Newsletter
Die Verfassungsbeschwerden richteten sich gegen zivilgerichtliche Entscheidungen, die auf das postmortale Persönlichkeitsrecht gestützte Klagen auf Unterlassung sowie auf Zahlung einer Geldentschädigung betrafen.
Sachverhalt:
Die andere Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen gerichtliche Urteile, die das Fortbestehen des Geldentschädigungsanspruchs wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Erblassers über dessen Tod hinaus betrafen.
Der Erblasser hatte die Beklagten im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Buches „Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle“ auf Geldentschädigung in Höhe von 5 Millionen Euro in Anspruch genommen. Nach dem Versterben des Erblassers während des Berufungsverfahrens wies das Oberlandesgericht die von der Beschwerdeführerin als Alleinerbin fortgeführte Klage insgesamt ab. Die hiergegen gerichtete Revision blieb ohne Erfolg.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
I. Die Verfassungsbeschwerde betreffend die Unterlassungsklage hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Beschwerdeführerin ist als Alleinerbin des Erblassers zwar befugt, dessen postmortales Persönlichkeitsrecht im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend zu machen. Sie hat ihre Verfassungsbeschwerde jedoch nicht hinlänglich substantiiert begründet.
1. Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sind nur lebende Personen. Das Fortwirken des Persönlichkeitsrechts nach dem Tode ist zu verneinen.
Über den Tod des Menschen hinaus bleibt jedoch der Schutzauftrag des Art. 1 Abs. 1 GG bestehen. Es würde mit dem verfassungsverbürgten Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde, das allen Grundrechten zugrunde liegt, unvereinbar sein, wenn der Mensch, dem Würde kraft seines Personseins zukommt, in diesem allgemeinen Achtungsanspruch nach seinem Tode herabgewürdigt oder erniedrigt werden dürfte.
a) Die Schutzwirkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind mit dem aus Art. 1 Abs. 1 GG resultierenden Schutz nicht identisch. Das Bundesverfassungsgericht betont vielmehr in ständiger Rechtsprechung die Differenz zwischen Menschenwürde und allgemeinem Persönlichkeitsrecht, wie sich etwa daraus ergibt, dass die Menschenwürde im Konflikt mit der Meinungsfreiheit nicht abwägungsfähig ist, während es bei einem Konflikt der Meinungsfreiheit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht regelmäßig zu einer Abwägung kommt. Unabhängig von der Frage, wie weit der Achtungsanspruch Verstorbener im Einzelfall geht, reicht er jedenfalls nicht weiter als der Ehrschutz lebender Personen.
b) Zwar kann das Unterschieben nicht getätigter Äußerungen wie auch die unrichtige, verfälschte und entstellte Wiedergabe einer Äußerung, insbesondere in Zitatform, das allgemeine Persönlichkeitsrecht in besonderem Maße berühren. Um von einer die Menschenwürde in ihrem unantastbaren Kern treffenden Verletzung auszugehen, muss jedoch eine grobe Herabwürdigung und Erniedrigung des allgemeinen Achtungsanspruchs, der dem Menschen kraft seines Personseins zusteht, oder des sittlichen, personalen und sozialen Geltungswerts, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat, dargelegt werden.
2. Die Beschwerdeführerin hat nicht darlegen können, dass durch die angegriffenen Passagen der aus Art. 1 Abs. 1 GG folgende allgemeine Achtungsanspruch des Erblassers grob herabgewürdigt oder erniedrigt wurde. Der vom Erblasser durch seine Lebensleistung erworbene sittliche, personale und soziale Geltungswert ist jedenfalls nicht in einer den Kern der Menschenwürde erfassenden Weise verletzt worden.
Durch die freiwillige Preisgabe von Erinnerungen aus der Zeit seiner politischen Verantwortungsübernahme gegenüber einem vertraglich zur Anfertigung von Entwürfen seiner Memoiren verpflichteten Journalisten ist nicht der innerste Kern der Persönlichkeit des Erblassers betroffen. Unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabs sind die angegriffenen Urteile nicht zu beanstanden.
Der Bundesgerichtshof hat – wie schon das Oberlandesgericht – seinem Urteil die zutreffenden verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zur Reichweite des postmortalen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG zugrundegelegt. Er ist zutreffend davon ausgegangen, dass die für die Annahme eines Verstoßes notwendige, die unantastbare Menschenwürde treffende Verletzung vorliegend nicht gegeben ist. Eine Infragestellung des durch die Lebensstellung erworbenen Geltungsanspruchs genügt nicht. Hiergegen ist aus verfassungsgerichtlicher Sicht nichts zu erinnern.
II. Die Verfassungsbeschwerde betreffend das Fortbestehen des Geldentschädigungsanspruchs wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Erblassers über dessen Tod hinaus ist unbegründet.
1. Ebenso wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines lebenden Menschen begründet der postmortale Schutz der Menschenwürde nicht selbst bestimmte materiellrechtliche Ansprüche gegenüber Verletzungen durch Private. Die Aufstellung und normative Umsetzung eines angemessenen Schutzkonzepts ist Sache des Gesetzgebers, dem grundsätzlich auch dann ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zukommt, wenn er verpflichtet ist, Maßnahmen zum Schutz eines Rechtsguts zu ergreifen. Gleiches gilt, wenn die Zivilgerichte mangels einer Entscheidung des Gesetzgebers die Schutzpflicht wahrnehmen.
2. Nach diesem Maßstab haben die erkennenden Gerichte die aus Art. 1 Abs. 1 GG folgende Schutzpflicht nicht dadurch verletzt, dass sie der Beschwerdeführerin als Alleinerbin des Erblassers einen Entschädigungsanspruch wegen einer zu Lebzeiten des Erblassers entstandenen Persönlichkeitsrechtsverletzung verweigert haben.
a) Der aus der Garantie der Menschenwürde folgende Schutzauftrag gebietet nicht die Bereitstellung einer bestimmten Sanktion für Würdeverletzungen. Insbesondere gibt es keinen verfassungsrechtlichen Grundsatz des Inhalts, dass eine Verletzung der Menschenwürde stets einen Entschädigungsanspruch nach sich ziehen muss.
b) Der Bundesgerichtshof hat – entsprechend dem angegriffenen Urteil des Oberlandesgerichts – in dem angegriffenen Urteil ausgeführt, der Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei im Grundsatz nicht vererblich.
