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Newsletter vom 22.07.2020 |
Betreff: Rechts-Newsletter 30. KW / 2020: Kanzlei Dr. Bahr |
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Die einzelnen News: |
____________________________________________________________ 1. EuGH: US Privacy Shield rechtswidrig, EU-Standardvertragsklauseln hingegen (formal) noch rechtmäßig _____________________________________________________________ Der Gerichtshof erklärt den Beschluss 2016/1250 über die Angemessenheit des vom EU-US-Datenschutzschild gebotenen Schutzes für ungültig. Der Beschluss 2010/87 der Kommission über Standardvertragsklauseln für die Übermittlung personenbezogener Daten an Auftragsverarbeiter in Drittländern ist hingegen gültig. Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) bestimmt, dass personenbezogene Daten grundsätzlich nur dann in ein Drittland übermittelt werden dürfen, wenn das betreffende Land für die Daten ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet. Nach dieser Verordnung kann die Kommission feststellen, dass ein Drittland aufgrund seiner innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder seiner internationalen Verpflichtungen ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet. Liegt kein derartiger Angemessenheitsbeschluss vor, darf eine solche Übermittlung nur erfolgen, wenn der in der Union ansässige Exporteur der personenbezogenen Daten geeignete Garantien vorsieht, die sich u. a. aus von der Kommission erarbeiteten Standarddatenschutzklauseln ergeben können, und wenn die betroffenen Personen über durchsetzbare Rechte und wirksame Rechtsbehelfe verfügen . Ferner ist in der DSGVO genau geregelt, unter welchen Voraussetzungen eine solche Übermittlung vorgenommen werden darf, falls weder ein Angemessenheitsbeschluss vorliegt noch geeignete Garantien bestehen. Herr Schrems, ein in Österreich wohnhafter österreichischer Staatsangehöriger, ist seit 2008 Nutzer von Facebook. Wie bei allen anderen im Unionsgebiet wohnhaften Nutzern werden seine personenbezogenen Daten ganz oder teilweise von Facebook Ireland an Server der Facebook Inc., die sich in den Vereinigten Staaten befinden, übermittelt und dort verarbeitet. Herr Schrems legte bei der irischen Aufsichtsbehörde eine Beschwerde ein, die im Wesentlichen darauf abzielte, diese Übermittlungen verbieten zu lassen. Er machte geltend, das Recht und die Praxis der Vereinigten Staaten böten keinen ausreichenden Schutz vor dem Zugriff der Behörden auf die dorthin übermittelten Daten. Seine Beschwerde wurde u. a. mit der Begründung zurückgewiesen, die Kommission habe in ihrer Entscheidung 2000/5205 (sogenannte „Safe-Harbour-Entscheidung“) festgestellt, dass die Vereinigten Staaten ein angemessenes Schutzniveau gewährleisteten. Mit Urteil vom 6. Oktober 2015 erklärte der Gerichtshof auf ein Vorabentscheidungsersuchen des irischen High Court hin diese Entscheidung für ungültig (im Folgenden: Urteil Schrems I) . Nachdem das Urteil Schrems I ergangen war und der irische High Court daraufhin die Entscheidung, mit der die Beschwerde von Herrn Schrems zurückgewiesen worden war, aufgehoben hatte, forderte die irische Aufsichtsbehörde Herrn Schrems auf, seine Beschwerde unter Berücksichtigung der Ungültigerklärung der Safe-Harbour-Entscheidung durch den Gerichtshof umzuformulieren. Mit seiner umformulierten Beschwerde macht Herr Schrems geltend, dass die Vereinigten Staaten keinen ausreichenden Schutz der dorthin übermittelten Daten gewährleisteten. Er beantragt, die von Facebook Ireland nunmehr auf der Grundlage der Standardschutzklauseln im Anhang des Beschlusses 2010/87 vorgenommene Übermittlung seiner personenbezogenen Daten aus der Union in die Vereinigten Staaten für die Zukunft auszusetzen oder zu verbieten. Die irische Aufsichtsbehörde war der Auffassung, dass die Bearbeitung der Beschwerde von Herrn Schrems insbesondere von der Gültigkeit des Beschlusses 2010/87 über Standardvertragsklauseln abhänge, und strengte daher ein Verfahren vor dem High Court an, damit er den Gerichtshof mit einem Vorabentscheidungsersuchen befassen möge. Nachdem dieses Verfahren eingeleitet worden war, erließ die Kommission den Beschluss (EU) 2016/1250 über die Angemessenheit des vom EU-US-Datenschutzschild („Privacy Shield“) gebotenen Schutzes . Mit seinem Vorabentscheidungsersuchen fragt der irische High Court den Gerichtshof nach der Anwendbarkeit der DSGVO auf Übermittlungen personenbezogener Daten, die auf die Standardschutzklauseln im Beschluss 2010/87 gestützt werden, sowie nach dem Schutzniveau, das diese Verordnung im Rahmen einer solchen Übermittlung verlangt, und den Pflichten, die den Aufsichtsbehörden in diesem Zusammenhang obliegen. Des Weiteren wirft der High Court die Frage der Gültigkeit sowohl des Beschlusses 2010/87 über Standardvertragsklauseln als auch des Privacy Shield-Beschlusses 2016/1250 auf. Mit seinem heute verkündeten Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass die Prüfung des Beschlusses 2010/87 über Standardvertragsklauseln anhand der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nichts ergeben hat, was seine Gültigkeit berühren könnte. Den Privacy Shield-Beschluss 2016/1250 erklärt er hingegen für ungültig. Der Gerichtshof führt zunächst aus, dass das Unionsrecht, insbesondere die DSGVO, auf eine zu gewerblichen Zwecken erfolgende Übermittlung personenbezogener Daten durch einen in einem Mitgliedstaat ansässigen Wirtschaftsteilnehmer an einen anderen, in einem Drittland ansässigen Wirtschaftsteilnehmer Anwendung findet, auch wenn die Daten bei ihrer Übermittlung oder im Anschluss daran von den Behörden des betreffenden Drittlands für Zwecke der öffentlichen Sicherheit, der Landesverteidigung und der Sicherheit des Staates verarbeitet werden können. Eine derartige Datenverarbeitung durch die Behörden eines Drittlands kann nicht dazu führen, dass eine solche Übermittlung vom Anwendungsbereich der DSGVO ausgenommen wäre. In Bezug auf das im Rahmen