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Newsletter vom 12.01.2022
Betreff: Rechts-Newsletter 2. KW / 2022: Kanzlei Dr. Bahr


1. BGH: Zulässigkeit einer Verdachtsberichtsberichterstattung in der Presse

2. OLG Nürnberg: Ausschluss des fernabsatzrechtlichen Widerrufsrechts bei Corona-Tests rechtmäßig

3. LG Bochum: Spieler hat gegen illegales Online-Casinos keinen Rückforderungsanspruch, wenn er über 3 Jahre spielt

4. LG Hamburg: Online angebotener Covid-Testnachweis ist wettbewerbswidrig

5. LAG Köln: Fristlose Kündigung des Arbeitsvertrags wegen unbefugter Kenntnisnahme + Weitergabe fremder Daten

6. VG Mainz: Wann ein Werbefotograf freier Künstler oder Handwerker ist

7. LG Osnabrück: Wettbewerbswidrige Facebook-Werbung durch Automobil-Hersteller

8. LG Potsdam: Bewusste Irreführung, indem Kostenpflicht in Nähe von Datenschutzhinweisen platziert wird

9. LG Wuppertal: Kein Unterlassungsanspruch gegen rechtswidrige Äußerungen bei schuldunfähiger Person

10. Bundeskartellamt: Alphabet und Google unterliegen erweiterten kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht

Die einzelnen News:

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1. BGH: Zulässigkeit einer Verdachtsberichtsberichterstattung in der Presse
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Der BGH hat in einer aktuellen Entscheidung (Urt. v. 16.11.2021 - Az.: VI ZR 1241/20) noch einmal die Grenzen der presserechtlichen Verdachtsberichterstattung klargestellt:
"1. Für eine identifizierende Verdachtsberichterstattung ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst "Öffentlichkeitswert" verleihen, erforderlich. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.

2. Das grundsätzliche Erfordernis einer Möglichkeit zur Stellungnahme soll sicherstellen, dass der Standpunkt des von der Verdachtsberichterstattung Betroffenen in Erfahrung und gegebenenfalls zum Ausdruck gebracht wird, der Betroffene also selbst zu Wort kommen kann. Dies setzt voraus, dass der Betroffene nicht nur Gelegenheit zur Stellungnahme erhält, sondern dass seine etwaige Stellungnahme auch zur Kenntnis genommen und der Standpunkt des Betroffenen in der Berichterstattung sichtbar wird."



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2. OLG Nürnberg: Ausschluss des fernabsatzrechtlichen Widerrufsrechts bei Corona-Tests rechtmäßig
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Der Hinweis "Aus hygienischen Gründen von Rückgabe ausgeschlossen"  bei der Online-Bestellung von Corona-Tests ist nicht wettbewerbswidrig. Denn der Verbraucher geht aufgrund dieses Textes nicht davon aus, dass sein fernabsatzrechtliches Widerrufsrecht grundsätzlich ausgeschlossen ist, sondern nur dann, wenn er die betreffende Ware öffnet (OLG Nürnberg, Beschl. v. 26.11.2021 - Az.: 3 U 2473/21).

Die Beklagte bot in ihrem Online-Shop Corona-Tests zum Kauf an. Im Rahmen der Produktbeschreibung hieß es dazu:

"Aus hygienischen Gründen sind Schnelltests von der Rückgabe und vom Umtausch ausgeschlossen."
Ein Mitbewerber sah darin eine wettbewerbswidrige Irreführung, da dieser Text dazu führe, dass der Verbraucher denke, das fernabsatzrechtliche Widerrufsrecht sei in Gänze ausgeschlossen.

Das OLG Nürnberg teilte diesen Standpunkt nicht und bewertete die Bewerbung als rechtmäßig:

"Der gerügte Hinweis ist in allen Fällen und bei allen denkbaren Rechtsfolgen nicht geeignet, einen Verbraucher von einer berechtigten Ausübung eines Widerrufsrechts abzuhalten, wenn die Voraussetzung des Öffnens einer vorhandenen Versiegelung nicht vorliegen:

Nähme man an, der Ausschluss des Widerrufsrechts des Verbrauchers wäre wegen einer unzureichenden Belehrung (wogegen aber das Fehlen einer entsprechenden ausdrücklichen Voraussetzung im Gesetz spricht) nicht gegeben, wäre der Hinweis zwar inhaltlich falsch. 

