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Newsletter vom 16.11.2022 |
Betreff: Rechts-Newsletter 46. KW / 2022: Kanzlei Dr. Bahr |
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Die einzelnen News: |
____________________________________________________________ 1. EuGH: Deutsche Umwelthilfe kann gegen Thermofenster klagen _____________________________________________________________ Anerkannte Umweltvereinigungen müssen eine EG-Typgenehmigung für Fahrzeuge, die mit möglicherweise verbotenen „Abschalteinrichtungen“ ausgestattet sind, vor Gericht anfechten können Eine Software für Dieselfahrzeuge, die die Wirkung des Emissionskontrollsystems bei üblichen Temperaturen und während des überwiegenden Teils des Jahres verringert, stellt eine unzulässige Abschalteinrichtung dar Die Deutsche Umwelthilfe, eine nach deutschem Recht zur Einlegung von Rechtsbehelfen berechtigte anerkannte Umweltvereinigung, ficht vor dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht die Entscheidung des Kraftfahrt- Bundesamts an, mit der für bestimmte Fahrzeuge der Marke Volkswagen die Verwendung einer Software zur Verringerung des Recyclings von Schadstoffen nach Maßgabe der Außentemperatur genehmigt wurde. Die fragliche Software legt ein Thermofenster fest, bei dem die Abgasrückführungsrate bei einer Umgebungstemperatur unter – 9 Grad Celsius bei 0 % liegt, zwischen – 9 und 11 Grad Celsius bei 85 % und über 11 Grad Celsius ansteigt, um erst ab einer Umgebungstemperatur von über 15 Grad Celsius 100 % zu erreichen. Bei der in Deutschland festgestellten Durchschnittstemperatur, die im Jahr 2018 10,4 Grad Celsius betragen haben soll, liegt die Abgasrückführungsrate also nur bei 85 %. Nach Auffassung der Deutschen Umwelthilfe stellt ein solches Thermofenster eine gemäß dem Unionsrecht unzulässige Abschalteinrichtung dar. Die Bundesrepublik Deutschland, gegen die sich die Klage richtet, macht geltend, dass die Deutsche Umwelthilfe für eine Anfechtung der streitigen Entscheidung, mit der eine EG-Typgenehmigung geändert wird, nicht klagebefugt und ihre Klage daher unzulässig sei. Im Übrigen sei das in Rede stehende Thermofenster mit dem Unionsrecht vereinbar. Das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht, das in Bezug auf diese beiden Punkte Zweifel hat, hat den Gerichtshof um Auslegung zum einen des Übereinkommens von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten in Verbindung mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und zum anderen der Verordnung Nr. 715/2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge ersucht. Mit seinem heutigen Urteil antwortet der Gerichtshof erstens, dass das Übereinkommen von Aarhus in Verbindung mit der Charta dahin auszulegen ist, dass es einer Umweltvereinigung, die nach nationalem Recht zur Einlegung von Rechtsbehelfen berechtigt ist, nicht verwehrt werden darf, eine Verwaltungsentscheidung, mit der eine EG-Typgenehmigung für Fahrzeuge erteilt oder geändert wird, die möglicherweise gegen das Verbot der Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, verstößt, vor einem innerstaatlichen Gericht anzufechten. Das Übereinkommen von Aarhus verpflichtet nämlich in Verbindung mit der Charta die Mitgliedstaaten dazu, einen wirksamen gerichtlichen Schutz zu gewährleisten, und verbietet es ihnen, Umweltvereinigungen jede Möglichkeit zu nehmen, die Beachtung bestimmter Vorschriften des Unionsumweltrechts überprüfen zu lassen. Zweitens erinnert der Gerichtshof, was das fragliche Thermofenster betrifft, daran, dass er in Bezug auf ein identisches Thermofenster bereits entschieden hat, dass eine Einrichtung, die die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt und der Fahrbetrieb unterhalb von 1 000 Höhenmetern erfolgt, eine „Abschalteinrichtung“ darstellt. Nach der Verordnung Nr. 715/2007 ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Jedoch kann eine Abschalteinrichtung, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Ob dies hier der Fall ist, hat das vorlegende Gericht zu prüfen. Außerdem ist, wie der Gerichtshof ebenfalls bereits entschieden hat, eine solche „Notwendigkeit“ der Verwendung einer Abschalteinrichtung nur dann gegeben, wenn zum Zeitpunkt der EG-Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann. Der Gerichtshof weist jedenfalls darauf hin, dass selbst bei Vorliegen der oben beschriebenen Notwendigkeit die Abschalteinrichtung, wenn sie während des überwiegenden Teils des Jahres unter normalen Fahrbedingungen funktionieren sollte, unzulässig ist. Ließe man nämlich eine solche Einrichtung zu, würde dies dazu führen, dass die Ausnahme häufiger zur Anwendung käme als das Verbot, wodurch der Grundsatz der Begrenzung der Stickstoffoxid (NOx)-Emissionen unverhältnismäßig beeinträchtigt würde. Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-873/19 | Deutsche Umwelthilfe (Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen)
Quelle: Pressemitteilung des EuGH v. 08.11.2022
Sachverhalt: Nach dem Anklicken dieses Links öffnete sich ein Produktinformationsblatt, das folgenden Hinweis auf eine Garantie des Herstellers enthielt: "Die Garantie erstreckt sich zeitlich unbeschränkt auf jeden Material- und Fabrikationsfehler (für Elektronik zwei Jahre). Schäden, die durch normalen Verschleiß oder durch unsachgemäßen Gebrauch entstehen, sind durch die Garantie nicht gedeckt." Weitere Informationen zu der Garantie enthielt das Produktinformationsblatt nicht. Die Klägerin sieht darin einen Verstoß gegen die gesetzlichen Informationspflichten betreffend Garantien. Sie hat beantragt, der Beklagten zu verbieten, den Absatz von Taschenmessern an Verbraucher mit Hinweisen auf Garantien zu bewerben, ohne hierbei auf die gesetzlichen Rechte des Verbrauchers sowie darauf hinzuweisen, dass sie durch die Garantie nicht eingeschränkt werden, und ohne den räumlichen Geltungsbereich des Garantieschutzes anzugeben.