einer solchen Übermittlung erforderliche Schutzniveau entscheidet der Gerichtshof, dass die insoweit in der DSGVO vorgesehenen Anforderungen, die sich auf geeignete Garantien, durchsetzbare Rechte und wirksame Rechtsbehelfe beziehen, dahin auszulegen sind, dass die Personen, deren personenbezogene Daten auf der Grundlage von Standarddatenschutzklauseln in ein Drittland übermittelt werden, ein Schutzniveau genießen müssen, das dem in der Union durch die DSGVO im Licht der Charta garantierten Niveau der Sache nach gleichwertig ist. Bei der Beurteilung dieses Schutzniveaus sind sowohl die vertraglichen Regelungen zu berücksichtigen, die zwischen dem in der Union ansässigen Datenexporteur und dem im betreffenden Drittland ansässigen Empfänger der Übermittlung vereinbart wurden, als auch, was einen etwaigen Zugriff der Behörden dieses Drittlands auf die übermittelten Daten betrifft, die maßgeblichen Aspekte der Rechtsordnung dieses Landes. Hinsichtlich der Pflichten, die den Aufsichtsbehörden im Zusammenhang mit einer solchen Übermittlung obliegen, befindet der Gerichtshof, dass diese Behörden, sofern kein gültiger Angemessenheitsbeschluss der Kommission vorliegt, insbesondere verpflichtet sind, eine Übermittlung personenbezogener Daten in ein Drittland auszusetzen oder zu verbieten, wenn sie im Licht der Umstände dieser Übermittlung der Auffassung sind, dass die Standarddatenschutzklauseln in diesem Land nicht eingehalten werden oder nicht eingehalten werden können und dass der nach dem Unionsrecht erforderliche Schutz der übermittelten Daten nicht mit anderen Mitteln gewährleistet werden kann, es sei denn, der in der Union ansässige Datenexporteur hat die Übermittlung selbst ausgesetzt oder beendet. Sodann prüft der Gerichtshof die Gültigkeit des Beschlusses 2010/87 über Standardvertragsklauseln. Er sieht sie nicht schon dadurch in Frage gestellt, dass die in diesem Beschluss enthaltenen Standarddatenschutzklauseln aufgrund ihres Vertragscharakters die Behörden des Drittlands, in das möglicherweise Daten übermittelt werden, nicht binden. Vielmehr hängt sie davon ab, ob der Beschluss wirksame Mechanismen enthält, die in der Praxis gewährleisten können, dass das vom Unionsrecht verlangte Schutzniveau eingehalten wird und dass auf solche Klauseln gestützte Übermittlungen personenbezogener Daten ausgesetzt oder verboten werden, wenn gegen diese Klauseln verstoßen wird oder ihre Einhaltung unmöglich ist. Der Gerichtshof stellt fest, dass der Beschluss 2010/87 derartige Mechanismen vorsieht. Insoweit hebt er insbesondere hervor, dass gemäß diesem Beschluss der Datenexporteur und der Empfänger der Übermittlung vorab prüfen müssen, ob das erforderliche Schutzniveau im betreffenden Drittland eingehalten wird, und dass der Empfänger dem Datenexporteur gegebenenfalls mitteilen muss, dass er die Standardschutzklauseln nicht einhalten kann, woraufhin der Exporteur die Datenübermittlung aussetzen und/oder vom Vertrag mit dem Empfänger zurücktreten muss. Schließlich prüft der Gerichtshof die Gültigkeit des Privacy-Shield-Beschlusses 2016/1250 anhand der Anforderungen der DSGVO im Licht der Bestimmungen der Charta, die die Achtung des Privat- und Familienlebens, den Schutz personenbezogener Daten und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz verbürgen. Insoweit stellt er fest, dass in diesem Beschluss, ebenso wie in der Safe-Harbour-Entscheidung 2000/520, den Erfordernissen der nationalen Sicherheit, des öffentlichen Interesses und der Einhaltung des amerikanischen Rechts Vorrang eingeräumt wird, was Eingriffe in die Grundrechte der Personen ermöglicht, deren Daten in die Vereinigten Staaten übermittelt werden. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die von der Kommission im Privacy- Shield-Beschluss 2016/1250 bewerteten Einschränkungen des Schutzes personenbezogener Daten, die sich daraus ergeben, dass die amerikanischen Behörden nach dem Recht der Vereinigten Staaten auf solche Daten, die aus der Union in dieses Drittland übermittelt werden, zugreifen und sie verwenden dürfen, nicht dergestalt geregelt sind, dass damit Anforderungen erfüllt würden, die den im Unionsrecht nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bestehenden Anforderungen der Sache nach gleichwertig wären, da die auf die amerikanischen Rechtsvorschriften gestützten Überwachungsprogramme nicht auf das zwingend erforderliche Maß beschränkt sind. Gestützt auf die Feststellungen in diesem Beschluss weist der Gerichtshof darauf hin, dass die betreffenden Vorschriften hinsichtlich bestimmter Überwachungsprogramme in keiner Weise erkennen lassen, dass für die darin enthaltene Ermächtigung zur Durchführung dieser Programme Einschränkungen bestehen; genauso wenig ist ersichtlich, dass für die potenziell von diesen Programmen erfassten Personen, die keine amerikanischen Staatsbürger sind, Garantien existieren. Der Gerichtshof fügt hinzu, dass diese Vorschriften zwar Anforderungen vorsehen, die von den amerikanischen Behörden bei der Durchführung der betreffenden Überwachungsprogramme einzuhalten sind, aber den betroffenen Personen keine Rechte verleihen, die gegenüber den amerikanischen Behörden gerichtlich durchgesetzt werden können. In Bezug auf das Erfordernis des gerichtlichen Rechtsschutzes befindet der Gerichtshof, dass der im Privacy-Shield-Beschluss 2016/1250 angeführte Ombudsmechanismus entgegen den darin von der Kommission getroffenen Feststellungen den betroffenen Personen keinen Rechtsweg zu einem Organ eröffnet, das Garantien böte, die den nach dem Unionsrecht erforderlichen Garantien der Sache nach gleichwertig wären, d. h. Garantien, die sowohl die Unabhängigkeit der durch diesen Mechanismus vorgesehenen Ombudsperson als auch das Bestehen von Normen gewährleisten, die die Ombudsperson dazu ermächtigen, gegenüber den amerikanischen Nachrichtendiensten verbindliche Entscheidungen zu erlassen. Aus all diesen Gründen erklärt der Gerichtshof den Beschluss 2016/1250 für ungültig.