Der durchschnittlich verständige Verbraucher erkennt aber aus der Formulierung trotz ihres schlagwortartigen Charakters, dass ihm das Widerrufsrecht nur dann verwehrt sein soll, wenn hygienische Gründe einer erneuten Verwendung einer ihm zugesandten Ware entgegenstehen.  Ein Verbraucher, der die Ware noch gar nicht erhalten hat oder ihm übersandten Spucktests noch nicht geöffnet hat, würde sich daher durch den so formulierten Hinweis nicht ernsthaft von seiner Absicht und seinem Rechtsstandpunkt abbringen lassen, da in solchen Fällen hygienische Gründe einem Widerruf erkennbar nicht entgegenstehen. "


Und weiter:
"Der Verbraucher wird daher, selbst wenn er keine juristischen Kenntnisse und Argumentationsgabe besitzt, den gerügten Hinweis nicht als Grundlage dafür genügen lassen, dass der Verkäufer den Widerruf in solchen Fällen zurückweist. Er wird vielmehr vorbringen, dass es zu keinerlei Verschlechterung der hygienischen Situation gekommen ist und daher ein Ausschluss des Widerrufs aus den genannten Umständen in der konkreten Situation nicht gerechtfertigt ist. 

Letztlich liefert der Verfügungsbeklagte somit dadurch, dass er den sachlichen Grund für das angeblich nicht bestehende Widerrufsrecht angibt, selbst das Argument dafür, dass dieser in der konkreten Situation dem Widerruf nicht entgegenstehen könne."



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3. LG Bochum: Spieler hat gegen illegales Online-Casinos keinen Rückforderungsanspruch, wenn er über 3 Jahre spielt
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Spielt ein Verbraucher bei einem in Deutschland verbotenen ausländischen Online-Casino, kann er zwar die bezahlten Spielbeiträge grundsätzlich zurückfordern. Der Anspruch ist jedoch wegen Treu und Glauben dann ausgeschlossen, wenn der Verbraucher über einen längeren Zeitraum (hier: 3 Jahre) spielt (LG Bochum, Beschl. v. 10.03.2021 - Az.: 6 O 369/20).

Der Kläger hatte Prozesskostenhilfe beantragt. Er wollte von der Beklagten, einem Online-Casinos, seine verlorenen Spielbeiträge iHv. ca. 300.000,- EUR zurückfordern.

Das Gericht lehnte den Prozesskostenantrag ab, da die Klage keine Aussicht auf Erfolg habe.

Zwar stünde dem Betroffenen in diesen Fällen grundsätzlich ein Rückerstattunganspruch zu:

"Dies dürfte auch ohne Rechtsgrund erfolgt sein, da die Vereinbarung zwischen dem Antragsteller und der Antragsgegnerin zur Ausübung des Glücksspiels auf der Homepage der Antragsgegnerin nach § 134 BGB iVm § 4 Abs. 1, 2. HS GlüStV nichtig gewesen sein dürfte.

Nach § 134 BGB sind Verträge nichtig, welche die Veranstaltung von oder die Beteiligung an gem. § 284 ff StGB verbotenen Glücksspielen zum Inhalt haben. Entsprechendes gilt auch für Verstöße gegen § 4 Abs. 4 GlüStV (...).

Nach § 4 Abs. 1 GlüStV dürfen öffentliche Glücksspiele nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde des jeweiligen Landes veranstaltet und vermittelt werden. Das Veranstalten und das Vermitteln ohne diese Erlaubnis (unerlaubtes Glücksspiel) sowie die Mitwirkung an Zahlungen im Zusammenhang mit unerlaubtem Glücksspiel sind verboten. Über eine solche Erlaubnis verfügte die Beklagte in Deutschland und Nordrhein-Westfalen nicht. Gemäß § 4 Abs. 4 GlüStV ist das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele, worunter das streitgegenständliche Online-Casino fallen dürfte, im Internet verboten.

Dieses Verbot in § 4 Abs. 4 GlüStV dürfte entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin mit Verfassungs- und Unionsrecht, insbesondere mit der nach Art. 56 f. AEUV gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit im Einklang stehen."


Dieser Anspruch zwei jedoch im vorliegenden Fall wegen Treu und Glauben ausgeschlossen:
"Jedenfalls ist nach Meinung der Kammer der vom Antragsteller geltend gemachte Anspruch unmittelbar nach § 242 BGB ausgeschlossen. Die Ausübung eines Rechts ist immer dann unzulässig, wenn sie gegen das Gesetz, die guten Sitten oder Treu und Glauben verstößt (...)