Dies gelte auch dann, wenn der Anspruch im Zeitpunkt des Todes des Verletzten und ursprünglichen Anspruchsinhabers bereits bei Gericht anhängig oder gar rechtshängig sei. Die grundsätzliche Unvererblichkeit ergebe sich entscheidend aus der Funktion des Geldentschädigungsanspruchs. Insoweit stehe der Genugtuungsgedanke im Vordergrund. Einem Verstorbenen könne aber Genugtuung nicht mehr verschafft werden. Dass der Geldentschädigungsanspruch auch der Prävention diene, gebiete das (Fort-)Bestehen eines solchen Anspruchs nach dem Tode auch nicht unter dem Aspekt der Menschenwürde.
c) Diese Ausführungen begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Aus der Garantie der Menschenwürde folgt keine Pflicht der Zivilgerichte, die zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen des persönlichkeitsrechtlichen Sanktionensystems auszuweiten. Verfassungsrechtlich geboten ist dies jedenfalls dann nicht, wenn die Rechtsordnung andere Möglichkeiten zum Schutz der postmortalen Menschenwürde bereithält.
Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass die postmortale Menschenwürde des Erblassers gegen Übergriffe durch die Beklagten schutzlos gestellt war. Dem Erblasser standen zu Lebzeiten, der Beschwerdeführerin stehen nach seinem Versterben Unterlassungsansprüche gegen die Beklagten zu.
Beschlüsse vom 24. Oktober 2022 - 1 BvR 19/22, 1 BvR 110/22
Quelle: Pressemitteilung des BVerfG v. 15.12.2022
Die Deutsche Bank AG schloss am 12. September 2008 mit der Deutschen Post AG einen Vertrag ("Ursprungsvertrag") über den Erwerb einer Minderheitsbeteiligung an der Postbank von 29,75 % zum Preis von 57,25 € pro Aktie. Zusätzlich wurden wechselseitige Optionen über Aktienpakete in Höhe von 18 % (Erwerbsoption zu 55 € je Aktie) bzw. 20,25 % plus einer Aktie (Veräußerungsoption zu 42,80 € je Aktie) vereinbart.
Nachdem die Deutsche Bank AG und die Deutsche Post AG Ende Dezember 2008 aufgrund veränderter Marktbedingungen zunächst vereinbart hatten, den Vollzug der ursprünglichen Erwerbsvereinbarung zu verschieben, schlossen sie am 14. Januar 2009 eine Nachtragsvereinbarung, nach der der Erwerb der Postbank in drei Schritten erfolgen sollte: Zunächst sollte die Deutsche Bank AG 50 Mio. Aktien (22,9 % des Grundkapitals der Postbank) zum Preis von 23,92 € je Aktie erwerben.
Sodann 60 Mio. Aktien (27,4 % des Grundkapitals) über eine Pflichtumtauschanleihe mit Fälligkeit zum 25. Februar 2012 zum Preis von 45,45 € je Aktie und schließlich 26.417.432 Aktien (12,1 % des Grundkapitals) aufgrund von wechselseitigen Optionen (48,85 € je Aktie für die Erwerbsoption und 49,42 € je Aktie für die Verkaufsoption).
Die Optionen sollten zwischen dem 28. Februar 2012 und dem 25. Februar 2013 ausgeübt werden können. Die Deutsche Post AG verpfändete im Dezember 2008 und Januar 2009 Aktien der Postbank an die Beklagte, um deren Ansprüche aus den getroffenen Vereinbarungen und einer von der Beklagten geleisteten Sicherheit in Höhe von 3,1 Mrd. € zu sichern.
Die Klägerinnen und Kläger sind der Ansicht, die Deutsche Bank AG hätte schon aufgrund des Ursprungsvertrags ein Pflichtangebot zu einem Preis von 57,25 € pro Aktie veröffentlichen müssen, weil dieser Vertrag zu einem Kontrollerwerb der Beklagten gemäß § 29 Abs. 2 WpÜG geführt habe.
Im Verfahren II ZR 9/21 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat der Bundesgerichtshof das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Das Oberlandesgericht hat Beweis erhoben und die Berufung der Klägerin erneut zurückgewiesen.
Im Verfahren II ZR 14/21 hatten die Klägerinnen und Kläger mit ihren Klagen zunächst ganz überwiegend Erfolg. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klagen abgewiesen.
Mit ihren vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen verfolgen die Klägerinnen und Kläger ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Die Klägerinnen und Kläger können einen Anspruch auf weitere Zahlung haben, wenn die Beklagte bereits auf Grund der zwischen dem 12. September 2008 bis Ende Februar 2009 geschlossenen Vereinbarungen verpflichtet gewesen wäre, den Aktionären der Deutschen Postbank AG ein Pflichtangebot nach § 35 Abs. 2 WpÜG zu unterbreiten.
