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Newsletter vom 23.03.2022
Betreff: Rechts-Newsletter 12. KW / 2022: Kanzlei Dr. Bahr


1. EuGH: Journalisten dürfen Insiderinformationen für Recherchen offenlegen

2. BGH: Vertreter haftet persönlich, wenn er bei UG nicht Rechtsform und Haftungsbeschränkung angibt

3. BGH: Weder Entschädigungs- noch Schadensersatzansprüche für coronabedingte flächendeckende Betriebsschließungen im Frühjahr 2020

4. OLG Braunschweig: Erbin eines VW-Beetle-Konstrukteurs bekommt kein Fairnessausgleich

5. LAG Mainz: Heimliche Tonaufnahmen durch Arbeitnehmer nicht immer ein außerordentlicher Kündigungsgrund

6. VGH München: Einbau von Funkwasserzähler datenschutzrechtlich zulässig

7. VerfGH Stuttgart: Vorläufiger Weiterbetrieb einer Spielhalle

8. VG Berlin: Innenministerin durfte zu "Spaziergängen" twittern

9. LG Hamburg: Gekaufte Kundenbewertungen auf Amazon wettbewerbswidrig

10. Irische Datenschutzbehörde: 17 Mio. EUR DSGVO-Bußgeld gegen Meta (Facebook)

Die einzelnen News:

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1. EuGH: Journalisten dürfen Insiderinformationen für Recherchen offenlegen
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Pressefreiheit: Die Offenlegung einer Insiderinformation über die bevorstehende Veröffentlichung eines Artikels, in dem Gerüchte über börsennotierte Unternehmen aufgegriffen werden, durch einen Journalisten ist rechtmäßig, wenn sie erforderlich ist, um einer journalistischen Tätigkeit nachzukommen, und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt

Ein Journalist veröffentlichte auf der Website der Daily Mail zwei Artikel, in denen Gerüchte über die Abgabe öffentlicher Kaufangebote für die Aktien von Hermes (seitens LVMH) und von Maurel & Prom aufgegriffen wurden. Die darin genannten Preise lagen deutlich über den Kursen dieser Aktien auf Euronext. Die Veröffentlichung ließ die Kurse dieser Aktien erheblich steigen.

Kurz vor der Veröffentlichung der Artikel erteilten einige in Großbritannien ansässige Personen Kaufaufträge für die fraglichen Wertpapiere und verkauften diese gleich nach Veröffentlichung wieder. Die französische Finanzmarktaufsichtsbehörde verhängte gegen den Journalisten eine Geldbuße in Höhe von 40 000 Euro, weil er die bevorstehende Veröffentlichung der Artikel an diese in Großbritannien ansässigen Personen weitergegeben und ihnen damit „Insiderinformationen“ offengelegt habe.

Das Berufungsgericht Paris, das mit einer Nichtigkeitsklage gegen diese Entscheidung befasst ist, hat den Gerichtshof um Vorabentscheidung über die Auslegung der unionsrechtlichen Vorschriften über Insidergeschäfte ersucht. Erstens möchte das Berufungsgericht wissen, ob eine Information über die bevorstehende Veröffentlichung eines Presseartikels, in dem ein Marktgerücht aufgegriffen wird, als Insiderinformation angesehen werden kann, die unter das Verbot der Offenlegung solcher Informationen fällt. Zweitens befragt es den Gerichtshof zu den Ausnahmen von diesem Verbot im besonderen Kontext journalistischer Tätigkeit.

Nach Auffassung des Gerichtshofs kann eine Information über die bevorstehende Veröffentlichung eines Presseartikels, in dem ein Marktgerücht über einen Emittenten von Wertpapieren aufgegriffen wird, eine „präzise“ Information darstellen und daher unter den Begriff „Insiderinformation“ fallen, wenn sie u. a. den Preis, der für diese Wertpapiere gezahlt werden soll, den Namen des Journalisten, der den Artikel unterzeichnet hat, und das Presseorgan, das den Artikel veröffentlicht, umfasst.

Die Weitergabe von Insiderinformationen für journalistische Zwecke kann nach dem Unionsrecht im Rahmen der Pressefreiheit und der freien Meinungsäußerung gerechtfertigt sein. Die journalistischen Zwecke können Untersuchungstätigkeiten umfassen, die ein Journalist im Vorfeld der Veröffentlichung vornimmt, um den Wahrheitsgehalt der Gerüchte zu überprüfen.

Die Offenlegung einer Insiderinformation durch einen Journalisten ist jedoch nur rechtmäßig, wenn sie für die Ausübung seines Berufs erforderlich ist und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt. Daher hat das nationale Gericht folgende Fragen zu prüfen: War es zum einen erforderlich, dass der Journalist, der versucht, den Wahrheitsgehalt eines Marktgerüchts zu überprüfen, gegenüber einem Dritten neben dem Inhalt dieses Gerüchts die bevorstehende Veröffentlichung eines Artikels offenlegt, in dem dieses Gerücht aufgegriffen wird? Stünde zum anderen die mögliche Einschränkung der Pressefreiheit, zu der das Verbot einer solchen Offenlegung führen würde, angesichts ihrer potenzielle Abschreckungswirkung für die Ausübung journalistischer Tätigkeit und der Berufs- und Standesregeln, denen Journalisten unterliegen, außer Verhältnis zu dem Schaden, der durch diese Offenlegung nicht nur für die privaten Interessen einiger Anleger, sondern auch für die Integrität der Finanzmärkte entstehen könnte?

Urteil in der Rechtssache C-302/20 Autorite des marches financiers

Quelle: Pressemitteilung des EuGH v. 15.03.2022

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2. BGH: Vertreter haftet persönlich, wenn er bei UG nicht Rechtsform und Haftungsbeschränkung angibt
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Gibt der Vertreter einer Unternehmergesellschaft (UG) weder die Rechtsform noch die Haftungsbeschränkung an, so haftet er persönlich für den dadurch erzeugten Rechtsschein (BGH, Urt. v. 13.01.2022 - Az.: III ZR 210/20).