Der Antragsteller hat vorliegend über einen Zeitraum von fast drei Jahren auf den Homepages der Beklagten an dem angebotenen Online-Glücksspiel teilgenommen. Er hat dies dabei in dem Bewusstsein eines dem Glücksspiel immanenten Risikos des Verlustes aber auch des Gewinnes getan.

Insoweit verkennt die Kammer nicht, dass der Antragsteller dies nach seinem Vortrag ohne Kenntnis der Illegalität des angebotenen Online-Casinos getan hat. Der Antragsteller hat sich bewusst dafür entschieden, sein Geld im Rahmen dieses Glücksspiels einzusetzen und seine Freizeit dadurch zu gestalten.

Dieses nunmehr im Falle des eingetretenen Verlustes unter Berufung auf die Illegalität des Glücksspiels zurückzufordern, ist nach Auffassung der Kammer eindeutig rechtsmissbräuchlich."



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4. LG Hamburg: Online angebotener Covid-Testnachweis ist wettbewerbswidrig
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Es ist wettbewerbswidrig, wenn ein Covid-Testergebnis lediglich anhand eines online angebotenen Fragebogens erstellt wird (LG Hamburg, Beschl. v. 08.11.2021 - Az.: 406 HK O 119/21).

Die Antragsgegnerin warb mit bestimmten Aussagen für den von ihr angebotenen Covid-Schnelltest.

"Gültiger Covid-19 Antigen Testnachweis..."

und
"anwaltlich garantiert gültig"

Das LG Hamburg stufte diese Aussagen als irreführend und somit als Wettbewerbsverstoß ein, da es sich um keinen gültigen Covid-Test handle:
"Die streitgegenständlichen Aussagen sind irreführend.

Es handelt sich in der Sache nicht um einen gültigen (...) Testnachweis (...). 

Denn der von der Antragsgegnerin beworbene Testnachweis entspricht nicht den Anforderungen der Schutzmaßnasen-Ausnahmeverordnung in § 2 Nr. 7. Denn Die Testung wird von einem Leistungserbringer nach § 6 der Coronavirus-Testverordnung vorgenommen oder überwacht."


Und weiter:
"Die Kontrolle eines von der Antragsgegnerin entworfenen und ins Internet eingestellten Fragebogens ist nicht ausreichend (..), da es sich um keine "Überwachung" im Sinne der Vorschrift handelt. 

Eine Überwachung verlangt eine eingehende Kontrolle der Testmaßnahmen, die von der Antragsgegnerin nicht geleistet wird."


Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.

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5. LAG Köln: Fristlose Kündigung des Arbeitsvertrags wegen unbefugter Kenntnisnahme + Weitergabe fremder Daten
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Liest eine Arbeitnehmerin, die im Rahmen ihrer Buchhaltungsaufgaben Zugriff auf den PC und das E-Mail-Konto ihres Arbeitgebers hat, unbefugt eine an ihren Vorgesetzten gerichtete Email und fertigt von dem Anhang einer offensichtlich privaten E-Mail eine Kopie an, die sie an eine dritte Person weitergibt, so rechtfertigt dies eine fristlose Kündigung. Dies hat das Landesarbeitsgericht Köln am 02.11.2021 entschieden und das anderslautende Urteil des ArbG Aachen vom 22.04.2021 -8 Ca 3432/20- aufgehoben.

Die Klägerin ist bei der Arbeitgeberin, einer evangelischen Kirchengemeinde, seit 23 Jahren als Verwaltungsmitarbeiterin beschäftigt. Soweit für ihre Buchhaltungsaufgaben erforderlich hatte sie Zugriff auf den Dienstcomputer des Pastors.

In diesem Dienstcomputer nahm die Klägerin eine E-Mail zur Kenntnis, die den Pastor auf ein gegen ihn gerichtetes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts sexueller Übergriffe auf eine im Kirchenasyl der Gemeinde lebende Frau hinwies.

Im E-Mail-Konto fand sie als Anhang einer privaten E-Mail einen Chatverlauf zwischen dem Pastor und der betroffenen Frau, den sie auf einem USB-Stick speicherte und eine Woche später anonym an eine ehrenamtliche Mitarbeiterin der Gemeinde weiterleitete. Die Klägerin gab an, sie habe die im Kirchenasyl lebende Frau schützen und Beweise sichern wollen. Nach Bekanntwerden der Vorkommnisse kündigte die Kirchengemeinde das Arbeitsverhältnis fristlos.