Dafür kommt es darauf an, ob die Beklagte die Schwelle von mindestens 30 % der Stimmrechte an der Postbank aufgrund der Zurechnung von Stimmrechten aus den von der Deutschen Post AG gehaltenen Aktien gemäß § 30 WpÜG überschritt. Die den Berufungsurteilen zu Grunde liegende Beurteilung, dass die Voraussetzungen für eine Zurechnung von Stimmrechten nicht vorliegen, hält in einigen Punkten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
Soweit die Vereinbarungen Regelungen zur Ausübung der Stimmrechte aus den Aktien durch die Deutsche Post AG bis zum Vollzug der Transaktionen (sog. Interessenschutzklauseln) enthielten, kommt es für die Zurechnung wegen einer Verhaltensabstimmung durch eine Verständigung über die Ausübung von Stimmrechten (§ 30 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Fall 1, Satz 2 Fall 1 WpÜG) nicht darauf an, ob eine Interessenschutzklausel darauf gerichtet ist, die bestehenden Verhältnisse bei der Zielgesellschaft im Zeitraum zwischen dem Abschluss und dem Vollzug eines Kaufvertrags über Aktien der Zielgesellschaft aufrechtzuerhalten und/oder diese keine über die allgemeine Leistungstreuepflicht hinausgehende Absprache oder tatsächliche Einflussnahme vorsieht.
Maßgeblich ist vielmehr, ob die Regelungen auf eine tatsächliche und konkrete Einflussnahme bei der Zielgesellschaft gerichtet waren. Diese Voraussetzung lag nach den getroffenen Feststellungen hinsichtlich des jeweils ersten Teils der Transaktion, den Erwerb einer Minderheitsbeteiligung, nicht vor.
Ob eine Zurechnung unter diesem Gesichtspunkt auch in einer Gesamtschau der vorgelegten Verträge zu verneinen ist, kann aufgrund der getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden. Soweit sich in diesem Zusammenhang Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts, namentlich der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote stellen, hat der Senat von einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union abgesehen, weil im jetzigen Verfahrensstadium nicht abzusehen ist, dass es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf eine Antwort des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts ankommen wird.
Eine Zurechnung von Stimmrechten kommt weiter unter dem Gesichtspunkt in Betracht, dass die Deutsche Post AG die Aktien der Postbank nach den Vereinbarungen bereits für Rechnung der Beklagten gehalten hat (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpÜG).
Das Berufungsgericht hat hierzu rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Voraussetzungen einer Zurechnung nicht vorliegen, weil die Dividendenchance aus den betreffenden Aktien bei der Deutschen Post AG verblieben sei. Die gebotene Gesamtbetrachtung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten spricht unter Berücksichtigung der getroffenen Feststellungen nicht gegen, sondern für den Übergang der Dividendenchance auf die Beklagte.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts im Verfahren II ZR 14/21 erweist sich auch nicht teilweise im Ergebnis als richtig, weil die Ansprüche einiger Klägerinnen und Kläger verjährt sind. Der geltend gemachte Anspruch unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren nach §§ 195, 199 BGB. Eine Klageerhebung war den betreffenden Klägerinnen und Klägern allerdings wegen der rechtlichen Unsicherheiten über das Bestehen eines Anspruchs jedenfalls vor dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 29. Juli 2014 (II ZR 353/12, BGHZ 202, 180) nicht zumutbar.
Urteile vom 13. Dezember 2022 – II ZR 9/21 und II ZR 14/21
Quelle: Pressemitteilung des BGH v. 13.12.2022
Der Kläger wehrte sich gegen die Keyword-Verwendung seines Unternehmenszeichens durch Google im Bereich der Google Ads-Werbung. Google bestritt dies.
Die Frankfurter Richter wiesen die Klage ab, da in jedem Fall keine Markenverletzung erkennbar sei:
Insoweit kann auf die Grundsätze der Rechtsprechung zum Keyword-Advertising zurückgegriffen werden. Wird Internetnutzern anhand eines mit der Marke identischen oder verwechselbaren Schlüsselworts eine Anzeige eines Dritten gezeigt (Keyword-Advertising), ist eine Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion der Marke in der Regel zu verneinen, wenn die Anzeige in einem von der Trefferliste eindeutig getrennten und entsprechend gekennzeichneten Werbeblock erscheint und selbst weder die Marke noch sonst einen Hinweis auf den Markeninhaber oder die unter der Marke angebotenen Produkte enthält (BGH GRUR 2014, 182, Rn 23 - Fleurop).
Entsprechende Grundsätze gelten auch bei der Verletzung von Unternehmenskennzeichen (BGH GRUR 2009, 500 - Beta Layout)."
Sollte dies zutreffen, liegt darin keine Benutzungshandlung im Sinne des § 15 Abs. 4 MarkenG. Das Anbietens eines Fremdzeichens als Keyword von Suchmaschinenbetreibern gegenüber Werbekunden wird vom Verkehr nicht als Hinweis auf die betriebliche Herkunft dieser Leistung angesehen. Kennzeichenrechtlich relevant ist allein das nach Eingabe des Zeichens durch einen Nutzer als Ergebnis des Suchvorgangs angezeigte Anzeigenbild."
In einem Verfahren bestätigte das OLG den Freispruch, in dem anderen hob es die Entscheidung auf und verwies die Sache zurück an das Amtsgericht.
Im ersten Fall hat die Staatsanwaltschaft Revision gegen ein vom Vorwurf der Volksverhetzung freisprechendes Urteil des Landgerichts Kassel eingelegt. Gegenständlich ist eine Bild-Text-Collage, die ein nordhessischer Kommunalpolitiker Sylvester 2019 auf Facebook geteilt haben soll.
In dem Post sind auf dem einen Bild mehrere Männer schwarzer Hautfarbe, die mit Unterhemden oder T-Shirts bekleidet sind, zu sehen, die freudig Papiere in die Kamera zu halten scheinen, versehen mit der Textzeile „Wir sind EU-Bürger“. Darunter sind mehrere Löwen abgebildet mit der Textzeile „und wir sind Vegetarier“.
Der Kommunalpolitiker soll den Post nach öffentlicher Kritik aus seiner Facebookchronik gelöscht und sich öffentlich entschuldigt haben.
Der Senat hat die Revision verworfen.
