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Newsletter vom 15.12.2021
Betreff: Rechts-Newsletter 50. KW / 2021: Kanzlei Dr. Bahr


1. EuGH: Supermärkte müssen Schockbilder auch an Zigaretten-Automaten zeigen

2. EuG: Schadensersatzklage von Dyson wegen Energieverbrauchskennzeichnung abgewiesen

3. BGH: Online-Vermittler von Flugreisen muss sämtliche Zusatzkosten angeben

4. BGH: Werbung für ärztliche Fernbehandlungen nur in engen Grenzen erlaubt

5. BSG: Weg vom Bett ins Homeoffice gesetzlich unfallversichert

6. OLG Frankfurt a.M.: Wettbewerbsverhältnis zwischen Bio-Bauer und Online-Shop

7. OLG Frankfurt a.M.: Bank begeht keinen Wettbewerbsverstoß, wenn sie sich bei verlorener EC-Karte auf Anscheinsbeweis beruft

8. OLG Hamburg: Online-Möglichkeit AU-Scheine ohne persönlichen Kontakt zu erhalten, ist Wettbewerbsverstoß

9. FG Berlin-Brandenburg: Für DSGVO-Schadensersatz gegenüber Finanzbehörden sind Zivilgerichte zuständig

10. VG Köln: Datenschutzbehörde darf (vermutlich) nicht Abberufung eines Datenschutzbeauftragten anordnen

Die einzelnen News:

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1. EuGH: Supermärkte müssen Schockbilder auch an Zigaretten-Automaten zeigen
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Supermärkte sind verpflichtet, die Schockbilder, die auf Zigaretten-Packungen gezeigt werden, auch beim Verkauf mittels Zigaretten-Automaten zu präsentieren. Es genügt nicht, wenn die Schockbilder auf den einzelnen Waren angebracht sind (EuGH, Urt. v. 09.12.2021 - Az.:  C-370/20).

Der Betreiber von zwei Edeka-Lebensmittelläden wurde verklagt. Die Klägerin, eine Anti-Raucher-Initiative, sah einen Verstoß gegen tabakrechtliche Bestimmungen und somit eine Wettbewerbsverletzung.

Moniert wurde, dass an den üblichen Zigaretten-Automaten vor der Supermarktkasse nicht auch die Schockbilder mit angebracht seien. Hierzu sei der Beklagte gesetzlich verpflichtet, so der Standpunkt der Klägerseite. Es genüge nicht den gesetzlichen Anforderungen, wenn die Darstellungen lediglich auf den Produkten selbst platziert seien. Es sei ausdrücklich verboten, die Schockbilder teilweise oder ganz zu verdecken.

Auf eine Vorlage des BGH hat der EuGH nun die jahrelang umstrittene Frage entschieden und die Pflicht bejaht, die Schockbilder auch bei bereits bei der Bewerbung auf den Zigaretten-Automaten anzuzeigen:

"Wie der Generalanwalt (...) ausgeführt hat, untersagt diese Regelung die Verwendung von für Verbraucher in der Union bestimmten Bildern ohne die vorgeschriebenen gesundheitsbezogenen Warnhinweise unabhängig von einem Verkaufsvorgang, der die Erzeugnisse betrifft, auf die sich diese Bilder beziehen.

Mithin ist auf die vierte Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 8 Abs. 8 der Richtlinie 2014/40 dahin auszulegen ist, dass ein Bild einer Zigarettenpackung, das unter diese Bestimmung fällt, auf dem aber nicht die gesundheitsbezogenen Warnhinweise (...) zu sehen sind, selbst dann nicht mit dieser Bestimmung vereinbar ist, wenn der Verbraucher vor dem Erwerb der Zigarettenpackung die Gelegenheit hat, diese Warnhinweise auf der dem Bild entsprechenden Zigarettenpackung wahrzunehmen."


Schockbilder müssen somit bereits auf den Zigaretten-Automaten angezeigt werden. Geschieht dies nicht, handelt es sich um einen Wettbewerbsverstoß.

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2. EuG: Schadensersatzklage von Dyson wegen Energieverbrauchskennzeichnung abgewiesen
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Durch die Wahl der standardisierten Testmethode mit leerem Behälter hat die Kommission weder die Grenzen ihres Ermessens offenkundig und erheblich überschritten noch die Grundsätze der Gleichbehandlung und der guten Verwaltung hinreichend qualifiziert verletzt

Seit dem 1. September 2014 werden alle in der Europäischen Union verkauften Staubsauger einer Energieverbrauchskennzeichnung unterzogen, deren Modalitäten von der Kommission in einer Verordnung von 20131 zur Ergänzung der Richtlinie zur Energieverbrauchskennzeichnung festgelegt wurden.