Erstinstanzlich hatte die Klägerin mit ihrer Kündigungsschutzklage vor dem ArbG Aachen Erfolg. Das Gericht erkannte in ihrem Verhalten zwar einen an sich wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung, hielt diese jedoch aufgrund des langen und bisher unbelastet verlaufenen Arbeitsverhältnisses und mangels Wiederholungsgefahr für unverhältnismäßig.

Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Kirchengemeinde hatte Erfolg. Das Landesarbeitsgericht Köln sah das für die Aufgaben der Klägerin notwendige Vertrauensverhältnis als unwiederbringlich zerstört an. In der unbefugten Kenntnisnahme und Weitergabe fremder Daten lag für das Gericht auch wegen der damit einhergehenden Verletzung von Persönlichkeitsrechten ein schwerwiegender Verstoß gegen die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht.

Dieser sei auch nicht durch die von der Klägerin vorgetragenen Beweggründe, die im Kirchenasyl lebende Frau schützen und Beweise sichern zu wollen, gerechtfertigt gewesen.

Denn mit ihrer Vorgehensweise habe die Klägerin keines der angegebenen Ziele erreichen können. Angesichts der Schwere der Pflichtverletzung überwiege das Lösungsinteresse der Gemeinde das Beschäftigungsinteresse der Klägerin deutlich. Selbst die erstmalige Hinnahme dieser Pflichtverletzung sei der Gemeinde nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für die Klägerin erkennbar – ausgeschlossen.

Das Landesarbeitsgericht hat die Revision nicht zugelassen.

Quelle: Pressemitteilung des LAG Köln v. 03.01.2022

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6. VG Mainz: Wann ein Werbefotograf freier Künstler oder Handwerker ist
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Es ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob ein (Werbe)Fotograf künstlerisch tätig ist oder ein (zulassungsfreies) Handwerk betreibt, das die Handwerkskammer zur Eintragung in ein Inhaberverzeichnis berechtigt. Dies entschied das Verwaltungsgericht Mainz.

Die Kläger sind Diplom-Designer und in der Künstlersozialkasse versichert. Sie erstellen im Rahmen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts im Auftrag von Geschäftskunden werbliche Fotografien. Daneben sind sie journalistisch-redaktionell tätig und fertigen außerdem freie Arbeiten an, die sie in Ausstellungen zeigen und teilweise an Interessenten verkaufen. Über Verkaufsräume verfügen sie nicht.

Die beklagte Handwerkskammer Rheinhessen teilte den Klägern mit, sie in die Handwerksdatenbank eintragen zu wollen, weil sie neben künstlerischen Werken auch gewerbliche Auftragsarbeiten herstellten. Der dagegen gerichtete Widerspruch der Kläger blieb erfolglos. Mit ihrer Klage machten die Kläger geltend, ihre fotografische Tätigkeit sei nicht als handwerklich, sondern als künstlerisch und damit freiberuflich einzustufen. Ihre Arbeiten würden sich durch ein eigenschöpferisches, gestaltendes Schaffen und ein hohes Gestaltungsniveau auszeichnen, das deutlich über das technisch gute Abbilden der Realität hinausgehe. Das Verwaltungsgericht gab der Klage statt und hob die Mitteilung der Beklagten über die beabsichtigte Eintragung in das Handwerksverzeichnis der Inhaber zulassungsfreier Betriebe auf.

Die Kammer sei zu der Überzeugung gelangt, dass die Kläger unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien künstlerisch tätig seien und kein zulassungsfreies Handwerk im Sinne der Vorschriften der Handwerksordnung betrieben. Auch im Auftrag von Geschäftskunden erstellte fotografische Arbeiten könnten Kunst darstellen, wenn es sich dabei um ein eigenschöpferisches gestalterisches Schaffen handele, das eine gewisse künstlerische Gestaltungshöhe erreiche.

Dies sei bei den Arbeiten der Kläger ganz überwiegend der Fall. Hierfür sprächen die von den Klägern vorgelegten fotografischen Werke selbst sowie die Beschreibung des Vorgehens bei ihrer Tätigkeit.

