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Haftung für Foren-Einträge - Auswirkungen des Heise-Urteils (LG Hamburg, Urt. v. 02.12.2005 - Az.: 324 O 721/05)

Ein Artikel von Rechtsanwalt Dr. Bahr 

 

 

1. Die aktuellen Ereignisse:
Die schriftlichen Entscheidungsgründe des Heise-Urteils, über das die Kanzlei-Infos schon am 06.12.2005 berichteten, liegen nun vor  (LG Hamburg, Urt. v. 02.12.2005 - Az.: 324 O 721/05). Und führen zu einer breiten Protestwelle im Internet.


2. Die maßgeblichen Entscheidungsgründe:
Es gilt jedoch, sich das Urteil genauestens anzuschauen und nicht undifferenziert als blanker Wahnsinn (dazu später mehr) abzutun wie es an manchen Stellen im Internet geschieht.

Zunächst darf nicht übersehen werden, dass gut die 1. Hälfte der Entscheidungsgründe nicht die Begründung für die Haftung des Zeitschriften-Verlages darstellt. Vielmehr leitet das Gericht - in der 2. Hälfte - die Verantwortlichkeit aus dem Umstand ab, dass Heise hier selber zur Zuspitzung der Lage beigetragen habe:

(...) wenn der Verbreiter aufgrund der Art seines Angebots selbst Anlass zu der Annahme haben muss, dass dieses von Nutzern zu Zwecken der Verletzung von Rechten Dritter gebraucht wird.

Denn die Antragsgegnerin hatte zu ihrem Beitrag, in dem sie das Verhalten der Antragsteller beanstandet hatte, ein Forum eröffnet, und aufgrund der in ihrem eigenen Beitrag geübten harten Kritik an dem Verhalten der Antragsteller musste sie jedenfalls damit rechnen, dass Nutzer, die Beiträge in dieses Forum einstellen würden, dabei ,,über die Stränge schlagen" und die Gelegenheit nutzen würden, gerade an dieser Stelle, die durch die Veröffentlichung der Antragsgegnerin einen hohen Aufmerksamkeitswert genoss, zu rechtswidrigen Aktionen gegen die Antragsteller aufzurufen.

Jedenfalls dann, wenn, wie bei einer solchen Sachlage, der Verbreiter damit rechnen muss, dass das von ihm den Nutzern zur Verfügung gestellte Angebot missbraucht werden wird, muss er wirksame Vorkehrungen treffen, um einen solchen Missbrauch zu vermeiden, und solche Vorkehrungen können hier nur darin bestehen, dass die eingehenden Beiträge vor ihrer Freischaltung geprüft werden."

Absolut unklar bleibt jedoch, welche Maßstäbe das Gericht für eine solche Zuspitzung ansetzt. Das Gericht verweist dazu zum einem auf die "rolex"-Entscheidung des BGH (Urt. v. 11.03.2004 - Az.: I ZR 304/01), speziell auf Punkt b), Unterpunkt bb).

In der BGH-Entscheidung hatte es in der Vergangenheit mehrfach für die Klägerin schädliche Markenverletzungen gegeben. Hieraus leiten die BGH-Richter ab:

"Dies bedeutet, daß die Beklagte immer dann, wenn sie auf eine klare Rechtsverletzung hingewiesen worden ist, nicht nur das konkrete Angebot unverzüglich sperren muß (...), sie muß vielmehr auch Vorsorge treffen, daß es möglichst nicht zu weiteren derartigen Markenverletzungen kommt.

Im Streitfall beispielsweise ist es nach dem revisionsrechtlich zu unterstellenden Sachverhalt zu mehreren klar erkennbaren Markenverletzungen gekommen. Die Beklagte muß diese Fälle zum Anlaß nehmen, Angebote von Rolex-Uhren einer besonderen Prüfung zu unterziehen."

Die Entscheidungsgründe des LG Hamburg nehmen zwar auf diese Passage Bezug, unklar bleibt aber, ob die Hamburger Richter wirklich eine Haftung aufgrund vergangener rechtswidriger Foren-Einträge bejahen. Vieles spricht für eine solche Argumentation, sie findet sich jedoch nicht in den schriftlichen Gründen wieder. Denn dort beziehen sich die Richter nur auf das bloße Bereitstellen eines Forums. Dass die Hamburger Richter hier eine gesteigerte Sorgfaltspflicht annehmen, weil es schon in der Vergangenheit zu unerlaubten Postings gekommen war, fehlt. 


3. Die "Randbemerkungen" und der Flächenbrand:
Besonderen Unmut in der Internet-Gemeinde ruft insbesondere der 1. Teil der Entscheidungsgründe hervor, der jedoch nicht tragend für die vorliegende Entscheidung war:

"Alles dies bedarf indessen keiner abschließenden Erörterung."