Die Kennzeichnung dient u.a. dazu, die Verbraucher über die Energieeffizienz und die Reinigungsleistungen von Staubsaugern zu informieren.

Die Dyson Ltd und die zur selben Unternehmensgruppe gehörenden übrigen Klägerinnen stellen Zyklonstaubsauger ohne Staubbeutel her.

Da Dyson der Auffassung war, dass der von der Kommission in der Verordnung von 2013 zur Messung der Energieeffizienz von Staubsaugern herangezogene Test ihre Erzeugnisse gegenüber Staubsaugern mit Beutel benachteilige, begehrte sie vom Gericht der Europäischen Union die Nichtigerklärung dieser Verordnung.

Mit Urteil vom 11. November 201 53 wurde die Klage abgewiesen. Im Rechtsmittelverfahren hob der Gerichtshof das Urteil des Gerichts auf und verwies die Sache an dieses zurück. Mit Urteil vom 8. November 20 1 85 erklärte das Gericht die Verordnung von 2013 mit der Begründung für nichtig, dass die Testmethode mit leerem Behälter nicht die Bedingungen widerspiegelt, die realistischen Gebrauchsbedingungen so nahe wie möglich kommen.

Mit ihrer Klage machen Dyson und die übrigen Klägerinnen Ersatz des (auf 176 100 000 Euro bezifferten) Schadens geltend, den sie nach ihrem Vortrag aufgrund der Rechtswidrigkeit der Verordnung erlitten haben.

Mit seinem heutigen Urteil weist das Gericht die Klage ab.

Es weist zunächst darauf hin, dass die außervertragliche Haftung der Europäischen Union die Erfüllung von drei kumulativen Kriterien voraussetzt, nämlich dass die Rechtsnorm, gegen die verstoßen worden ist, bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, und der Verstoß hinreichend qualifiziert ist, dass der Eintritt eines Schadens nachgewiesen ist und dass zwischen dem Verstoß gegen die dem betreffenden Organ obliegende Verpflichtung und dem den geschädigten Personen entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht.

Das Gericht beginnt mit der Prüfung, ob die Kommission, wie die Klägerinnen vortragen, so hinreichend qualifizierte Verstöße gegen das Unionsrecht begangen hat, dass diese die außervertragliche Haftung der Union auslösen können.

Die Klägerinnen tragen erstens vor, dass der Gerichtshof rechtskräftig entschieden habe, dass die Kommission durch die Wahl einer standardisierten Testmethode mit leerem Behälter gegen Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie zur Energieeffizienzkennzeichnung verstoßen habe. Indem sie ein Energieetikett eingeführt habe, das auf dieser Methode beruhe, habe die Kommission die Grenzen ihres Ermessens offenkundig überschritten.

Das Gericht stellt zunächst fest, dass die Anwendung von Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie zur Energieeffizienzkennzeichnung auf den speziellen Fall der Staubsauger zu gewissen Unterschieden bei der Beurteilung führen konnte, die auf Auslegungsschwierigkeiten im Hinblick auf das Maß an Klarheit und Genauigkeit dieser Bestimmung und allgemein der gesamten Richtlinie hindeuteten.

Das Gericht prüft sodann die technische Komplexität der zu regelnden Sachverhalte und die Frage, ob der Fehler der Kommission vorsätzlich begangen wurde oder unentschuldbar ist. Insoweit stellt das Gericht fest, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung von 2013 berechtigte Zweifel an der wissenschaftlichen Validität und Genauigkeit der Ergebnisse bestanden, die von einer Testmethode mit vollem Behälter zum Zweck der Energieeffizienzkennzeichnung geliefert werden konnten.

Auch wenn diese Testmethode die normalen Nutzungsbedingungen von Staubsaugern besser widerspiegelte als die Testmethode mit leerem Behälter, durfte die Kommission, ohne dass sie damit die Grenzen ihres Ermessens offenkundig und erheblich überschritten hätte, annehmen, dass diese Testmethode nicht geeignet war, die wissenschaftliche Validität und Genauigkeit der dem Verbraucher gelieferten Informationen zu gewährleisten, und stattdessen eine Testmethode wählen, mit der die Kriterien der Validität und Genauigkeit der Informationen eingehalten werden konnten.

Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass die Kommission damit ein Verhalten gezeigt hat, das von einer durchschnittlich umsichtigen und sorgfältigen Behörde erwartet werden kann, und dass sie daher die Grenzen ihres Ermessens nicht offenkundig und erheblich überschritten hat.