Die Entscheidung kann hier abgerufen werden 

Verwaltungsgericht Mainz, Urteil vom 9. Dezember 2021, 1 K 952/20.MZ

Quelle: Pressemitteilung des VG Mainz v. 05.01.2022

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7. LG Osnabrück: Wettbewerbswidrige Facebook-Werbung durch Automobil-Hersteller
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Der Deutsche Umwelthilfe e.V. hat ein Autohaus aus dem Gerichtsbezirk des Landgerichts Osnabrück auf Unterlassung unlauterer Werbung erfolgreich in Anspruch genommen. Die erste Kammer für Handelssachen ist dem Antrag des Klägers mit Urteil vom 17. Dezember 2021 gefolgt (Geschäftszeichen 13 O 230/21).

Der Deutsche Umwelthilfe e.V. beanstandete einen durch das Autohaus auf seiner Facebookseite geteilten Post des Automobilherstellers:

„Automobilherstellers X, Glänzende Nachrichten für alle Fahrzeugmodell Y Fans! Unser praktischer Fahrzeugmodell Y 1.2 Benziner konnte beim ADAC Autokosten-Check für Kleinwagen ein … Mehr ansehen“.

Die Werte über den offiziellen Kraftstoffverbrauch sowie die CO2-Emissionen erschienen erst durch einen gesondert zu tätigenden Klick in einem weiteren Textfeld. Ferner erschien beim erstmaligen Aufrufen der Internetseite ein 25 Sekunden langes Video, bei dem nach 17 Sekunden ebenfalls die Angaben zum Kraftstoffverbrauch sowie den CO2-Emissionen angezeigt wurden. Dieser Post wurde von 26 über das Gebiet der Bundesrepublik verteilte Autohäusern, die die Fahrzeuge des betroffenen Automobilherstellers veräußerten, auf deren Internetseite geteilt. Der Kläger forderte die einzelnen Autohäuser wegen Verstoßes gegen die Regelungen der PKW-ENVKV zur Abgabe einer Unterlassungserklärung auf.

§ 5 Abs. 1 PKW-EnVKV lautet wie folgt:

„Hersteller und Händler, die Werbeschriften erstellen, erstellen lassen, weitergeben oder auf andere Weise verwenden, haben sicherzustellen, dass in den Werbeschriften Angaben über den offiziellen Kraftstoffverbrauch und die offiziellen CO2-Emissionen der betreffenden Modelle neuer Personenkraftwagen nach Maßgabe von Abschnitt 1 der Anlage 4 gemacht werden.“

Im Abschnitt I der Anlage 4 zu 5 PKW-EnVKV heißt es unter anderem wie folgt:
„Für das in der Werbeschrift genannte Fahrzeugmodell sind Angaben über den offiziellen Kraftstoffverbrauch (Werte im Testzyklus innerorts und außerorts sowie kombiniert) und die offiziellen spezifischen CO2-Emissionen im kombinierten Testzyklus zu machen. …“

Der Aufforderung des Klägers kamen die Autohäuser, so auch die Beklagte, nicht nach, so dass der Kläger Klage gegen die jeweiligen Autohäuser an den für deren Sitz zuständigen Gerichten erhob. Dem Kläger war zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt, dass die Beklagte sowie die anderen Autohäuser durch den gleichen Prozessbevollmächtigten im gerichtlichen Verfahren vertreten werden sollten.

Ebenso wenig hatten die Beklagte noch die anderen Autohäuser vorprozessual weder geäußert noch signalisiert, dass der Kläger die Klagen bei einem Gericht konzentrieren möge oder das Führen eines Prozesses verbindliche Wirkung besitze. Die Beklagte wendet unter anderem gegen das Begehren des Klägers ein, dass weder eine Werbung für ein bestimmtes Fahrzeugmodell noch eine spürbare Beeinträchtigung der Verbraucherinteressen vorliege. Unberücksichtigt dessen sei das Agieren des Klägers rechtsmissbräuchlich.

Der Kläger sei gehalten gewesen, die betroffenen Autohäuser vor einem Gericht in Anspruch zu nehmen.