Der Senat hat sich intensiv mit der Frage befasst, ob der Post objektiv eindeutig nur so verstanden werden könne, dass es lächerlich sei, anzunehmen, dass schwarze Menschen gleichwertige Bürger eines EU-Landes sein könnten, Schwarze also wegen ihres Soseins verächtlich gemacht werden, oder ob der Post als objektiv noch mehrdeutig einzuordnen ist und auch die vom Landgericht Kassel in Betracht gezogene Auslegung vertretbar ist.
Nach der landgerichtlichen Auslegung wende sich der Post gegen eine weitere Einwanderung von Menschen aus Afrika nach Europa und damit gegen migrationspolitische Positionen der Bundesregierung.
Hier seien, so der Senat, mehrere Auslegungen des Posts möglich und auch die dem Angeklagten günstigste letztgenannte Auslegung vertretbar, nach der in der Weiterleitung (nur) eine überspitze Kritik an migrationspolitischen Aussagen zu sehen sein könnte.
Unter Zugrundelegung der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts sei damit im Hinblick auf die grundgesetzlich geschützte Meinungsfreiheit noch keine Strafbarkeit nach § 130 StGB a. F. anzunehmen. Der Senat unterstrich, dass nicht jede eventuell rassistische Bemerkung, die sich dann, wenn sie sich gegen eine oder mehrere konkrete individualisierbare Personen richte, als Beleidigung strafbar wäre, auch den Tatbestand der Volksverhetzung erfülle.
In der zweiten Sache hatte der Senat über die Sprungrevision der Staatsanwaltschaft gegen ein vom Vorwurf der Volksverhetzung freisprechendes Urteil des Amtsgerichts Eschwege zu entscheiden.
Mit der Anklage wurde einem islamistischen Prediger vorgeworfen, in einem Beitrag auf dem You-Tube-Channel „Im Auftrag des Islam TV“ 2018 gegenüber Personen, die er überwiegend als „Zionisten“ bezeichne, diverse verleumderische und ggf. rassistische Behauptungen aufgestellt zu haben.
Zu diesen Behauptungen gehörte ua., dass diese die nichtjüdische Bevölkerung über große Lebensmittelkonzerne durch die Beimischung von Emulgatoren vergiften wollten, während sie selbst koscher essen und dadurch die angeblichen Giftstoffe vermeiden würden.
Der Senat hat auf die Revision hin das Urteil aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zurückgewiesen. Das Urteil leide bereits an einem Darstellungsmangel, so der der Senat. Die Urteilsgründe enthielten keine Ausführungen, wie der Anklagevorwurf in den tatsächlichen Einzelheiten laute.
Der Senat wies zugleich darauf hin, dass sich das Amtsgericht in der neuen Hauptverhandlung auch mit der Frage wird befassen müssen, ob sich die Beschimpfungen gegen eine im Sinne von § 130 StGB a. F. ausreichend abgrenzbare, etwa religiöse, Gruppe richteten.
Das könnte bei Angriffen gegen „die“ Juden der Fall sein. Bei Angriffen gegen einzelne, vom Angeklagten den „Zionisten“ zugerechnete Personen könnte es daran fehlen, zumal der Angeklagte offenbar einen völlig kruden, nicht abgrenzbaren, Begriff der „Zionisten“ verwende.
Dabei sei neben dem Wortlaut einer Äußerung auch ihr objektiver Sinngehalt entscheidend. Ergebe die Auslegung einer Erklärung aus objektiver Sicht eines unvoreingenommenen Dritten, dass der Erklärende den Begriff „Juden“ nur deshalb vermeide, weil er Strafbarkeit befürchte, seinen Zuhörern aber unmissverständlich vermittele, dass er nicht nur eine nicht abgrenzbare kleine Teilmenge, sondern „die Juden“ meine, sei er auch an diesem Sinngehalt festzuhalten.
Der Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 StGB erfasse nicht nur ausdrückliche, sondern auch konkludente Äußerungen. Kämen allerdings mehrere Interpretationen der Äußerung ernsthaft in Betracht, gebiete es die in Art. 5 GG geschützte Meinungsfreiheit und der Grundsatz „in dubio pro reo“, diejenige Auslegung zu Grunde zu legen, bei der es deshalb am Tatbestand der Volksverhetzung fehle, weil die entsprechende ggf. rassistische Bemerkung sich nicht gegen eine ausreichend abgrenzbare Personengruppe richte.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteile vom 30.11.2022 – Az. 3 Ss 131/22 und 3 Ss 123/22
Quelle: Pressemitteilung des OLG Frankfurt a.M. v. 01.12.2022
In dem Online-Shop der Beklagten war ein zu niedriger Preis für ein Produkt angegeben. Als ein Kunde die Ware bestellte, verweigerte die Beklagte die Auslieferung und war nur bereit, zu dem höheren Preis zu verkaufen. Die Beklagte trug vor, dass der Fehler auf einer fehlerhaften Eingabe eines ihrer Mitarbeiter beruhe und sie daher einem Irrtum unterlegen habe.
Die Klägerin sah hierin eine wettbewerbswidrige Irreführung und klagte.
Zu Recht, wie nun das OLG Frankfurt a.M. entschied.
Entscheidend sei alleine, dass der tatsächlich auf der Webseite angegebene Preis falsch gewesen sei. Unerheblich für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung, aus welchem Grund es zu dem Irrtum gekommen sei:
Die Beklagte hat tatsächlich im konkreten Fall eine Lieferung zum Angebotspreis nicht nur einmal, sondern auf konkrete Nachfrage des Kunden auch ein zweites Mal verweigert. Unabhängig von dem - bestrittenen - Vortrag der Beklagten zu den internen Abläufen auf Seiten der Beklagten war damit die Angabe der Beklagten unwahr.
Soweit die Beklagte einwendet, es habe ein Fehler der zuständigen Mitarbeiterin vorgelegen, die dem System nicht entnommen habe, dass es sich um einen Angebotsartikel gehandelt habe, kann dies zu keinem anderen Ergebnis führen.