Zweitens machen die Klägerinnen geltend, dass mit der Verordnung von 2013 eine Diskriminierung zwischen Beutelstaubsaugern und Zyklonstaubsaugern geschaffen worden sei, indem diese beiden Staubsaugerkategorien ohne objektive Rechtfertigung gleichbehandelt worden seien, obwohl ihre Eigenschaften nicht vergleichbar seien. Sowohl die Richtlinie zur Energieeffizienzkennzeichnung als auch die Verordnung von 2013 sahen eine Gleichbehandlung der in ihren Geltungsbereich fallenden Staubsauger vor. Gestützt auf seine Prüfung eines Verstoßes gegen Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie stellt das Gericht fest, dass berechtigte Zweifel an der wissenschaftlichen Validität und Genauigkeit der Ergebnisse bestanden, die von der Testmethode mit vollem Behälter zum Zweck der Energieeffizienzkennzeichnung geliefert werden konnten.

Ein solcher tatsächlicher Umstand genügt für die Annahme, dass die Kommission ungeachtet der objektiven Unterschiede zwischen Zyklon- und sonstigen Staubsaugern durch die Wahl der Versuchsmethode mit leerem Behälter weder die Grenzen ihres Ermessens offenkundig und erheblich überschritten noch den Grundsatz der Gleichbehandlung hinreichend qualifiziert verletzt hat.

Drittens tragen die Klägerinnen vor, die Kommission habe den Grundsatz der guten Verwaltung verletzt, indem sie ein wesentliches Element der Richtlinie zur Energieeffizienzkennzeichnung unberücksichtigt gelassen habe, was eine durchschnittlich umsichtige und sorgfältige Behörde nicht getan hätte. Das Gericht stellt fest, dass sich dieses Vorbringen weitgehend mit dem Vorbringen der Klägerinnen im Zusammenhang mit den ersten beiden behaupteten Verstößen deckt, und weist es aus denselben Gründen zurück.

Schließlich entscheidet das Gericht, dass das Vorbringen der Klägerinnen, es sei gegen das Recht auf Ausübung einer gewerblichen oder geschäftlichen Tätigkeit verstoßen worden, im Wesentlichen identisch ist mit dem Vorbringen im Rahmen der drei übrigen behaupteten Verstöße, und dass es daher aus denselben Gründen zurückzuweisen ist.

Urteil in der Rechtssache T-127/19
Dyson u. a. / Kommission

Quelle: Pressemitteilung des EuG v. 08.12.2021

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3. BGH: Online-Vermittler von Flugreisen muss sämtliche Zusatzkosten angeben
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Fallen bei der Online-Buchung von Flugreisen zusätzliche Entgelte an, müssen diese bei der Bestellung vollständig mit angeben werden (BGH, Urt. v. 24.08.2021 - Az.: X ZR 23/20).

Auf der Webseite des verklagten Vermittlers Travel24.com  enthielten die Preise für Flugreisen kein Freigepäck. Der Kunde musste dieses hinzubuchen. Es wurde jedoch nicht angegeben, welche zusätzlichen Entgelte anfielen. Darüber hinaus verlangte der Anbieter für die Bezahlung mit einer Kreditkarte eine Servicegebühr. Ausgenommen hiervon waren nur die Kunden, die Inhaber einer Travel24.com Mastercard Gold  waren. Wie schon in der Vorinstanz - dem OLG Dresden - bejahte auch der BGH in beiden Fällen einen Rechtsverstoß.

Es müssten sämtliche Kosten mit angegeben werden:

"Wie der Gerichtshof der Europäischen Union bereits entschieden hat, gelten die in Art. 23 Abs. 1 LuftverkehrsdiensteVO vorgesehenen Pflichten auch für die Festsetzung der Preise für die Gepäckbeförderung (...).

Ein Entgelt für die Beförderung von aufgegebenem Gepäck gehört zwar nicht zu den unvermeidbaren und vorhersehbaren Bestandteilen des Preises im Sinne von Art. 23 Abs. 1 Satz 2 LuftverkehrsdiensteVO (...). Einzuhalten sind aber die Vorgaben für fakultative Zusatzkosten in Art. 23 Abs. 1 Satz 4 LuftverkehrsdiensteVO (...).

Entgegen der Auffassung der Revision sind zusätzliche Entgelte für die Beförderung von Gepäck (...) zu Beginn der Buchung auch für den Fall anzugeben, dass die betreffende Leistung erst zu einem späteren Zeitpunkt ausgewählt werden kann, etwa am Flughafen."


Hinsichtlich der Master Gold -Karte führt der BGH aus:
"Die Beklagte ermöglicht dem Verbraucher keine gängige und zumutbare unentgeltliche Zahlungsmöglichkeit.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, an die der Gesetzgeber mit der Regelung in § 312a Abs. 4 Nr. 1 BGB angeknüpft hat (...), muss ein Unternehmer bei Vertragsschlüssen im Internet eine gängige bargeldlose Zahlungsmöglichkeit zur Verfügung stellen, die dem Kunden mit zumutbarem Aufwand zugänglich ist, ohne dass hierfür an den Zahlungsempfänger eine zusätzliche Gebühr zu entrichten ist.

Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn als einzige Zahlungsmöglichkeit eine Kreditkarte angeboten wird, über die ein großer Teil der Kunden nicht verfügt (BGH, Urteil vom 20. Mai 2010 - Xa ZR 68/09, NJW 2010, 2719 Rn. 44 f.)."



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4. BGH: Werbung für ärztliche Fernbehandlungen nur in engen Grenzen erlaubt
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Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, unter welchen Voraussetzungen für ärztliche Fernbehandlungen geworben werden darf.

Sachverhalt:
Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Die Beklagte warb auf ihrer Internetseite mit der Aussage "Erhalte erstmals in Deutschland Diagnosen, Therapieempfehlung und Krankschreibung per App." für die von einer privaten Krankenversicherung angebotene Leistung eines "digitalen Arztbesuchs" mittels einer App bei in der Schweiz ansässigen Ärzten. Die Klägerin sieht in dieser Werbung einen Verstoß gegen das Verbot der Werbung für Fernbehandlungen nach § 9 HWG. Sie nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.

Bisheriger Prozessverlauf:
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Gegen diese Entscheidung hat die Beklagte Berufung eingelegt.

Im Laufe des Berufungsverfahrens ist § 9 HWG mit Wirkung zum 19. Dezember 2019 durch einen Satz 2 ergänzt worden. Danach gilt das nun in Satz 1 geregelte Werbeverbot für Fernbehandlungen nicht, wenn für die Behandlung nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision hat die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiterverfolgt.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die beanstandete Werbung gegen § 9 HWG in seiner alten und in seiner neuen Fassung verstößt. Da es sich bei dieser Vorschrift um eine - dem Gesundheitsschutz dienende - Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG handelt, ist die Beklagte nach § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG zur Unterlassung der Werbung verpflichtet.

Die Beklagte hat unter Verstoß gegen § 9 HWG in seiner alten Fassung für die Erkennung und Behandlung von Krankheiten geworben, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen beruht. Eine eigene Wahrnehmung im Sinne dieser Vorschrift setzt voraus, dass der Arzt den Patienten nicht nur sehen und hören, sondern auch - etwa durch Abtasten, Abklopfen oder Abhören oder mit medizinisch-technischen Hilfsmitteln wie beispielsweise Ultraschall - untersuchen kann. Das erfordert die gleichzeitige physische Präsenz von Arzt und Patient und ist im Rahmen einer Videosprechstunde nicht möglich.

Nach § 9 Satz 2 HWG in seiner neuen Fassung ist das in Satz 1 geregelte Verbot zwar nicht auf die Werbung für Fernbehandlungen anzuwenden, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen. Zu diesen Kommunikationsmedien gehören auch Apps. Das gilt aber nur, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Mit den allgemein anerkannten fachlichen Standards sind - entgegen der Ansicht der Beklagten - nicht die Regelungen des für den behandelnden Arzt geltenden Berufsrechts gemeint.

Es kommt daher nicht darauf an, ob die beworbene Fernbehandlung den Ärzten in der Schweiz schon seit Jahren erlaubt ist. Der Begriff der allgemein anerkannten fachlichen Standards ist vielmehr unter Rückgriff auf den entsprechenden Begriff in § 630a Abs. 2 BGB, der die Pflichten aus einem medizinischen Behandlungsvertrag regelt, und die dazu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze auszulegen. Danach können sich solche Standards auch erst im Laufe der Zeit entwickeln und etwa aus den Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften oder den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß §§ 92, 136 SGB V ergeben.

Die Beklagte hat für eine umfassende, nicht auf bestimmte Krankheiten oder Beschwerden beschränkte ärztliche Primärversorgung (Diagnose, Therapieempfehlung, Krankschreibung) im Wege der Fernbehandlung geworben. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass eine solche umfassende Fernbehandlung den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemeinen fachlichen Standards entspricht.

Da die Beklagte dies auch nicht behauptet hatte und insoweit kein weiterer Sachvortrag zu erwarten war, konnte der Bundesgerichtshof abschließend entscheiden, dass die beanstandete Werbung unzulässig ist.

Urteil vom 9. Dezember 2021 - I ZR 146/20 - Werbung für Fernbehandlung

Vorinstanzen:
LG München I - Urteil vom 16. Juli 2019 - 33 O 4026/18
OLG München - Urteil vom 9. Juli 2020 - 6 U 5180/19

Quelle: Pressemitteilung des BGH v. 09.12.2021

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5. BSG: Weg vom Bett ins Homeoffice gesetzlich unfallversichert
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Ein Beschäftigter, der auf dem morgendlichen erstmaligen Weg vom Bett ins Homeoffice stürzt, ist durch die gesetzliche Unfallversicherung geschützt. Dies hat der 2. Senat des Bundessozialgerichts heute entschieden (Aktenzeichen B 2 U 4/21 R).