Im vorliegenden Fall trat der Beklagte als Prokurist für eine UG auf, gab jedoch nicht hinreichend deutlich die Rechtsform an.

Der BGH entschied, dass dies ausreiche, damit der Beklagte persönlich hafte.

Zunächst erläutern die Richter noch einmal die Grundsätze der Anscheinshaftung:

"Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs haftet der für eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Geschäftsverkehr Auftretende - gleichgültig, ob er der Geschäftsführer oder ein anderer Vertreter ist - wegen Verstoßes gegen § 4 GmbHG unter Rechtsscheingesichtspunkten analog § 179 BGB dann, wenn er durch sein Zeichnen der Firma ohne Formzusatz das berechtigte Vertrauen des Geschäftsgegners auf die Haftung mindestens einer natürlichen Person hervorgerufen hat (...).

§ 179 BGB begründet insoweit keine allgemeine, verhaltenspflichtenorientierte Rechtsscheinhaftung, sondern eine schuldunabhängige Garantiehaftung, die allein auf dem Umstand basiert, dass die unmittelbar auftretende Person durch die dem Vertragspartner gegenüber abgegebene sachlich unzutreffende Erklärung den Vertrauenstatbestand geschaffen hat, ihm hafte zumindest eine (natürliche) Person unbeschränkt mit ihrem Privatvermögen (...). Ob der Vertreter dabei Unterlagen verwendet hat, die er selbst zur Verfügung gestellt bekommen hat, ist ohne Bedeutung (...). Es ist vielmehr seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das Unternehmen, für das er handelt, korrekt bezeichnet wird."

Diese Rechtsprechung sei auch auf die UG nahtlos übertragbar:

"Nichts anderes gilt, wenn es sich bei dem vertretenen Unternehmen um eine Unternehmergesellschaft ("UG") handelt.

Die Unternehmergesellschaft muss gemäß § 5a Abs. 1 GmbHG in ihrer Firma die Bezeichnung "Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)" oder "UG (haftungsbeschränkt)" führen. Da die Unternehmergesellschaft mit einem ganz geringen - das der GmbH deutlich unterschreitenden - Stammkapital ausgestattet sein kann, gibt es ein besonderes Bedürfnis des Rechtsverkehrs an einem solchen Hinweis. Denn es besteht die Gefahr, dass der Geschäftsgegner Dispositionen trifft, die er bei Kenntnis des wahren Sachverhalts ganz oder zumindest teilweise unterlassen hätte. Dem entspricht als Ausgleich die Vertrauenshaftung dessen, der die erforderliche Aufklärung nicht vornimmt (...).

Die Vertrauenshaftung greift daher unter anderem ein, wenn der gemäß § 5a Abs. 1 GmbHG zwingend vorgeschriebene Zusatz - "Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)" oder "UG (haftungsbeschränkt)" - weggelassen oder unzulässig abgekürzt wird (...). Da die gesetzliche Vorgabe exakt und buchstabengetreu einzuhalten ist (...), tritt die Rechtsscheinhaftung auch dann ein, wenn der Zusatz unvollständig ist, weil etwa der zwingend gebotene Hinweis "haftungsbeschränkt" fehlt.

Der bloße Verweis auf die Rechtsform der Unternehmergesellschaft genügt daher als solcher nicht, denn - anders als beim Rechtsformzusatz "Gesellschaft mit beschränkter Haftung" - trägt die Unternehmergesellschaft die Haftungsbeschränkung nicht bereits im Namen. Bei Weglassen nur dieses Hinweises kann vielmehr gleichermaßen der Eindruck erweckt werden, für die Unternehmergesellschaft hafte mindestens eine natürliche Person unbeschränkt.

Die Vorgaben des § 5a GmbH sind vorliegend nicht eingehalten worden. Die vom Oberlandesgericht in Bezug genommenen Urkunden enthalten keinerlei Hinweis auf die Haftungsbeschränkung und - von einer Ausnahme (betreffend das Formular über die "statusbezogenen Informationen über den Vermittler/Anlageberater") abgesehen - nicht einmal einen solchen auf die Rechtsform der Unternehmergesellschaft."



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3. BGH: Weder Entschädigungs- noch Schadensersatzansprüche für coronabedingte flächendeckende Betriebsschließungen im Frühjahr 2020
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute über die Frage entschieden, ob der Staat für Einnahmeausfälle haftet, die durch flächendeckende vorübergehende Betriebsschließungen oder Betriebsbeschränkungen auf Grund von staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 und der dadurch verursachten COVID-19-Krankheit entstanden sind.

Sachverhalt:
Der Kläger ist Inhaber eines Hotel- und Gastronomiebetriebs. Am 22. März 2020 erließ das beklagte Land Brandenburg eine Corona-Eindämmungsverordnung, wonach Gaststätten für den Publikumsverkehr zu schließen waren und den Betreibern von Beherbergungsstätten untersagt wurde, Personen zu touristischen Zwecken zu beherbergen.

Der Betrieb des Klägers war in dem Zeitraum vom 23. März bis zum 7. April 2020 für den Publikumsverkehr geschlossen, ohne dass die COVID-19-Krankheit zuvor dort aufgetreten war. Der Kläger erkrankte auch nicht. Während der Zeit der Schließung seiner Gaststätte bot er Speisen und Getränke im Außerhausverkauf an. Im Rahmen eines staatlichen Soforthilfeprogramms zahlte die Investitionsbank Brandenburg 60.000 € als Corona-Soforthilfe an ihn aus. Der Kläger hat geltend gemacht, es sei verfassungsrechtlich geboten, ihn und andere Unternehmer für die durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erlittenen Umsatz- und Gewinneinbußen zu entschädigen.