Anknüpfungspunkt für den Unlauterkeitsvorwurf ist bei richtlinienkonformer Auslegung die (relevante) Unwahrheit bzw. Täuschungseignung der Angaben. Eine Täuschungsabsicht ist für den Art. 6 UGP-RL umsetzenden Irreführungsschutz des § 5 UWG nicht erforderlich (...). Auch andere Motive des Unternehmers spielen im Rahmen des § 5 UWG keine Rolle (...)."
Im September 2022 erschienen auf Twitter diverse Kommentare, in denen wahrheitswidrig behauptet wurde, der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg habe „eine Nähe zur Pädophilie“ und er habe „einen Seitensprung gemacht“. Außerdem wurde über ihn verbreitet, er sei in „antisemitische Skandale“ verstrickt und er sei „Teil eines antisemitischen Packs“.
Die zuständige Pressekammer des Landgerichts Frankfurt am Main stellte in einem Eilverfahren fest, dass diese ehrenrührigen Behauptungen unwahr sind. Die Bezeichnung als Antisemit sei zwar zunächst eine Meinungsäußerung. Sie sei aber jedenfalls in dem gewählten Kontext rechtswidrig, denn sie trage nicht zur öffentlichen Meinungsbildung bei und ziele erkennbar darauf ab, in emotionalisierender Form Stimmung gegen den Antisemitismusbeauftragten zu machen.
Nachdem der Antisemitismusbeauftragte die Entfernung dieser Kommentare verlangt hat, hätte Twitter ihre Verbreitung unverzüglich unterlassen und einstellen müssen. Darüber hinaus entschied die Kammer: „Das Unterlassungsgebot greift nicht nur dann, wenn eine Äußerung wortgleich wiederholt wird, sondern auch, wenn die darin enthaltenen Mitteilungen sinngemäß erneut veröffentlicht werden.“
Unter weiter: „Die Äußerungen werden nicht in jeglichem Kontext untersagt. Betroffen sind nur solche Kommentare, die als gleichwertig anzusehen sind und die trotz gewisser Abweichungen einen identischen Äußerungskern aufweisen.“
Twitter werde damit auch keine allgemeine Monitoring-Pflicht im Hinblick auf seine rund 237 Mio. Nutzer auferlegt. Eine Prüfpflicht bestehe nämlich nur hinsichtlich der konkret beanstandeten Persönlichkeitsrechtsverletzung.
„Das deutsche Recht mutet jedem Verpflichteten eines Unterlassungsgebots zu, selbst festzustellen, ob in einer Abwandlung das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt und damit kerngleich ist. Twitter befindet sich damit in keiner anderen Situation, als wenn eine bestimmte Rechtsverletzung gemeldet wird. Auch in diesem Fall muss Twitter prüfen, ob diese Rechtsverletzung eine Löschung bedingt oder nicht“, so die Vorsitzende in der Urteilsbegründung.
Als zulässig erachtete die Kammer indes die Äußerung eines Nutzers, wonach der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg in die jährlich vom Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles veröffentlichte Liste der größten Antisemiten weltweit aufgenommen worden ist. Unabhängig davon, ob die Aufnahme in diese Liste gerechtfertigt sei, dürfe darüber informiert werden. Dagegen müsse sich der Antisemitismusbeauftragte im öffentlichen Meinungskampf zur Wehr setzen.
Das Urteil (Az. 2-03 O 325/22) ist nicht rechtskräftig. Es kann mit der Berufung zum Oberlandesgericht Frankfurt am Main angefochten werden.
Quelle: Pressemitteilung des LG Frankfurt a.M. v. 14.12.2022
Im Rahmen einer arbeitsgerichtlichen Kündigungsschutzklage wandte der Kläger gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein, er sei als betrieblicher Datenschutzbeauftragter bestellt und genieße daher den besonderen Kündigungsschutz nach § 6 Abs.4 BDSG.
Das verklagte Unternehmen wies darauf hin, dass die Bestellung des Datenschutzbeauftragten freiwillig erfolgt sei. Es bestünde keiner der Fälle, in denen das Gesetz die Bestellung verlange. Insofern greife hier auch der Kündigungsschutz nicht.
Das LAG Hamm gab dem Arbeitgeber Recht und wies die Kündigungsschutzklage ab.
§ 6 Abs. 4 S. 2 BDSG bestimmt, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Datenschutzbeauftragten unzulässig ist, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, welche zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen.
Die Vorschrift gilt jedoch nach ihrem Wortlaut und nach der Gesetzessystematik nur für öffentliche Stellen.
Auf nicht öffentliche Stellen ist § 6 Abs. 4 S. 2 BDSG nur anwendbar, wenn die Benennung eines Datenschutzbeauftragten verpflichtend ist (§ 38 Abs. 2 BDSG).
Im Streitfall war die Beklagte indes nicht verpflichtet, einen Datenschutzbeauftragten zu bestellen. Es bedarf daher keiner Entscheidung darüber, ob der Sonderkündigungsschutz dem Datenschutzbeauftragten bereits während der Wartezeit (...) oder während einer vertraglich vereinbarten Probezeit zusteht (...)."
Inhaltlich ging es um die AGB der Deutschen Post im Bereich der Frankierung gegenüber Verbrauchern:
Die angegriffene Klausel zielt auf eine Benachteiligung der Verbraucherinnen im Vergleich zu der gesetzlichen Regelung der §§ 195, 199 BGB ab, nach der entsprechende Ansprüche mit dem Ablauf einer Frist von drei Jahren - beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entsteht - verjähren. So wird der Zeitraum, in dem die unmittelbare Geltendmachung des Anspruchs - die Beförderung eines mit der mobilen Briefmarke versehenen Briefes bzw. einer Postkarte - möglich ist, auf einen minimalen Bruchteil (ca. 1 %) des vom gesetzlichen Leitbild Vorgesehenen herabgesetzt.