Urteil in der Rechtssache C-311/18
Quelle: Pressemitteilung des EuGH v. 16.07.2020
Der Präsident des Hessischen Landtags lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, dass das Petitionsverfahren eine parlamentarische Aufgabe sei und dass das Parlament nicht der Datenschutz-Grundverordnung unterliege. Das von diesem Bürger angerufene Verwaltungsgericht Wiesbaden (Deutschland) ist der Auffassung, dass das deutsche Recht im Rahmen einer Petition wie der in Rede stehenden kein Recht auf Auskunft über die personenbezogenen Daten vorsehe. Da es jedoch meint, dass sich ein solches Auskunftsrecht aus der Datenschutz-Grundverordnung ergeben könnte, hat das Verwaltungsgericht den Gerichtshof zu diesem Punkt befragt. Da es außerdem Zweifel an seiner eigenen Unabhängigkeit und somit an seiner Eigenschaft als Gericht hat, das zur Vorlage an den Gerichtshof berechtigt ist, hat das Verwaltungsgericht den Gerichtshof auch zu diesem Aspekt befragt. Mit seinem Urteil von heute antwortet der Gerichtshof, dass der Petitionsausschuss eines Gliedstaats eines Mitgliedstaats insoweit, als dieser Ausschuss allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung entscheidet, als „Verantwortlicher“ im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung einzustufen ist. Die von einem solchen Ausschuss vorgenommene Verarbeitung personenbezogener Daten unterliegt daher dieser Verordnung, unter anderem der Bestimmung, die den betroffenen Personen ein Recht auf Auskunft über die sie betreffenden personenbezogenen Daten verleiht. Der Gerichtshof stellt insbesondere fest, dass die Tätigkeiten des Petitionsausschusses des Hessischen Landtags nicht unter eine in dieser Verordnung vorgesehene Ausnahme fallen. Er räumt ein, dass diese Tätigkeiten behördlicher Art und spezifische dieses Landes sind, da dieser Ausschuss mittelbar zur parlamentarischen Tätigkeit beiträgt, weist jedoch darauf hin, dass diese Tätigkeiten auch politischer und administrativer Natur sind. Zudem geht aus den Akten, die dem Gerichtshof vorliegen, in keiner Weise hervor, dass diese Tätigkeiten im vorliegenden Fall unter eine der in dieser Verordnung vorgesehenen Ausnahmen fallen.
Die vom Verwaltungsgericht geäußerten Zweifel in Bezug auf seine eigene Unabhängigkeit von der Legislative und der Exekutive prüft der Gerichtshof unter dem Gesichtspunkt der Diese Zweifel beruhen darauf, dass erstens die Richter vom Justizministerium ernannt und befördert würden, sich zweitens die Beurteilung der Richter durch das Justizministerium nach denselben Bestimmungen richte, die für Beamte gälten, drittens die personenbezogenen Daten und die dienstlichen Kontaktdaten der Richter vom Justizministerium verwaltet würden, das damit Zugriff auf diese Daten habe, viertens Beamte zur Deckung eines vorübergehenden Personalbedarfs als Richter auf Zeit ernannt werden dürften und fünftens das Justizministerium die externe und die interne Organisation der Gerichte vorgebe, die Personalzuweisung, die Kommunikationsmittel und die EDV-Ausstattung der Gerichte bestimme und auch über Auslandsdienstreisen der Richter entscheide. Unter Heranziehung seiner Rechtsprechung zum Begriff „Gericht“ im Sinne des Unionsrechts und insbesondere zur Unabhängigkeit, die erforderlich ist, um als solches angesehen zu werden, stellt der Gerichtshof fest, dass die Gesichtspunkte, die das Verwaltungsgericht Wiesbaden zur Begründung seiner Zweifel darlegt, für sich genommen nicht ausreichen, um zu dem Schluss zu gelangen, dass dieses Gericht nicht unabhängig ist. Der Gerichtshof weist insbesondere darauf hin, dass der bloße Umstand, dass die Legislative oder die Exekutive im Verfahren der Ernennung eines Richters tätig werden, nicht geeignet ist, eine Abhängigkeit dieses Richters ihnen gegenüber zu schaffen oder Zweifel an seiner Unparteilichkeit aufkommen zu lassen, wenn der Betroffene nach seiner Ernennung keinerlei Druck ausgesetzt ist und bei der Ausübung seines Amtes keinen Weisungen unterliegt.
Urteil in der Rechtssache C-272/19
Quelle: Pressemitteilung des EuGH v. 09.07.2020
Sie verletzen die beschwerdeführenden Inhaber von Telefon- und Internetanschlüssen in ihren Grundrechten auf informationelle Selbstbestimmung sowie auf Wahrung des Telekommunikationsgeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG). Die manuelle Bestandsdatenauskunft ermöglicht es Sicherheitsbehörden, von Telekommunikationsunternehmen Auskunft insbesondere über den Anschlussinhaber eines Telefonanschlusses oder einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen IP-Adresse zu erlangen. Mitgeteilt werden personenbezogene Daten der Kunden, die im Zusammenhang mit dem Abschluss oder der Durchführung von Verträgen stehen (sogenannte Bestandsdaten). Nicht mitgeteilt werden dagegen Daten, die sich auf die Nutzung von Telekommunikationsdiensten (sogenannte Verkehrsdaten) oder den Inhalt von Kommunikationsvorgängen beziehen. Die Erteilung einer Auskunft über Bestandsdaten ist grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig. Der Gesetzgeber muss aber nach dem Bild einer Doppeltür sowohl für die Übermittlung der Bestandsdaten durch die Telekommunikationsanbieter als auch für den Abruf dieser Daten durch die Behörden jeweils verhältnismäßige Rechtsgrundlagen schaffen. Übermittlungs- und Abrufregelungen müssen die Verwendungszwecke der Daten hinreichend begrenzen, indem sie insbesondere tatbestandliche Eingriffsschwellen und einen hinreichend gewichtigen Rechtsgüterschutz vorsehen. Der Senat hat klargestellt, dass die allgemeinen Befugnisse zur Übermittlung und zum Abruf von Bestandsdaten trotz ihres gemäßigten Eingriffsgewichts für die Gefahrenabwehr und die Tätigkeit der Nachrichtendienste grundsätzlich einer im Einzelfall vorliegenden konkreten Gefahr und für die Strafverfolgung eines Anfangsverdachts bedürfen. Findet eine Zuordnung dynamischer IP-Adressen statt, muss diese im Hinblick auf ihr erhöhtes Eingriffsgewicht darüber hinaus auch dem Schutz oder der Bewehrung von Rechtsgütern von zumindest hervorgehobenem Gewicht dienen. Bleiben die Eingriffsschwellen im Bereich der Gefahrenabwehr oder der nachrichtendienstlichen Tätigkeit hinter dem Erfordernis einer konkreten Gefahr zurück, müssen im Gegenzug erhöhte Anforderungen an das Gewicht der zu schützenden Rechtsgüter vorgesehen werden. Die genannten Voraussetzungen wurden von den angegriffenen Vorschriften weitgehend nicht erfüllt. Im Übrigen hat der Senat wiederholend festgestellt, dass eine Auskunft über Zugangsdaten nur dann erteilt werden darf, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für ihre Nutzung gegeben sind.
