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Ansprüche des Abgemahnten bei unberechtigten Wettbewerbs-Abmahnungen

Ein Artikel von Rechtsanwalt Dr. Bahr

Nicht immer ist ein Anspruch, der mittels einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung geltend gemacht wird, rechtmäßig. Insbesondere im Internet kommt es häufig vor, dass das Rechtsinstitut der Abmahnung von finanzkräftigen Unternehmen missbraucht wird, um kleinere Internet-Firmen mit geringer wirtschaftlicher Liquidität durch die drohenden Gerichtskosten faktisch zum Nachgeben zu zwingen. [1] Der folgende Beitrag beleuchtet, welche Ansprüche der zu Unrecht Abgemahnte in diesen Fällen hat.


I. Negative Feststellungsklage:
Zum einen hat der zu Unrecht Abgemahnte einen Anspruch darauf, dass der Abmahner rechtsverbindlich erklärt, dass er die ursprünglichen Forderungen nicht weiter verfolgt, sondern vielmehr auf diese verzichtet. Gibt der Abmahnende eine solche Verzichtserklärung nicht ab, kann der Abgemahnte mittels einer negativen Feststellungklage gerichtlich klären lassen, dass eben keine Ansprüche bestehen und die Abmahnung zu Unrecht erfolgte. 


II. Schadensersatzansprüche:
Noch viel wichtiger als die negative Feststellungsklage ist in der Praxis aber die Frage, welche Schadensersatzansprüche der Abgemahnte gegen den unberechtigt Abmahnenden hat. Dabei ist zwischen den Kosten, die im Rahmen der Abwehr der unberechtigten Abmahnung entstehen, und den übrigen Kosten zu unterscheiden.


1. Kosten zur Abwehr der unberechtigten Abmahnung
a) bei Abmahnungen aus gewerblichen Schutzrechten:
Insbesondere im Falle von sog. "unberechtigten Schutzrechtsverwarnungen" ist ein Ersatzanspruch denkbar. "Schutzrechtsverwarnungen" sind Abmahnungen, die aus besonderen gewerblichen Schutzrechten wie z.B. einem Marken- oder Geschmackmusterrecht hergeleitet werden. D.h. der Abmahnende beruft sich auf sein vermeintliches Markenrecht und wirft dem Abgemahnten vor, dieses verletzt zu haben. Später stellt sich dann heraus, dass der Abmahnende gar nicht Inhaber des Schutzrechtes war

Nach ständiger Rechtsprechung ist in diesen Konstellationen ein Schadensersatzanspruch aus allgemeinem Deliktsrecht (§ 823 Abs. 1 BGB) gegeben. [2] Denn der Abmahnende hätte sich durch eine gewissenhafte Prüfung und aufgrund vernünftiger und billiger Überlegungen die Überzeugung verschaffen müssen, dass sein Schutzrecht rechtsbeständig ist. [3]

Hintergrund dieser Argumentation ist die Tatsache, dass das abgemahnte Unternehmen quasi zunächst zur totalen Einstellung der Vertriebsproduktion gezwungen wird. [4] Denn der Abgemahnte sieht sich im Falle der Nichtbefolgung möglicher massiver Schadensersatzansprüche ausgesetzt. D.h. durch das unberechtigte Verlangen bei einer Schutzrechtsverwarnung wird erheblich in die betriebliche Dispositionsfreiheit eingegriffen, vor dem das Unternehmen geschützt werden muss. [5]

b) bei Abmahnungen aus allgemeinem Wettbewerbsrecht:
Etwas ganz anderes gilt bei Abmahnungen aus allgemeinen Wettbewerbsrecht, z.B. einem angeblichen Verstoß gegen die PreisangabenVO.

