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Kategorie: Onlinerecht

VG Stuttgart: Anonymisierte Gerichtsentscheidung darf veröffentlicht werden, auch wenn Prozesspartei leicht identifizierbar

Eine Gerichtsentscheidung darf auch dann anonymisiert veröffentlicht werden, wenn eine Prozesspartei ohne großen Aufwand mithilfe anderer Informationen identifiziert werden kann und ein überwiegendes Informationsinteresse besteht (VG Stuttgart, Urt. v.  31.03.2022 - Az.: 1 K 6043/20).

Der Kläger wehrte sich gegen die anonymisierte Veröffentlichung einer Gerichtsentscheidung, an der als Partei teilgenommen hatte. 

Bei dem ursprünglichen Gerichtsverfahren ging es um eine arbeitsrechtliche Auseinandersetzung. Der Arbeitgeber hatte dem Kläger gekündigt, wogegen der Kläger vorging.

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts wurde in die öffentliche Online-Datenbank der Gerichte aus Württemberg eingestellt. Aufgrund bestehender Rahmenverträge wurde die Entscheidung zudem auch bei juris, Beck online und Haufe veröffentlicht. Es war zuvor in der Weise anonymisiert worden, dass im Rubrum die Angaben über die Parteien und ihre Vertreter vollständig gelöscht wurden. Im Sachverhalt und in den Entscheidungsgründen wurden die Namen aller Personen bis auf den Anfangsbuchstaben entfernt. In gleicher Weise wurde bei den Ortsbezeichnungen verfahren, während Datumsangaben mit Ausnahme des Geburtsjahres unverändert blieben. 

Der Kläger beanstandete diese Publikation, da aufgrund des enthaltenen Lebenslauf ohne großen Aufwand ein Rückschluss auf seine Person möglich sei. Da in den Informationen auch sensible Daten (z.B. seine Behinderung) erwähnt würden, liege ein Rechtsverstoß vor.

Das VG Stuttgart verneinte einen DSGVO-Verstoß und lehnte die begehrte Löschung ab.

Viel spreche für eine ausreichende Anonymisierung, so das Gericht:

"Für eine hinreichende Anonymisierung der darin enthaltenen personenbezogenen Daten spricht, dass nicht ersichtlich ist, dass der Kläger allein anhand der Angaben im Sachverhalt und in den Entscheidungsgründen der veröffentlichten Fassung des Urteils identifiziert werden kann.

Eine Zuordnung zu einer Kennung, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität des Klägers ist mit diesen Angaben nicht möglich. Auch die namentliche Bezeichnung des erstinstanzlichen Gerichts, einschließlich der zuständigen Kammer, lässt in einer Zusammenschau mit weiteren Angaben nicht zu, einen örtlichen Bezug zum Kläger herzustellen.

Allerdings kommt ernsthaft in Betracht, dass der Kläger mithilfe anderer Informationen – etwa unter Heranziehung eines Lebenslaufs – identifiziert werden kann. Dagegen lässt sich zwar einwenden, dass eine im Entscheidungszeitpunkt durchgeführte einfache Recherche der Begriffe „Arbeitsgericht Projektmanager USA“ mit der Internet-Suchmaschine Google zu 8.210 Ergebnissen geführt hat und jedenfalls auf den ersten zehn Seiten kein Ergebnis mit einem Bezug zum Kläger angezeigt worden ist; auch mithilfe eines Lebenslaufs wäre danach ein Rückschluss auf seine Person nicht im Sinne des Erwägungsgrundes 26 DSGVO „nach allgemeinem Ermessen wahrscheinlich“.

Andererseits hat eine Eingabe der vorgenannten Begriffe in das Recherchefeld von juris lediglich zu insgesamt zehn Treffern geführt, unter denen auch das streitgegenständliche Urteil des Landesarbeitsgerichts zu finden war. Handelte es sich bei der Möglichkeit, die Angaben im Sachverhalt und in den Entscheidungsgründen der veröffentlichten Fassung des Urteils über eine juris-Recherche mit dem Lebenslauf des Klägers zu verknüpfen, um ein Mittel, das von einem potentiellen Arbeitgeber im Falle einer Bewerbung vernünftigerweise zur Bestimmung des Klägers eingesetzt wird, wäre mithin der Personenbezug der in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 21.02.2019 veröffentlichten Daten nicht durch Anonymisierung vollständig beseitigt worden."

Im Ergebnis lassen die Juristen die Frage aber unbeantwortet, da die Veröffentlichung im öffentlichen Interesse liege:

"Ob dies – wie der Kläger unter Verweis auf die allgemeine Üblichkeit von Online-Recherchen zu Bewerbern geltend macht – tatsächlich der Fall ist, bedarf anlässlich des vorliegenden Rechtsstreits keiner abschließenden Entscheidung. Denn auch bei einer unterstellten Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs von Art. 17 Abs. 1 DSGVO ist ein Löschungsanspruch des Klägers jedenfalls nach Art. 17 Abs. 3 Buchst. b Var. 1 DSGVO ausgeschlossen. (...)

Die rechtliche Verpflichtung, der der Beklagte unterliegt und die die Verarbeitung personenbezogener Daten des Klägers in der vorgenommenen Art und Weise erfordert, folgt aus dem Gebot der Veröffentlichung veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen. Allen Gerichten obliegt kraft Bundesverfassungsrechts die öffentliche Aufgabe, die Entscheidungen ihrer Spruchkörper der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Sie erfasst alle Entscheidungen, an deren Veröffentlichung die Öffentlichkeit ein Interesse hat oder haben kann. Zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen besteht eine Rechtspflicht der Gerichtsverwaltung (...).

Gemessen daran überwiegt hier das erhebliche öffentliche Interesse an der Veröffentlichung die privaten Interessen des Klägers an der Löschung des streitgegenständlichen Urteils. Den privaten Interessen des Klägers wurde – das Vorliegen eines Eingriffs ins seine geschützten Rechtsgüter unterstellt – jedenfalls durch die vorgenommene Pseudonymisierung der in der veröffentlichten Urteilsfassung enthaltenen personenbezogenen Daten hinreichend Rechnung getragen."

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