Trotz dieser formal-juristischen Unverbindlichkeit dürften diese Passagen zu einem Flächenbrand im Internet führen. 


a) Prüfung vor Freischaltung?
Das Gericht ist der Ansicht, dass es angemessen ist, wenn ein Unternehmen Postings vor der Veröffentlichung freischalten muss und die Nachrichten nicht direkt veröffentlicht werden:

"Technisch ist ihr eine solche Einflussnahme im Grundsatz ohne Weiteres möglich, da sie ihr Forum in der Weise einrichten kann, dass die Einträge vor ihrer Freischaltung auf die rechtliche Zulässigkeit ihres jeweiligen Inhalts geprüft werden."

Die Hamburger Richter ließen auch den Einwand nicht zu, dass bei etwa 6.600 Postings am Tag eine solche Kontrolle faktisch gar nicht möglich sei:

"Eine Einschränkung der Verantwortlichkeit der Antragsgegnerin (...) ergibt sich auch nicht daraus, dass es der Antragsgegnerin aufgrund der (...) Vielzahl der Einträge in die von ihr unterhaltenen Foren unmöglich wäre, alle Einträge vor einer Freischaltung (...) prüfen zu lassen.

Die Kammer hat schon erhebliche Zweifel daran, dass die Vielzahl der verbreiteten Einträge allein überhaupt einen Grund dafür abgeben kann, den Verbreiter von seiner Verantwortlichkeit zu befreien. 

Denn wer Betriebsmittel bereit hält, die es ihm erlauben, über ein redaktionell gestaltetes Angebot in riesenhafter Anzahl Äußerungen zu verbreiten, unterhält damit eine Gefahrenquelle, indem er einer unbestimmten Vielzahl von Nutzern gerade damit die Möglichkeit eröffnet, in großer Zahl Äußerungen zu verbreiten, die geeignet sind, Rechte Dritter zu verletzen."

Diese Argumentation ist unvereinbar mit den Grundsätzen, die der BGH in der o.g. "rolex"-Entscheidung aufgestellt hat. Und ist ebenso unvereinbar mit den Vorgaben der europäischen E-Commerce-Richtlinie:

"Einem Unternehmen, das - wie die Beklagte - im Internet eine Plattform für Fremdversteigerungen betreibt, ist es nicht zuzumuten, jedes Angebot vor Veröffentlichung im Internet auf eine mögliche Rechtsverletzung hin zu untersuchen. Eine solche Obliegenheit würde das gesamte Geschäftsmodell in Frage stellen (vgl. Erwägungsgrund 42 der Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr)."


b) Umfang der Vorab-Prüfungspflicht
Vollkommen unklar bleibt auch, welchen Umfang eine solche Vorab-Prüfungspflicht nach Meinung der Richter haben soll: Muss dies manuell, per Hand durch einen Menschen geschehen? Oder kann dies auch ein automatisiertes Verfahren mittels Blacklist geschehen?

In zwei vergleichbaren aktuellen Entscheidungen, wo es jedoch um Markenverletzungen ging, urteilte das LG Hamburg, dass ein Online-Auktionshaus mindestens einen Blacklist-Filter vor der Veröffentlichung schalten müsse, um so Verletzungen auszuschließen, vgl. die Kanzlei-Infos v. 14.05.2005 und v. 14.02.2005.

Bei solchen Ereignissen wie im vorliegenden Fall dürfte das Setzen einer Blacklist faktisch rein gar nichts bringen. Denn welche Begriffe sollten ausgeschlossen werden, um zukünftige rechtswidrige Äußerungen sicherzustellen? Reicht es aus, bloß den Firmennamen, die Webseite und den Produktnamen auf eine Blacklist zu setzen? Oder müssen auch noch weitere Begriffe, evtl. sogar klangähnliche Worte, mit aufgenommen werden?

Eine solche Sperre, selbst wenn sie denn greifen würde, wäre zudem innerhalb weniger Sekunden oder Minuten umgangen.

Zu all dem äußern sich die Richter aber nicht, sondern lassen dies unerörtert. 


c) Urteil nur anwendbar auf Presse-Organe?
Das wohl Schwierigste an der Entscheidung dürfte die Bestimmung der sachlichen Reichweite des Urteils sein.

Im vorliegenden Fall urteilte die 24. Zivilkammer, die u.a. für Pressesachen zuständig ist. Bei der Beklagten handelte es sich um das Online-Portal des bekannten Zeitschriften-Verlages Heise.

Gilt die Entscheidung nun "nur" für Presse-Organe?

Die klare Antwort ist: Diese Frage beantwortet das Gericht in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht eindeutig.

Das Gericht leitet die Verantwortlichkeit maßgeblich aus einem Urteil des BGH aus dem Jahre 1962 (= BGH, Urt. v. 18. 12. 1962, NJW 1963, 484) her.

Dort ging es um die organisatorischen Vorkehrungen, die ein Fernsehsender treffen muß, um bei Fernsehsendungen rechtswidrige Eingriffe in einen Gewerbebetrieb zu vermeiden.