Bisheriger Prozessverlauf: Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren mit Beschluss vom 11. Februar 2021 ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 2011/83/EU über die Rechte der Verbraucher zur Vorabentscheidung vorgelegt (dazu Pressemitteilung Nr. 31/2021 vom 11. Februar 2021). Der Gerichtshof der Europäischen Union hat über die Fragen durch Urteil vom 5. Mai 2022 (C-179/21) entschieden.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Die Beklagte hat sich nicht nach § 5a Abs. 2 und 4 UWG aF (nun § 5a Abs. 1, § 5b Abs. 4 UWG nF) unlauter verhalten, weil sie den Verbrauchern keine nach § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 EGBGB aF (nun Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 EGBGB nF) vor Vertragsschluss zu erteilende Information über die Herstellergarantie vorenthalten hat. Das ergibt sich aus einer richtlinienkonformen Auslegung der vorgenannten Bestimmungen, die der Umsetzung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 2011/83/EU dienen. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat auf Vorlage des Bundesgerichtshofs entschieden, dass ein Unternehmer die Verbraucher vor Abschluss eines Kaufvertrags über die Bedingungen der Herstellergarantie informieren muss, wenn er die Garantie zu einem zentralen oder entscheidenden Merkmal seines Angebots macht und so als Verkaufsargument einsetzt. Erwähnt er dagegen die Herstellergarantie nur beiläufig, so dass sie aus Sicht der Verbraucher kein Kaufargument darstellt, muss er keine Informationen über die Garantie zur Verfügung stellen. Im Streitfall stellt die Herstellergarantie kein wesentliches Merkmal des Angebots der Beklagten dar. Sie wird auf der Angebotsseite selbst nicht erwähnt, sondern findet sich an untergeordneter Stelle in einem Produktinformationsblatt. Auf dieses Produktinformationsblatt gelangt der Verbraucher nur, wenn er einen Link anklickt, der unter der Zwischenüberschrift "Weitere technische Informationen" steht und mit der Bezeichnung "Betriebsanleitung" versehen ist und daher eher auf eine technisch-funktionale Erläuterung hindeutet. Die Beklagte hat mangels eines Verstoßes gegen die Marktverhaltensregelung des § 479 Abs. 1 BGB auch keine nach § 3a UWG unlautere Handlung begangen. Die in § 479 Abs. 1 BGB normierte Pflicht zur Information über den Gegenstand und den Inhalt einer (Hersteller-)Garantie greift erst ein, wenn der Unternehmer dem Verbraucher ein verbindliches Angebot auf Abschluss eines Garantievertrags unterbreitet. Im Streitfall enthielt der auf der Angebotsseite befindliche Link auf das Produktinformationsblatt mit der Herstellergarantie noch kein verbindliches Garantieversprechen. Urteil vom 10. November 2022 - I ZR 241/19
Vorinstanzen:
Quelle: Pressemitteilung des BGH v. 10.11.2022
Sachverhalt: Im November 2012 wurden in diesem App-Zentrum mehrere Spiele angeboten, bei denen unter dem Button "Sofort spielen" folgende Hinweise zu lesen waren: "Durch das Anklicken von ‚Spiel spielen‚ oben erhält diese Anwendung: Deine allgemeinen Informationen, Deine-Mail-Adresse, Über Dich, Deine Statusmeldungen. Diese Anwendung darf in deinem Namen posten, einschließlich dein Punktestand und mehr." Bei einem Spiel endeten die Hinweise mit dem Satz: "Diese Anwendung darf Statusmeldungen, Fotos und mehr in deinem Namen posten." Der Kläger ist der in der Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragene Dachverband der Verbraucherzentralen der Bundesländer. Er beanstandet die Präsentation der unter dem Button "Sofort spielen" gegebenen Hinweise im App-Zentrum als unlauter unter anderem unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs wegen Verstoßes gegen gesetzliche Anforderungen an die Einholung einer wirksamen datenschutzrechtlichen Einwilligung des Nutzers. Ferner sieht er in dem abschließenden Hinweis bei einem Spiel eine den Nutzer unangemessen benachteiligende Allgemeine Geschäftsbedingung. Er hält sich zur Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen im Wege der Klage vor den Zivilgerichten gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG und § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG für befugt.
