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Newsletter vom 26.07.2023 |
Betreff: Rechts-Newsletter 30. KW / 2023: Kanzlei Dr. Bahr |
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Die einzelnen News: |
____________________________________________________________ 1. BGH: Grundpreisangabe auch bei Nahrungsergänzungsmitteln in Kapselform _____________________________________________________________ Der BGH hat bestätigt, dass die Pflicht zur Grundpreisangabe auch bei Nahrungsergänzungsmitteln in Kapselform besteht (BGH, Urt. v. 23.03.2023 - Az.: I ZR 17/22).
Die Parteien stritten um die Frage, ob auch bei Aminosäureprodukten in Kapselform die Grundpreisangabe nach § 4 PAngVO erfolgen muss.
Der BGH bestätigte die Vorinstanz, das OLG Hamburg (Urt. v. 20.01.2022 - Az.: 3 U 66721), und ging von einem Wettbewerbsverstoß aus:
"Das Berufungsgericht hat für Aminosäureprodukte in Kapselform verneint, dass diese nach Stückzahlen in den Verkehr gebracht werden (...). Und weiter: "Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass es sich nach der Verkehrsauffassung bei Aminosäureprodukten in unterschiedlichen Darreichungsformen nicht um unterschiedliche Lebensmittel handelt. (...) Und schließlich: "Das aus § 1 Abs. 7 Satz 1 PAngV aF folgende Gebot der Preisklarheit und Preiswahrheit (...) steht der Bewerbung von Nahrungsergänzungsmitteln in Kapselform unter Angabe des Grundpreises ebenfalls nicht entgegen. Anders als die Revision meint, ist eine hieraus resultierende Irreführung des Verkehrs über die Werthaltigkeit der einzelnen Aminosäureprodukte nicht zu befürchten. Das Berufungsgericht hat den entgegenstehenden Vortrag des Beklagten nicht übergangen, sondern ist seiner Auffassung, Aminosäureprodukte seien generell nicht miteinander vergleichbar und Grundpreisangaben nach Gewicht führten den Verkehr in die Irre, lediglich nicht gefolgt. zurück zur Übersicht _____________________________________________________________ 2. BAG: GmbH-Geschäftsführer haftet nicht persönlich auf Schadensersatz für Nichteinhaltung des Mindestlohns _____________________________________________________________ Das BAG (Urt. v. 30.03.2023 - Az.: 8 ZR 120/22) hat entschieden, dass ein GmbH-Geschäftsführer nicht persönlich auf Schadensersatz für die Nichteinhaltung des Mindestlohns haftet. Der amtliche Leitsatz lautet: "Geschäftsführer einer GmbH haften gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der GmbH nicht deshalb auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB, weil sie im Einzelfall nach § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG für Verstöße der GmbH gegen ihre Verpflichtung aus § 20 MiLoG, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns zu zahlen, bußgeldrechtlich verantwortlich sind. zurück zur Übersicht ____________________________________________________________ 3. BSG: Kein Ausschluss von Sozialversicherungspflicht durch Vertragsbeziehung mit Ein-Personen-GmbH _____________________________________________________________ Stellt sich die Tätigkeit einer natürlichen Person nach deren tatsächlichem Gesamtbild als abhängige Beschäftigung dar, ist ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht deshalb ausgeschlossen, weil Verträge nur zwischen dem Auftraggeber und einer Kapitalgesellschaft bestehen, deren alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter die natürliche Person ist. Dies hat der 12. Senat des Bundessozialgerichts heute in drei Revisionsverfahren (Aktenzeichen B 12 BA 1/23 R, B 12 R 15/21 R und B 12 BA 4/22 R) entschieden. Die natürlichen Personen waren alleinige Gesellschafter und Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften (Unternehmergesellschaft <UG> und Gesellschaft mit beschränkter Haftung <GmbH>). Mit diesen Kapitalgesellschaften schlossen Dritte Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen. In zwei Verfahren ging es um Pflegedienstleistungen im stationären Bereich eines Krankenhauses, im dritten Fall um eine beratende Tätigkeit. Tatsächlich erbracht wurden die Tätigkeiten ausschließlich von den natürlichen Personen. Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund stellte in allen Fällen Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung fest. Das Bundessozialgericht hat in allen drei Verfahren entschieden, dass - wie in anderen Statusverfahren auch - die jeweiligen konkreten tatsächlichen Umstände der Tätigkeit nach einer Gesamtabwägung über das Vorliegen von Beschäftigung entscheiden. Daran ändert der Umstand nichts, dass Verträge nur zwischen den Auftraggebern und den Kapitalgesellschaften geschlossen wurden. Die Abgrenzung richtet sich vielmehr nach dem Geschäftsinhalt, der sich aus den ausdrücklichen Vereinbarungen der Vertragsparteien und der praktischen Durchführung des Vertrages ergibt, nicht aber nach der von den Parteien gewählten Bezeichnung oder gewünschten Rechtsfolge. Az.: B 12 BA 1/23 R, B 12 R 15/21 R und B 12 BA 4/22 R
Quelle: Pressemitteilung des BSG v. 20.07.2023
Der amtliche Leitsatz lautet:
"Bei einer sogenannten "Videokonferenz" muss für die Beteiligten während der zeitgleichen Bild- und Tonübertragung nach § 91a Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ähnlich wie bei einer körperlichen Anwesenheit im Verhandlungssaal feststellbar sein, ob die beteiligten Richter in der Lage sind, der Verhandlung in ihren wesentlichen Abschnitten zu folgen. zurück zur Übersicht ____________________________________________________________ 5. OLG Frankfurt a.M.: AGB-Klausel, wonach Geschäftsführer für GmbH-Schulden bei Kreditkarte persönlich mithaftet, ist rechtmäßig _____________________________________________________________ Eine AGB-Klausel, wonach bei Nutzung einer Kreditkarte der Geschäftsführer für GmbH-Schulden persönlich mithaftet, ist rechtlich nicht zu beanstanden (OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 15.03.2023 - Az.: 17 U 134/22).
Inhaltlich wehrte sich der Kläger, der Geschäftsführer einer GmbH war, gegen Forderungen aus einem Kreditkartenverhältnis. Die Kreditkarte lief auf die GmbH, jedoch stand in der Vereinbarung, dass der Kläger auch persönlich für die entstandenen Verbindlichkeiten einzustehen habe:
"Vorbehaltlich Ziffer 1 1 der Mitgliedschaftsbedingungen haften das Unternehmen und der Hauptkarteninhaber als Gesamtschuldner für alle Kartenbelastungen, die mit der Business Card Hauptkarte bis zu ihrer Rückgabe verursacht werden. Für mit der Business Card Hauptkarte getätigte Privatausgaben haftet nur der Hauptkarteninhaber, sofern das Unternehmen den privaten Charakter der Ausgaben nachgewiesen hat." Der Kläger wehrte sich gegen diese Regelung und stufte sie als überraschende Klausel und somit als unwirksam ein. Das OLG Frankfurt a.M. folgte dieser Ansicht, sondern bewertete die Bestimmung als rechtmäßig. Der Kläger hafte als Gesamtschuldner mit: "Die (...) Haftungsklausel ist nicht überraschend iSv. § 305c Abs. 1 BGB. (...) zurück zur Übersicht _____________________________________________________________ 6. VG Berlin: Verfassungsfeindliche Chatnachrichten können Einstellung in die Polizei verhindern _____________________________________________________________ Ein Bewerber für die Polizei, der in privaten Chatnachrichten verfassungsfeindliche Symbole empfangen und versendet hat, darf wegen fehlender charakterlicher Eignung abgelehnt werden. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin entschieden. Der im Jahr 2000 geborene Kläger bewarb sich 2022 für die Einstellung in die Berliner Polizei. Im Rahmen eines – später wegen nicht ausreichenden Tatverdachts eingestellten – Ermittlungsverfahrens wurden auf seinem Handy mehrere Chat-Verläufe sichergestellt, in denen er drei Bilder mit verfassungsfeindlichen Symbolen empfangen und diese an mindestens drei weitere Personen weitergeleitet hatte. Bild 1 und 2 zeigen Adolf Hitler, Bild 3 zeigt eine männliche Person mit schwarzer Hautfarbe, welche ein T-Shirt mit einem Hakenkreuz trägt. Die Polizei lehnte die Bewerbung des Klägers ab. Die 36. Kammer des Verwaltungsgerichts hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen. Die Polizei habe aufgrund des mehrfachen kommentarlosen Versendens verfassungsfeindlicher Symbole über WhatsApp die charakterliche Eignung des Klägers für den Polizeiberuf verneinen dürfen. Aus dem Weiterleiten der rassistischen und den Holocaust verharmlosenden Bilder könne zwar noch keine rechtsradikale Überzeugung des Klägers abgleitet werden. Für die Ablehnung der Bewerbung sei aber bereits das unreflektierte, jedoch bewusste Versenden der Bilder mit menschenverachtenden und antisemitischen Bezügen ausreichend. An Polizisten dürften besonders hohe Anforderungen an die charakterliche Stabilität gestellt werden, weil sie sich jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einsetzen und Menschen jeglicher Herkunft unabhängig von ihrer Religion achten und schützen müssten. Unerheblich sei, ob das Versenden der Bilder strafrechtlich relevant sei. Denn der Kläger habe nicht erkennen lassen, dass er sein nur neun Monate vor der Bewerbung liegendes Fehlverhalten reflektiert, das Unrecht erkannt und daraus Schlüsse für die Zukunft gezogen habe. Gegen das Urteil kann Antrag auf Zulassung der Berufung zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg gestellt werden. Urteil der 36. Kammer vom 21. Juni 2023 (VG 36 K 384/22)
Quelle: Pressemitteilung des VG Berlin v. 18.07.2023
Das Oberlandesgericht bestätigte die ablehnende Entscheidung des Landgerichts: Die Entscheidung eines Preisgerichts darf im Hinblick auf ihre Verbindlichkeit bereits grundsätzlich nicht auf ihre sachliche Richtigkeit, sondern allenfalls auf schwerwiegende Mängel, die offensichtlich auch die Entscheidung selbst beeinflusst haben, überprüft werden; solche seien jedoch nicht vorgetragen worden. Dass der Antragssteller den Wettbewerb ohne die Teilnahme des Siegers gewonnen hätte und sich damit seine Aufwendungen (insbesondere die Kosten der eigens für den Wettbewerb angefertigten Arbeit) angesichts des Preisgeldes rentiert hätten, sei nicht ausreichend schlüssig vorgetragen, da keine andere Arbeit als die des Gewinners von der Jury als preiswürdig angesehen wurde: der zweite Preis und dritte Preis wurden nicht vergeben. Dem Antragssteller verbleibt die Möglichkeit, auf eigene Kosten zu klagen.
Quelle: Pressemitteilung des LG München II v. 13.07.2023
Der Kläger machte vor Gericht Unterlassungsansprüche geltend. Die Beklagte gab daraufhin eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, sodass es nur noch um den Punkt ging, wer die Kosten des eingeleiteten Gerichtsverfahrens zu tragen hatte. Der Kläger trug vor, dass er außergerichtlich die Beklagte abgemahnt habe. Er habe die Abmahnung per E-Mail übersandt, wobei die Abmahnung und die Unterlassungserklärung sich direkt im Text befunden hätten und nicht als Anhang beigefügt waren. Die Beklagte bestritt den Zugang.
