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Newsletter vom 29.03.2023 |
Betreff: Rechts-Newsletter 13. KW / 2023: Kanzlei Dr. Bahr |
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Die einzelnen News: |
____________________________________________________________ 1. EuGH: Für Einbeziehung von AGB im B2B-Bereich reicht Angabe des Links aus _____________________________________________________________ Für die Einbeziehung von AGB (hier: Vereinbarung eines Gerichtsstandes) im B2B-Bereich reicht es aus, wenn bei einem schriftlichen geschlossenen Vertrag der Hyperlink zur Webseite, auf der die AGB eingesehen und heruntergeladen werden können, angegeben wird (EuGH; Urt. v. 24.11.2022 - Az.: C-358/21). Die Parteien des Rechtsstreits waren beides Unternehmen. Sie schlossen einen schriftlichen Vertrag, in dem bestimmt war, dass etwaige Einkäufe den AGB der Verkäuferin unterliegen würden. Es war ein Link zur Webseite der Verkäuferin angegeben. Im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung stellte sich nun die Frage, ob diese AGB wirksam einbezogen waren.
Der EuGH bejahte diese Frage:
"Da gemäß Art. 23 Abs. 2 der Brüssel-I-Verordnung in seiner Auslegung durch den Gerichtshof die Übermittlung der betreffenden Informationen erfolgt, wenn diese über einen Bildschirm sichtbar gemacht werden können, ist der Hinweis im schriftlichen Vertrag auf Allgemeine Geschäftsbedingungen durch Angabe des Hyperlinks zu einer Website, über die es grundsätzlich möglich ist, von diesen Allgemeinen Geschäftsbedingungen Kenntnis zu nehmen, sofern dieser Hyperlink funktioniert und von einer Partei mit normaler Sorgfalt geöffnet werden kann, erst recht als Nachweis zu werten, dass diese Informationen zugegangen sind." Explizit erklären die Richter, dass es in dieser Konstellation gerade keiner Zustimmung mittels Checkbox bräuchte: "In einem solchen Fall vermag dieses Ergebnis nicht durch den Umstand in Frage gestellt zu werden, dass es auf der fraglichen Website kein Feld gibt, das angeklickt werden könnte, um zu erklären, dass diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen akzeptiert werden, oder dass sich die Seite mit den Allgemeinen Geschäftsbedingungen beim Aufrufen dieser Website nicht automatisch öffnet (...), da das Aufrufen dieser Allgemeinen Geschäftsbedingungen vor Unterzeichnung des Vertrags möglich ist und das Akzeptieren dieser Bedingungen mittels Unterzeichnung durch die betreffende Vertragspartei erfolgt." zurück zur Übersicht _____________________________________________________________ 2. EuGH: Bei unerlaubter Abschalteinrichtung haben PKW-Käufer Schadensersatzanspruch _____________________________________________________________ Der Käufer eines Kraftfahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung hat gegen den Fahrzeughersteller einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist Neben allgemeinen Rechtsgütern schützt das Unionsrecht auch die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist Das Landgericht Ravensburg (Deutschland) ist mit der Schadensersatzklage einer Privatperson (QB) gegen Mercedes-Benz Group befasst. Diese Klage ist auf den Ersatz des Schadens gerichtet, den Mercedes-Benz Group dadurch verursacht haben soll, dass sie das von QB erworbene Dieselkraftfahrzeug mit einer Software ausgerüstet habe, mit der die Abgasrückführung verringert wird, wenn die Außentemperaturen unter einem bestimmten Schwellenwert liegen. Eine solche Abschalteinrichtung, die höhere Stickstoffoxid (NOx)-Emissionen zur Folge habe, sei nach der Verordnung Nr. 715/2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen verboten. Im deutschen Recht kann bei einfacher Fahrlässigkeit ein Schadensersatzanspruch gegeben sein, wenn gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstoßen wurde. Daher fragt das deutsche Gericht den Gerichtshof, ob die maßgeblichen Bestimmungen der Richtlinie 2007/46 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen (im Folgenden: Rahmenrichtlinie) in Verbindung mit der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen sind, dass sie die Einzelinteressen eines individuellen Käufers eines solchen Fahrzeugs schützen. Was die Berechnung des QB eventuell geschuldeten Schadensersatzes betrifft, möchte das Landgericht Ravensburg außerdem wissen, ob es für die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts erforderlich ist, dass eine Anrechnung von Nutzungsvorteilen auf