Bisheriger Prozessverlauf: Der Gerichtshof der Europäischen Union hat dazu mit Urteil vom 28. April 2022 (C-319/20, GRUR 2022, 920 = WRP 2022, 684 - Meta Platforms Ireland) entschieden, dass Art. 80 Abs. 2 der VO (EU) 2016/679 einer nationalen Regelung, nach der ein Verband zur Wahrung von Verbraucherinteressen gegen den mutmaßlichen Verletzer des Schutzes personenbezogener Daten ohne entsprechenden Auftrag und unabhängig von der Verletzung konkreter Rechte betroffener Personen Klage mit der Begründung erheben kann, dass gegen das Verbot der Vornahme unlauterer Geschäftspraktiken, ein Verbraucherschutzgesetz oder das Verbot der Verwendung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen verstoßen worden sei, nicht entgegensteht, sofern die betreffende Datenverarbeitung die Rechte identifizierter oder identifizierbarer natürlicher Personen aus dieser Verordnung beeinträchtigen kann.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Die Notwendigkeit einer erneuten Vorlage ergibt sich aus folgenden Umständen: Der Senat ist in seinem ersten Vorlagebeschluss vom 28. Mai 2020 davon ausgegangen, dass sich eine nach deutschem Recht gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG und § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG bestehende Klagebefugnis des Klägers wegen seines im Streitfall allein auf die objektiv-rechtliche Durchsetzung des Datenschutzrechts gerichteten Klagebegehrens nicht den die Rechtsbehelfe, die Haftung und Sanktionen regelnden Bestimmungen des Kapitels VIII der Datenschutz-Grundverordnung und insbesondere nicht den Art. 80 Abs. 1 und 2 DSGVO oder Art. 84 Abs. 1 DSGVO entnehmen lässt. Er hat daher dem Gerichtshof der Europäischen Union mit seinem ersten Vorabentscheidungsersuchen die Frage vorgelegt, ob die Datenschutz-Grundverordnung in Bezug auf die Klagebefugnis eine abschließende Regelung trifft, die der Anwendbarkeit der § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG und § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG entgegensteht. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat - abweichend von der vom Senat im Vorlagebeschluss vertretenen Ansicht - entschieden, dass sich die Klagebefugnis des Klägers aus Art. 80 Abs. 2 DSGVO ergeben kann. Die in Art. 80 Abs. 2 DSGVO den Mitgliedstaaten eröffnete Möglichkeit, ein Verfahren einer Verbandsklage gegen den mutmaßlichen Verletzer des Schutzes personenbezogener Daten vorzusehen, besteht allerdings nur für den Fall, dass der klagende Verband geltend macht, die Rechte einer betroffenen Person gemäß der Datenschutz-Grundverordnung seien "infolge einer Verarbeitung" verletzt worden. Es ist fraglich, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, wenn - wie im Streitfall - die sich aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1, Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und e DSGVO ergebenden Informationspflichten verletzt worden sind. Die erneute Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union dient der Klärung dieser Frage. Beschluss vom 10. November 2022 - I ZR 186/17
Vorinstanzen:
Quelle: Pressemitteilung des BGH v. 10.11.2022
Die Klägerin erwarb bei Haushaltsauflösungen Gegenstände und verkaufte diese über einen Zeitraum von fünf Jahren auf der Internet-Auktions-Plattform "ebay" in ca. 3.000 Versteigerungen und erzielte daraus Einnahmen von ca. 380.000 €. Der BFH hat unter Hinweis auf sein Urteil vom 26.04.2012 - V R 2/11 entschieden, dass dies als nachhaltige Tätigkeit i.S. des § 2 Abs. 1 UStG zu beurteilen ist. Der BFH hat in seiner Zurückverweisung dem Finanzgericht aber aufgegeben, bisher fehlende Feststellungen zur Differenzbesteuerung nach § 25a UStG nachzuholen. Danach wird bei einem Wiederverkäufer, der gewerbsmäßig mit beweglichen körperlichen Gegenständen handelt oder solche Gegenstände im eigenen Namen öffentlich versteigert und an den diese Gegenstände – wie hier im Rahmen von privaten Haushaltsauflösungen – geliefert wurden, ohne dass dafür Umsatzsteuer geschuldet wurde, der Umsatz nicht nach dem Verkaufspreis, sondern nach dem Betrag bemessen, um den der Verkaufspreis den Einkaufspreis für den Gegenstand übersteigt. Fehlende Aufzeichnungen über Einkäufe stehen nach dem Urteil des BFH der Differenzbesteuerung nicht zwingend entgegen, so dass dann zu schätzen sein kann. Ist auf dieser Grundlage die Differenzbesteuerung anzuwenden, kommt es zu einer erheblichen Minderung des Steueranspruchs. Urteil vom 12.05.2022 .- Az.: V R 19/20