Sachverhalt: Die Auskunft nach § 113 TKG erfolgt auf Verlangen einer der dort genannten Sicherheitsbehörden an die Anbieter von Telekommunikationsdiensten. Nach § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG umfasst die zu erteilende Auskunft neben den gemäß § 111 TKG verpflichtend zu speichernden Bestandsdaten wie etwa Name, Geburtsdatum und Rufnummer eines Anschlussinhabers auch die von den Dienste-anbietern nach § 95 TKG freiwillig zu betrieblichen Zwecken gespeicherten Kundendaten. Dazu gehören üblicherweise die Anschrift der Vertragspartner, die Art des kontrahierten Dienstes und weitere Daten wie zum Beispiel die Bankverbindung. Nach § 113 Abs. 1 Satz 2 TKG ist eine Auskunft auch über vom Diensteanbieter vergebene Zugangsdaten wie zum Beispiel die Persönliche Identifikationsnummer (PIN) zu erteilen. Von Nutzerinnen und Nutzern selbst vergebene Passwörter werden dagegen von den Diensteanbietern üblicherweise nur verschlüsselt gespeichert. Eine Auskunft kann insoweit nicht erteilt werden. Bestandsdaten dürfen gemäß § 113 Abs. 1 Satz 3 TKG auch anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen Internetprotokolladresse (dynamische IP-Adresse) bestimmt werden. Gegenstand der Auskunft ist die Zuordnung der IP-Adresse zu einem bestimmten Anschlussinhaber und damit selbst ein Bestandsdatum. Dies ist nur möglich, wenn Anbieter zuvor bei ihnen gespeicherte Verkehrsdaten auswerten, um festzustellen, welchem Anschlussinhaber die verwendete IP-Adresse zu dem angefragten Zeitpunkt zugeordnet war. Gemäß § 113 Abs. 2 Satz 1 TKG darf eine Auskunft nur erteilt werden, soweit eine in § 113 Abs. 3 TKG genannte Stelle dies zum Zweck der Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten, zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Nachrichtendienste unter Angabe einer Abrufregelung verlangt. Die mit den Verfassungsbeschwerden angegriffenen Abrufregelungen des Bundes bestimmen, dass die Sicherheitsbehörden von den Diensteanbietern Auskunft über Bestandsdaten verlangen dürfen. Im Wesentlichen verlangen sie nur, dass die Auskunft zur Erfüllung ihrer jeweils genannten Aufgaben erforderlich sein muss. Für die Auskunft über Zugangsdaten wird vorausgesetzt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für deren Nutzung vorliegen. Weiter sehen die Vorschriften jeweils vor, dass auch die Auskunft von Bestandsdaten, die anhand einer dynamischen IP-Adresse bestimmt werden, verlangt werden darf. Ermächtigt werden das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei, das Zollkriminalamt sowie die Nachrichtendienste des Bundes.
Wesentliche Erwägungen des Senats: 1. Diesen Anforderungen genügt die in § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG geregelte Befugnis zur allgemeinen Bestandsdatenauskunft nicht. a) Die in § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG eröffnete allgemeine Bestandsdatenauskunft begründet einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieser ist zwar nicht von sehr großem Gewicht. Trotzdem erweist sich die angegriffene Übermittlungsbefugnis aufgrund ihrer Reichweite als unverhältnismäßig. Auch Auskünfte über Daten, deren Aussagekraft und Verwendungsmöglichkeiten eng begrenzt sind, dürfen nicht ins Blaue hinein zugelassen werden. Dazu bedarf es begrenzender Eingriffsschwellen, die sicherstellen, dass Auskünfte nur bei einem auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützten Eingriffsanlass eingeholt werden können. Anlasslose Auskünfte, die allein der allgemeinen Wahrnehmung behördlicher Aufgaben dienen, sind nicht zulässig. Eingriffsschwellen müssen schon in der Übermittlungsregelung selbst – als der im Bild der Doppeltür ersten Tür – geregelt werden. Erforderlich ist bezogen auf die Gefahrenabwehr und die Tätigkeit der Nachrichtendienste grundsätzlich eine im Einzelfall vorliegende konkrete Gefahr. Bezogen auf die Strafverfolgung genügt das Vorliegen eines Anfangsverdachts. Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen aber nicht von vornherein auf die Schaffung von Eingriffstatbeständen beschränkt, die dem tradierten sicherheitsrechtlichen Modell der Abwehr konkreter, unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren entsprechen. Vielmehr kann er die Grenzen unter besonderen Voraussetzungen auch weiter ziehen, indem er die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs reduziert. Eingriffsgrundlagen müssen regelmäßig zumindest eine hinreichend konkretisierte Gefahr verlangen. Eine solche Absenkung der Eingriffsschwellen ist aus Gründen der Verhältnismäßigkeit untrennbar verbunden mit erhöhten Anforderungen an die konkret geschützten Rechtsgüter, wobei stets auch das Eingriffsgewicht der jeweiligen Maßnahme zu berücksichtigen ist. Weniger gewichtige Eingriffe wie die allgemeine Bestandsdatenauskunft können daher beim Vorliegen einer konkretisierten Gefahr bereits dann zu rechtfertigen sein, wenn sie dem Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht dienen. Diese verfassungsrechtlichen Anforderungen gelten grundsätzlich für alle Eingriffsermächtigungen mit präventiver Zielrichtung und damit auch für die Verwendung der Daten durch Nachrichtendienste. Dort kann es bereits genügen, dass eine Auskunft zur Aufklärung einer bestimmten, nachrichtendienstlich