Eine Übertragung der Grundsätze der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung auf Abmahnungen aus einem allgemeinen Wettbewerbsverstoß ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nicht möglich. [6]

Denn derartige Abmahnungen sind nicht von einem solchen Gewicht, dass dem zu Unrecht Abgemahnten ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB gewährt werden müsste. [7] Vielmehr soll es dem einzelnen Abgemahnten zumutbar sein, die Streitfrage im Wege einer negativen Feststellungsklage gerichtlich klären zu lassen. [8]

Dahinter steckt folgende Vorstellung: Der Abmahnende verlangt bei einer Abmahnung aus allgemeinem Wettbewerbsrecht nicht die Einstellung der Produktion oder des Vertriebs, sondern nur die Unterlassung einer speziellen Wettbewerbshandlung, wie z.B. die Werbeform für ein Produkt.

Schutzrechtsverwarnungen und Abmahnungen sind daher grundsätzlich nicht vergleichbar. Während es bei der Schutzrechtsverwarnung um ein "Alles oder nichts" geht, wird bei einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung der Herstellungs- und Betriebsvorgang an sich nicht beeinflusst. Es geht in diesen Fällen lediglich um ein "Nicht so, aber anders". [9]

Zudem privilegiert die Rechtsprechung in gewisser Weise die Abmahnenden, die aus allgemeinem Wettbewerbsrecht vorggehen: Der Abmahnende befindet sich in einer schwierigen Lage und kennt häufig nicht den näheren Sachverhalt. In diesen Fällen soll es ihm möglich sein, eine Verwarnung schon allein aufgrund eines Verdachts auszusprechen, der sich in der Folge möglicherweise als unbegründet erweist. [10]

Es gibt aber von diesem Grundsatz eine Ausnahme: Die deutschen Gerichte haben in mehreren Urteilen [11] festgestellt, dass ausnahmsweise auch bei einer unberechtigten Abmahnung unter bestimmten Umständen Schadensersatz verlangt werden kann. Und zwar dann, wenn die Abmahnung ähnlich schwerwiegende Eingriffe verursacht wie eine Schutzrechtsverwarnung. [12] Dies kann z.B. der Fall sein, wenn die Befolgung der Abmahnung zu einer sofortigen und weittragenden Entscheidung im Produktions- oder Vertriebsbereich des Unternehmens führt.

Es handelt sich dabei jedoch nur um eine rein theoretische Möglichkeit. Kein deutsches Gericht hat, soweit ersichtlich, [13] bisher eine solche Ausnahme [14] angenommen und einen Schadensersatzanspruch bejaht. [15]

Auch ein Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag scheidet aus, da die Abwehr einer unberechtigten Abmahnung nach h.M. [16] ein objektiv eigenes Geschäft des Abgemahnten darstellt.

Auch ein Anspruch aus § 826 BGB hat aufgrund der hohen Voraussetzungen (vorsätzlicher sittenwidriger Verstoß) in der Praxis nur geringe Bedeutung. [17] Des weiteren ist zwar ein Anspruch aus § 678 BGB möglich, [18] jedoch wird ein dem § 823 Abs. 1 BGB entsprechendes Verschulden verlangt, [19] um den Abmahnenden vor einer zu weitreichenden Haftung zu schützen. [20] Dies führt dazu, dass der unberechtigt Abmahnende im Ergebnis auch nach § 678 BGB grundsätzlich nicht haftet. [21]


2. Die übrigen Kosten
Da die unberechtigte Abmahnung selbst eine Wettbewerbsverletzung darstellt, kann der unberechtigt Abgemahnte den Abmahnenden wiederum selber abmahnen (sog. Gegenabmahnung) und Ersatz der dadurch entstandenen Kosten aus Geschäftsführung ohne Auftrag verlangen. Hiervon umfasst werden jedoch nicht die Kosten, die zur Abwehr der unberechtigten Abmahnung angefallen sind.


3. Ergebnis
Es ist somit festzuhalten, dass der unberechtigt Abgemahnte gegenüber dem Abmahnenden zwar theoretisch einen Anspruch auf Ersatz der Kosten für die Abwehr der Abmahnung hat. In der Praxis ist ein derartiger Anspruch jedoch sowohl aufgrund der rechtlichen Voraussetzungen als auch wegen der schwierigen Beweislage praktisch ausgeschlossen. Der unberechtigt Abgemahnte kann einzig und allein den Abmahnenden selber abmahnen und Ersatz der dadurch entstandenen Kosten verlangen.