Der dadurch bewirkte ersatzlose Verlust der Möglichkeit, einen nicht verjährten Anspruch geltend zu machen, stellt eine erhebliche Beeinträchtigung der Interessen der Verbraucherinnen dar."
Unter Zugrundelegung des beklagtenseits behaupteten Umfangs von 12 Mio. verkauften mobilen Briefmarken pro Jahr würde die Anzahl der Codes für einen Zeitraum von acht Jahren und 4 Monaten ausreichen. Auch der Verweis auf eine etwaig bestehende Missbrauchsgefahr ist nicht geeignet, die durch die angegriffenen Klauseln bewirkte Beschneidung der Rechte der Verbraucherinnen zu rechtfertigen.
Es handelt sich insoweit um Folgen, die in dem von der Beklagten zur Steigerung ihres Umsatzes selbst gewählten Geschäftsmodell angelegt und daher nicht zu berücksichtigen sind. Es obliegt der Beklagten, ihr System derart zu gestalten, dass eine mehrfache Verwendung von Codes erkannt und verhindert wird."
Die Beklagte bot in ihrem Online-Shop persönliche Schutzausrüstung für den gewerblichen Bereich an.
Einzige Zeit später verschickte die Beklagte einen Werbe-Newsletter, in dem sie auf ganz generell für ihre Arbeitsschutz-Produkte (z.B. Helme, Gehörschutz oder Sicherheitsschuhe) warb.
Das LG Nürnberg-Fürth stufte dies als unzulässige Werbung ein. Denn die Ausnahmeregelung des § 7 Abs.3 UWG, wonach für ähnliche Waren und Dienstleistungen unter bestimmten Umständen geworben werden dürfe, greife im vorliegenden Fall.
Die Norm setze bereits einen wirksamen Vertrag voraus:
Dies ist vorliegend nicht der Fall. Ein Verkauf kam unstreitig nicht zustande. Die Bestellung wurde storniert."
Vom Normzweck erscheint es vertretbar, Werbung auch für funktionell zugehörige Waren, wie Zubehör und Ergänzung, zuzulassen (,,,). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Bestellt wurden FFP3-Schutzmasken. Der Newsletter der Beklagten (...) umfasst auch Werbung für Arbeitsschutzhelme, Gehörschutz, Sportbrillen, Arbeits- und Berufskleidung, orthopädischen Fußschutz, Gehörschutz-Otoplastiken und Sicherheitsschuhe.
Der Newsletter (...) bewirbt ebenfalls das gesamte Produktsortiment und enthält darüber hinaus Informationen zu Dienstleistungen der Beklagten, wie z.B. Informationen zum Arbeitsschutz und Schulungsangebote zur Aus- und Weiterbildung rund um persönliche Schutzausrüstung."
Der Kläger wandte sich gegen die Datenerhebung durch das Statistische Bundesamt im Rahmen des Zensus 2022. U.a. wandte er ein, dass die Speicherung rechtswidrig sei, weil der amerikanische Anbieter Cloudflare in die Webseite integriert sei.
Dies ließ das VG Regensburg nicht ausreichen, um die Datenerhebung ganz grundsätzlich für rechtswidrig einzustufen:
Dies ergibt sich daraus, dass die Firma Cloudflare nach den Ausführungen des Antragsgegners und des Bundesbeauftragten für Datenschutz in die tatsächliche Durchführung der Befragungen im Zensus 2022 zu keiner Zeit eingebunden war und mittlerweile auch in das Hosting der o.g. Website nicht mehr eingebunden ist, sondern dass allenfalls zu einem früheren Zeitpunkt Metadaten (wie bspw. Datum und Uhrzeit des Abrufs der Website) an die Firma Cloudflare übermittelt worden sein könnten.
Bereits in einer Pressemitteilung des Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit vom 18.5.2022 (abrufbar unter https://www.bfdi.bund.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2022/05_Zensus-2022-Cloudflare.html, zuletzt abgerufen am 24.11.2022 um 13:41 Uhr) wurde jedoch klargestellt, dass zu keinem Zeitpunkt die Gefahr bestanden habe, dass personenbezogene Daten aus der Online-Befragung im Rahmen des Zensus an unbefugte Dritte (wie Cloudflare) weitergegeben werden.
Überdies ergibt sich aus der Pressemitteilung, dass bereits im Mai 2022 eine Änderung an der Website vorgenommen wurde, sodass auch eine Übermittlung von Metadaten an Cloudflare jedenfalls seit diesem Zeitpunkt nicht mehr stattfindet.
Schließlich hat der Antragsgegner in seiner Stellungnahme vom 23.11.2022 klargestellt, dass bei der Verarbeitung der beim Antragsgegner eingehenden Fragebögen in Papierform, auch nach deren Digitalisierung und Weiterleitung an das statistische Bundesamt, keinerlei Zusammenhang mit der Firma Cloudflare besteht. Daher sind auch die dahingehend geäußerten Bedenken unbegründet."