Quelle: Pressemitteilung des BFH v. 10.11.2022
Im Streitfall hatte die Antragstellerin, die Spielhallen betreibt, beim Finanzgericht (FG) erfolgreich beantragt, die Vollziehung der Umsatzsteuervorauszahlung für August 2021 auszusetzen. Das FG sah es als ernstlich zweifelhaft an, dass die Umsatzsteuerpflicht sog. terrestrischer Automatenspielumsätze bei gleichzeitiger Umsatzsteuerfreiheit sog. virtueller Automatenspielumsätze mit dem Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer vereinbar sei. Dieser Auffassung hat sich der BFH nicht angeschlossen. Er hatte bereits mehrfach entschieden, dass Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten umsatzsteuerpflichtig sind. Bis zum 30.06.2021 galt dies unabhängig davon, ob es sich um Umsätze in Spielhallen u.ä. oder um Online-Umsätze (sog. virtuelle Automatenspiele) handelte. Zum 01.07.2021 hat der Gesetzgeber jedoch die gesetzlichen Grundlagen geändert: Virtuelle Automatenspiele unterliegen seither der Rennwett- und Lotteriesteuer. Sie sind deshalb nach § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG umsatzsteuerfrei. Umsätze in Spielhallen sind hingegen weiterhin umsatzsteuerpflichtig. Für sie fällt aber keine Rennwett- und Lotteriesteuer an. Hintergrund der Änderung war u.a. der Umstand, dass Online-Angebote hinsichtlich ihrer Spielsucht auslösenden Aspekte anders einzustufen seien als die terrestrischen Angebote (z.B. in Spielhallen). Mit seinem Beschluss hat der BFH nun klargestellt, dass diese Ungleichbehandlung zulässig ist. Umsätze in Spielhallen und Online-Umsätze seien aus mehreren Gründen (unterschiedliche Ausschüttungsquoten, unterschiedliche Verfügbarkeit, potenziell größerer Kundenkreis online, unterschiedliche Spielsuchtrisiken) bereits nicht vergleichbar. Wären sie vergleichbar, wäre die Ungleichbehandlung gerechtfertigt. Anders als terrestrische Umsätze würden auf elektronischem Weg erbrachte Dienstleistungen aufgrund einer Mehrwertsteuer-Sonderregelung zwingend am Ort des Leistungsempfängers besteuert. Die EU habe diese Sonderregelung eingeführt, um sicherzustellen, dass eine Besteuerung solcher Dienstleistungen in der EU erfolge, wenn sie in der EU verbraucht würden. Dies rechtfertige die unterschiedliche Besteuerung von terrestrischen Umsätzen und Online-Umsätzen. Für Glücksspielumsätze gelte insoweit nichts anderes als in anderen Bereichen der Wirtschaft auch. Beschluss vom 26.09.2022 - Az.: XI B 9/22 (AdV)
Quelle: Pressemitteilung des BFH v. 20.10.2022
Beide Parteien stellen ökologische Wasch-, Putz- und Reinigungsmittel her. Die Antragsgegnerin bewirbt ihre Produkte auf ihrer Internetseite u.a. mit dem Logo „Klimaneutral“. Die Antragstellerin wendet sich u.a. gegen die Werbung mit diesem Begriff. Sie hält den Begriff „klimaneutral“ für erläuterungsbedürftig und die Werbung deshalb für intransparent und irreführend. Das Landgericht hatte den auf Unterlassen gerichteten Eilantrag abgewiesen. Auf die Berufung hin hat das OLG die Antragsgegnerin verurteilt, die Verwendung des Logos „Klimaneutral“ zu unterlassen. Die Werbung sei irreführend. Die Bewerbung eines Unternehmens oder seiner Produkte mit einer vermeintlichen Klimaneutralität könne erheblichen Einfluss auf die Kaufentscheidung haben. Es bestehe daher eine Verpflichtung zur Aufklärung über grundlegende Umstände der von dem Unternehmen beanspruchten Klimaneutralität. Der Verbraucher gehe bei dem streitgegenständlichen „klimaneutral“-Logo davon aus, dass grundsätzlich alle wesentlichen Emissionen des Unternehmens vermieden oder kompensiert würden. Eine Ausklammerung bestimmter Emissionsarten - wie von der Antragsgegnerin vorgenommen - nehme er nicht ohne Weiteres an. Die im Eilverfahren ergangene Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 10.11.2022, Az. 6 U 104/22
Quelle: Pressemitteilung des OLG Frankfurt a.M. v. 11.11.2022
