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Die einzelnen News
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1.
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EuGH: Kein DSGVO-Schadensersatz bei rein hypothetischem Risiko der missbräuchlichen Verwendung
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Ein rein hypothetisches Risiko der missbräuchlichen Verwendung von Daten rechtfertigt keinen Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO (EuGH, Urt. v. 25.01.2024 - Az.: C-687/21). Geklagt hatte ein Kunde der Elektronikfachmarktkette Saturn. Ein Gerät inklusive der Kauf- und Finanzierungsunterlagen war an einen falschen Kunden ausgehändigt worden. In den Dokumenten waren mehrere wichtige personenbezogene Daten (u.a. Anschrift, Arbeitgeber und Einkünfte) aufgelistet. Der Fehler wurde schnell bemerkt und korrigiert, sodass dem Kläger nur eine halbe Stunde später bereits seine Ware erhielt. Der Kläger war der Ansicht, dass ihm aufgrund des Vorfalls ein DSGVO-Schadensersatz zustünde. Dieser Ansicht hat der EuGH eine klare Absage erteilt. Ein rein hypothetisches Risiko der missbräuchlichen Verwendung genüge nicht, um den Anwendungsbereich von Art. 82 DSGVO zu eröffnen. Zuerst erwähnt das Gerichts seine erst jüngst getroffenen Entscheidungen aus Dezember 2023 noch einmal: "Der Gerichtshof hat entschieden, dass sich nicht nur aus dem Wortlaut von Art. 82 Abs. 1 DSGVO im Licht ihrer Erwägungsgründe 85 und 146, wonach der Begriff „immaterieller Schaden“ im Sinne von Art. 82 Abs. 1 weit zu verstehen ist, sondern auch aus dem mit der DSGVO verfolgten Ziel der Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für natürliche Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten ergibt, dass die durch einen Verstoß gegen die DSGVO ausgelöste Befürchtung einer betroffenen Person, ihre personenbezogenen Daten könnten von Dritten missbräuchlich verwendet werden, für sich genommen einen „immateriellen Schaden“ im Sinne von Art. 82 Abs. 1 darstellen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Dezember 2023, Natsionalna agentsia za prihodite, C‑340/21, EU:C:2023:986, Rn. 79 bis 86). Überdies hat der Gerichtshof, ebenfalls gestützt auf Erwägungen zu Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck, festgestellt, dass die betroffene Person durch den kurzzeitigen Verlust der Kontrolle über personenbezogene Daten einen „immateriellen Schaden“ im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO erleiden kann, der einen Schadensersatzanspruch begründet, sofern diese Person den Nachweis erbringt, dass sie tatsächlich einen solchen Schaden – so geringfügig er auch sein mag – erlitten hat, wobei der bloße Verstoß gegen die Bestimmungen der DSGVO nicht ausreicht, um auf dieser Grundlage einen Schadensersatzanspruch zu begründen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Dezember 2023, Gemeinde Ummendorf, C‑456/22, EU:C:2023:988, Rn. 18 bis 23)."
Dann überträgt er diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall: "Desgleichen ist im vorliegenden Fall festzustellen, dass es sowohl mit dem Wortlaut von Art. 82 Abs. 1 DSGVO als auch mit dem Schutzziel dieser Verordnung im Einklang steht, dass der Begriff „immaterieller Schaden“ eine Situation umfasst, in der die betroffene Person die begründete Befürchtung hegt – was zu prüfen Sache des angerufenen nationalen Gerichts ist –, dass einige ihrer personenbezogenen Daten künftig von Dritten weiterverbreitet oder missbräuchlich verwendet werden, weil ein Dokument, das diese Daten enthält, an einen unbefugten Dritten weitergegeben wurde, der in der Lage war, vor der Rückgabe des Dokuments Kopien von ihm anzufertigen. Gleichwohl obliegt es demjenigen, der eine auf Art. 82 DSGVO gestützte Schadensersatzklage erhebt, das Vorliegen eines solchen Schadens nachzuweisen. Insbesondere kann ein rein hypothetisches Risiko der missbräuchlichen Verwendung durch einen unbefugten Dritten nicht zu einer Entschädigung führen. Dies ist der Fall, wenn kein Dritter die fraglichen personenbezogenen Daten zur Kenntnis genommen hat. Daher ist auf die fünfte Frage zu antworten, dass Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen ist, dass in einem Fall, in dem ein Dokument, das personenbezogene Daten enthält, an einen unbefugten Dritten weitergegeben wurde, der diese Daten erwiesenermaßen nicht zur Kenntnis genommen hat, nicht schon deshalb ein „immaterieller Schaden“ im Sinne dieser Bestimmung vorliegt, weil die betroffene Person befürchtet, dass im Anschluss an die Weitergabe, die es ermöglichte, vor der Rückgabe des Dokuments eine Kopie von ihm anzufertigen, in der Zukunft eine Weiterverbreitung oder gar ein Missbrauch ihrer Daten stattfindet."