Zurück
Newsletter
vom 21.12.2022
Betreff:
Rechts-Newsletter 51. KW / 2022: Kanzlei Dr. Bahr
1. BVerfG: Verfassungsbeschwerden wg. postmortalem Persönlichkeitsrecht von Helmut Kohl erfolglos
2. BGH: Erneute Entscheidung zur Übernahme der Postbank durch die Deutsche Bank
3. OLG Frankfurt a.M.: Verwendung eines Unternehmenskennzeichens als Google Ads-Keyword durch Google rechtmäßig
4. OLG Frankfurt a.M.: Zur Strafbarkeit wegen Volksverhetzung bei Bild-Text-Collagen auf Facebook
5. OLG Frankfurt a.M.: Fehlerhafter Preis im Online-Shop ist auch dann wettbewerbswidrige Irreführung, wenn Fehler auf Falschangabe eines Mitarbeiters beruht
6. LG Frankfurt a.M.: Twitter muss bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen auch kerngleiche Äußerungen entfernen
7. LAG Hamm: Für freiwillig bestellte Datenschutzbeauftragte gilt Kündigungsschutz nicht
8. LG Köln: Post darf "mobile Briefmarke" nicht nach 14 Tagen verfallen lassen
9. LG Nürnberg-Fürth: Ausnahmeregelung des § 7 Abs.3 UWG für E-Mail-Marketing setzt wirksame Bestellung voraus
10. VG Regensburg: Trotz Einbindung von Cloudflare in Zensus-Webseite, Datenerhebung grundsätzlich rechtmäßig
Die einzelnen News:
____________________________________________________________
1. BVerfG: Verfassungsbeschwerden wg. postmortalem Persönlichkeitsrecht von Helmut Kohl erfolglos
_____________________________________________________________
Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat mit heute veröffentlichten Beschlüssen zwei Verfassungsbeschwerden der Witwe und Alleinerbin des verstorbenen vormaligen Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl (fortan: „Erblasser“) nicht zur Entscheidung angenommen.
Gegenstand der einen Verfassungsbeschwerde sind gerichtliche Entscheidungen in einem zunächst vom Erblasser und nach dessen Tod von der Beschwerdeführerin gegen die Beklagten geführten Verfahren gerichtet auf Unterlassung der Veröffentlichung und Verbreitung von 116 Passagen des Buches „Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle“. Die angegriffenen Urteile des Oberlandesgerichts und des Bundesgerichtshofs sahen die Unterlassungsklage nur teilweise als begründet an.
Die Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen.
zurück zur Übersicht
_____________________________________________________________
2. BGH: Erneute Entscheidung zur Übernahme der Postbank durch die Deutsche Bank
_____________________________________________________________
Die Klägerinnen und Kläger der beiden Verfahren hielten Aktien der Deutschen Postbank AG (Postbank). Die Beklagte, die Deutsche Bank AG, veröffentlichte am 7. Oktober 2010 ein Übernahmeangebot nach § 29 Abs. 1 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG) zum Preis von 25 € je Aktie, das die Klägerinnen und Kläger annahmen. Diese sind der Auffassung, dass die Beklagte 57,25 € je Aktie als angemessene Gegenleistung hätte anbieten müssen und verlangen Zahlung des Differenzbetrags.
Der für das Gesellschaftsrecht und Teile des Kapitalmarktrechts zuständige II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Berufungsurteile aufgehoben und die Sachen an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
zurück zur Übersicht
____________________________________________________________
3. OLG Frankfurt a.M.: Verwendung eines Unternehmenskennzeichens als Google Ads-Keyword durch Google rechtmäßig
_____________________________________________________________
Die Verwendung eines Unternehmenskennzeichens als Keyword im Rahmen von Google Ads durch Google selbst ist rechtmäßig und verletzt kein Markenrecht (OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 10.11.2022 - Az.: 6 U 301/21).
"Da der Nutzer den Vorgang der Keyword-Zuordnung durch den Algorithmus gar nicht wahrnehmen kann, kann allein darin keine kennzeichenrechtlich relevante Nutzungshandlung liegen. Es kommt vielmehr darauf an, ob das Ergebnis des Suchvorgangs, also die nach Eingabe des Wortes „Y“ erscheinenden Anzeigen nach Anlagen K1, K5, aus Sicht der Nutzer eine wirtschaftliche Verbindung zwischen dem Unternehmenskennzeichen und den Anzeigen nahelegen.
Und weiter:
"Die Beklagte benutzt das Zeichen entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht gegenüber den aus der Anlage K1 ersichtlichen Werbekunden kennzeichenmäßig. Der Kläger behauptet in diesem Zusammenhang, die Beklagte biete das Zeichen als Keyword den Werbetreibenden an.
zurück zur Übersicht
____________________________________________________________
4. OLG Frankfurt a.M.: Zur Strafbarkeit wegen Volksverhetzung bei Bild-Text-Collagen auf Facebook
_____________________________________________________________
Nicht jede üble oder auch rassistische Äußerung erfüllt den Straftatbestand der Volksverhetzung (insbesondere nicht § 130 Abs. 1 StGB a. F.) Der Straftatbestand der Volksverhetzung ist eng gefasst und muss mit Blick auf die grundgesetzlich geschützte Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG auch eng ausgelegt werden. Der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) befasste sich gestern mit zwei Revisionen gegen Freisprüche wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung.
zurück zur Übersicht
____________________________________________________________
5. OLG Frankfurt a.M.: Fehlerhafter Preis im Online-Shop ist auch dann wettbewerbswidrige Irreführung, wenn Fehler auf Falschangabe eines Mitarbeiters beruht
_____________________________________________________________
Ein objektiv zu niedriger und somit falscher Preis in einem Online-Shop ist eine wettbewerbswidrige Irreführung. Dies gilt auch für den Fall, dass der falsche Preis auf einem Eingabefehler eines Mitarbeiters des Online-Shops beruht (OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 24.11.2022 - Az.: 6 U 276721).
"Die so verstandene Angabe der Beklagten ist unwahr.
zurück zur Übersicht
_____________________________________________________________
6. LG Frankfurt a.M.: Twitter muss bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen auch kerngleiche Äußerungen entfernen
_____________________________________________________________
Das Landgericht Frankfurt am Main hat heute entschieden: Betroffene können von Twitter verlangen, dass falsche oder ehrverletzende Tweets über sie gelöscht werden. Auch sinngemäße Kommentare mit identischem Äußerungskern muss Twitter entfernen, sobald es von der konkreten Persönlichkeitsrechtsverletzung Kenntnis erlangt.
zurück zur Übersicht
_____________________________________________________________
7. LAG Hamm: Für freiwillig bestellte Datenschutzbeauftragte gilt Kündigungsschutz nicht
_____________________________________________________________
Bestellt ein Unternehmen freiwillig einen betrieblichen Datenschutzbeauftragten, so genießt dieser nicht den besonderen Kündigungsschutz nach § 6 Abs.4 BDSG (LAG Hamm, Urt. v. 06.10.2022 - Az.: 18 Sa 271/22).