Prozessverlauf:
Das Landgericht hat die auf Zahlung von 27.017,28 € (Verdienstausfall, nicht gedeckte Betriebskosten, Arbeitgeberbeiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung) nebst Prozesszinsen sowie auf Feststellung der Ersatzplicht des Beklagten für alle weiteren entstandenen Schäden gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist vor dem Oberlandesgericht erfolglos geblieben.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der III. Zivilsenat hat die Revision des Klägers zurückgewiesen.

Die Entschädigungsvorschriften des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) gewähren Gewerbetreibenden, die im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie als infektionsschutzrechtliche Nichtstörer durch eine auf § 28 Abs. 1 IfSG gestützte flächendeckende Schutzmaßnahme, insbesondere eine Betriebsschließung oder Betriebsbeschränkung, wirtschaftliche Einbußen erlitten haben, weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung einen Anspruch auf Entschädigung. § 56 Abs. 1 IfSG ist von vornherein nicht einschlägig, weil die hier im Verordnungswege nach § 32 IfSG angeordneten Verbote gegenüber einer unbestimmten Vielzahl von Personen ergangen sind und der Kläger nicht gezielt personenbezogen als infektionsschutzrechtlicher Störer in Anspruch genommen wurde.

Ein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung ergibt sich auch nicht aus § 65 Abs. 1 IfSG. Nach ihrem eindeutigen Wortlaut ist die Vorschrift nur bei Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten einschlägig. Im vorliegenden Fall dienten die Corona-Eindämmungsverordnung vom 22. März 2020 sowie die Folgeverordnungen vom 17. April 2020 und 24. April 2020 jedoch der Bekämpfung der COVID-19-Krankheit. Diese hatte sich bereits zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung vom 22. März 2020 deutschlandweit ausgebreitet. § 65 Abs. 1 IfSG kann auch nicht erweiternd dahingehend ausgelegt werden, dass der Anwendungsbereich der Norm auf Bekämpfungsmaßnahmen, die zugleich eine die Ausbreitung der Krankheit verhütende Wirkung haben, erstreckt wird.

Eine verfassungskonforme Auslegung der beiden Regeln dahingehend, dass auch in der vorliegenden Fallgestaltung eine Entschädigung zu gewähren ist, wie es in einem gestern veröffentlichten Beschluss einer Kammer des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 10. Februar 2022 – 1 BvR 1073/21) kursorisch in Erwägung gezogen wurde, scheidet aus. Die verfassungskonforme Auslegung einer Norm setzt voraus, dass mehrere Deutungen möglich sind. Sie findet ihre Grenze an dem klaren Wortlaut der Bestimmung und darf nicht im Widerspruch zu dem eindeutig erkennbaren Willen des Gesetzes stehen. Der Wortlaut von § 56 und § 65 IfSchG ist klar und lässt eine ausdehnende Auslegung nicht zu. Zudem würde der eindeutige Wille des Gesetzgebers konterkariert, nur ausnahmsweise aus Gründen der Billigkeit eine Entschädigung für Störer im infektionsschutzrechtlichen Sinn vorzusehen.

Der Kläger kann den geltend gemachten Entschädigungsanspruch auch nicht auf eine analoge Anwendung von § 56 Abs. 1 oder § 65 Abs. 1 IfSG stützen. Es fehlt bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Den infektionsschutzrechtlichen Entschädigungstatbeständen liegt, was sich insbesondere aus ihrer Entstehungsgeschichte und der Gesetzgebungstätigkeit während der Corona-Pandemie ergibt, die abschließende gesetzgeberische Entscheidung zugrunde, Entschädigungen auf wenige Fälle punktuell zu begrenzen und Erweiterungen ausdrücklich ins Gesetz aufzunehmen ("Konzept einer punktuellen Entschädigungsgewährung"). Darüber hinaus fehlt es auch an der Vergleichbarkeit der Interessenlage zwischen den Entschädigungsregelungen nach §§ 56, 65 IfSG und flächendeckenden Betriebsschließungen, die auf gegenüber der Allgemeinheit getroffenen Schutzmaßnahmen beruhen.

Das Berufungsgericht hat einen Entschädigungsanspruch aus § 38 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. § 18 des Ordnungsbehördengesetzes für das Land Brandenburg zu Recht abgelehnt. Als spezialgesetzliche Vorschriften der Gefahrenabwehr haben die Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes Anwendungsvorrang und entfalten eine Sperrwirkung gegenüber den Regelungen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts.

Ansprüche aus dem richterrechtlich entwickelten Haftungsinstitut des enteignenden Eingriffs scheitern daran, dass das den §§ 56, 65 IfSG zugrundeliegende und gesetzgeberisch als abschließend gedachte Konzept einer punktuellen Entschädigung im Bereich der Eigentumseingriffe nicht durch die Gewährung richterrechtlicher Ansprüche unterlaufen werden darf. Unabhängig davon ist der Anwendungsbereich des Rechtinstituts des enteignenden Eingriffs nicht eröffnet, wenn es darum geht, im Rahmen einer Pandemie durch flächendeckende infektionsschutzrechtliche Maßnahmen, die als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG anzusehen sind, verursachte Schäden auszugleichen.

Es stünde – wie der Senat wertungsmäßig vergleichbar bereits in dem Waldschädenurteil vom 10. Dezember 1987 (III ZR 220/86, BGHZ 102, 350, 361 ff) ausgesprochen hat – in einem offenen Widerspruch zum Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Entschädigung, wenn die Gerichte – gestützt auf das richterrechtliche Institut des enteignenden Eingriffs – im Zusammenhang mit einer Pandemiebekämpfung im Anwendungsbereich von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG massenhafte und großvolumige Entschädigungen zuerkennen würden.