Der Angeklagte stellte auf Instagram unterschiedliche Beiträge zum Nahostkonflikt ein, u.a. auch Presseartikel und -beiträge von dritten Personen. U.a. handelte es sich dabei um eine Karikatur mit dem Titel "The irony of Incoming what you once hated". Die Karikatur zeigte einen Soldaten, der einen Helm mit der Flagge Israels trug und eine vor ihm am Boden liegende, ein Kopftuch tragende Frau mit einem Gewehr bedrohte. Der Soldat blickte dabei zugleich in einen Spiegel, in dem ein Soldat mit Hakenkreuzarmbinde dargestellt war, der lächelnd einen am Boden liegenden Mann mit einem Gewehr bedrohte. Im unteren Übergang von der Zeichnung zum Rand der Karikatur hin wurde mit einem roten Symbolpfeil mit der Aufschrift „vote“ auf folgende Frage hingeleitet: „Trifft die Karikatur die Geschichte auf den Punkt?“ Die als (Strich) Zeichnung im Übrigen in schwarz-weiß gefertigte Karikatur wies für die israelische Flagge eine blaue Kolorierung und für die Hakenkreuzbinde eine das Hakenkreuz auf weißem kreisförmigem Grund rot einfassende Farbe auf. Das Landgericht sprach den Angeklagten frei, weil eine aufgrund des Schutzzwecks des § 86a Abs. 1 StGB erforderliche Restriktion des Tatbestands erfüllt sei.
Im Rahmen der Revision hat das BayObLG diesen Freispruch nun aufgehoben und klargestellt, dass eine Strafbarkeit vorliege.
Zutreffend sei es, dass nicht jede Verwendung eines Hakenkreuzes strafbar sei:
"Im Ansatz noch zutreffend hat die Berufungskammer erkannt, dass unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der Strafvorschrift eine einschränkende Auslegung des § 86a StGB vorzunehmen ist, wenn das Verhalten trotz Erfüllung der Tatbestandsmerkmale dem Zweck der Vorschrift nicht zuwiderläuft. Erforderlich sei jedoch eine eindeutige und offenkundige Ablehnung der NS-Ideologie: "Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen kann im Einzelfall unter bestimmten Voraussetzungen der Gebrauch eines Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation in einer Darstellung, deren Inhalt in offenkundiger und eindeutiger Weise die Gegnerschaft zu der Organisation und die Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck bringt, dem Schutzzweck ersichtlich nicht zuwiderlaufen und wird daher vom Tatbestand des § 86a StGB nicht erfasst.Es spreche viel dafür, dass eine solche Offensichtlichkeit bei dem Instagram-Posting nicht gegeben sei: "Diese Einschätzung ist schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil sich aus der Karikatur bereits aufgrund ihrer komplexen, auf längere Reflexion des Betrachters angelegten Bildgestaltung (...) gerade nicht schon auf Anhieb als eindeutig und offenkundig erschließt. Dies gilt selbst dann, wenn man statt eines ‚neutralen‘ einen auf die abgehandelte Materie fokussierten, mit den Gesamtumständen bzw. dem politisch-geschichtlichen Kontext also schon vertrauten Betrachter voraussetzte. Und weiter: "Gänzlich außer Acht gelassen hat die Berufungskammer zudem, dass die Karikatur bereits aufgrund ihrer äußeren Gestaltung, aber auch ihres Aussageinhalts, geeignet ist, beim Betrachter den Eindruck einer antisemitischen Intention der dahinterstehenden Personen zu vermitteln. zurück zur Übersicht _____________________________________________________________ 8. ArbG Heilbronn: Pflichtverletzungen des Datenschutzbeauftragten rechtfertigen keine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses _____________________________________________________________ Verletzt ein betrieblicher Datenschutzbeauftragter die ihm obliegenden Pflichten in schwerwiegender Weise, rechtfertigt dies nur die sofortige Abberufung als Datenschutzbeauftragter. Eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist hingegen nicht möglich (ArbG Heilbronn, Urt. v. 29.09.2022 - Az.: 8 Ca 135/22). Der Kläger war bei der Beklagten, einem Konzern mit etwa 1.700 Arbeitnehmern, als Syndikusanwalt und Leiter der Rechtsabteilung angestellt. Zudem wurde er 2018 als betrieblicher Datenschutzbeauftragter bestellt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich. Sie trug vor, dass der Kläger jahrelang seine Tätigkeit als Datenschutzbeauftragter vernachlässigt habe. Ein aktuelles Wirtschaftsprüfer-Gutachten habe massivste Datenschutzmängeln im mittleren Risiko- und Hochrisiko-Bereich festgestellt:
- kein dokumentiertes Datenschutzmanagementsystem Der Kläger bestritt die Arbeitsverweigerung und verteidigte sich u.a. damit, dass die Verantwortung für die Umsetzung der Maßnahmen nicht bei ihm liege, sondern beim Vorstand des Unternehmens. Das Arbeitsgericht erklärte die außerordentliche Kündigung des Arbeitsvertrages für unwirksam.