"Die Kündigung ist nicht unwirksam gemäß § 134 BGB i.V.m. § 6 Abs. 4 S. 2 BDSG.
Die Revision vor dem BAG ist anhängig (2 AZR 358/22).
zurück zur Übersicht
_____________________________________________________________
8. LG Köln: Post darf "mobile Briefmarke" nicht nach 14 Tagen verfallen lassen
_____________________________________________________________
Die AGB-Bestimmung der Deutschen Post, wonach "mobile Briefmarken" nach 14 Tagen verfallen, ist unwirksam (LG Köln, Urt. v. 20.10.2022 - Az.: 33 O 258/21).
"Die Mobile Briefmarke ist lediglich als ad-hoc Frankierung zum sofortigen Gebrauch gedacht. Erworbene Mobile Briefmarken verlieren daher mit Ablauf einer 14-tägigen Frist nach Kaufdatum ihre Gültigkeit. Das maßgebliche Kaufdatum ist in der Auftragsbestätigung genannt. Eine Erstattung des Portos nach Ablauf der Gültigkeit ist ausgeschlossen."
Dies stufte das LG Köln als unangemessen ein und erklärte die Klausel für unwirksam. Denn mit der zeitlichen Begrenzung werde von der grundsätzlich längeren Dauer zu Lasten des Käufers abgewichen:
"In ihrer konkreten Ausgestaltung enthält die streitgegenständliche Gültigkeitsbefristung der mobilen Briefmarke einen so weitgehenden Eingriff in das vertragliche Äquivalenzverhältnis, dass sie als unangemessene Benachteiligung der Verbraucherinnen zu qualifizieren ist. (...)
Die zeitliche Begrenzung sei auch nicht sachlich gerechtfertigt:
"Die Berufung der Beklagten auf eine erforderliche zeitliche Begrenzung der Codes zur Sicherung des Produktes bzw. zur Vermeidung von Missbrauch sowie der nur begrenzten Verfügbarkeit einer bestimmten Anzahl von Codes ist nicht nachvollziehbar.
Die Beklagte verwendet unstreitig achtstellige Codes. Selbst wenn für die Generierung der Codes lediglich Ziffern verwendet werden, bestehen 100.000.000 Möglichkeiten für die Erstellung verschiedener Codes.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig, es läuft das Berufungsverfahren vor dem OLG Köln (3 U 148/22).
zurück zur Übersicht
_____________________________________________________________
9. LG Nürnberg-Fürth: Ausnahmeregelung des § 7 Abs.3 UWG für E-Mail-Marketing setzt wirksame Bestellung voraus
_____________________________________________________________
Die Ausnahmeregelung des § 7 Abs.3 UWG für E-Mail-Marketing greift nur dann, wenn ein wirksamer, nicht stornierter Einkauf vorliegt und die Werbung sich auf ähnliche Waren und Dienstleistungen bezieht. Eine Ähnlichkeit ist nicht mehr dann gegeben, wenn in der ursprünglichen Bestellung FFP3-Masken geordnet wurden, der Newsletter aber ganz generell für Arbeitsschutz-Produkte (z.B. Helme, Gehörschutz oder Sicherheitsschuhe) wirbt (LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 21.09.2022 - Az.: 4 HK O 655/21).
Vor der Bestellung wies die Beklagte auf ihrer Webseite auf Folgendes hin:
"Der Nutzung Ihrer E-Mail-Adresse für die Übersendung eines Newsletters zu ähnlichen Waren/Dienst leistungen können Sie jederzeit entweder vollständig oder für einzelne Maßnahmen widersprechen. Wenden Sie sich dazu bitte ganz einfach per E-Mail an xy@xy.de oder verwenden Sie den Abmelden-Link am Ende des Newsletters.“
Ein Kunde bestellte FFP3-Masken, die jedoch nicht geliefert wurden, weil die Beklagte die Order stornierte.
"§ 7 III UWG regelt, dass eine unzumutbare Belästigung nicht anzunehmen ist, wenn ein Unternehmer im Zusammenhang mit dem Verkauf einer Ware von dem Kunden dessen elektronische Postadresse erhalten hat (§ 7 III Nr. 1 UWG). Es muss nach der Bestellung zu einem Verkauf gekommen sein (Köhler, a.a.O., § 7 UWG, Rdnr. 204a).
Darüber hinaus legitimierte die Bestimmung auch nur Werbung für ähnliche Waren und Dienstleistungen. Auch diese Voraussetzung sei im vorliegenden Fall nicht erfüllt:
"Die Ausnahmevorschrift greift aber auch deswegen nicht, weil die Beklagte die E-Mail-Adresse nicht zur Direktwerbung für eigene ähnliche Waren oder Dienstleistungen verwendet hat gern. § 7 III Nr. 2 UWG. Die beworbene Ware muss dem gleichen oder ähnlichen erkennbaren oder doch typischen Verwendungszweck oder Bedarf des Kunden entsprechen (...).
zurück zur Übersicht
_____________________________________________________________
10. VG Regensburg: Trotz Einbindung von Cloudflare in Zensus-Webseite, Datenerhebung grundsätzlich rechtmäßig
_____________________________________________________________
Die Rechtemäßigkeit der Datenerhebung der Zensus-Daten wird nicht dadurch berührt, dass (möglicherweise) rechtswidrig Cloudflare in die Zensus-Webseite integriert war (VG Regensburg, Beschl. v. 01.12.2022 - Az.: RN 5 S 22.2413).
"Auch die ehemalige Einbindung der Firma Cloudflare in das Hosting der Website „www.zensus2022.de“ führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Durchführung des Zensus 2022.
zurück zur Übersicht