beschlusses nach § 289 der Insolvenzordnung gilt Absatz 1 Satz 1 mit der Maßgabe, dass die Frist mit Rechtskraft der Entscheidung über die Restschuldbefreiung zu laufen beginnt. 

Sonstige Veröffentlichungen nach der Insolvenzordnung werden einen Monat nach dem ersten Tag der Veröffentlichung gelöscht.

Damit ist im öffentlichen Register die Restschuldenbefreiung nach sechs Monaten zu löschen. Warum dies bei der Beigeladenen anders sein soll, ist nicht ersichtlich. Die „Verhaltensregeln“ vom 25.05.2018 (...) verhalten sich zu diesem Wertungswiderspruch nicht. Weder die Ausführungen der Beigeladenen, noch die des Beklagten, lassen eine Auseinandersetzung mit der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren vom 20.05.2015 (ABl. EU L 141 S.19) und mit den unterschiedlichen Speicherfristen erkennen."



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