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Kategorie: Onlinerecht

VG Berlin: Beim Lettershop-Verfahren keine gemeinsame Verantwortlichkeit nach DSGVO

Zwischen einem Werbetreibenden und einer Adresshändlerin, die Werbung im Lettershop-Verfahren versendet, besteht keine gemeinsame DSGVO-Verantwortlichkeit.

Den Werbetreibenden, der Briefwerbung im Lettershop-Verfahren durch einen Adresshändler verschicken lässt, trifft keine gemeinsame Verantwortlichkeit nach Art. 26 DSGVO (VG Berlin,Urt. v. 10.2025 - Az.: VF 1 K 74/24)

In dem zugrundeliegenden Fall beauftragte die Klägerin, ein Revuetheater aus Berlin, eine Adresshändlerin damit, im sogenannten Lettershop-Verfahren Werbebriefe an potenzielle Neukunden zu verschicken. Dabei gab sie vor, dass die zu erreichenden Personen in Berlin oder Brandenburg leben und zudem über eine überdurchschnittliche Kaufkraft verfügen sollten.  

Die Adresshändlerin nutzte dazu eigene Adressdaten und wählte anhand der Vorgaben entsprechende konkrete Datenbestände aus. Aufgrund des eingesetzten Lettershop-Verfahrens erhielt das Theater keinen Zugriff auf diese Daten.

Eine Empfängerin dieser Werbung beschwerte sich über den Datenschutzverstoß. Die zuständige Datenschutzbehörde vertrat die Ansicht, dass eine gemeinsame Verantwortlichkeit nach Art. 26 DSGVO zwischen den Beteiligten gegeben sei, und verwarnte die Klägerin.

Dagegen wehrte sich das Theater vor Gericht und bekam Recht.

Das Gericht hob die Verwarnung auf.

Es liege datenschutzrechtlich keine gemeinsame Verantwortung zwischen der Klägerin und der Adresshändlerin vor. Zwar handele es sich bei den verwendeten Adressen um personenbezogene Daten, jedoch habe die Klägerin lediglich den Zweck der Werbung vorgegeben.

Die Adressauswahl, Organisation und der Versand der Briefe seien vollständig von der Adresshändlerin übernommen worden. Das Theater habe dabei keinen Einfluss auf die eingesetzten Mittel der Datenverarbeitung gehabt.

Allein die Vorgabe von Zielgruppen führe nicht zu einer Mitentscheidung über die Datenverarbeitung. Es liege auch kein vergleichbarer Fall wie bei Facebook-Fanpages oder Social-Media-Plattformen vor, bei denen Nutzer direkt durch technische Einbindung getrackt würden:

"Nach  diesen  Maßstäben  erfüllte  die  Klägerin  in  Bezug  auf  die  von  der  Adresshändlerin vorgenommenen  Datenverarbeitungsvorgänge  nicht  die  Voraussetzungen  einer  gemeinsamen Verantwortlichkeit nach Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DSGVO. 

Zwar hat die Klägerin im Eigeninteresse Einfluss auf die Zwecke der Datenverarbeitung durch die Adresshändlerin genommen. Denn unabhängig davon, ob man den Zweck der Verarbeitung im Versand des Werbeschreibens oder – allgemeiner – in der Beförderung ihrer Geschäftstätigkeit durch  die  Anwerbung  von  Neukunden  erblickt,  hat  sie  diesen  Zweck  der  Datenverarbeitung gegenüber der Adresshändlerin festgesetzt. Er entspricht auch ihrem Eigeninteresse, nämlich ihrem wirtschaftlichen Gewinnstreben. 

Dafür spricht auch der Empfängerhorizont, also die Perspektive eines objektiven Beobachters, der das Werbeschreiben erhält. Für diesen stellt es sich äußerlich als eine ausschließliche Maßnahme der Klägerin dar, weil es mit ihrem Briefkopf bzw. Corporate Design auftritt und allein für einen Besuch der von ihr angebotenen Show wirbt, ohne dass die Beteiligung der Adresshändlerin an der Datenverarbeitung jenseits der Datenschutzhinweise ersichtlich würde  vgl.   zur   Maßgeblichkeit   des   nach   außen   hin   vermittelten   Eindrucks:   Der   Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz, a. a. O., Rn. 36). 