diesen Schadensersatzanspruch unterbleibt oder nur in eingeschränktem Umfang erfolgt. In seinem Urteil erläutert der Gerichtshof zunächst, dass es Sache des deutschen Gerichts ist, die Tatsachenfeststellungen zu treffen, die für die Feststellung erforderlich sind, ob die in Rede stehende Software als Abschalteinrichtung im Sinne der Verordnung Nr. 715/2007 einzustufen ist und ob ihre Verwendung gemäß einer der Ausnahmen gerechtfertigt werden kann, die diese Verordnung vorsieht . Was die Rechtsgüter betrifft, die neben dem allgemeinen Ziel, ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen, durch die Verordnung Nr. 715/2007 geschützt werden, berücksichtigt der Gerichtshof den weiteren Regelungsrahmen für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen innerhalb der Union, in den sich diese Verordnung einfügt. In diesem Zusammenhang weist er darauf hin, dass Fahrzeuge gemäß der Rahmenrichtlinie einer EG-Typgenehmigung bedürfen, die nur erteilt werden kann, wenn der Fahrzeugtyp den Bestimmungen der Verordnung Nr. 715/2007, insbesondere, denen über Emissionen, entspricht. Darüber hinaus sind die Fahrzeughersteller nach der Rahmenrichtlinie verpflichtet, dem individuellen Käufer eine Übereinstimmungsbescheinigung auszuhändigen. Mit diesem Dokument, das u. a. für die Inbetriebnahme eines Fahrzeugs vorgeschrieben ist, wird bestätigt, dass dieses Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Herstellung allen Rechtsakten entspricht. Durch die Übereinstimmungsbescheinigung lässt sich somit ein individueller Käufer eines Fahrzeugs davor schützen, dass der Hersteller gegen seine Pflicht verstößt, mit der Verordnung Nr. 715/2007 im Einklang mit stehende Fahrzeuge auf den Markt zu bringen. Diese Erwägungen führen den Gerichtshof zu dem Schluss, dass die Rahmenrichtlinie eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Automobilhersteller und dem individuellen Käufer eines Kraftfahrzeugs herstellt, mit der diesem gewährleistet werden soll, dass das Fahrzeug mit den maßgeblichen Rechtsvorschriften der Union übereinstimmt. Dementsprechend schützen nach Auffassung des Gerichtshofs die Bestimmungen der Rahmenrichtlinie in Verbindung mit denen der Verordnung Nr. 715/2007 neben allgemeinen Rechtsgütern die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Die Mitgliedstaaten müssen daher vorsehen, dass der Käufer eines solchen Fahrzeugs gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs einen Anspruch auf Schadensersatz hat. In Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften über die Modalitäten für die Erlangung eines Schadensersatzes durch die betreffenden Käufer wegen des Erwerbs eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüsteten Fahrzeugs ist es Sache jedes einzelnen Mitgliedstaats, diese Modalitäten festzulegen. Der Gerichtshof weist allerdings darauf hin, dass die nationalen Rechtsvorschriften es nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen, für den dem Käufer entstandenen Schaden einen angemessenen Ersatz zu erhalten. Es kann auch vorgesehen werden, dass die nationalen Gerichte dafür Sorge tragen, dass der Schutz der unionsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt. Im vorliegenden Fall wird das Landgericht Ravensburg zu prüfen haben, ob die Anrechnung des Nutzungsvorteils für die tatsächliche Nutzung des in Rede stehenden Fahrzeugs durch QB diesem eine angemessene Entschädigung für den Schaden gewährleistet, der ihm tatsächlich durch den Einbau einer nach dem Unionsrecht unzulässigen Abschalteinrichtung in sein Fahrzeug entstanden sein soll. Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-100/21 | Mercedes-Benz Group (Haftung der Hersteller von Fahrzeugen mit Abschalteinrichtungen)
Quelle: Pressemitteilung des EuGH v. 21.03.2023
Klägerin im vorliegenden Fall war der IDO-Verband. Die Vorinstanz, das OLG Düsseldorf (Urt. v. 23.05.2022 - Az.: 20 U 325/20), hatte die Befugnis des Vereins, Wettbewerbsverstöße zu verfolgen, verneint. Die Düsseldorfer Richter hatten kritisiert, dass der Wettbewerbsverein seine Mitglieder nur als passive Mitglieder aufnehme. Für eine aktive Mitgliedschaft müsse sich gesondert beworben und dann ein höherer Mitgliedsbeitrag bezahlt werden. Beim IDO-Verband waren nach eigenen Angaben von ca. 2.750 Mitglieder lediglich 43 aktiv, die restlichen passiv. Der BGH ist dieser Ansicht nicht in der Revision gefolgt, sondern hat die Klagebefugnis vielmehr bejaht.