Die Kündigung sei ausschließlich mit Pflichtverletzungen als Datenschutzbeauftragter begründet worden. Dadurch würde aber der Arbeitsvertrag nicht berührt. Es sei allenfalls möglich, den Arbeitnehmer als Datenschutzbeauftragten außerordentlich abzuberufen, nicht jedoch ihn als arbeitsrechtlich vollständig zu kündigen:
"Die beklagtenseits ausgesprochene Kündigung ist unwirksam, weil sie ausschließlich mit der Verletzung von Amtspflichten des Klägers in seiner Position als Datenschutzbeauftragter begründet wird. In einem solchen Fall ist der Ausspruch einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht möglich. (...) Ferner sei auch kein wichtiger Grund erkennbar, denn das Unternehmen könne keine konkrete Pflichtverletzung des Klägers beweisen.
Zwar habe das vorgelegte Gutachten der Wirtschaftsprüfer erhebliche datenschutzrechtliche Mängel festgestellt. Der Kläger als betrieblicher Datenschutzbeauftragter sei jedoch hierfür nicht Verantwortlicher iSd. DSGVO. Vielmehr sei der Vorstand die verantwortliche Stelle und hätte die Pflichten umsetzen müssen:
"Bei den Pflichten des Datenschutzbeauftragten handelt es sich nicht um weisungsgebundene, sondern um gesetzliche Aufgaben, bei denen der Amtsträger Weisungen nicht unterworfen ist, Art. 38 Abs. 3 DS-GVO. Ihm obliegen nach Art. 39 DS-GVO vorwiegend Unterrichtungs-, Beratungs- und Überwachungsaufgaben. Anmerkung von RA Dr. Bahr: Ein absolutes Harakiri-Verfahren für das betroffene Unternehmen.
Nicht nur, dass sie den Arbeitsgerichtsprozess verloren hat. Es wurde ihr auch amtlich ins Stammbuch geschrieben, dass für die massiven Datenschutzverletzungen ausschließlich der Vorstand des Unternehmens verantwortlich ist. Etwaige Maßnahmen der zuständigen Datenschutzbehörde und mögliche Schadensersatz-Prozesse von Betroffenen dürften nur noch eine Frage der Zeit sein.
Dies geht aus einem Beschluss des Verwaltungsgerichts Neustadt/Wstr. vom 27. Oktober 2022 hervor. Die Antragsteller bewohnen ein Anwesen im Landkreis Kaiserslautern. Der Antragsgegner erinnerte die Antragsteller mit Schreiben vom 27. Juni 2022 an die Beantwortung und Rückleitung der Datenanforderung zur GWZ bis zum 10. Juli 2022, nachdem diese ihrer Erklärungspflicht bis zu diesem Zeitpunkt nicht nachgekommen waren. Mit der Erinnerung wurde den Antragstellern mitgeteilt, dass sie die Fragen Online beantworten oder in Papierform an einen näher bezeichneten privaten Dienstleister senden könnten, der den Papierbogen digitalisiere und zur Geheimhaltung verpflichtet sei. Am 4. Juli 2022 legten die Antragsteller dagegen Widerspruch ein. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 4. August 2022 zurückgewiesen. Nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben die Antragsteller am 12.9.2022 Klage und suchten um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nach, mit der Begründung, dass die einschlägigen Rechtsvorschriften des Zensusgesetzes 2022 und die dort geregelte Behandlung von Hilfsmerkmalen verfassungswidrig seien. Der wirksame Schutz digital gespeicherter Daten könne grundsätzlich nicht gewährleistet werden, eine Deanonymisierung sei nicht ausgeschlossen. Der US-amerikanische IT-Dienstleister, der in den Betrieb der Internetpräsenz „www.zensus2022.de“ eingebunden sei, könne auf technische Daten zugreifen und biete im öffentlichen Teil der Website ein Kontaktformular an, über das Nutzer Statistikämter anschreiben könnten. Hierzu seien persönliche Daten einzugeben, deren Weitergabe an unbefugte Dritte nicht ausgeschlossen werden könne. Das vertraglich zugesicherte Versprechen des Dienstleisters, Daten ausschließlich auf europäischen Servern zu verarbeiten, sei mit Blick auf den „CLOUD Act“ unzureichend. Die Einbindung des Dienstleisters sei damit zugleich unionsrechtswidrig. Der Antrag wurde mit Beschluss der 3. Kammer vom 27. Oktober 2022 abgelehnt. Durch die Heranziehung der Antragsteller zu den im Rahmen der GWZ im Zensus 2022 angeforderten Auskünften sei das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht verletzt. Die Ausgestaltung des Zensus 2022 entspreche den Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 19. September 2018 (Az.: 2 BvF 1/15 und 2/15) zum Zensus 2011 sowie in dem zur Volkszählung ergangenen Urteil vom 15. Dezember 1983 (Az.: 1 BvR 209/83 u.a.) gemacht habe. Die rechtlichen Schutzmechanismen des ZensG 2022 blieben dabei nicht hinter denjenigen des Zensusgesetzes 2011 zurück. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei gewahrt. Auch unter Berücksichtigung der Fortentwicklung der statistischen Wissenschaft seien Möglichkeiten einer grundrechtsschonenderen Datenerhebung nicht ersichtlich. Verbleibende Restrisiken der Deanonymisierung und Reidentifizierung seien zwar nicht auszuschließen, als notwendige Folge einer im überwiegenden Allgemeininteresse angeordneten Statistik jedoch hinzunehmen. Die Heranziehung zur Auskunftserteilung verstoße auch nicht gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen und sei insbesondere mit den Regelungen der Datenschutzgrundverordnung vereinbar. Das Hosting des öffentlichen Bereichs der Zensus 2022-Homepage durch einen US-amerikanischen Dienstleister stehe der Rechtmäßigkeit der Durchführung des Zensus 2022 nicht entgegen. Die Verarbeitung von Hosting-Daten durch den Dienstleister erfolge nur in europäischen Rechenzentren und unter ausschließlicher Nutzung europäisch registrierter IP-Adressen. Befragungsdaten der Auskunftspflichtigen zum Zensus seien von der Verarbeitung nicht umfasst, sondern lediglich allgemein zugängliche Metadaten, wie IP-Adresse des Abrufs, Internetbrowser, Betriebssystem oder Uhrzeit des Seitenaufrufs. Der Antragsgegner dürfe auf die vertraglichen Zusagen des Dienstleisters vertrauen. Die Einlassungen der Antragsteller zu einem denkbaren Zugriff US-amerikanischer Sicherheitsbehörden im Rahmen des sog. "CLOUD-Act" blieben spekulativ und stünden einer Datenerhebung durch den Antragsgegner auch deshalb nicht entgegen, weil das Bundesverfassungsgericht verbleibende Restrisiken trotz Anspannung aller zumutbaren Vorkehrungen als grundsätzlich notwendige Folge einer im überwiegenden Allgemeininteresse angeordneten Statistik akzeptiert habe. Überdies sei der US-amerikanische IT-Dienstleister nach Auskunft des Bundesbeauftragten für den Datenschutz aufgrund zwischenzeitlich vorgenommener Änderungen beim Aufruf des Online-Fragebogens nicht mehr eingebunden, sodass auch eine Übermittlung von Metadaten nicht mehr erfolge. Damit griffen auch die von dem EuGH (Rechtssache C-311/18 "Schrems II") geäußerten Bedenken gegen eine Übertragung personenbezogener Daten von EU-Bürgern in die Vereinigten Staaten nicht durch. Die Übermittlung der eigentlichen Befragungsdaten erfolge unter Einhaltung der Vorgaben des Zensusvorbereitungsgesetzes 2022 verschlüsselt, womit der Gefahr des Zugriffs unbefugter Dritter wirksam begegnet werde. Dabei stehe es den Antragstellern frei, den Fragebogen in Papierform einzureichen. Die hierfür zur technischen Umsetzung in Gestalt der Digitalisierung eingebundene Firma sei zur Geheimhaltung verpflichtet. Sie habe kein Datenzugriffsrecht und erbringe damit unter datenschutzrechtlichen Aspekten keine Dienstleistung, die einen intensiveren Zugriff auf Daten der Antragsteller erlaube, als beispielsweise die Beauftragung eines privaten Postunternehmens, das mit Übergabe eines Briefs jedenfalls potenziell gleichfalls Zugriff auf die darin enthaltenen Daten habe. Gegen den Beschluss ist das Rechtsmittel der Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz zulässig. Verwaltungsgericht Neustadt, Beschluss vom 27. Oktober 2022 – 3 L 763/22.NW
Quelle: Pressemitteilung des VG Neustadt v. 07.11.2022
Einen weiteren, im Wesentlichen gleichlautenden Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 25. August 2022 betreffend das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hatte die 12. Große Strafkammer des Landgerichts Osnabrück bereits mit Beschluss vom 9. Februar 2022 aufgehoben (Geschäftszeichen 12 Qs 32/21 –, juris).
