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Kategorie: Allgemein

Ablieferungspflicht für Webseiten? - Die neue Pflichtablieferungs-Verordnung

"Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode" heißt es bei Hamlet. Nichts anderes fällt einem angesichts der seit gestern, dem 23.10.2008, in Kraft getretenen Pflichtablieferungs-Verordnung (PflAV) ein.

Die PflAV ist eine Ausführungsverordnung zum "Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek" (DNBG), das im Jahre 2006 das Licht der Welt erblickte.

Es lässt sich leider nicht anders sagen: Das DNBG und die PflAV ist in puncto Internet eine der schwachsinnigsten Regelungen, die der deutsche Gesetzgeber je verbrochen hat. Selbst so katastrophale Onlinerechts-Bereiche wie das Fernabsatzrecht, in denen die Legislative seit nunmehr 10 Jahren absolute Inkompetenz beweist, strahlt demgegenüber in hellem Licht.

Aber beginnen wir vorne: Was regelt nun genau die PflAV?

Für den Online-Bereich ist § 7 PflAV entscheidend, der da lautet:

§ 7 Beschaffenheit von Netzpublikationen und Umfang der Ablieferungspflicht

(1) Unkörperliche Medienwerke (Netzpublikationen) sind in marktüblicher Ausführung und in mit marktüblichen Hilfsmitteln benutzbarem Zustand abzuliefern. Eine Pflicht zur Ablieferung besteht nicht, wenn die Ablieferungspflichtigen im Rahmen des § 16 Satz 2 des Gesetzes über die Deutsche Nationalbibliothek mit der Bibliothek vereinbaren, die Netzpublikationen zur elektronischen Abholung bereitzustellen. Für die Ablieferung von Netzpublikationen gilt § 2 Abs. 3 entsprechend; für die Bereitstellung zur elektronischen Abholung gilt § 2 Abs. 3 Satz 1 entsprechend.
(2) Die Ablieferungspflicht umfasst auch alle Elemente, Software und Werkzeuge, die in physischer oder in elektronischer Form erkennbar zu den ablieferungspflichtigen Netzpublikationen gehören, auch wenn sie für sich allein nicht der Ablieferungspflicht unterliegen. Dies gilt insbesondere für nicht marktübliche Hilfsmittel, die eine Bereitstellung und Benutzung der Netzpublikationen erst ermöglichen und bei den Ablieferungspflichtigen erschienen sind. Sie sind zusammen mit den Netzpublikationen abzuliefern oder zur elektronischen Abholung bereitzustellen.



Nach der gesetzlichen Definition des § 3 DNBG sind Netzpublikationen "alle Darstellungen in öffentlichen Netzen."

Aha, also alles, was im Internet publiziert wird. § 7 Abs.2 PflAV stellt klar, dass hierunter jede Form von Software fällt und nicht nur schnöde HTML-Seiten: Also z.B. auch PERL- oder PHP-Skripte.

Hier stellt sich natürlich schnell die Frage: Wie sichert die Nationalbibliothek denn das ihr anvertraute Know-How ab?

So hat der herkömmliche User ja keinen Zugriff auf bestimmte Quelltexte einer Webseite (z.B. bei PERL- oder PHP-Skripten). Nach den neuen Vorschriften müsste aber der Webseiten-Betreiber diese Quelltexte offen an die Nationalbibliothek weiterleiten, damit dynamisch erzeugte Webseiten überhaupt funktionieren.

Oder ist der Webseiten-Betreiber etwa verpflichtet von seinen dynamisch erzeugten Inhalten mühsam statische Inhalte zu erzeugen? Was in vielen Fällen überhaupt nur begrenzt technisch möglich sein wird.

Und die wichtigste Frage: Wenn der Webseiten-Betreiber seine Quelltexte offenlegen muss, wie gewährleistet die Nationalbibliothek, dass kein Dritter an diese wichtigen und sensiblen Daten gelangt?

Juristisch und wirtschaftlich kann man in dieser Hinsicht das DNBG und die PflAV nur als totalen Wahnsinn einstufen. Hier haben sich Bürokraten, die ganz offensichtlich keine näheren Internet-Kenntnisse haben, diese Regelungen ausgedacht.

Dankenswerterweise sind die §§ 7 - 9 PflAV derartig schlampig und unkonkret formuliert, dass jeder Webseiten-Betreiber sich seine eigene Interpretation aussuchen kann.

Dazu ein Beispiel: § 9 Nr.1 PflAV verweist auf § 4 Nr.13 PflAV.

Diese Verweisung kann man nun ohne weitere Probleme so lesen, dass "alle Webseiten, die lediglich gewerblichen, geschäftichen oder innerbetrieblichen Zwecken dienen" nicht erfasst werden.

Bedeutet: Gewerbliche Seiten sind grundsätzlich von einer Abgabe befreit. Aha.

In den letzten Tagen wurde häufiger die Vermutung geäußert, dass durch die PflAV eine "neue Abmahnwelle” ausgelöst wird. Dies ist eher unwahrscheinlich. Zum einen wird der Abmahner nicht sicher wissen können, ob ein Webseiten-Betreiber bereits seiner Ablieferungspflicht nachgekommen ist. Zum anderen hat die Ablieferungspflicht nicht die erforderliche Marktbezogenheit, sondern ist lediglich eine Ordnungsvorschrift, so dass Mitbewerbern bereits das Recht zur Abmahnung fehlt.

Und hinsichtlich eines möglichen Bußgeldes durch die Nationalbibliothek sollte jeder Webseiten-Betreiber das Problem einfach aussitzen und erst einmal nichts tun. Die jetzigen Regelungen sind nämlich - wie gesagt - doch recht $%”/§()). Und: Die Nationalbibliothek gibt selbst an, im Falle der Fälle zunächst den Betroffenen zu ermahnen, bevor sie ein Bußgeld erlässt. Also: Ruhig Blut!

Zusammenfassung: Die Neuregelungen sind sicherlich gut gemeint, inhaltlich und juristisch aber in puncto Internet eine Katastrophe. Das Ganze wird in der Praxis dadurch abgemildert, dass die Nationalbibliothek in der Vergangenheit bereits angekündigt hat, die Umsetzung behutsam und vorsichtig vorzunehmen. Die Nationalbibliothek hat zudem eine FAQ online bereitgestellt.

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