Beklagte war das Bayerische Fernsehen, das im Rahmen einer Modesendung ein bestimmtes Kleidungsstück extrem negativ bewertet hatte. Bei der Bilderfassung durch die Kamera war zeitgleich aus Versehen der Name der Designerin großflächig erkennbar. Die Designerin klagte im Anschluss auf Schadensersatz, weil durch die Fernseh-Reportage ihr Umsatz eingebrochen sei.

Der BGH gab ihr damals Recht, denn das Bayerische Fernsehen hätte Vorkehrungen treffen müssen, dass der Name der Designerin nicht erkennbar war:

"(...) sondern darum, weil es die verfassungsmäßig berufenen Vertreter des Beklagten aus Mangel an der verkehrserforderlichen Sorgfalt verabsäumt haben, die nach Lage der Sache notwendigen Vorkehrungen gegen eine solche „Panne“ zu treffen, wie sie hier durch das Nichtabdecken des Namens „X“ beim Vorzeigen der Mantelabbildung vorgekommen ist (...). 

Schon bei der Vorbesprechung der Sendung und in der Durchlaufprobe hätte nach der Auffassung des Berufungsgerichts dafür gesorgt werden müssen, daß die zum Vorzeigen bestimmten Bildseiten von Firmennamen frei waren, was auf einfache und zumutbare Weise, beispielsweise durch Überkleben, Ausstreichen oder Wegschneiden möglich gewesen sei.

In dieser Beurteilung tritt kein Rechtsfehler zutage."

Die Bezugnahme auf dieses Urteil spricht für eine Begrenzung auf reine Presse-Organe. Auch im weiteren verweisen die Richter auf Urteile zur presserechtlichen Haftung bei Leserbriefen und Werbeanzeigen.

Dagegen spricht jedoch der nachfolgende Satz, der eher allgemeiner Natur ist:

"Denn wer Betriebsmittel bereit hält, die es ihm erlauben, über ein redaktionell gestaltetes Angebot in riesenhafter Anzahl Äußerungen zu verbreiten, unterhält damit eine Gefahrenquelle, indem er einer unbestimmten Vielzahl von Nutzern gerade damit die Möglichkeit eröffnet, in großer Zahl Äußerungen zu verbreiten, die geeignet sind, Rechte Dritter zu verletzen."

Was ist ein "Betriebsmittel"? Was ist ein "redaktionell gestaltetes Angebot"?

Hier gilt es insbesondere zu bedenken, dass die Rechtsprechung relativ geringe Voraussetzungen für die Geschäftsmäßigkeit eines Webseiten-Betreibers ansetzt. Geschäftsmäßigkeit liegt nämlich schon dann vor, wenn der Seiteninhaber in der Absicht handelt, nachhaltig Einnahmen zu erzielen oder die nachhaltige Erzielung von Einnahmen unter Zuhilfenahme von Telediensten zu fördern. Das ist nach Ansicht mancher Gerichte schon dann der Fall, wenn bloße Werbebanner oder Pop-Ups geschaltet werden (LG Hamburg, Beschl. v. 01.03.2000 - Az.: 315 O 219/99; LG Frankfurt, Az. 2 - 06 O 212/01).

In einer neueren Entscheidung führt der BGH (Urt. v. 11. März 2004 - I ZR 304/01) zum Merkmal des "geschäftlichen Verkehrs" ausdrücklich aus:

"Dabei ist zu berücksichtigen, daß an dieses Merkmal keine hohen Anforderungen zu stellen sind. Auch derjenige, der nur Gegenstände in einer Internetauktion erwirbt, um sie mit Gewinn weiterzuveräußern, handelt im geschäftlichen Verkehr."

Damit dürfte - jedenfalls nach dieser Ansicht - jeder Seiten-Betreiber schon ein Forum als "Betriebsmittel" zur Verfügung stellen, der Google AdSense oder ein schnödes Werbe-Pop-Up auf seinen Seiten hat. 


4. Ergebnis und Auswirkungen in der Praxis:
Kurz zusammengefasst kann man die aktuelle Entscheidung glattweg nur als absolutes Fehlurteil bezeichnen. Auch wenn der verklagte Heise-Verlag schon Berufung angekündigt hat und das Urteil somit (noch) nicht rechtskräftig werden wird, dürfte die Wirkung auf das Netz der Netze gewaltig werden. Denn schon vor der Veröffentlichung der Entscheidungsgründe beriefen sich zahlreiche Abmahner auf dieses Urteil. Das dürfte jetzt, nach der Veröffentlichung, erst recht gelten.

Irritierenderweise trägt die Beklagte jedoch ihren maßgeblichen Teil zu dieser Problematik bei. Denn sie verschärft noch alles dadurch, indem sie öffentlich proklamiert, dass ein Forenbetreiber auch für seine Moderatoren hafte.

Es bleibt zu hoffen, dass all dies zu keinem irreparablem Schaden der deutschen Internet-Szene führt. Und es bleibt abzuwarten, was das OLG Hamburg zu dem aktuellen Fall sagt.