Ebenso wenig kann dem Kläger unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der sogenannten ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung des Eigentums eine Entschädigung zuerkannt werden. Es erscheint dem Senat bereits sehr zweifelhaft, ob dieses Rechtsinstitut, das bislang vor allem auf Härtefälle bei unzumutbaren Belastungen einzelner Eigentümer angewandt worden ist, geeignet ist, auf Pandemielagen sachgerecht im Sinne einer gerechten Lastenverteilung zu reagieren. Jedenfalls wäre es im Hinblick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Entschädigung nicht zulässig, dem Kläger vorliegend einen Ausgleichsanspruch kraft Richterrechts unter dem Gesichtspunkt der ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung zu gewähren.

Hilfeleistungen für von einer Pandemie schwer getroffene Wirtschaftsbereiche sind keine Aufgabe der Staatshaftung. Vielmehr folgt aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), dass die staatliche Gemeinschaft Lasten mitträgt, die aus einem von der Gesamtheit zu tragenden Schicksal entstanden sind und nur zufällig einen bestimmten Personenkreis treffen. Hieraus folgt zunächst nur die Pflicht zu einem innerstaatlichen Ausgleich, dessen nähere Gestaltung weitgehend dem Gesetzgeber überlassen ist. Erst eine solche gesetzliche Regelung kann konkrete Ausgleichsansprüche der einzelnen Geschädigten begründen.

Dieser sozialstaatlichen Verpflichtung kann der Staat zum Beispiel dadurch nachkommen, dass er – wie im Fall der COVID-19-Pandemie geschehen – haushaltsrechtlich durch die Parlamente abgesicherte Ad-hoc-Hilfsprogramme auflegt ("Corona-Hilfen"), die die gebotene Beweglichkeit aufweisen und eine lageangemessene Reaktion zum Beispiel durch kurzfristige existenzsichernde Unterstützungszahlungen an betroffene Unternehmen erlauben.

Ansprüche aus Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG) und enteignungsgleichem Eingriff sowie nach § 1 Abs. 1 des Staatshaftungsgesetzes des Landes Bandenburg hat das Berufungsgericht zu Recht abgelehnt. Die Corona-Eindämmungsverordnung vom 22. März 2020 und die Folgeverordnungen vom 17. und 24. April 2020 waren als solche rechtmäßig. Die getroffenen Schutzmaßnahmen, insbesondere die angeordneten Betriebsschließungen, waren erforderlich, um die weitere Ausbreitung der COVID-19-Krankheit zu verhindern. Dies wurde von der Revision auch nicht in Frage gestellt.

Urteil vom 17. März 2022 – III ZR 79/21

Vorinstanzen:
Landgericht Potsdam - Urteil vom 24. Februar 2021 – 4 O 146/20
Brandenburgisches Oberlandesgericht - Urteil vom 1. Juni 2021 – 2 U 13/21

Quelle: Pressemitteilung des BGH v. 17.03.2022

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4. OLG Braunschweig: Erbin eines VW-Beetle-Konstrukteurs bekommt kein Fairnessausgleich
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Der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig hat mit heutigem Urteil die Berufung der Erbin eines früheren Karosseriekonstrukteurs und späteren Leiters der Abteilung Karosserie-Konstruktion der Porsche AG zurückgewiesen (2 U 47/19). Der Senat bestätigt damit die Entscheidung des Landgerichts Braunschweig, wonach der Klägerin kein Anspruch gegen die Volkswagen AG auf eine angemessene Beteiligung am wirtschaftlichen Erfolg des VW-Käfers zustehe.

Die Klägerin ist die Tochter eines im Jahr 1966 verstorbenen früheren Konstrukteurs, der als Angestellter in den Jahren 1934 bis 1938 an der Entwicklung des als Ur-Käfer bezeichneten Fahrzeugs beteiligt war. Sie geht davon aus, dass die äußere Gestaltung des Ur-Käfers auf ihn zurückzuführen sei und sich sein Werk auch heute noch in dem Modell VW-Beetle/Käfer fortsetze. Aufgrund des Missverhältnisses zwischen dem damaligen Lohn ihres Vaters und dem wirtschaftlichen Erfolg des Fahrzeugs stehe ihr eine weitere Vergütung, ein sogenannter Fairnessausgleich, nach § 32a Urheberrechtsgesetz (UrhG) zu.

Die Berufung blieb aus verschiedenen Gründen erfolglos. Nach Auffassung des Senats habe die Klägerin zum einen nicht nachgewiesen, dass ihr Vater tatsächlich Urheber der äußeren Gestaltung des Ur-Käfers sei.

Dieser Bewertung stünden auch nicht die öffentlichen Äußerungen von Ferdinand Porsche, ihr Vater sei an der Entwicklung der VW-Karosserie beteiligt gewesen, und von Ferdinand Piëch, ihr Vater habe „für den Käfer (…) die Karosserie konstruiert“ entgegen. Diese Aussagen ließen keine Rückschlüsse darauf zu, welchen konkreten Beitrag ihr Vater geleistet habe.

Die von der Klägerin als Nachweis seiner Urheberschaft eingereichten Zeichnungen zeigten entweder nicht den Ur-Käfer, wie er später hergestellt und produziert worden sei, oder sie hätten nicht eindeutig ihrem Vater zugeordnet werden können.

Zum anderen scheitere der Fairnessausgleich auch daran, dass kein schutzfähiges Werk vorliege. Bei einem Auto, also einem Gebrauchsgegenstand, unterlägen nur solche Merkmale dem urheberrechtlichen Schutz, die nicht allein technisch, sondern auch künstlerisch gestaltet seien. Maßgebend sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, ob der ästhetische Gehalt als solcher ausreiche, um von einer künstlerischen Leistung zu sprechen.