Die Klägerin hatte aber keinerlei Einfluss auf die Mittel der Datenverarbeitung. Die Adresshändlerin führte  den  gesamten  Datenverarbeitungsprozess  nach  dem  von  ihr  konzipierten  „Lettershop“- Verfahren  beziehungsweise  Mikrozellen-Modell durch,  ohne  dass  die  Klägerin  die  Möglichkeit gehabt  hätte,  auf  die  strukturelle  beziehungsweise  organisatorische  Ausgestaltung  dieses Prozesses in irgendeiner Form einzuwirken. Auch insoweit kommt es nicht darauf an, ob man nur das Auslesen und Verwenden der Adressen im zweiten Schritt oder darüber hinaus auch die Selektion  der  Mikrozellen  anhand  bestimmter  Merkmale  im  ersten  Schritt  als  Verarbeitung personenbezogener Daten ansieht. 

Denn die bloße Vorgabe einer Zielgruppe  Haushalte in Berlin und Brandenburg mit zumindest überdurchschnittlicher Kaufkraft) führte auch dann nicht dazu, dass die Klägerin auf die „Mittel“ der Datenverarbeitung Einfluss genommen hätte, wenn man die Mikrozellenselektion  als Verarbeitung  personenbezogener  Daten  versteht.  Die  Festlegung  der Zielgruppe ist vielmehr wegen ihrer eindeutigen wirtschaftlichen Motivation untrennbar mit der Zwecksetzung  für  die  Datenverarbeitung  verbunden  und  stellt  sich demgegenüber  nicht  als Entscheidung über ihre Mittel dar. 

Für  eine  Einflussnahme  auf  die  Mittel  der  Datenverarbeitung  müsste  es  irgendeine  über  die Auftragserteilung hinausgehende organisatorisch-konzeptionelle Mitwirkung der Klägerin an der Datenverarbeitung gegeben haben, die hier aber nicht ersichtlich ist. Sie hat lediglich eine Leistung eingekauft,  deren  prozedurale  Ausgestaltung  –  von  der  grundlegenden  Konzeption  über  die datenschutzrechtlich relevanten Organisationsmaßnahmen bis hin zur technischen Umsetzung – allein  in den  Händen  der  Adresshändlerin  verblieb.  Es  ist  nicht  ersichtlich,  dass  die  Klägerin irgendwelche Entscheidungen in Bezug darauf hätte treffen können, wie die Mikrozellen gebildet, wie ihnen Merkmale zugeschrieben werden, wie der Selektionsprozess anhand ihrer Vorgaben ausgestaltet   ist   und   wie   letztlich   die   Adressauswahl   technisch   hin   zum   Versand   des Werbeschreibens umgesetzt wird. Auch die bloße Entscheidung, ein Werbeschreiben an potenzielle Neukunden  zu  versenden,  kann  nicht  als  Einflussnahme  auf  die  Mittel  der  Datenverarbeitung gewertet werden. Denn das Leistungsangebot der Adresshändlerin besteht gerade darin, ihren Kunden das Versenden von Werbeschreiben zu ermöglichen. Andere Modalitäten des Verwendens personenbezogener Daten ohne Zugriff des Kunden auf die Daten bietet sie in diesem Bereich ihrer Geschäftstätigkeit nicht an."

Das Gericht sieht auch keine Parallele zu den EuGH-Fällen:

"Für das Ergebnis spricht schließlich auch ein Vergleich mit denjenigen Fällen, in denen der EuGH bisher eine gemeinsame Verantwortlichkeit im Sinne von Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DSGVO angenommen   beziehungsweise   auf   Grundlage   der   entsprechenden   Vorlagebeschlüsse   der nationalen Gerichte für möglich gehalten hat. Bei diesen Sachverhalten gab es anders als hier stets ein lneinandergreifen der Entscheidungen beider Verantwortlicher gerade auch in Bezug auf die Mittel der Datenverarbeitung. 