Der amtliche Leitsatz lautet:
"Für die Klagebefugnis eines Verbands kommt es grundsätzlich nicht darauf an, über welche mitgliedschaftlichen Rechte dessen - mittelbare oder unmittelbare - Mitglieder verfügen. Wie bei mittelbaren Mitgliedern kommt es auch bei unmittelbaren Mitgliedern auf deren Stimmberechtigung nur an, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ihre Mitgliedschaft allein bezweckt, dem Verband die Klagebefugnis zu verschaffen." In den ausführlichen Entscheidungsgründen heißt es dazu: "So genügt es, dass ein Verband, der dem klagenden Verband Wettbewerber des Beklagten als (mittelbare) Mitglieder vermittelt, von diesen mit der Wahrnehmung ihrer gewerblichen Interessen - gegebenenfalls auch durch schlüssiges Verhalten - beauftragt worden ist und seinerseits den klagenden Verband durch seinen Beitritt mit der Wahrnehmung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder beauftragen durfte. Der BGH konnte auch keinen Rechtsmissbrauch erkennen: "Für die Annahme, der Kläger wolle durch seine Mitgliederstruktur künstlich die Voraussetzungen für seine Verbandsklagebefugnis schaffen, es gehe ihm mithin nicht darum, gemeinsame Interessen am Schutz des lauteren Wettbewerbs zu bündeln, bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte. zurück zur Übersicht ____________________________________________________________ 4. BGH: Schutzwirkung der Gesetzesfiktion bei fernabsatzrechtlichen Widerrufsbelehrung _____________________________________________________________ Der BGH (Urt. v. 01.12.2022 - Az.: I ZR 28/22) hat sich erneut zur Frage der Schutzwirkung der Gesetzesfiktion im Rahmen einer fernabsatzrechtlichen Widerrufsbelehrung geäußert. Die Problematik, die sich im vorliegenden Rechtsstreit stellte, war: Benutzt ein Unternehmer die amtliche Muster-Widerrufsbelehrung, gilt dann die Schutzwirkung der Gesetzesfiktion, d.h. obwohl die amtliche Widerrufsbelehrung inhaltlich unzureichend ist, verhält sich der Unternehmer nicht rechtswidrig.
Die amtlichen Leitsätze der BGH-Entscheidung lauten:
"1. Die Schutzwirkung der Gesetzlichkeitsfiktion gemäß Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 2 EGBGB kommt nur dem Unternehmer zugute, der die Muster-Widerrufsbelehrung nach Anlage 1 zu dieser Bestimmung unverändert verwendet und richtig ausfüllt. Die verklagte Sparkasse hatte bei der amtlichen Widerrufsbelehrung nur zwei winzige Dinge geändert: So hieß am anstatt des Wortes "Vertragsabschlusses" vielmehr "Vertragsschlusses". Außerdem erfolgte die Angabe von zwei möglichen Adressen, an die der Widerruf gerichtet werden konnte. In der offiziellen Widerrufsbelehrung war dies nicht vorgesehen.
Durch diese geringen Abweichungen konnte sich die Sparkasse nicht mehr auf die Schutzwirkung berufen:
"Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kommt die Schutzwirkung der Gesetzlichkeitsfiktion (...) nur dem Unternehmer zugute, der die Muster-Widerrufsbelehrung nach Anlage 1 zu dieser Bestimmung unverändert verwendet und richtig ausfüllt (...). Dies ergibt sich aus Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Sinn und Zweck, Regelungszusammenhang sowie einer unionsrechtskonformen Auslegung (...). Anmerkung von RA Dr. Bahr: Eine Abweichung von der offiziellen Widerrufsbelehrung bedeutet nicht automatisch, dass dieses Dokument dann rechtswidrig ist. Es bedeutet aber, dass ein angerufenes Gericht diese Erklärung zu 100 % inhaltlich nachprüfen kann. Bei Verwendung der amtlichen Schriftstückes hingegen ist dies anders: Hier greift die Gesetzesfiktion, d.h. der Richter kann hier gar nicht bzw. nur noch sehr begrenzt überprüfen.