Der Kläger befand sich auf dem Weg zur Arbeitsaufnahme von seinem Schlafzimmer in das eine Etage tiefer gelegene häusliche Büro. Üblicherweise beginnt er dort unmittelbar zu arbeiten, ohne vorher zu frühstücken. Beim Beschreiten der die Räume verbindenden Wendeltreppe rutschte er aus und brach sich einen Brustwirbel. Die beklagte Berufsgenossenschaft lehnte Leistungen aus Anlass des Unfalls ab.

Während das Sozialgericht den erstmaligen morgendlichen Weg vom Bett ins Homeoffice als versicherten Betriebsweg ansah, beurteilte das Landessozialgericht ihn als unversicherte Vorbereitungshandlung, die der eigentlichen Tätigkeit nur vorausgeht. Das Bundessozialgericht hat die Entscheidung des Sozialgerichts bestätigt.

Der Kläger hat einen Arbeitsunfall erlitten, als er auf dem morgendlichen Weg in sein häusliches Büro (Homeoffice) stürzte. Das Beschreiten der Treppe ins Homeoffice diente nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz allein der erstmaligen Arbeitsaufnahme und ist deshalb als Verrichtung im Interesse des Arbeitgebers als Betriebsweg versichert.

Quelle: Pressemitteilung des BSG v. 08.12.2021

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6. OLG Frankfurt a.M.: Wettbewerbsverhältnis zwischen Bio-Bauer und Online-Shop
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Zwischen einem Bio-Bauern, der seine Waren offline zur Abholung anbietet, und einem Online-Shop besteht ein entsprechendes Wettbewerbsverhältnis (OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 11.11.2021 - Az.: 6 U 81/21).

Der Kläger war Bio-Landwirt und verkaufte u.a. Müslis aus eigenem Getreide. Diese Produkte können über eine Website bestellt und nach Absprache auf dem Hof abgeholt werden. Über einen Hofladen verfügte er nicht.

Die Beklagte betrieb einen Online-Shop mit Müsli-Mischungen.

Der Kläger beanstandete, dass die Beklagte bestimmte gesetzliche Informationspflichten nicht einhalten würde und machte einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch geltend.

Die Beklagte wandte ein, dass zwischen den Beteiligten kein konkretes Wettbewerbsverhältnis bestünde, da unterschiedliche räumliche Vertriebswege betroffen seien.

Dieser Ansicht folgte das OLG Frankfurt a.M. nicht:

"Zu Unrecht meint das Landgericht auch, die Parteien seien nicht auf demselben räumlichen Markt tätig. Insoweit genügt eine Überschneidung der Märkte. Die Antragsgegnerin bietet ihre Leistungen bundesweit im Online-Handel an, mithin auch in (...), wo der Antragsteller seinen Hof betreibt.

Die Parteien sind auch in zeitlicher Hinsicht auf demselben Markt tätig. Die angegriffenen Verstöße beziehen sich auf Oktober 2020.

Das Landgericht ging davon aus, der Antragsteller habe nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass er auch in diesem Zeitraum die streitgegenständlichen Leistungen angeboten hat. Tatsächlich beziehen sich die als Anlage A2 vorgelegten Buchhaltungsauszüge auf die Wirtschaftsjahre 2018/2019 bzw. 2019/2020.

Die Zahlen für Oktober 2020 sind dort wohl noch nicht erfasst. Die vorgelegte Preisliste (Anlage A1) ist als "Preisliste 2019" ausgewiesen.

In der mündlichen Verhandlung hat der Antragsteller allerdings weitere Auszüge aus Buchhaltungskonten vorgelegt, die sich auf die Monate Juni und Juli 2020 bezogen (Bl. 99 d.A.). Auch dies war nach Ansicht des Landgerichts nicht ausreichend, um eine durchgehende unternehmerische Tätigkeit auf dem relevanten Markt zu belegen, die sich auch auf den Verletzungszeitraum erstreckt. Es kann dahinstehen, ob diese Auffassung zutrifft. Im Berufungsverfahren hat der Antragsteller eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt, wonach er sein Müsli auch im Oktober 2020 angeboten hat und es nach wie vor verkauft (Anlage A10). Das ist ausreichend."