Weder die äußere Gestaltung des Fahrzeugs, wie es sich auf den von der Klägerin eingereichten Skizzen zeige, die ihrer Ansicht nach von ihrem Vater stammten, noch die äußere Gestaltung des Ur-Käfers, stellten eine nach Urheberrecht schutzfähige Schöpfung dar. So seien die seitens der Klägerin hervorgehobenen Gestaltungselemente, wie beispielsweise das Trittbrett, das „Käfer-Lächeln“ und der aufgesetzte Kotflügel, bereits damals bekannt und bei anderen Fahrzeugen zu finden gewesen.

Selbst für den Fall, dass von einer schutzfähigen Gestaltung des auf den Skizzen abgebildeten Fahrzeugs oder des Ur-Käfers auszugehen sei, stellte sich deren Verwendung in dem Nachfolgemodell VW-Beetle/Käfer als eine freie zulässige Benutzung nach § 24 Abs. 1 UrhG a.F. dar. Trotz der Übereinstimmung einzelner Gestaltungselemente spiegele sich der Gesamteindruck der früheren Fahrzeuge nicht in dem neuen Modell wieder.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen. Der Klägerin verbleibt die Möglichkeit, dagegen die Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof zu erheben.

Quelle: Pressemitteilung des OLG Braunschweig v. 10.03.2022

Angewendete Normen:
§ 32a UrhG
(1) Hat der Urheber einem anderen ein Nutzungsrecht zu Bedingungen eingeräumt, die dazu führen, dass die vereinbarte Gegenleistung sich unter Berücksichtigung der gesamten Beziehungen des Urhebers zu dem anderen als unverhältnismäßig niedrig im Vergleich zu den Erträgen und Vorteilen aus der Nutzung des Werkes erweist, so ist der andere auf Verlangen des Urhebers verpflichtet, in eine Änderung des Vertrages einzuwilligen, durch die dem Urheber eine den Umständen nach weitere angemessene Beteiligung gewährt wird.
(…)

§ 24 UrhG a.F.
(1) Ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, darf ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden.
(…)


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5. LAG Mainz: Heimliche Tonaufnahmen durch Arbeitnehmer nicht immer ein außerordentlicher Kündigungsgrund
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Nimmt ein Arbeitnehmer heimlich ein Streitgespräch mit seinem Vorgesetzten auf, liegt nicht darin nicht immer ein außerordentlicher Kündigungsgrund (LAG Mainz, Urt. v. 19.11.2021 - Az.: 2  Sa 40/21).

Der betroffene Arbeitnehmer hatte am Arbeitsplatz eine hitzige Diskussion mit seinem Vorgesetzten unbemerkt mit seinem Smartphone aufgenommen. Daraufhin sprach der Arbeitgeber die außerordentliche Kündigung aus.

Zu Unrecht, wie nun das LAG Mainz entschied.

Zwar liege in der heimlichen Aufnahme eine  schwerwiegende Verletzung der Persönlichkeitsrechts des Betroffenen. Und auch die konkreten Umstände (u.a. Streitgespräch) begründeten keine besondere Notsituation.

Jedoch sei die ausgesprochene außerordentliche Kündigung unverhältnismäßig: 

"Selbst wenn man davon ausgeht, dass auch in der vom Kläger geschilderten Situation keine heimliche Gesprächsaufzeichnung gerechtfertigt war, hat sich der Kläger nach seiner unwiderlegten Einlassung zumindest über die Pflichtwidrigkeit seines Tuns geirrt.

Ein darin liegender - wenn auch vermeidbarer - Verbotsirrtum ist jedenfalls bei der Gewichtung der Pflichtverletzung zu berücksichtigen und lässt diese unter den dargestellten Besonderheiten des vorliegenden Falls in einem deutlich milderen Licht erscheinen (...).

Soweit der Kläger im Rahmen der von ihm gegen den Zeugen E. erhobenen Klage die Tonaufzeichnung des Gesprächs als Beweismittel angeboten hat, ist ggf. im gerichtlichen Verfahren zu entscheiden, ob dieses Beweismittel einem Beweisverwertungsverbot unterliegt oder nicht.

Weiterhin ist bei der Interessenabwägung die langjährige Betriebszugehörigkeit des Klägers zu berücksichtigen, die von der Beklagten seit dem 1. August 2002 anerkannt ist. Danach war das Arbeitsverhältnis (...) mehr als 17 Jahre störungsfrei verlaufen. Bei Abwägung der beiderseitigen Interessen ist es der Beklagten zuzumuten, das langjährig bestehende sowie ansonsten über 17 Jahre störungsfrei verlaufene Arbeitsverhältnis fortzusetzen und den Kläger ggf. zur Vermeidung weiterer Konflikte mit seinem Vorgesetzten in eine andere Filiale zu versetzen.

Die außerordentliche Kündigung erweist sich mithin als unverhältnismäßig."



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6. VGH München: Einbau von Funkwasserzähler datenschutzrechtlich zulässig
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Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat mit heute bekannt gewordenem Beschluss vom 7. März 2022 die Beschwerde von zwei Antragstellern zurückgewiesen, die mit einem Eilantrag den geplanten Einbau eines Funkwasserzählers in ihrem Wohnhaus verhindern wollten.

Die Antragsteller, ein Ehepaar aus dem Landkreis Bamberg, wurden im Mai 2021 unter Anordnung des Sofortvollzugs dazu verpflichtet, einem Beauftragten des kommunalen Wasserversorgungsunternehmens Zugang zu ihrer Wohnung zu gewähren, um ihm die Überprüfung und erforderlichenfalls den Austausch des bisherigen analogen Wasserzählers gegen einen digitalen Zähler mit Funkfunktion zu ermöglichen. Hiergegen wandten sich die Antragsteller mit einem Eilantrag und machten geltend, gegen den Betrieb von Funkwasserzählern bestünden datenschutzrechtliche und gesundheitliche Bedenken. Nach Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht erhoben die Antragsteller Beschwerde zum BayVGH.