Unsere Empfehlung ist daher (wie schon seit vielen Jahren): Benutzen Sie am besten immer 1:1 die amtliche Widerrufsbelehrung, wenn es nur irgendwie geht. Und seien Sie sich bewusst, dass jede noch so kleinste Veränderung, sofort zum Verlust dieser Schutzwirkung führt.
Der Antragsteller, ein Verein der sich unter anderem der Durchsetzung von Verbraucherinteressen und -rechten widmet, nimmt im Wege eines Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ein deutschlandweit tätiges Energieversorgungsunternehmen wegen irreführender Angaben sowie wegen unwirksamer allgemeiner Geschäftsbedingungen auf Unterlassung in Anspruch. Das Landgericht Düsseldorf hat der Antragsgegnerin mit Urteil vom 09.11.2022 unter anderem untersagt, während des vereinbarten Zeitraums einer Preisfixierung einseitig eine Erhöhung des Strom- und/oder Gaspreises mitzuteilen (Az.: 12 O 247/22). Die hiergegen gerichtete Berufung der Antragsgegnerin hat insoweit Erfolg. Zwar stand ihr nach der Auffassung des Senats ein Recht zur einseitigen Preiserhöhung, gestützt auf § 313 BGB nicht zu, weil der Gesetzgeber auf die "Gaskrise" reagiert und in § 24 EnSiG ein spezialgesetzliches Preisänderungsrecht eingeführt hat, das die Anwendung des § 313 BGB verdrängt. Dass die Voraussetzungen des § 24 EnSiG nicht vorliegen, weil die Bundesnetzagentur nicht eine erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen festgestellt hat, ist unerheblich. Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des § 24 EnSiG zu erkennen gegeben, dass ein einseitiges Preiserhöhungsrecht der Versorger nur unter ganz engen Voraussetzungen möglich ist. Der Unterlassungsanspruch hat jedoch deswegen keinen Erfolg, weil es an einem Rechtsschutzbedürfnis für ein Unterlassungsbegehren gegen Äußerungen unter anderem dann fehlt, wenn damit unmittelbar auf die Rechtsverfolgung in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren Einfluss genommen werden soll. Damit scheidet eine Verurteilung zur Unterlassung einer einseitigen Preisanpassung als solche gegenüber Kunden aus. Ohne eine derartige Gestaltungserklärung könnte die Antragsgegnerin das von ihr beanspruchte Recht nicht wahrnehmen und dessen Berechtigung im Verhältnis zu Kunden nicht klären. Im Übrigen handelt es sich bei der Preisanpassungserklärung auch nicht um eine täuschende Angabe. Demgegenüber darf die Antragsgegnerin nicht in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Klausel verwenden, in der in Verträgen mit unbestimmter Laufzeit und Preisfixierung ein beidseitiges Kündigungsrecht mit einer Frist von einem Monat eingeräumt wird. Eine solche Klausel führt zu einer vollständigen Aushöhlung der Preisgarantie und ist unwirksam. Insoweit hat der Senat die Berufung der Antragsgegnerin zurückgewiesen. Das Urteil ist rechtskräftig. Eine Revision zum Bundesgerichtshof ist nicht möglich, weil es sich um ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung handelt.