Am ehesten ist der vorliegende Fall mit den Konstellationen vergleichbar, über die der EuGH in der sogenannten Fanpagesowie in der Fashion-lD-Entscheidung befunden hat. Hier ging es um die gemeinsame Verantwortlichkeit von Website-Betreiberinnen, die ihre Website auf einer sozialen Plattform einrichten beziehungsweise ein Plugin einer sozialen Plattform in ihre Website einbinden mit der Folge, dass beim Aufrufen der Website personenbezogene Daten der Nutzer automatisch an die soziale Plattform übermittelt und von dieser weiterverarbeitet werden. Der EuGH hat die Einbindung der sozialen Plattform jeweils für die gemeinsame Verantwortlichkeit der Website- Anbieterinnen genügen lassen  EuGH, Urteil vom 5. Juni 2018 – C-210/16 – Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein;  Urteil  vom  29.  Juli  2019  –  C-40/17  –  Fashion  lD).  Das  wäre  ein  starkes Argument für die gemeinsame Verantwortlichkeit auch der Klägerin im vorliegenden Fall, wenn für den EuGH die bloße Kausalität der Website-Anbieterinnen für die Datenverarbeitung durch die Plattform ausgereicht hätte. 

Zu beachten ist jedoch, dass der EuGH in den genannten Entscheidungen zwischen dem Erheben und dem weiteren Verarbeiten der Nutzerdaten durch die Plattform unterscheidet  insbesondere EuGH, Urteil vom 29. Juli 2019 – C-40/17 – Fashion lD, Rn. 76). Ein zentrales Argument des EuGH für die Verantwortlichkeit der Website-Betreiberinnen in Bezug auf das Erheben der Daten lag in beiden Entscheidungen darin, dass es das Einrichten der Website beziehungsweise das Einbinden des Plugins der sozialen Plattform erst ermöglicht hatte, die personenbezogenen Daten zu erheben  EuGH, Urteil vom 5. Juni 2018 – C-210/16 – Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein, Rn. 35; Urteil vom 29. Juli 2019 – C-40/17 – Fashion lD, Rn. 75). Das Verhalten der Website-Anbieterinnen stellte sich für die soziale Plattform so gleichsam als „Schlüssel“ zu den Nutzerdaten dar. 

Einen solch  beherrschenden  Einfluss  auf  die  Datenverarbeitung  durch  die  Adresshändlerin  hatte  die Klägerin vorliegend nicht. Zwar wirkte sich auch ihre Entscheidung im Sinne einfacher Kausalität dahingehend aus, dass es ohne ihren Auftrag den konkreten Datenverarbeitungsvorgang durch die Adresshändlerin nicht gegeben hätte. Sie hat ihr die Datenverarbeitung aber nicht erst ermöglicht, ihr  nicht  erst  die  Tür  zu  den  Daten  geöffnet.  Die  Adresshändlerin  verfügte unabhängig vom Verhalten der Klägerin über ihren Adressdatenbestand. lhre tatsächlichen Zugriffsmöglichkeiten auf diese Daten bestanden vollkommen unabhängig davon, ob die Klägerin ihr einen Auftrag, der mit einer  weiteren) Datenverarbeitung einherging, erteilte."

Anmerkung von RA Dr. Bahr:

Die Bedeutung dieser Entscheidung geht weit über den Bereich des reinen Adresshandels und des Lettershop-Verfahrens hinaus.

Denn auch in anderen Konstellationen, wie beispielsweise dem klassischen Stand-Alone-Marketing, vertreten einzelne Datenschutzbehörden immer wieder die Ansicht, dass eine gemeinsame Verantwortlichkeit gegeben ist, obwohl das werbetreibende Unternehmen weder Zugriff auf die eigentlichen Kundendaten hat, noch unmittelbar an der Auswahl der Kundendaten beteiligt ist.

Die Annahme einer gemeinsamen Verantwortlichkeit hat in der Praxis mehrere weitreichende Konsequenzen für die Betroffenen, so u.a. eine Gesamtschuldnerhaftung im Rahmen des DSGVO-Schadensersatzes (Art. 82 Abs. 4 DSGVO) und praktische Probleme bei der Auskunftserteilung nach Art. 15 DSGVO.

Das VG Berlin erteilt der uferlosen Ausweitung der gemeinsamen DSGVO-Verantwortlichkeit eine klare Absage. Es steht damit übrigens nicht alleine. So hat auch jüngst das VG Köln bei der Facebook-Fanpage der Bundesregierung eine solche gemeinsame Verantwortlichkeit abgelehnt, vgl. unsere Kanzlei-News v. 23.07.2025

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