Das Gericht legte der Beklagten die Kosten des Verfahrens auf:
"Es ist davon auszugehen, dass das an die Antragsgegnerin adressierte Schreiben (...) per E-Mail am 30.01.2023 abgelassen wurde und am selben Tag zeitnah auf dem Server der Antragsgegnerin einging. Der Antragsteller (...) glaubhaft gemacht, dass er das Abmahnschreiben vom 30.01.2023 am selben Tag als E-Mail an die Antragsgegnerin absandte und dass der vollständige Text des Abmahnschreibens in der E-Mail und nicht in einer Anlage hierzu enthalten war." Die Rechtsprechung, die der BGH zum Zugang von postalischen Abmahnungen entwickelt worden sei, sei auf das elektronische Postfach übertragbar: "Es ist auch davon auszugehen, dass unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes die E-Mail der Antragsgegnerin wirksam (...) zugegangen ist. zurück zur Übersicht _____________________________________________________________ 9. LG Rottweil: Auf Mobile.de müssen "PKW-Haustürzustellung-Kosten" mit in den Endpreis eingerechnet werden _____________________________________________________________ Bietet ein Verkäufer Fahrzeuge auf einer Online-Plattform an (hier: mobile.de) müssen auch die Überführungskosten (hier: Kosten für eine sogenannte "Haustürzustellung") mit in den Endpreis eingerechnet werden (LG Rottweil, Urt. v. 08.05.2023 - Az.: 5 O 30/22). Die Beklagte bot Fahrzeuge auf mobile.de an, wies dabei aber die Überführungskosten für den PKW (990,- EUR für eine sogenannte "Haustürzustellung") gesondert neben dem Kaufpreis iHv. 25.990,- EUR aus.
Das LG Rottweil stufte dies als Verstoß gegen die PAngVO und somit als Wettbewerbsverletzung ein.
"Zwingend vom Käufer zu tragende Transportkosten sind in den im Preisfeld angegebenen Endpreis einzurechnen. Und weiter: "Das entscheidende Kriterium, anhand dessen zu entscheiden ist, ob Kosten in den Verkaufspreis einzurechnen sind, ist also ihre Unvermeidbarkeit und die Vorhersehbarkeit ihres Anfalls. Bei dem Werbeinserat, dessen Unterlassung (...) begehrt wird, ist bezüglich der Versandkosten das Kriterium der Unvermeidbarkeit gegeben. zurück zur Übersicht _____________________________________________________________ 10. ArbG Köln: Arbeitgeber darf Laptop für Betriebsrat nicht fest montieren _____________________________________________________________ Das Arbeitsgericht Köln hat in einem Zwangsvollstreckungsverfahren entschieden, dass ein Arbeitgeber, der verpflichtet ist, dem Betriebsrat ein Laptop zur Verfügung zu stellen, dieser Verpflichtung nicht nachkommt, wenn er auf der festen Montage des Geräts besteht. Der Arbeitgeberin war durch das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 04.10.2021 aufgegeben worden, dem örtlichen Betriebsrat ein funktionsfähiges Laptop zur Verfügung zu stellen. Diese Entscheidung hat das Landesarbeitsgericht Köln am 24.06.2022 (9 TaBV 52/2) bestätigt. Die Filialdirektorin der Arbeitgeberin erklärte daraufhin gegenüber der Betriebsratsvorsitzenden, sie händige das Laptop nur unter der Voraussetzung aus, dass man ihr sage, wo sie das Laptop befestigen könne. Die Arbeitgeberin meint, mit der Verpflichtung zur Überlassung eines Laptops sei nicht der standortunabhängige Einsatz verbunden. Zudem habe sie ein Interesse daran, das Laptop durch die Befestigung vor Verlust oder Beschädigung zu sichern. Das Arbeitsgericht Köln hat entschieden, dass die Überlassung eines Laptops unter der Bedingung, dieses im Betriebsratsbüro zu befestigen, den Anspruch des Betriebsrats nicht erfüllt. Ein Laptop sei eine spezielle Bauform eines PCs, die zu den Mobilgeräten zählt und damit standortunabhängig verwendbar sei. Eine Befestigung würde damit der definitionsgemäßen Verwendungsmöglichkeit entgegenstehen. Der pflegsame Umgang mit überlassenen Sachmitteln gehöre zu den Rücksichtnahmepflichten des Betriebsrats nach dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG. Anhaltspunkte dafür, dass hier eine berechtigte Besorgnis besteht, der Betriebsrat würde dem nicht entsprechen, bestünden nicht. Arbeitsgericht Köln, Beschluss vom 10.01.2023, 14 BV 208/20. Die sofortige Beschwerde der Arbeitgeberin gegen diesen Beschluss wurde am 05.06.2023 zurückgewiesen (5 Ta 26/23)
Quelle: Pressemitteilung des ArbG Köln v. 18.07.2023
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