In der Praxis befriedigt dieses Ergebnis kaum, heißt es im Umkehrschluss doch, dass der Abmahnende sich relativ weit aus dem Fenster lehnen kann, ohne allzu große Kosten fürchten zu müssen. Somit bedarf es der konsequenten, schon der Rechtsprechung selber festgestellten Schadensersatzregelung. Es ist notwendig, dass sich die Rechtsprechung an die selber aufgestellten Grundsätze erinnert und diese auch tatsächlich anwendet. Ist dies der Fall, so wird ein erheblicher Teil der Wettbewerber aufgrund der sanktionsbezogenen Rechtsfolge von einer unberechtigten Abmahnung Abstand nehmen.

Die konsequente Anwendung der Schadensersatzregelungen würde auch nicht einseitig zu Lasten des Abmahnenden gehen. Denn eine Haftung des Abmahnenden kommt nur dann in Betracht, wenn auf Seiten des Abmahnenden Fahrlässigkeit vorliegt. Fahrlässigkeit ist nur dann gegeben, wenn der Abmahnende keine gewissenhafte Prüfung vorgenommen hat und sich bei seinem Vorgehen nicht von vernünftigen und billigen Überlegungen hat leiten lassen. Aufgrund dieses qualifizierten Verschuldensmaßstabs besteht bei einer gewissenhaften Prüfung keine Gefahr, einem Schadensersatzanspruch ausgesetzt zu sein. Der seriöse Abmahnende kann daher auch weiterhin problemlos das Rechtsinstitut der wettbewerbsrechtlichen Abmahnung benutzen, ohne Gefahr zu laufen, einem ständigen Haftungsrisiko ausgesetzt zu sein.

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[1] Grundlegend dazu Bahr, Missbrauch der wettbewerbsrechtlichen Abmahnung im Bereich des Internet, Frankfurt a.M. 2003, hier downloadbar.

[2] BGH, GRUR 1963, 255 (257) - Kindernähmaschinen (für Gebrauchsmuster); BGH, GRUR 1966, 386 (386) - Wärmeschreiber II (für Patent); BGH, GRUR 1974, 290 (292) - maschenfester Strumpf (für Gebrauchsmuster); BGH, GRUR 1976, 715 (716) - Spritzgießmaschine (für Patent); BGH, GRUR 1978, 492 (493) - Fahrradgepäckträger II (für Patent); BGH, GRUR 1979, 332 (333) - Brombeerleuchte (für Geschmacksmuster/Urheberecht); BGH, GRUR 1995, 424 (425) - Abnehmerverwarnung (für Patent); BGH, GRUR 1996, 812 (813) Unterlassungsurteil wg. Sicherheitsleistung (für Geschmacksmuster).

[3] BGH, GRUR 1974, 290 (292) - maschenfester Strumpf; UWG-Großkommentar, Hrsg. von Rainer Jacobs / Walter F. Lindacher / Otto Teplitzky, Berlin u.a. 1992, , Vor § 13 B UWG, Rdnr. 283; z.T. harsche Kritik aus der Literatur, vgl. dazu Deutsch, WRP 1999, 25 (26f.); Quiring, WRP 1983, 317 (318) m.w.N. in Fn. 11.

[4] BGHZ 38, 200 (205); OLG Karlsruhe, WRP 1972, 263 (264); OLG Frankfurt, GRUR 1975, 492 (493).

[5] BGHZ 38, 200 (204); KG, WRP 1980, 206 (206); OLG Hamm, WRP 1980, 216 (218).

[6] Ahrens, NJW 1982, 2477 (2488); Hilgard, Die Schutzschrift im Wettbewerbsrecht, Frankfurt a.M. 1985, 89ff.; Steinmetz, Der "kleine" Wettbewerbsprozeß, München 1993, 101.

[7] BGH, GRUR 1969, 479 (481) - Colle de Cologne; OLG Hamm, WRP 1980, 216 (218); OLG Frankfurt, NJW-RR 1991, 1006 (1006).