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7. OLG Frankfurt a.M.: Bank begeht keinen Wettbewerbsverstoß, wenn sie sich bei verlorener EC-Karte auf Anscheinsbeweis beruft
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Eine Bank begeht keinen Wettbewerbsverstoß, wenn sie sich gegenüber einem Kunden bei einer verlorenen EC-Karte auf die Grundsätze des Anscheinsbeweis beruft (OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 30.09.2021 - Az.: 6 U 68/20).

Die verklagte Bank hatte sich gegenüber einem Kunden, der eine unberechtigte Abbuchung von seinem Konto mittels EC-Karte monierte, auf die Grundsätze des Anscheinsbeweis berufen. Sie teilte dem Verbraucher mit, dass die Abhebung unter Vorlage der Original-Karte und Einsatzes des PIN erfolgt sei, sodass davon auszugehen sei, dass der Kunde den Code nicht ausreichend geheim gehalten habe.

Hierin sah die Klägerin eine wettbewerbswidrige Irreführung. Durch die Einführung der Beweislastregelung in § 675w BGB müssten noch weitere Voraussetzungen vorliegen. Insofern seien die Ausführungen des Finanzinstituts irreführend und daher wettbewerbswidrig.

Das OLG Frankfurt a.M. ist dieser Ansicht nicht gefolgt, sondern hat die Klage abgewiesen.

"Im Streitfall hat die Beklagte bereits in den beanstandeten, vorgerichtlichen Schreiben an ihre Kunden darauf hingewiesen, dass die PIN weder aus dem Magnetstreifen herausgelesen noch durch eine Manipulation der Karte ermittelt werden könne. Die gestohlene (...) Card V-PAY (...) sei mit der neuesten Chip-Technologie ausgestattet; V-PAY sei ein rein chipbasiertes Verfahren, bei dem alle Transaktionen über einen EMV-Chip abgewickelt würden, welcher Kartenfälschung und Manipulationen wirksam verhindere.

Mit dieser Begründung hat auch der Ombudsmann den Schlichtungsantrag der Kundin als unbegründet zurückgewiesen. Der Diplom-Informatiker (...) vom Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie ist in einem Gutachten vom 23.2.2018 (Anlage B5) ebenfalls zu dem Ergebnis gekommen, dass es praktisch nicht möglich sei, eine Bankkarte mit EMV-Chip zu kopieren, was auf den physischen Sicherheitseigenschaften beruhe, die direkt auf dem Chip eingesetzt würden und das zerstörungsfreie Öffnen und Nachvollziehen der Schaltungslogik des Chips stark erschweren würde. Bislang sei dies selbst unter Laborbedingungen nicht gelungen. (...)

Indem die Beklagte bereits in dem außergerichtlichen Schreiben vom 7.11.2018 - unwidersprochen - auf den Einsatz dieser Chip-Technologie hingewiesen hat, hat sie die praktische Unüberwindbarkeit der Sicherheitsmerkmale der Zahlungskarte dargelegt, damit den Nachweis der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises erbracht und somit den Anforderungen des § 675w S. 4 BGB genügt


Und weiter:
"Selbst, wenn man einen Verstoß gegen § 675w S. 4 BGB bejahen wollte, hätte die Beklagte keine irreführende geschäftliche Handlung im Sinne von § 5 Abs. 1 S. 2 UWG begangen.

Angaben im Sinne dieser Vorschrift sind nur Äußerungen, die sich auf Tatsachen beziehen und daher inhaltlich nachprüfbar sind (BGH, Urteil vom 25.4.2019 - I ZR 93/17 - Prämiensparverträge, Rn 28, juris; BGH, Urteil vom 3.5.2007 - I ZR 19/15 - Rechtsberatung und Haftpflichtversicherer, Rn 30, juris). (...)

Es muss der Beklagten bei der Abwehr von Ansprüchen unbenommen bleiben, einen entsprechenden Rechtsstandpunkt einzunehmen, unabhängig davon, ob ihre Rechtsansicht zutrifft (BGH Urteil vom 3.5.2007 - I ZR 19/15 - Rechtsberatung und Haftpflichtversicherer, Rn 30, juris). Es ist auch für die Kundin erkennbar gewesen, dass es sich bei dem Schreiben um eine im Rahmen der Rechtsverteidigung geäußerte Rechtsansicht handelt, weshalb der Äußerung die erforderliche Eignung zur Täuschung fehlt (BGH, Urteil vom 25.4.2019 - I ZR 93/17 - Prämiensparverträge, Rn 31, juris)."



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8. OLG Hamburg: Online-Möglichkeit AU-Scheine ohne persönlichen Kontakt zu erhalten, ist Wettbewerbsverstoß
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Es ist wettbewerbswidrig, wenn ein Online-Portal es ermöglicht, dass ein Arbeitnehmer ohne direkten persönlichen Kontakt mit einem Arzt eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Schein) erhält (OLG Hamburg, Beschl. v. 29.09.2021 - Az.: 3 U 148/20).