beobachtungsbedürftigen Aktion oder Gruppierung im Einzelfall geboten ist, denn damit wird ein wenigstens der Art nach konkretisiertes und absehbares Geschehen vorausgesetzt. Demgegenüber kann im Bereich der Strafverfolgung eine in tatsächlicher Hinsicht unterhalb des Anfangsverdachts liegende Eingriffsschwelle zur Vornahme von grundrechtsrelevanten Eingriffen nicht genügen. b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG nicht. Die Übermittlungsregelung öffnet das manuelle Auskunftsverfahren sehr weit, indem sie Auskünfte allgemein zum Zweck der Gefahrenabwehr, zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten sowie zur Erfüllung nachrichtendienstlicher Aufgaben erlaubt und dabei keine ihre Reichweite näher begrenzenden Eingriffsschwellen enthält. Die Regelung ermöglicht die Erteilung einer Auskunft im Einzelfall vielmehr bereits dann, wenn dies allgemein zur Wahrnehmung der genannten Aufgaben erfolgt. 2. § 113 Abs. 1 Satz 2 TKG, der zur Übermittlung von Zugangsdaten berechtigt, ist ebenfalls mit Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar. Er erlaubt die Erteilung einer Auskunft von Daten, die den Zugriff auf Endgeräte oder externe Speichereinrichtungen sichern (Zugangsdaten). Die Vorschrift berechtigt zur Auskunftserteilung über diese Daten unabhängig von den Voraussetzungen für ihre Nutzung und entspricht inhaltlich insoweit der Fassung, die das Bundesverfassungsgericht bereits im Verfahren Bestandsdatenauskunft I für verfassungswidrig erklärt hat. Eine Normwiederholung durch den Gesetzgeber ist zwar nicht ausgeschlossen, verlangt aber besondere Gründe, die sich vor allem aus einer wesentlichen Änderung der maßgeblichen Verhält-nisse ergeben können. Solche Gründe sind hier nicht ersichtlich. 3. Auch die in § 113 Abs. 1 Satz 3 TKG neu geschaffene Befugnis, anhand einer dynamischen IP-Adresse bestimmte Bestandsdaten zu übermitteln, genügt nicht den Anforderungen der Verhältnis-mäßigkeit und verstößt damit gegen Art. 10 Abs. 1 GG. a) Die Vorschrift hat ein gegenüber der allgemeinen Bestandsdatenauskunft erhöhtes Eingriffsgewicht. Ihr kommt aufgrund der Aussagekraft der Zuordnung einer dynamischen IP-Adresse, die eine Rekonstruktion der individuellen Internetnutzung zu einem bestimmten Zeitpunkt ermöglicht, sowie der Verwendung von Verkehrsdaten durch die Anbieter eine erheblich größere Persönlichkeitsrelevanz zu. Zudem begründet sie einen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis des Art. 10 Abs. 1 GG. Dem erhöhten Eingriffsgewicht muss durch eine Beschränkung auf den Schutz oder die Bewehrung von Rechtsgütern von zumindest hervorgehobenem Gewicht Rechnung getragen werden. Dies schließt die Zuordnung dynamischer IP-Adressen etwa zur Verfolgung nur geringfügiger Ordnungswidrigkeiten aus. Soll schon eine konkretisierte Gefahr als Eingriffsschwelle genügen, bedarf es einer darüber hinausgehenden Beschränkung der Auskunft auf den Schutz von besonders gewichtigen Rechtsgütern. Dazu zählt die Verhütung zumindest schwerer Straftaten. b) Diesen Anforderungen genügt § 113 Abs. 1 Satz 3 TKG nicht. Die Vorschrift lässt eine Zuordnung dynamischer IP-Adressen unter denselben Voraussetzungen wie die allgemeine Bestandsdatenauskunft zu. Sie ist damit weder an ihre Reichweite näher begrenzende Eingriffsschwellen gebunden noch enthält sie Anforderungen an das Gewicht der zu schützenden Rechtsgüter. Die Vorschrift ist daher unverhältnismäßig. II. Die mit § 113 TKG korrespondierenden Abrufregelungen des Bundeskriminalamtgesetzes, des Bundespolizeigesetzes, des Zollfahndungsdienstgesetzes, des Bundesverfassungsschutzgesetzes, des BND-Gesetzes und des MAD-Gesetzes, die – als zweite Tür – den Abruf der von den Tele-kommunikationsunternehmen erhobenen Daten durch die Sicherheitsbehörden regeln, genügen weitgehend ebenfalls nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. 1. Da Übermittlung und Abruf personenbezogener Daten je eigenständige Grundrechtseingriffe begründen, müssen auch die einzelnen Abrufregelungen auf einer eigenen gesetzlichen Grundlage beruhen und den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit sowie der Normenklarheit und Bestimmtheit genügen. 2. a) Die Abrufregelungen schaffen zwar jeweils hinreichend bestimmt und normenklar spezifische Ermächtigungsgrundlagen. Sie sind jedoch mit Blick auf ihr Eingriffsgewicht überwiegend nicht verhältnismäßig ausgestaltet. Fast alle Regelungen, die zur allgemeinen Bestandsdatenauskunft ermächtigen, setzen keine den Datenabruf begrenzenden Eingriffsschwellen voraus und enthalten solche auch nicht durch normenklare Verweisungen, sondern erlauben – wie schon die Übermittlungsregelung – den Abruf von Bestandsdaten generell zur Wahrnehmung der behördlichen Aufgaben. Ausnahmen stellen insoweit nur Teilregelungen des Bundespolizeigesetzes und des Bundeskriminalamtgesetzes dar. b) Die angegriffenen Befugnisse zum Abruf von Zugangsdaten sind dagegen für sich genommen hinreichend begrenzt und verhältnismäßig. Die Regelungen stellen sicher, dass Zugangsdaten nicht unabhängig von den Anforderungen an deren Nutzung und damit gegebenenfalls unter leichteren Voraussetzungen abgefragt werden können. c) Abrufregelungen, die zum Abruf von Bestandsdaten anhand dynamischer IP-Adressen ermächtigen, müssen neben einer hinreichenden Begrenzung der Verwendungszwecke auch eine nachvollziehbare und überprüfbare Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen des Abrufs vorsehen. Diesen Anforderungen genügen die angegriffenen Regelungen nicht. Sie sind ganz überwiegend schon deshalb unverhältnismäßig, weil sie keine begrenzenden Eingriffsschwellen voraussetzen. Zudem enthält keine der angegriffenen Regelungen eine Pflicht zur Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen. Beschluss vom 27. Mai 2020 - 1 BvR 1873/13, 1 BvR 2618/13 (Bestandsdatenauskunft II)