Die erste Kammer für Handelssachen bei dem Landgericht Osnabrück vertrat die Auffassung, dass der durch die Beklagte geteilte Post Angaben zu dem Kraftstoffverbrauch sowie den CO2-Emissionen enthalten müsse. In der Zusammenschau des Posts werde ein konkretes Fahrzeug Modell eines ebenfalls benannten Herstellers beworben. Mit dem Vorenthalten von Pflichtangaben würden Verbraucher in ihrem gesetzlich geschützten Informationsinteresse nicht

nur unerheblich benachteiligt. Nach Auffassung der erkennenden Handelskammer ist es nicht rechtsmissbräuchlich, die einzelnen Autohäuser am Sitz des für sie zuständigen Gerichts in Anspruch zu nehmen. Die effektive Durchsetzung von Verbraucherinteressen setzt eine damit korrespondiere Anzahl von Abmahnungen und damit einhergehend von gerichtlichen Verfahren voraus. Dass der Beklagten und den weiteren Autohäusern vorgeworfene Fehlverhalten beruht auf einer individuellen Entscheidung des jeweiligen Händlers, für die die übrigen Händler nicht einzustehen hätten.

Eine Gemeinschaftswerbung liegt nach Ansicht der Kammer ebenso wenig vor. Die Voraussetzungen einer einheitlichen Inanspruchnahme sind aus dem Grund nicht gegeben. Darüber hinaus ist die einzelne Inanspruchnahme der Händler auch nicht wegen einer missbräuchlichen Generierung von Gebühren unzulässig. Um die dem Verbraucherschutz dienende Kennzeichnungs- und Informationspflicht effektiv durchzusetzen ist es erforderlich, sämtliche Verstöße in einzelnen Klageverfahren klären zu lassen.

Anderenfalls wäre der Kläger, bei dem höchstrichterlich festgestellt ist, dass der Verbraucherschutz durch Marktüberwachung als Verbandszweck nicht lediglich vorgeschoben ist, gezwungen, seine Verpflichtung zur Marktüberwachung auf einzelne Verstöße zu konzentrieren und zu beschränken.

Ein Rechtsmissbrauch folgt insbesondere auch nicht aus Gründen der Prozessökonomie, denn die Beklagte sowie die weiteren Autohäuser haben dem Kläger gegenüber nicht vorprozessual angezeigt, dass bereits ihr Verhalten mit dem Hersteller abgestimmt ist und sie durch den gleichen Prozessbevollmächtigten vertreten werden, weshalb die Bündelung sämtlicher Ansprüche in einem Prozess zu Synergieeffekten führe.

Für den Kläger bestand auch kein Anhaltspunkt, dass die Beklagte sowie die weiteren Autohäuser sich durch den gleichen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen würden.

Darüber hinaus haben die Beklagte sowie die weiteren Autohäuser dem Kläger nicht signalisiert, dass eine „Musterentscheidung“ für alle Händler verbindlich sein sollte.

Diese Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Die Beklagte hat die Möglichkeit, die Entscheidung mit dem Rechtsmittel der Berufung durch das Oberlandesgericht Oldenburg überprüfen zu lassen.

Quelle: Pressemitteilung des LG Osnabrück v. 05.01.2022

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8. LG Potsdam: Bewusste Irreführung, indem Kostenpflicht in Nähe von Datenschutzhinweisen platziert wird
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Wird die Kostenpflichtigkeit bewusst in räumliche Nähe zu datenschutzrechtlichen Hinweisen platziert, liegt darin eine Irreführung. Denn erfahrungsgemäß wird der Nutzer diesem Text keine ausreichende Aufmerksamkeit schenken (LG Potsdam, Urt. v. 01.12.2021 - Az.: 6 S 21/21).

Die Klägerin verlangte von der Beklagten wegen eines angeblichen Auftrages (Veröffentlichung von Firmendaten im Internet) das Entgelt.

Dies hat das Gericht abgelehnt, weil in dem Schreiben, das der Beklagten zuging, bewusst über die Kostenpflichtigkeit getäuscht worden sei:

"Weiterhin hat die Klägerin die Hinweise zu dieser Kostenpflicht bewusst in die unmittelbare Nähe zu den Hinweisen über das BDSG/die DSGVO gerückt.

Der Zusatz BDSG/DSGVO führt, gerade wenn er wie hier als Einleitung zu einer hervorgehobenen Passage des "Kleingedruckten" dient, nach der Erfahrung der Kammer vielfach dazu, dass der Leser eines Schriftstücks nicht mehr die gebotene Aufmerksamkeit walten lässt, die Passage vielmehr in der Annahme, es handle sich nur um Datenschutzhinweise, übergeht.

Seit Einführung der DSGVO sind Kunden bei jedem Vertragsabschluss mit teilweise sehr umfangreichen Hinweisen zur Datenerhebung, -verarbeitung und -speicherung konfrontiert. Die entsprechenden Hinweise/Vorschriften sind in aller Regel nicht verhandelbar, sondern werden den Kunden zur Kenntnis vorgelegt."