Die Beklagte bot ihren Kunden an, AU-Scheine durch einen mit ihr kooperierenden Arzt im Rahmen einer Ferndiagnose zu erhalten. Hierfür musste der Erkrankte mehrere vorformulierte Fragen online beantworten.

Dies stufte das OLG Hamburg als wettbewerbswidrig ein.

Die Richter nehmen zuerst umfangreich Bezug auf eine ältere Entscheidung von Ihnen (OLG Hamburg, Urt. v. 05.11.2020 - Az.: 5 U 175/19). Nach § 9 S.2 HWG seien Fernbehandlungen zwar durchaus erlaubt, diese müssten jedoch nach den anerkannten Standards erfolgen.

"Die Ausnahmeregelung von § 9 S. 2 HWG setzt voraus, dass ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nach allgemein anerkannten fachlichen Standards nicht erforderlich ist.

Dass die Voraussetzungen dieser Ausnahmeregelung nicht vorliegen, ergibt sich nicht nur – wie der 5. Zivilsenat des hanseatischen Oberlandesgerichts mit Urteil vom 5. November 2020 zutreffend ausgeführt hat – aus dem Gesetzgebungsverfahren, den einschlägigen ärztlichen Berufsordnungen und der COVID-19-bedingten Sonderregelung in § 8 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (AU-Richtlinie) des Gemeinsamen Bundesausschusses (GB-A), sondern darüber hinaus auch aus § 4 der AU-Richtlinie.

Denn nach § 4 Abs. 1 S. 1 der AU-Richtlinie sind bei der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit der körperliche, geistige und seelische Gesundheitszustand der oder des Versicherten gleichermaßen zu berücksichtigen, weshalb die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nur auf Grund einer unmittelbar persönlichen ärztlichen Untersuchung erfolgen darf."


Und weiter:
"Nach § 4 Abs. 5 der AU-Richtlinie kann die Arbeitsunfähigkeit zwar auch mittelbar persönlich im Rahmen von Videosprechstunden festgestellt werden. Dies ist jedoch nur zulässig, wenn die oder der Versicherte der Vertragsärztin oder dem Vertragsarzt oder einer anderen Vertragsärztin oder einem anderen Vertragsarzt derselben Berufsausübungsgemeinschaft aufgrund früherer Behandlung unmittelbar persönlich bekannt ist und die Erkrankung dies nicht ausschließt.

Nur wenn diese Voraussetzungen eingehalten werden, kann es allgemein anerkannten fachlichen Standards entsprechen, die Arbeitsunfähigkeit ohne eine unmittelbare ärztliche Untersuchung festzustellen. Dies kann der Senat – ebenso wie das Landgericht – entscheiden, ohne ein ärztliches Sachverständigengutachten einzuholen. Vorliegend fehlt es nach dem Setting der Beklagten zum einen daran, dass schon keine Videosprechstunde in Rede steht. Zum anderen ist nicht ersichtlich, dass die Kunden der Beklagten dem „Tele-Arzt“ bereits bekannt gewesen wären."


Für ebenso wettbewerbswidrig stuften die Richter die Werbeaussage der Beklagten 
 "100 % gültiger AU-Schein" 

sowie
"100 % Akzeptanz bei Arbeitgebern und Krankenkassen"

ein.

Denn es sei sehr fraglich, ob die betroffenen Dritten (z.B. Arbeitgeber oder Krankenkassen) die ausgestellten AU-Scheine akzeptieren würden. Insofern liege eine Irreführung vor:

"Die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit schafft in der Regel die Voraussetzung für den Anspruch der Versicherten auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle oder Krankengeld. (...)

Daran fehlt es hier, denn die von der Beklagten beworbene Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erfolgt (...) unter Verstoß gegen die maßgeblichen rechtlichen Anforderungen. Es ist daher davon auszugehen, dass der Arbeitgeber bzw. die Krankenkasse – bei Kenntnis von diesem Umstand – die von der Beklagten beworbenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zurückweisen werden.

Dass dies – nach dem bestrittenen Beklagtenvorbringen – bisher noch nicht der Fall gewesen sein soll, steht dem nicht entgegen. Denn aus den übersandten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ergibt sich nicht unmittelbar, dass die Tatsachengrundlage, auf der die Bescheinigung erstellt worden ist, unzureichend war.

Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Arbeitgeber und Krankenkassen die streitgegenständlichen Bescheinigungen zurückweisen werden, wenn sie von diesen Umständen Kenntnis erlangen. Entgegen der werblichen Angabe besteht somit nicht die 100 %ige Sicherheit, dass die von der Beklagten ausgestellten AU-Bescheinigungen akzeptiert werden."