Quelle: Pressemitteilung des BVerfGv v. 17.07.2020
Die Klägerin ist Inhaberin einer Apotheke im Bezirk der beklagten Apothekerkammer. Im November 2013 und im Januar 2014 gab sie Werbeflyer mit Gutscheinen heraus, die bei Abgabe eines Rezeptes gegen eine Rolle Geschenkpapier bzw. ein Paar Kuschelsocken eingelöst werden konnten. Die Beklagte untersagte ihr daraufhin durch Ordnungsverfügung vom 1. April 2014, „gekoppelt mit dem Erwerb von verschreibungspflichtigen und/oder sonstigen preisgebundenen Arzneimitteln Vorteile wie z.B. eine Rolle Geschenkpapier, ein Paar Kuschelsocken oder Gutscheine hierfür zu gewähren oder gewähren zu lassen sowie dafür zu werben oder werben zu lassen“. Zur Begründung verwies sie auf ihre Berufsordnung, die es den Apothekerinnen und Apothekern verbiete, preisgebundene Arzneimittel unter Gewährung von Rabatten oder sonstigen geldwerten Vorteilen an ihre Kunden abzugeben. Die dagegen gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision der Klägerin gegen das Berufungsurteil zurückgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat im Einklang mit Bundesrecht angenommen, dass die Untersagungsverfügung der Beklagten rechtmäßig ist. Die Klägerin verstößt, indem sie ihren Kunden für den Erwerb eines rezeptpflichtigen Arzneimittels eine Sachzuwendung verspricht und gewährt, gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung. Gemäß § 78 des Arzneimittelgesetzes ist insbesondere für verschreibungspflichtige Arzneimittel ein einheitlicher Apothekenabgabepreis zu gewährleisten; die Einzelheiten der Preisberechnung sind in der Arzneimittelpreisverordnung geregelt. Gegen die Verfassungsmäßigkeit der arzneimittelrechtlichen Preisbindungsvorschriften bestehen auch unter Berücksichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Oktober 2016 (C-148/15, Deutsche Parkinson Vereinigung e.V. gegen Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V.) keine durchgreifenden Bedenken. Der Gerichtshof hatte entschieden, dass die Festlegung eines einheitlichen Apothekenabgabepreises für verschreibungspflichtige Arzneimittel eine unzulässige Beschränkung des freien Warenverkehrs darstellt. Seit dieser Entscheidung ist aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts das deutsche Arzneimittelpreisrecht nicht auf Versandapotheken mit Sitz im EU-Ausland anwendbar. Diese können daher im Falle des Versands an Kunden in Deutschland Rabatte und Boni auf verschreibungspflichtige Arzneimittel gewähren. Hierdurch werden die inländischen Apotheken, für die die Arzneimittelpreisbindungsvorschriften weiterhin gelten, nicht in ihrer durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsausübungsfreiheit verletzt. Die gesetzlichen Regelungen über die Preisbindung dienen vernünftigen Zwecken des Gemeinwohls. Sie sind geeignet, einen Preiswettbewerb zwischen den inländischen Apotheken zu verhindern und so das Ziel des Gesetzgebers zu fördern, eine flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen. Die Preisbindung erweist sich auch nicht wegen ihrer Nichtgeltung für ausländische EU-Versandapotheken als unverhältnismäßig. Angesichts des bislang geringen Marktanteils der ausländischen Arzneimittelversender an der Abgabe von rezeptpflichtigen Arzneimitteln in Deutschland ist die Preisbindung für die inländischen Apotheken weiterhin zumutbar. BVerwG 3 C 20.18 - Urteil vom 09. Juli 2020
Vorinstanzen: BVerwG 3 C 21.18 - Urteil vom 09. Juli 2020
Vorinstanzen:
Quelle: Pressemitteilung des BVerwG v. 09.07.2020
Der Antragsteller wollte durch einstweilige Verfügung der Volkswagen AG verbieten lassen, Elektroautos mit Batterien als Energiespeicher zu bauen. Seiner Auffassung nach drohten durch die Batterieherstellung große Klima- und Gesundheitsschäden; stattdessen solle die benötigte Energie im Auto durch wasserstoffbetriebene Generatoren erzeugt werden. Das Landgericht Braunschweig wies seinen Antrag zurück. Das Oberlandesgericht Braunschweig bestätigte diese Entscheidung. Die Beschwerde des Antragstellers sei bereits unzulässig, weil er sie ohne Rechtsanwalt eingelegt habe. Prozesskostenhilfe stehe dem Antragsteller ebenfalls nicht zu. Ob seine technischen und politischen Ausführungen zutreffend seien, sei nicht entscheidend. Er könne jedenfalls durch eine zivilprozessuale Maßnahme nicht bestimmen, ob batteriebetriebene Elektrofahrzeuge generell gebaut und verkauft werden dürften oder nicht. Denn das beträfe im Ergebnis alle Autohersteller und falle damit in die Zuständigkeit des Gesetz- und Verordnungsgebers. Dagegen wandte sich der Antragsteller mit einem weiteren Prozesskostenhilfeantrag, den der Bundesgerichtshof inzwischen zurückgewiesen hat.