Und weiter:
"Eine vertiefte Lektüre wird nicht erwartet und dürfte auch von kaum einem Kunden vorgenommen werden.

Damit besteht eine objektiv hohe Wahrscheinlichkeit, dass ein erheblicher Teil der Adressaten den Text nicht tatsächlich zur Kenntnis nimmt. Gerade diesen Effekt macht sich die Klägerin zu Nutze, indem sie die Höhe der anfallenden Kosten in die unmittelbare Nähe zu den Ausführungen zu den Hinweisen über das BDSG/die DSGVO setzt.

In diesem Umstand liegt eine Parallele zu dem von dem Amtsgericht zur Urteilsbegründung herangezogenen Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 26.07.2012, VII ZR 262/11). Im Fall des Bundesgerichtshofs lag die Unwirksamkeit der Klausel aufgrund ihres überraschenden Charakters im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB maßgeblich in der Gestaltung des Formulars, welche die Aufmerksamkeit des Lesers von den entscheidenden, die Höhe der Vergütung enthaltenden, Textstellen ablenkte, begründet.

So auch hier. Die von der Klägerin bewusst gewählte Platzierung hält viele Leser von einer aufmerksamen Lektüre des Absatzes ab und dient somit der bewussten Verschleierung der Kostenpflicht. Die Zielgerichtetheit dieses Vorgehens wird besonders deutlich darin, dass die Klägerin zwar auch an weiteren, vom Adressaten eher tatsächlich rezipierten Stellen ihres Formulars auf die "Kostenpflichtigkeit" des Registereintrags hinweist, die beträchtliche Höhe der erwarteten Vergütung aber ausschließlich in der genannten Passage unter der auf den Datenschutz bezogenen Überschrift anführt."



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9. LG Wuppertal: Kein Unterlassungsanspruch gegen rechtswidrige Äußerungen bei schuldunfähiger Person
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Gegen eine schuldunfähige Person, die rechtswidrige Äußerungen vornimmt, besteht kein Unterlassungsanspruch. Ein Unterlassungsanspruch setzt zwar nicht Verschulden voraus, jedoch muss der Schuldner grundsätzlich in der Lage sein, sein Verhalten adäquat zu steuern (LG Wuppertal, Urt. v. 28.09.2021 - Az.: 1 O 91/18).

Die Parteien waren Nachbarn. Die Beklagte äußerte mehrfache unwahre Behauptungen über die Kläger. Daraufhin machten diese einen Unterlassungsanspruch vor Gericht geltend.

Die Beklagte war jedoch aufgrund geistiger Erkrankung schuldunfähig:

"Die Beklagte kann jedoch nicht in Anspruch genommen werden. Der geistige Zustand der Beklagten steht dem entgegen. Die Beklagte befindet sich in einem Zustand krankhafter seelischer Störung ihrer Geistestätigkeit, der nicht nur vorübergehender Natur ist.

Die diesbezügliche Überzeugung der Kammer beruht auf dem psychiatrischen Gutachten der Sachverständigen (...).

Die Sachverständige diagnostizierte bei der Beklagten eine anhaltende wahnhafte Störung mit sensitiv-paranoidem Erleben (ICD-10 F22.0). Sie sei demnach krankheitsbedingt nicht in der Lage, ihre Wahrnehmung mit der Realität abzugleichen."


Zwar setze ein Unterlassungsanspruch grundsätzlich kein Verschulden voraus. Jedoch müsse der Schuldner überhaupt in der Lage sein, sich entsprechend adäquat zu verhalten:
"Grundsätzlich kann auch eine delikts- oder geschäftsunfähige Person Handlungsstörer sein. Denn da es sich bei dem Anspruch aus § 1004 BGB um keinen Schadensersatzanspruch handelt, ist dementsprechend auch kein Verschulden des Störers erforderlich (...). Daher wird in der Literatur überwiegend dafür plädiert, einen Anspruch auf Unterlassen auch gegen delikts- und geschäftsunfähige Personen zuzusprechen.