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9. FG Berlin-Brandenburg: Für DSGVO-Schadensersatz gegenüber Finanzbehörden sind Zivilgerichte zuständig
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Macht eine Person gegenüber einer Finanzbehörde einen DSGVO-Schadenersatz nach Art. 82 DSGVO geltend, so sind hierfür nicht die Finanzgerichte, sondern die Landgerichte zuständig (FG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 27.10.2021 - Az.: 16 K 16155/21).

Im vorliegenden Fall machte der Betroffene gegenüber dem Finanzamt einen Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO geltend.

Dabei stellte sich die Frage, welcher Gerichtsweg maßgeblich war: Die Finanzgerichte oder die Zivilgerichte?

Das FG Berlin-Brandenburg erklärte sich für unzuständig:

"Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger indes kein mit der Verwaltung von Abgaben oder sonst mit der Anwendung der abgabenrechtlichen Vorschriften durch die Finanzbehörden zusammenhängendes Begehren geltend, sondern er verlangt ausdrücklich Schadenersatz wegen einer - behaupteten - rechtswidrigen Handlung bzw. Unterlassung des beklagten Finanzamts.

Hierfür ist nach der ausdrücklichen Zuständigkeitsregelung des § 40 Abs. 2 VwGO, die von Art. 34 Satz 3 GG vorausgesetzt und von der Verfassung garantiert wird (...), der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben. Damit ist der Rechtsweg zu den Zivilgerichten gemeint (...)."


Und weiter:
"Selbst wenn § 32i Abs. 2 AO dahingehend verstanden würde, dass sich die Norm dem Wortlaut nach auch auf Schadensersatzansprüche wegen Verletzung der DSGVO erstrecken könnte, wäre die Vorschrift jedenfalls verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass sie unter Achtung des verfassungsrechtlich garantierten Rechtswegs zu den Zivilgerichten (Art. 34 Satz 3 GG) Schadensersatzansprüche gegen den Staat wegen Verletzung der DSGVO nicht erfasst.

Die gespaltene Rechtswegzuweisung mag zu einer Verdoppelung des Rechtswegs und zu einer zusätzlichen Belastung für die Rechtsschutz suchenden Betroffenen führen (...), entspricht jedoch geltendem, unmittelbar durch die Verfassung geprägten Recht."



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10. VG Köln: Datenschutzbehörde darf (vermutlich) nicht Abberufung eines Datenschutzbeauftragten anordnen
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In einem einstweiligen Verfügungsverfahren hat das VG Köln die Rechtsansicht geäußert, dass eine Datenschutzbehörde keine Kompetenz hat, gegenüber dem betroffenen Unternehmen die Berufung bzw. Abberufung eines Datenschutzbeauftragten anzuordnen (VG Köln, Beschl. v. 10.11.2021 - AZ.: 13 L 1707/21)

In diesem Rechtsstreit waren die Beteiligten das Jobcenter Diepholz und der Bundesbeauftragte für den Datenschutz. Der Bundesbeauftragte ordnete die Berufung bzw. Abberufung des Datenschutzbeauftragten an.

Hiergegen wehrte sich das Amt und bekam Recht.

Das Gericht zweifelt die grundsätzliche Kompetenz an, über die Bestellung bzw. Abbestellung zu entscheiden:

"Weiter maßgeblich zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass nach der im vorliegenden Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich die tatbestandlichen Voraussetzungen der vom Antragsgegner herangezogene Ermächtigungsgrundlage des § 58 Abs. 2 lit. d) DSGVO ohnehin nicht gegeben sind.

Nach der genannten Norm darf die Aufsichtsbehörde den Verantwortlichen oder den Auftragsverarbeiter anweisen, Verarbeitungsvorgänge gegebenenfalls auf bestimmte Weise und innerhalb eines bestimmten Zeitraums in Einklang mit der DSGVO zu bringen.

„Verarbeitung“ im Sinne der DSGVO meint jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung, Art. 4 Abs. 2 DSGVO."


Und weiter:
"Dabei stellen die – allenfalls als einschlägig heranzuziehende - Organisation und das Ordnen von Daten Vorgänge dar, durch die Möglichkeiten zur Auffindung und Auswertung dieser Daten vereinfacht oder verbessert werden, etwa indem sie in einer in bestimmter Weise aufgebauten Datei gespeichert werden. Das Ordnen stellt einen Unterfall des allgemeineren Begriffs der Organisation dar; der Begriff des Ordnens stellt auf ein bestimmtes Kriterium ab, nach dem jeweils die Daten geordnet werden (z.B. nach alphabetischer oder numerischer Reihenfolge). (...)

Dass die (Ab-)Berufung eines behördlichen Datenschutzbeauftragten hierunter fallen könnte, ist nicht ersichtlich."

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