Der für das Kommunalrecht zuständige 4. Senat wies die Beschwerde der Antragsteller zurück, weil dem Einbau und Betrieb eines Funkwasserzählers weder datenschutzrechtliche noch gesundheitliche Gründe entgegenstünden.

Der Betrieb eines Funkwasserzählers stelle keinen unzulässigen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Selbst wenn der Betrieb Rückschlüsse auf den Wasserverbrauch einzelner Personen ermögliche, sei die Verarbeitung der personenbezogenen Daten gerechtfertigt.

Die Versorgung mit Trinkwasser und die Messung des Verbrauchs mittels Wasserzählern sei eine zur Daseinsvorsorge gehörende gemeindliche Pflichtaufgabe und diene dem öffentlichen Interesse. Die Verarbeitung der Daten stelle keinen so schweren Rechtseingriff dar, dass bei einer Gesamtabwägung das Interesse des öffentlichen Wasserversorgers an der Nutzung der Funkwasserzähler zurückstehen müsse.

Der Einsatz von Funkwasserzählern könne im Hinblick auf das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung sogar als eine besonders schonende Art der Datenerfassung angesehen werden, weil er das Betreten von privaten Räumen entbehrlich mache. Nach derzeitigem Erkenntnisstand entstünden durch den Betrieb von Funkwasserzählern auch keine unzumutbaren Gesundheitsgefahren, weil die Strahlenleistung im Vergleich zu einem Handy um ein Vielfaches niedriger sei und die Funkwasserzähler in der Regel nicht in unmittelbarer Nähe zu den Bewohnern, sondern im Keller an der zentralen Hauswasserzuleitung angebracht würden.

Gegen den nur im Verhältnis zu den Antragstellern geltenden Beschluss gibt es keine Rechtsmittel.

(BayVGH, Beschluss vom 7. März 2022, Az. 4 CS 21.2254)

Quelle: Pressemitteilung des VGH München v. 16.03.2022

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7. VerfGH Stuttgart: Vorläufiger Weiterbetrieb einer Spielhalle
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Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erfolgreich: Verfassungsgerichtshof ermöglicht vorläufigen Weiterbetrieb einer Spielhalle Der Verfassungsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg hat mit soeben den Beteiligten bekanntgegebenem Beschluss einem Antrag einer Spielhallenbetreiberin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entsprochen und den vorläufigen Weiterbetrieb einer Spielhalle ermöglicht.

Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen zwei verwaltungsgerichtliche Entscheidungen in einem auf vorläufige Duldung einer Spielhalle gerichteten einstweiligen Rechtsschutzverfahren und begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung durch den Verfassungsgerichtshof. Sie betreibt in Mosbach eine Spielhalle, in deren nähren Umkreis sich ein Gymnasium sowie die Spielhalle einer anderen Betreiberin befinden.

Im April 2021 beantragte die Beschwerdeführerin bei der Großen Kreisstadt Mosbach für ihre Spielhalle die Erteilung einer Betriebserlaubnis gemäß § 41 LGlüG ab dem 1. Juli 2021; zuvor war ihr eine bis zum 30. Juni 2021 befristete Erlaubnis erteilt worden. Den Antrag lehnte die Stadt Mosbach ab und erteilte gleichzeitig der nahe gelegenen Konkurrenzspielhalle eine glücksspielrechtliche erhobenen Widersprüche ist bislang noch nicht entschieden.

Die Beschwerdeführerin erstrebte vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe die Erteilung einer einstweiligen Duldung des Weiterbetriebs ihrer Spielhalle im Wege des Eilrechtsschutzes. Dies lehnte das Gericht mit dem hier angegriffenen Beschluss vom 23. August 2021 ab. Der Verwaltungsgerichtshof Baden- Württemberg wies mit dem hier ebenfalls angegriffenen Beschluss vom 7. Oktober 2021 die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts zurück. 

Der begehrten Erteilung einer Erlaubnis stehe jedenfalls der Versagungsgrund des § 42 Abs. 3 LGlüG wegen der Nähe zu einem Gymnasium entgegen.

Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG würden von der Spielhalle der Beschwerdeführerin nach der im gerichtlichen Eilverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht erfüllt. Denn der Betrieb der Spielhalle sei nicht mehr von einer Erlaubnis gedeckt; eine „nahtlose Fortschreibung“ der Erlaubnis sei nicht mehr möglich. Denn der von § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG vermittelte Bestands- und Vertrauensschutz entfalle mit „Eintritt“ erlaubnisfreier Zeiten. Dies sei mit Ablauf der bis zum 30. Juni 2021 gültigen Erlaubnis der Fall gewesen.

Der Betrieb sei auch nicht darüber hinaus aktiv geduldet worden. Gewähre die zuständige Behörde von sich aus keine aktive Duldung hinsichtlich des Weiterbetriebs einer Spielhalle, obliege es dem Antragsteller, eine dahingehende (vorläufige) Verpflichtung der Behörde vor Ablauf der Gültigkeit einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes anzustreben, da nur hierüber eine „nahtlose Fortschreibung“ der innegehabten Erlaubnis denklogisch möglich bleibe. Den entsprechenden Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes habe die Beschwerdeführerin jedoch erst (kurz) nach Ablauf ihrer bis zum 30. Juni 2021 befristeten Erlaubnis gestellt. Sei die Legalisierung des Spielhallenbetriebs mittels einer Erlaubnis unterbrochen und liege damit keine „nahtlose Fortschreibung“ der Erlaubnis nach § 33i GewO vor, bedürfe es für den Wiederbetrieb der zwischenzeitlich eingestellten Spielhalle einer neuen Erlaubnis, in deren Rahmen § 42 Abs. 3 LGlüG ungeschmälert zur Anwendung komme.