Quelle: Pressemitteilung des OLG Düsseldorf v. 23.03.2023
Der Kläger beantragte im Jahre 2000 den Abschluss einer Lebensversicherung bei der Beklagten. Sitz der Beklagten ist das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland. Hinsichtlich des Gerichtsstands für Streitigkeiten zwischen dem Versicherungsnehmer und der Versicherung enthalten die Versicherungsbedingungen folgende Regelung: „Hat der Versicherungsnehmer seinen Wohnsitz in Deutschland, unterliegt der Vertrag deutschem Recht. Das Gericht, in dessen Bezirk der Versicherungsnehmer seinen Wohnsitz hat oder etabliert ist, ist zuständig, jegliche Streitigkeiten zu entscheiden, die sich möglicherweise aus diesem Vertrag ergeben“. Der Kläger wohnte bei Abschluss des Vertrages in Frankfurt am Main. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Jahr 2019 befand sich sein Wohnsitz in der Schweiz. Das vom Kläger angerufene Landgericht Frankfurt am Main hat die auf Rückabwicklung des Lebensversicherungsvertrages gerichtete Klage mangels Zuständigkeit als unzulässig abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Sie hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Das Landgericht habe die Klage zu Recht mangels seiner internationalen und örtlichen Zuständigkeit als unzulässig abgewiesen, führt das OLG aus. Die Versicherungsbedingungen stellten hinsichtlich des örtlichen Gerichtsstands auf den Wohnsitz ab. Der Klausel sei nicht ausdrücklich zu entnehmen, ob es auf den Wohnsitz bei Vertragsschluss oder bei Klageerhebung ankomme. Im Wege der aus Sicht eines durchschnittlichen, verständigen Versicherungsnehmers vorzunehmenden Auslegung sei auf den Wohnsitz bei Klageerhebung abzustellen. Dafür spreche nicht nur der im Präsens gehaltene Wortlaut der Klausel, sondern insbesondere auch der Sinn und Zweck der Regelung. „Dem Versicherungsnehmer soll durch die Regelung die Möglichkeit eingeräumt werden, seine Rechte wohnortnah zu verfolgen“, betont das OLG. Dadurch sollten für ihn Erschwernisse vermieden werden, die mit einer Prozessführung in einem weit entfernten Ort verbunden sein könnten. Bei Versicherungs- und Verbraucherverträgen solle - auch im Rahmen anderer Vorschriften - die schwächere Partei durch Zuständigkeitsvorschriften geschützt werden, die für sie günstiger seien. Bei der Auslegung erlangten die konkreten Umstände des Einzelfalls dagegen keine Bedeutung. Insoweit komme es nicht darauf an, dass nach Einschätzung des Klägers eine Klage in Frankfurt am Main für ihn günstiger wäre.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 8.2.2023, Az. 7 U 66/21 Quelle: Pressemitteilung des OLG Frankfurt a.M. v. 27.03.2023
Dem Unternehmen wurde von der Regierung von Niederbayern sofort vollziehbar untersagt, eine Wettvermittlungsstelle in circa 65 Metern Entfernung zu einer weiterführenden Schule in Passau zu betreiben. Begründet wurde die Untersagung mit einem Verstoß gegen eine landesrechtliche Glücksspielregelung, die einen Mindestabstand von 250 Metern zu Schulen und anderen ähnlichen Einrichtungen vorsieht. Der dagegen gerichtete Eilantrag blieb beim Verwaltungsgericht Regensburg ohne Erfolg. Der BayVGH hat den Beschluss des Verwaltungsgerichts nun abgeändert und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Untersagung der Sportwettvermittlung angeordnet. Das Mindestabstandsgebot sei zwar grundsätzlich geeignet, die Verwirklichung des mit ihm verfolgten Ziels des Jugend- und Spielerschutzes zu gewährleisten, indem es dazu beitrage, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern. Es verletze jedoch voraussichtlich die europarechtlich garan- tierte Dienstleistungsfreiheit, weil für Spielhallen und ähnliche Betriebe mit Geld- spielgeräten trotz vergleichbarer Außenwirkung auf schutzwürdige Personen keine entsprechenden Vorgaben bestünden. Das Gefährdungs- und Suchtpotenzial von Geldspielgeräten sei nach wissenschaftlichen Untersuchungen als mindestens ebenso hoch wie das von Sportwetten anzusehen. Es liege ein Verstoß gegen das europarechtliche Kohärenzgebot vor, wonach Regelungen, die die Glücksspieltätigkeit einschränken, nicht durch eine gegenläufige Politik in anderen Glücksspielbereichen mit einem gleich hohen oder höheren Suchtpotenzial unterlaufen werden dürfen. Die landesrechtliche Regelung, die in Bayern ein Mindestabstandsgebot von 250 Metern vorsehe, müsse deshalb wegen des Vorrangs des Unionsrechts unangewendet bleiben. Gegen den Beschluss des BayVGH gibt es kein Rechtsmittel. (BayVGH, Beschluss vom 21. März 2023, Az. 23 CS 22.2677)