Dies würde jedoch dazu führen, dass etwa auch geistig schwerbehinderte Menschen oder Kleinkinder, welche ihre Lautstärke nicht kontrollieren können, auf Unterlassung in Anspruch genommen werden könnten. In der Literatur wird dieser Umstand gelöst, indem darauf gerichteten Klagen das Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen wird, da der Titel an einem Vollstreckungshindernis leidet (...). Denn eine Durchsetzung bzw. Sanktionierung der Verletzung des Unterlassungsgebotes durch Vollstreckung von Ordnungsmitteln setzt voraus, dass es zu einer Zuwiderhandlung gegen das gerichtliche Unterlassungsgebot durch ein zusätzliches schuldhaftes Handeln oder Unterlassen kommt. (...)."


Und weiter:
"Diese Ansicht erachtet die Kammer jedoch nicht für überzeugend. Zuzustimmen ist, dass die Störereigenschaft des § 1004 BGB ein Verschulden dem Grundsatz nach nicht voraussetzt. Allerdings lässt diese Betrachtung außer Acht, dass der delikts- oder geschäftsunfähige gar nicht in der Lage ist, sein Verhalten adäquat zu steuern. Ein Urteil, durch welches diese Person zu einem Unterlassen eines bestimmten Verhaltens verurteilt wird, kann damit gar nicht den erhofften verhaltenssteuernden Effekt entfalten, welcher der Verurteilung als Sinn und Zweck zugrunde liegt.

Denn der Verurteilte ist aufgrund des Geisteszustands nicht in der Lage, dem Urteil entsprechend sein Verhalten für die Zukunft zu ändern. Der vorbeugende Rechtsschutz dient jedoch gerade der Motivation künftigen veränderten Verhaltens und beinhaltet insoweit eine Warnfunktion (...). Wenn aber dieses Ziel durch das Urteil gar nicht erreicht werden kann, muss der allgemeine Grundsatz gelten, dass von niemandem etwas verlangt werden kann, was dieser unmöglich erfüllen kann."



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10. Bundeskartellamt: Alphabet und Google unterliegen erweiterten kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht
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Das Bundeskartellamt (BKartA) erklärt in einer aktuellen Pressemitteilung, dass es entschieden hat, dass Alphabet und Google  der erweiterten kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht unterliegen:
"Eine im Januar 2021 in Kraft getretene neue Vorschrift des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (§ 19a GWB) erlaubt dem Bundeskartellamt ein früheres und effektiveres Eingreifen, insbesondere gegen Verhaltensweisen großer Digitalkonzerne.

Das Bundeskartellamt kann in einem zweistufigen Vorgehen Unternehmen, die eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb haben, wettbewerbsgefährdende Praktiken untersagen."


Das Amt begründet auch seine Annahme der überragenden Verkehrsstellung:
"In Deutschland hat Google mit Marktanteilen von über 80 Prozent eine beherrschende Stellung auf dem Markt für allgemeine Suchdienste und ist der wesentliche Anbieter für suchgebundene Werbung. Außerdem ist Google in Deutschland marktstarker Anbieter einer breiten Vielzahl von Diensten und erreicht hohe Nutzerreichweiten. Auch bei der Vermarktung von Online-Werbung verfügt Google über reichweitenstarke Werbedienste, die die gesamte Wertschöpfungskette abdecken.

Weiterhin hat Google in seinem digitalen Ökosystem bedeutenden Einfluss auf den Zugang anderer Unternehmen zu seinen Nutzern und Werbekunden (z.B. über die Google-Suche, YouTube, Android, den Play Store oder seine Werbedienste) und kann marktübergreifend gegenüber anderen Unternehmen die Regeln und Rahmenbedingungen vorgeben. Insoweit kann von einem „Infrastrukturcharakter“ dieser Dienste gesprochen werden, weil eine Vielzahl anderer Leistungen weitgehend nur darüber erbracht werden können bzw. diese Dienste eine hohe Bedeutung für die wirtschaftlichen Aktivitäten Dritter haben.

Insbesondere auf Grund der hohen Reichweiten seiner Dienste verfügt Google auch über einen herausragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten."

Es gibt zu dem Verfahren auch einen Fallbericht, der hier heruntergeladen werden kann.

Das BKartA teilt schließlich mit, dass Google  kein Rechtsmitteil gegen die Entscheidung einlegen wird:

"Google hat erklärt, gegen den Beschluss kein Rechtsmittel einzulegen und die Normadressatenstellung im Sinne von §19a Abs. 1 GWB nicht zu bestreiten. Google erklärt damit allerdings ausdrücklich nicht, dass es zwingend mit allen vom Amt in der Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen und den daraus gezogenen Schlussfolgerungen einverstanden ist."


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