[8] BGH, GRUR 1985, 571 (572) - Feststellungsinteresse; OLG Frankfurt, GRUR 1975, 492 (494) - Kenitex.

[9] BGHZ 38, 200 (204); LG Freiburg, GRUR 1980, 937 (938) - Apothekenwahrzeichen; LG Mannheim, GRUR 1985, 328 (329) - Abmahn-Verteidigungskosten. Die Rechtsprechung wird in der Lehre z.T. harsch kritisiert, vgl. nur Sack, WRP 1976, 733 (743) m.w.N.

[10] BGH, GRUR 1963, 255 (257) - Kindernähmaschinen; BGH, GRUR 1991, 914 (914) - Kastanienmuster; GRUR 1992, 448 (449) - Pullovermuster. A.A. Lindacher, ZHR 144 (1980), 350 (356).

[11] BGH, WRP 1985, 212 (214); OLG Frankfurt, NJW-RR 1991, 1006 (1006); LG Mannheim, GRUR 1985, 328 (329) - Abmahn-Verteidigungskosten; LG Nürnberg-Fürth, WRP 1978, 325 (326).

[12] Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., München 2001, Einl. UWG, Rdnr. 559; Hilgard, (vgl. Fn. 6) 91; Mellulis, Handbuch des Wettbewerbsprozesses, 2. Aufl., Köln 1995, Rdnr. 49; UWG-GK-Kreft, (vgl. Fn. 3), Vor § 13 C UWG, Rdnr. 198; Steinmetz, (vgl. Fn. 6), 101f.

[13] In der bisher allein gebliebenen Entscheidung OLG Hamburg, GRUR 1990, 1060 erkannte das Gericht zwar ausnahmsweise derartige besondere Umstände an. Der Entscheidung lag jedoch die Konstellation zugrunde, daß der Geschädigte lediglich Unterlassung und keinen Schadensersatz begehrte. Ob das Gericht auch im Falle eines Schadensersatzanspruchs das Vorliegen der besonderen Umstände bejaht hätte, kann daher bezweifelt werden.

[14] Zu Recht kritisch daher Hilgard, (vgl. Fn. 6), 91f.

[15] Die Urteile, die entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung einen Ersatz zusprachen, bejahten immer die Haftung ohne im konkreten Fall näher zu differenzieren: LG Detmold, GRUR 1984, 376 (376) - Kostenerstattung bei unberechtigter Abmahnung; LG Osnabrück, GRUR 1984, 831 (831f.) - Anwaltskosten des Abgemahnten; AG Hannover, NJW 1982, 1001 (1001).

[16] OLG Hamburg, GRUR 1983, 200 (200f.) - Unberechtigte Abmahnung; OLG Hamm, WRP 1980, 216 (217); NJW-RR 1986, 1303 (1304); LG Nürnberg, WRP 1978, 325 (325f.); AG Frankfurt, WRP 1990, 571 (572); AG Klumpen, GRUR 1987, 657 (657f.) - Kosten des Abgemahnten I. A.A. AG Charlottenburg, AnwBl 1999, 60 (60).

[17] Steinmetz, (vgl. Fn. 6), 102.

[18] OLG Hamburg, GRUR 1983, 200 (201) - Unberechtigte Abmahnung; OLG Frankfurt, GRUR 1989, 858 (858f.) - Schutzschrift-Kosten; LG Detmold, GRUR 1984, 376 (376) - Abmahn-Verteidigungskosten; LG Freiburg, WRP 1983, 711 (711f.); Baumbach/Hefermehl, (vgl. Fn. 12), Einl. UWG, Rdnr. 560; a.A. LG Mannheim, GRUR 1985, 328 (328f.) - Abmahn-Verteidungskosten.

[19] Umfassende Übersicht bei Buchner, DB 1979, 1069 (1072).

[20] Ausführlich dazu Ahrens, NJW 1982, 2477 (2479); UWG-GK-Kreft, (vgl. Fn 3), Vor § 13 C UWG, Rdnr. 200.

[21] A.A. Selke, WRP 1999, 286 (288f.), der einen Anspruch aus cic bejaht.