Wesentliche Erwägungen des Verfassungsgerichtshofs

Der Verfassungsgerichtshof hat die Große Kreisstadt Mosbach im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Betrieb der Spielhalle durch die Beschwerdeführerin bis zur Entscheidung über das vorliegende Verfassungsbeschwerdeverfahren zu dulden.

1. Nach § 25 Abs. 1 VerfGHG kann der Verfassungsgerichtshof, wenn es zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grunde zum gemeinen Wohl dringend geboten ist, in einem anhängigen Verfahren einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben.

Der Antrag auf Eilrechts-schutz hat jedoch keinen Erfolg, wenn eine Verfassungsbeschwerde von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre. Bei offenem Ausgang muss der Verfassungsgerichtshof die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre.

2. Die vorliegende Verfassungsbeschwerde ist weder vornherein unzulässig, noch offensichtlich unbegründet. Sind somit deren Erfolgsaussichten offen, kommt es für den Erlass der einstweiligen Anordnung entscheidend auf die Folgenabwägung an.

Aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ergibt sich, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Abwehr eines schweren Nachteils erforderlich ist. Ein weiterer Betrieb der Spielhalle ohne die mit dem vorliegenden Eilantrag erstrebte Duldung scheidet angesichts der Gefahr von ordnungswidrigkeiten- und/oder strafrechtlichen Konsequenzen aus. Ohne den begehrten Ausspruch der vorläufigen Duldung des Weiterbetriebs wäre die Beschwerdeführerin deshalb gezwungen, die Spielhalle weiterhin geschlossen zu lassen. Dies würde erhebliche wirtschaftliche Folgen bedeuten, die durch eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr (gänzlich) beseitigt werden könnten.

Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Beschwerdeführerin nur noch die hier betroffene Spielhalle betreibt und über keine weiteren Einnahmequellen verfügt. Ohne eine vorläufige Öffnung des Spielhallenbetriebs wäre das noch vorhandene Vermögen binnen weniger Monate aufgebraucht, so dass die weiterhin monatlich anfallenden Kosten durch die Beschwerdeführerin nicht mehr getragen werden könnten und diese dadurch in ihrer Existenz gefährdet wäre. Demgegenüber erweisen sich die Folgen, die die Stadt Mosbach bei einem Erlass einer einstweiligen Anordnung zu tragen hätte, falls die Verfassungsbeschwerde später keinen Erfolg hätte, von geringerem Gewicht.

Auch die Verwirklichung der aus Sicht des Gesetzgebers überragenden Ziele der Verhinderung der Spiel- und Wettsucht sowie des Jugendschutzes hat bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde gegenüber den Interessen der Beschwerdeführerin zunächst zurückzutreten. Denn durch den vorläufigen Fortbetrieb der Spielhalle droht keine derart gravierende Gefährdung des Gemeinwohls, dass eine sofortige Einstellung des Spielhallenbetriebs erforderlich und eine vorläufige Fortführung nicht hinzunehmen wäre. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Spielhallenbetrieb am bisherigen Standort bereits seit dem Jahr 2008 erfolgt, zuletzt aufgrund einer bis zum 30. Juni 2021 befristeten Erlaubnis.

1 VB 156/21

Quelle: Pressemitteilung des VerfGH Stuttgart v. 16.04.2022

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8. VG Berlin: Innenministerin durfte zu "Spaziergängen" twittern
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Eine über den Nachrichtendienst Twitter verbreitete Äußerung der Bundesministerin des Innern zum Demonstrationsrecht war rechtlich zulässig. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin in einem Eilverfahren entschieden.

Am 19. Januar 2022 veröffentlichte die Ministerin auf ihrem privaten Twitteraccount die Äußerung: „Ich wiederhole meinen #Appell: Man kann seine #Meinung auch kundtun, ohne sich gleichzeitig an vielen Orten zu versammeln“. Entsprechend hatte sie sich bereits auf einer Pressekonferenz des Ministeriums am selben Tag geäußert. Der Antragsteller sieht sich hierdurch u.a. in seinem Versammlungsgrundrecht beeinträchtigt. Er begehrte Eilrechtsschutz mit dem Ziel, die Ministerin zu verpflichten, diese Äußerung vorerst zu unterlassen.

Die 6. Kammer hat den Eilantrag zurückgewiesen.

Zwar sei der Rechtsweg zum Verwaltungsgericht eröffnet. Auch wenn die Äußerung über den privaten Twitter-Account der Ministerin getätigt worden sei, stehe sie in unmittelbaren Zusammenhang mit der Ausübung ihres Amtes.

Dem Antragsteller fehle es aber bereits an der Antragsbefugnis. Er habe nicht ausreichend geltend gemacht, dass ihn die Äußerung in eigenen Rechten beeinträchtige. Diese sei nicht geeignet, interessierte Bürger von einer Teilnahme an den von ihm veranstalteten Versammlungen abzuhalten und damit deren Wirkung nachhaltig zu beeinflussen.

Sie beziehe sich nämlich nicht auf die von ihm angemeldeten und veranstalteten Versammlungen zum Protest gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus.

Vielmehr nehme sie Bezug auf die sogenannten „Spaziergänge“, bei denen sich Protestierende unangemeldet gezielt an vielen Orten gleichzeitig versammelten. Diese Protestform plane der Antragsteller selbst gar nicht. Zudem handele es sich bei dem Tweet lediglich um einen unverbindlichen Appell, der keine generelle Abwertung oder Missbilligung von Protesten gegen Corona-Maßnahmen enthalte. Ungeachtet dessen sei die Äußerung inhaltlich von der Befugnis der Bundesregierung zur Öffentlichkeitsarbeit gedeckt. Sie sei sowohl von der Kompetenzordnung des Grundgesetzes abgedeckt als auch mit dem Sachlichkeitsgebot vereinbar.