OLG Braunschweig, Beschluss vom 13. März 2020 – 9 W 13/19
Quelle: Pressemitteilung des OLG Braunschweig v. 15.07.2020
Der App-Betreiber ist Teilnehmer eines von einem nicht konzessionierten Taxiunternehmen begangenen Verstoßes und zum Unterlassen verpflichtet, begründete das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) seine heute veröffentlichte Entscheidung. Die Beklagte vermittelt über die App „mytaxi“ die Beförderung von Kunden in Taxis. Sie wird in einer Version für Taxifahrer und in einer Version für Kunden bereitgestellt und stellt eine direkte Verbindung zwischen einem Taxifahrer und einem Fahrgast her. Der Nutzer der Fahrgast-App kann sich auf einer Karte anzeigen lassen, wo sich in der Umgebung angeschlossene Taxis befinden. Nach Bestätigung des Bestellbuttons sucht das System die am nächsten gelegenen und freigeschalteten Taxis und bietet den Fahrern dieser Gruppe - automatisiert - die angefragte Taxifahrt an. Die Fahrer können über ihre Fahrer-App die angefragte Tour annehmen. Der Fahrer, der die Fahrt zuerst annimmt, erhält den Zuschlag. Für den Fahrgast ist die Benutzung der App kostenlos. Das Taxiunternehmen zahlt eine Vermittlungsgebühr in Gestalt eines festen Prozentsatzes vom Fahrpreis. Im März 2018 stellte sich ein Taxi mit Betriebssitz in Wiesbaden in Frankfurt am Main in der Breitenbachstraße auf und schaltete den Modus seiner "mytaxi-App" auf "frei". Nachfolgend nahm er die Bestellung einer Fahrt von dort in die Weserstraße an. Dieses Verhalten verstieß gegen das PBefG. Gemäß § 47 Abs. 2 S. 1 PBefG dürfen Taxis nur in der Gemeinde bereitgehalten werden, in der der Unternehmer seinen Betriebssitz hat. Der Kläger ist Taxiunternehmer in Frankfurt am Main. Er meint, die Beklagte sei als Täterin oder jedenfalls Gehilfen für den Verstoß des Fahrers des Wiesbadener Taxis verantwortlich. Sie nimmt die Beklagte auf Unterlassen in Anspruch, Taxi-Suchanfragen an Taxifahrer zu übermitteln, die nicht für die Stadt Frankfurt am Main konzessioniert sind. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Zwischen den Parteien bestünde ein konkretes Wettbewerbsverhältnis, begründete das OLG die Entscheidung. Sie seien auf unterschiedlichen Wirtschaftsstufen mit der Personenbeförderung in Taxis befasst. Das Bereitstellen der App in der beschriebenen Form sei unlauter, da Beförderungsaufträge auch an ortsfremde, nicht konzessionierte Taxis vermittelt würden, die sich unter Verstoß gegen § 47 Abs. 2 S. 1 PBefG bereithielten. Die Beklagte sei für den von dem Taxiunternehmen begangenen Verstoß als Teilnehmerin verantwortlich. Sie habe dem Taxifahrer durch die Übermittlung der Suchanfrage und die Zuteilung des Auftrags Beihilfe geleistet. Die Beklagte habe dabei gewusst, dass Beförderungsaufträge unmittelbar den angeschlossenen Taxiunternehmen in einem bestimmten Umkreis zugeleitet würden und, dass derjenige den Auftrag erhalte, der in zuerst annehme. Dies geschehe unabhängig von dem Betriebssitz, der der Beklagten aufgrund der Anmeldung des Taxifahrers bekannt sei. Damit habe die Beklagte „zumindest bedingt vorsätzlich entsprechende Wettbewerbsverstöße durch Taxifahrer“ gefördert. Durch vorausgegangene andere Abmahnungen sei ihr auch bekannt gewesen, dass es in anderen Städten bereits zu Verstößen angeschlossener Taxiunternehmen gegen die Vorgaben des PBefG gekommen sei. Die Beklagte „hat sich also mit möglichen Verstößen abgefunden und sie billigend in Kauf genommen“, urteilt das OLG. Das OLG ergänzte zudem, dass es für die hier angenommene Teilnehmerhaftung unerheblich sei, mit welchen Kosten das Umprogrammieren verbunden sei, um Zuweisungen von Fahraufträgen an nicht konzessionierte Unternehmen zu vermeiden (sog. „Zoning“). Die Beklagte habe jedenfalls nicht in Abrede gestellt, dass eine solche Programmierung durch die Funktionalität der Standorterfassung (GPS) möglich sei. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 25.06.2020, Az. 6 U 64/19 Quelle: Pressemitteilung des OLG Frankfurt v. .M. v. 20.07.2020
Erläuterungen:
§ 47 PBefG Verkehr mit Taxen Die Klägerin beanstandete die Webseite eines Dritten und meinte, dass es sich dabei um einen Affiliate der Beklagten handeln würde. Der Affiliate erwecke den Eindruck, dass auf seiner Seite ein objektiver Test erfolge, in Wahrheit handle es sich jedoch ausschließlich um verkappte Online-Werbung zugunsten der Schuldnerin. Die 1. Instanz, das LG Hamburg, verurteilte die Beklagte zur Unterlassung. Das OLG Hamburg hingegen hob die Entscheidung in der Berufungsinstanz auf und wies die Klage ab.
Im vorliegenden Fall werde nämlich nicht der Eindruck erweckt, es handle sich um den Test eines neutralen, unabhängigen Dritten. Vielmehr werde lediglich in vergleichender Form über die unterschiedlichen Produkte berichtet:
"Der streitgegenständliche Intemetauftritt erweckt nirgends den Eindruck, die (...) Matratze habe gute Ergebnisse bei einem objektiven Test erzielt (...). Es wird auch keine vermeintlich besondere Qualität der „getesteten“ Matratzen vorgetäuscht. Tatsächlich wird an keiner Stelle Bezug auf einen objektiven Test genommen (...). Insbesondere ergebe sich aus der Tatsache, dass ein Online-Produktvergleich stattgefunden habe, nicht die Konsequenz, dass hier eine Test-Werbung vorliege: "Aus Sicht des Senats gibt sich der Internetauftritt schon nicht als umfassender objektiver Vergleich, der völlig neutrale Hilfestellung bei der Matratzenauswahl geben will. Das OLG Hamburg wird sogar noch deutlicher mit seinen Worten, wenn es ausführt: "Gundsätzlich ist es niemandem verwehrt, eigene Produktvergleiche oder auch Tests anzustellen und deren Ergebnisse zu veröffentlichen, solange nicht über die Modalitäten der Durchführung oder sonstige tatsächliche Umstände getäuscht wird. Den Vorwurf der Schleichwerbung lehnte das OLG Hamburg mangels hinreichender Nachweise durch die Klägerin ab. Allein der Umstand, dass der Webseiten-Betreiber in seinen AGB mitteile, dass er auch Affiliate-Links setze, reiche für eine solche Annahme nicht aus. Denn es sei nicht zwingend, dass die vorgenommenen Links zur Webseite der Beklagten ausschließlich einen kommerziellen Hintergrund hätten.