Zum Sachverhalt: Nach der Beschlagnahme und Sicherstellung mehrerer Aktenordner wurden im Nachgang weitere Unterlagen der ermittelnden Polizeidienststelle übersandt. Ferner wurden EMailpostfächer von vier Führungskräften der FIU gesichert und unveränderlich gespeichert. Unter dem 6. August 2021 beantragte die Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht Osnabrück die Durchsuchung der der FIU zuzuordnenden Diensträume nebst Papierarchiven sowie elektronischen Archiven sowohl in den Räumlichkeiten des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz als auch des Bundesministeriums der Finanzen. Im Laufe der Maßnahme beim Bundesfinanzministerium erwirkte die Staatsanwaltschaft zudem noch fernmündlich eine Beschlagnahmeanordnung betreffend einzelner E-Mailpostfächer von Mitarbeitern der Arbeitsebene des Bundesfinanzministeriums. Mit Schreiben vom 25. Februar 2022 hat das Bundesministerium der Finanzen Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung vom 10. August 2021 sowie gegen die fernmündlich getroffene Beschlagnahmeanordnung erhoben. Das Amtsgericht Osnabrück hat den Beschwerden nicht abgeholfen und das Verfahren dem Landgericht Osnabrück zur Entscheidung vorgelegt. Die 1. Große Strafkammer erachtet den Durchsuchungsbeschluss betreffend das Bundesministerium der Finanzen unter mehreren Gesichtspunkten für rechtswidrig. Der Gang des Verfahrens und der angefochtene Beschluss ließen nicht hinreichend erkennen, dass dem Richtervorbehalt genüge getan worden sei. So sei maßgeblicher Grund für die Beantragung des Durchsuchungsbeschlusses ein Schreiben vom 15. Mai 2020 des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz an das Bundesministerium der Finanzen gewesen. Dieses Schreiben sei aber nicht nur bereits Gegenstand der Akte gewesen, sondern auch in polizeilichen Ermittlungsberichten erwähnt. Ferner sei im Antrag der Staatsanwaltschaft lediglich auf eine erste Auswertung gesicherter E-Mailkorrespondenz zwischen den Bundesministerien der Finanzen sowie der Justiz und für Verbraucherschutz und der FIU verwiesen worden. Insoweit hätten die Ermittlungsergebnisse dem Ermittlungsrichter konkreter benannt werden müssen. Ferner seien bei einer Durchsuchung gemäß § 103 StPO die Unterlagen, die als Beweismittel für die aufzuklärende Straftat gesucht werden sollen, hinreichend konkret zu benennen. Auch dieser Anforderung werde der Beschluss nicht gerecht. Zwar lasse die Anordnung eine detaillierte Aufzählung verschiedenster Beweismittel der Gattung nach erkennen, ermögliche jedoch zugleich faktisch die Suche nach jeglichem Gegenstand, der überhaupt im Zusammenhang mit der Bearbeitung von Geldwäscheverdachtsmeldungen bei der FIU stehe beziehungsweise noch darüber hinausgehend generell allen E-Mail-Accounts, dienstlichen Mobiltelefonen und Datenspeichern. Die zu unbestimmten Formulierungen des Beschlusses seien von der Regelung des § 103 StPO nicht gedeckt. Schließlich sei vor der Anordnung der Durchsuchung ein an das Ministerium gerichtetes Herausgabeverlangen durch die Ermittlungsbehörden erforderlich gewesen. Hierauf hat schon die 12. Große Strafkammer – bezogen auf die Durchsuchungsmaßnahme im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz – hingewiesen (vgl. PM 5/22). Ein solches Herausgabeverlangen sei auch bezüglich des Bundesfinanzministeriums nicht entbehrlich gewesen, da im Ergebnis kein Grund zur Annahme bestanden habe, dieses werde einem entsprechenden Gesuch nicht nachkommen. Hieran ändere auch die vom Bundesministerium der Finanzen über die FIU ausgeübte Rechtsaufsicht nichts. Hinsichtlich der gegen die mündlich erlassene Beschlagnahmeanordnung bezüglich einzelner dienstlicher E-Mail-Accounts von Mitarbeitern der Arbeitsebene im Bundesministerium der Finanzen gerichteten Beschwerde hat die 1. Große Strafkammer des Landgerichts in ihrem Beschluss das Verfahren an den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Osnabrück zurückgegeben, da nach Auffassung der Kammer mit jener Anordnung noch keine wirksame Beschlagnahme vorliege. Sie lasse bislang nicht in ausreichendem Maße erkennen, weshalb und inwieweit sämtliche – beziehungsweise welche – Inhalte der E-Mailpostfächer als Beweismittel von Bedeutung seien. Landgericht Osnabrück, Beschluss vom 10. November 2022, Geschäftszeichen 1 Qs 24/22; 48/22
Quelle: Pressemitteilung des LG Osnabrück v. 11.11.2022
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