Denn der Appell, sich nicht gleichzeitig an vielen Orten zu versammeln, ziele nicht auf eine Herabsetzung regierungskritischer Positionen ab. Vielmehr sei es der Ministerin darum gegangen, auf Erschwernisse für die Arbeit der Sicherheitsbehörden bei der Gewährleistung des Versammlungsrechts einerseits und der Durchsetzung der Corona-Maßnahmen andererseits hinzuweisen, die aus der Verlagerung des Demonstrationsgeschehens auf zahlreiche Orte zur selben Zeit entstünden.

Gegen den Beschluss kann Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt werden.

Beschluss der 6. Kammer vom 21. Februar 2022 (VG 6 L 17/22)

Quelle: Pressemitteilung des VG Berlin v. 15.03.2022

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9. LG Hamburg: Gekaufte Kundenbewertungen auf Amazon wettbewerbswidrig
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Gekaufte Kundenbewertungen, die Anbieter auf der Online-Plattform Amazon  veröffentlichen, sind wettbewerbswidrig, wenn nicht darauf hingewiesen wird, dass der Rezensent einen finanziellen Vorteil erhalten hat (LG Hamburg, Urt. v. 07.10.2021 - Az.: 327 O 407/19).

Die Klägerin wehrte sich gegen gekaufte Kundenbewertungen auf Amazon.

Das LG Hamburg entschied, dass eine solche Publikation nur dann rechtskonform sei, wenn auf die Tatsache hingewiesen werde, dass hier bestimmte Vermögenswerte gewährt würden für eine positive Rezension:

"Das soeben beschriebene Geschäftsmodell stellt jeweils einen Verstoß gegen §§ 3, 5a Abs. 6 UWG dar. Danach handelt unlauter, wer den kommerziellen Zweck einer geschäftlichen Handlung nicht kenntlich macht, sofern sich dieser nicht unmittelbar aus den Umständen ergibt, und das Nichtkenntlichmachen geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. (...)

Das Nichtkenntlichmachen des kommerziellen Zwecks ist dazu geeignet, die Verbraucher (...) zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die sie andernfalls nicht getroffen hätten. Der Verbraucher, der auf amazon.de einkauft, bringt Bewertungen, die aus freien Stücken aufgrund eines Kaufs ohne Vergünstigung gegen Bewertung verfasst worden sind, ein ungleich höheres Vertrauen entgegen, als solchen Bewertungen, für die der Rezensent eine Gegenleistung für die Bewertung bekommen hat."


Und weiter:
"In der Veröffentlichung bzw. Vermittlung von - wie unter b) erläutert - gekauften Rezensionen liegt gleichzeitig eine wettbewerbswidrige Irreführung (...). Sowohl zur Irreführung einschließlich der Verkehrsvorstellung als auch zur Eignung, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte, ist auf die Ausführungen unter a) und b) zu verweisen."

Dabei hafte nicht nur die betreffende Firma, sondern auch ihr Geschäftsführer bzw. alle Personen, die aktiv im Hintergrund die Handlungen unterstützen würden:
"Im Hinblick auf die Wettbewerbsverstöße von SD ergibt sich die mittäterschaftliche Haftung des Beklagten aus seiner Stellung als Mehrheitsgesellschafter und Geschäftsführer wegen aktiven Tuns oder aber aufgrund einer deliktischen Garantenstellung, da er das wettbewerbswidrige Geschäftsmodell in seiner ganzen Bandbreite selbst ins Werk gesetzt hat. (...)

Im Hinblick auf die Wettbewerbsverstöße AS ergibt sich die mittäterschaftliche Haftung des Beklagten aus einer Gesamtschau und -würdigung der Umstände, aufgrund derer die Kammer zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Beklagte das in den dargelegten wettbewerbswidrigen Tathandlungen zum Ausdruck gekommene Geschäftsmodell aktiv gesteuert hat."



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10. Irische Datenschutzbehörde: 17 Mio. EUR DSGVO-Bußgeld gegen Meta (Facebook)
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Die irische Datenschutzbehörde erklärt in einer aktuellen Pressemitteilung,  eine DSGVO-Geldbuße iHv. 17 Mio. EUR gegen den Anbieter Meta (ehemals Facebook) wegen Datenschutzverstößen verhängt zu haben.

Grund der Beanstandungen sind zwölf Meldungen zu Datenschutzverletzungen aus dem Jahr 2018. Es geht dort um die Nichteinhaltung der technischen und organisatorischen Maßnahmen aufgrund des grenzüberschreitenden Transfers:

"As a result of its inquiry, the DPC found that Meta Platforms infringed Articles 5(2) and 24(1) GDPR.  The DPC found that Meta Platforms failed to have in place appropriate technical and organisational measures which would enable it to readily demonstrate the security measures that it implemented in practice to protect EU users’ data, in the context of the twelve personal data breaches.

Given that the processing under examination constituted “cross-border” processing, the DPC’s decision was subject to the co-decision-making process outlined in Article 60 GDPR and all of the other European supervisory authorities were engaged as co-decision-makers.  While objections to the DPC’s draft decision were raised by two of the European supervisory authorities, consensus was achieved through further engagement between the DPC and the supervisory authorities concerned.  Accordingly, the DPC’s decision represents the collective views of both the DPC and its counterpart supervisory authorities throughout the EU."

Vor einem halben Jahr hatte die Datenschutzbehörde gegen die WhatsApp Ireland Ltd.  ein Bußgeld iHv. 225 Mio. EUR verhängt, vgl. unsere Kanzlei-News v. 03.09.2021.

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