Die Beklagte hatte eine Affiliate-Partnerschaft mit der Page stets bestritten:
"Die Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast hierfür liegt bei der [Klägerin]. Dieser ist sie nicht hinreichend nachgekommen. Die [Klägerin] beschränkt sich im Kern auf den Vortrag, dass die Seite (...) gemäß ihrer AGB auch Affiliate-Links setze. Eine Affiliate-Beziehung sei auch ggü. der [Beklagten] zu vermuten.(...) zurück zur Übersicht _____________________________________________________________ 8. LG Berlin: Urheberrechtliche Klage gegen Umgestaltung einer Kathedrale erfolglos _____________________________________________________________ Das Landgericht Berlin hat aufgrund der heutigen mündlichen Verhandlung mit Urteil ebenfalls vom heutigen Tage die Klage gegen das Erzbistum Berlin auf Unterlassung verschiedener Umgestaltungsmaßnahmen des nach den Kriegszerstörungen der Kathedrale im zweiten Weltkrieg beim Wiederaufbau ab 1953 neugestalteten Innenraums als unbegründet abgewiesen. Die Kläger – sechs Personen – hatten sich mit ihrer Klage auf die Urheberrechte des Architekten bzw. weiterer Schöpfer der Innengestaltung berufen. Zur Begründung der Klageabweisung haben die Richter der Zivilkammer 15 unter Verweis auf höchstrichterliche Rechtsprechung ausgeführt, dass im Regelfall das Recht des Eigentümers bzw. Nutzungsberechtigten auf Veränderung seines Eigentums Vorrang vor den urheberrechtlichen Interessen des Schöpfers oder sonstiger künstlerischer Gestalter habe. Ein wichtiger Aspekt war nach Auffassung der Richter der Zivilkammer 15 des Landgerichts Berlins in diesem Zusammenhang, dass es sich bei dem Innenraum um sogenannte Gebrauchskunst handele, sodass es dem Erzbistum Berlin für den Gottesdienst in der Kathedrale gestattet sein müsse, entsprechende bauliche Änderungen in der Innenraumgestaltung vorzunehmen. Dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig; es kann dagegen Berufung beim Kammergericht innerhalb von einem Monat nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe eingelegt werden. Wegen der weiteren Einzelheiten muss auf die schriftlichen Urteilsgründe verwiesen werden, die noch nicht vorliegen. Nach den Presserichtlinien kann über diese auch erst dann berichtet werden, wenn sie allen Verfahrensbeteiligten zugestellt wurden bzw. diese die schriftlichen Urteilsgründe sicher erhalten haben. Landgericht Berlin, Urteil vom 14. Juli 2020, Aktenzeichen: 15 O 389/18
Quelle: Pressemitteilung des LG Berlin v. 14.07.2020
Kern der Auseinandersetzung war die Bezeichnung des Fahrassistenzsystems, mit dem die Beklagte ihre Fahrzeuge serienmäßig ausstattet, als „Autopilot“ sowie die Bewerbung einzelner separat buchbarer Komponenten unter der Überschrift "Volles Potenzial für autonomes Fahren".
Der beanstandete, in den Bestellvorgang des Fahrzeugs Typ "Model 3" integrierte Text auf der Website der Tesla Germany GmbH lautete im Juli 2019:
"Autopilot|Inklusive Nach Auffassung der Kammer stellen sich sowohl die Werbeaussage als Ganzes als auch vom Kläger separat angegriffene Bestandteile als irreführende geschäftliche Handlungen gem. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UWG dar. Denn die Verwendung der maßgeblichen Begriffe und Formulierungen erwecke bei den angesprochenen Verkehrskreisen – im konkreten Fall den Durchschnittsverbrauchern – eine Vorstellung, die mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht in Einklang stehe. In tatsächlicher Hinsicht handele es sich sowohl beim Tesla-Autopiloten als auch bei dem zubuchbaren Paket „Volles Potenzial für autonomes Fahren“ um Komponenten eines Fahrassistenzsystems, bei dem eine Fahrt, ohne dass menschliches Eingreifen erforderlich wäre, nicht möglich ist. Durch die Verwendung der Bezeichnung „Autopilot“ und anderer Formulierungen suggeriere die Beklagte aber, ihre Fahrzeuge seien technisch in der Lage, vollkommen autonom zu fahren. Weiter werde der Eindruck erweckt, ein autonomer Fahrzeugbetrieb sei in der Bundesrepublik Deutschland straßenverkehrsrechtlich zulässig, was jedoch nach den geltenden Vorschriften des StVG (§§ 1a f StVG) nicht der Fall sei. Der von der Beklagten vorgehaltene Hinweis am Ende der Website beseitige die Irreführung mangels inhaltlicher Klarheit und Transparenz nicht. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Quelle: Pressemitteilung des LG München I v. 14.07.2020
Bei Wind Tre handelt es sich um ein großes italienisches Telekommunikations-Anbieter, der nach eigenen Angaben ca. 30 Mio. Kunden hat.
Aus der Pressemitteilung der Behörde (freie Übersetzung):
"Im Rahmen dieser Kontrolltätigkeiten sanktionierte die Behörde auf der Sitzung vom 9. Juli rund 17 Millionen Euro für zahlreiche unrechtmäßige Datenverarbeitungsvorgänge, hauptsächlich im Zusammenhang mit Werbeaktivitäten, gegen Wind Tre Spa. Und weiter: "Die Untersuchung ergab auch, dass die Apps MyWind und My3 so eingerichtet wurden, dass der Benutzer verpflichtet ist, bei jedem neuen Zugriff eine Reihe von Einwilligungen für verschiedene Verarbeitungszwecke (Marketing, Profilerstellung, Kommunikation mit Dritten, Anreicherung und Geolokalisierung) zu erteilen und diese dann nach 24 Stunden widerrufen werden können. zurück zur Übersicht |