Quelle: Pressemitteilung des VGH München v. 21.03.2023
Die Klägerin war Studentin im Bachelorstudiengang „Öffentliche Verwaltung“ und schrieb im Juli 2021 eine dreistündige Online-Klausur. Dem Dozenten und Prüfer wurden nach der Korrektur dieser Klausur Screenshots von einem Chat-Verlauf zugespielt, in dem sich zahlreiche Prüfungsteilnehmer – darunter die Klägerin – zu Themen der Klausur während der Klausurbearbeitung austauschten. Die Hochschule leitete gegen Mitglieder der Chat-Gruppe ein Prüfungsverfahren wegen des Verdachts der Täuschung ein. Die Klägerin wurde wegen der besonderen Schwere der Täuschung exmatrikuliert. Die 12. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen. Die Prüfungsordnung sehe die Exmatrikulation vor, wenn ein Prüfungsausschuss – wie hier geschehen – die besondere Schwere einer Täuschung feststelle. Diese Wertung sei nicht zu beanstanden. Die Klägerin habe sich in der Chat-Gruppe mit einer Vielzahl von Mitprüflingen über die gesamte Bearbeitungszeit der Prüfung ausgetauscht, Antworten auf Fragen von Kommilitonen mitgelesen, Fragen gestellt und selbst Stellung bezogen; sie habe auch die Möglichkeit gehabt, Screenshots von Antworten bezüglich des Multiple-Choice-Teils der Klausur einzusehen. Es komme nicht darauf an, ob die Stellungnahmen und Antworten tatsächlich als Hilfe für die Klausurbearbeitung geeignet und ob sie inhaltlich zutreffend seien. Irrelevant sei auch, ob die Chat-Gruppe ursprünglich von der Hochschule eingerichtet worden sei, denn die Prüflinge seien selbst verantwortlich dafür, dass sie die Prüfung ohne unerlaubte Hilfe ablegten. Nachdem es bei Online-Prüfungen zu einer Vielzahl von Täuschungen komme, habe die Hochschule bei der Wahl der Sanktion auch die allgemein abschreckende Wirkung der Exmatrikulation berücksichtigen dürfen. Das Urteil ist rechtskräftig. Urteil der 12. Kammer vom 6. Februar 2023 (VG 12 K 52/22)
Quelle: Pressemitteilung des VG Berlin v. 24.03.2023
Es ging im vorliegenden Fall um eine arbeitsgerichtliche Auseinandersetzung. Außergerichtlich verlangte der Kläger Auskunft nach Art. 15 DSGVO. Sein Arbeitgeber kam dieser Aufforderung erst im Laufe des Gerichtsprozesses, also nach 2 Jahren, nach. Daraufhin verlangte der Kläger Schadensersatz für die Verspätung.
Das Gericht sprach ihm einen Ausgleich iHv. 10.000,- EUR zu:
"Der Kläger macht immateriellen Schadensersatz in Höhe von 500,00 € für jeden Monat wegen der Nichterfüllung seines auf Art. 15 Abs. 1 HS 2, Abs. 2 DSGVO gestützten Auskunftsverlangens geltend ohne näher darzulegen, worin genau der ihm entstandene immaterielle Schaden i.S.v. Art. 82 Abs. 1 DSGVO liegen soll. (...) Und weiter: "Zwar ist das BAG in der Entscheidung vom 05.05.2022 davon ausgegangen, dass die vom Berufungsgericht mit 1.000,00 € festgesetzte Schadenshöhe mit 1.000,00 € hinreichende abschreckende Wirkung habe. Das Bundesarbeitsgericht hat dies in Randnummer 20 jedoch mit der relativ geringen Bedeutung der Beeinträchtigung der Klägerin durch die nicht vollständige Erfüllung ihres Auskunftsanspruchs begründet, da es der Klägerin maßgeblich um Arbeitsaufzeichnungen gegangen sei. Der Klägerin sei es maßgeblich nicht um Auskunft über ihre übrigen bei der Beklagten gespeicherten personenbezogenen Daten gegangen. Anmerkung von RA Dr. Bahr: Die Entscheidung des ArbG Oldenburg ist hinsichtlich der Höhe des Schadensersatzes für eine verspätete DSGVO-Auskunft ein absoluter Ausreißer nach oben. zurück zur Übersicht _____________________________________________________________ 10. Seminar mit RA Dr. Bahr "Update 2023: Werbeeinwilligungen nach DSGVO und UWG " am 16.05.2023 _____________________________________________________________ Am 16.05.2023 gibt es ein kostenloses Webinar mit RA Dr. Bahr zum Thema "Update 2023: Werbeeinwilligungen nach DSGVO und UWG Die Veranstaltung ist kostenfrei. Anmeldungen können hier vorgenommen werden. Datum: 16.05.2023 Uhrzeit: 10:30 - 12:00 Uhr |