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2.
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EuG: Gültigkeit des Schutzes des LEGO-Spielbausteins bestätigt
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Seit 2010 ist der nachfolgend abgebildete Spielbaustein der dänischen Gesellschaft Lego in der Europäischen Union als Geschmacksmuster geschützt. Im Jahr 2019 erklärte das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) auf Antrag der deutschen Gesellschaft Delta Sport Handelskontor diesen Schutz für den LEGO-Stein für nichtig. Das EUIPO vertrat die Ansicht, dass alle Erscheinungsmerkmale des LEGO-Steins ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt seien, die darin bestehe, den Zusammenbau mit anderen Bausteinen des Spiels und die Zerlegung zu ermöglichen. Im Jahr 2021 hob das Gericht die Entscheidung des EUIPO jedoch auf. Das EUIPO erließ daraufhin eine neue Entscheidung, mit der der Antrag von Delta Sport Handelskontor auf Nichtigerklärung zurückgewiesen wurde. Es vertrat die Ansicht, dass der Schutz für den LEGO-Stein nicht für nichtig zu erklären sei, da für diesen eine im Unionsrecht vorgesehene spezifische Ausnahme gelte, die den Schutz modularer Systeme ermögliche. Im Jahr 2022 hat Delta Sport Handelskontor Klage beim Gericht erhoben und beantragt, diese neue Entscheidung des EUIPO aufzuheben. Mit seinem heutigen Urteil weist das Gericht diese Klage ab. Unter Heranziehung und Ergänzung seiner Rechtsprechung stellt es fest, dass ein Geschmacksmuster nur dann für nichtig erklärt wird, wenn alle seine Merkmale vom Schutz ausgenommen sind. Im vorliegenden Fall betreffen einige Argumente von Delta Sport Handelskontor nur ein einziges von mehreren vom EUIPO herangezogenen Merkmalen und werden daher als ins Leere gehend zurückgewiesen. Das Gericht stellt zudem fest, dass Delta Sport Handelskontor, die insoweit die Beweislast trägt, keine Nachweise dafür beigebracht hat, dass das Geschmacksmuster des Lego-Spielsteins bestimmte Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Ausnahme zum Schutz modularer Systeme, nämlich Neuheit und Eigenart, nicht erfüllt. Urteil des Gerichts in der Rechtssache T-537/22 | Delta Sport Handelskontor / EUIPO - Lego (Baustein eines Spielbaukastens) Quelle: Pressemitteilung des EuG v. 24.01.2024
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3.
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EuGH: Automobilhersteller Audi kann Benutzung eines ähnliches Zeichens für Ersatzteile verbieten
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Ein Automobilhersteller kann die Benutzung eines Zeichens, das mit der Marke, deren Inhaber er ist, identisch oder ihr ähnlich ist, für Ersatzteile verbieten Das gilt dann, wenn das Ersatzteil ein Element enthält, das für die Anbringung des Emblems dieses Herstellers gedacht ist und in seiner Form dieser Marke ähnlich oder mit ihr identisch ist Der Automobilhersteller Audi ist Inhaber der folgenden Unionsbildmarke: (…) Sie ist u. a. für Fahrzeuge, Ersatzteile und Autozubehör eingetragen. Diese Marke wird als Audi-Emblem wiedergegeben und benutzt. Ein polnischer Händler bietet nachgebaute, auf ältere Audi-Fahrzeuge angepasste Kühlergrills zum Kauf an und macht auf seiner Webseite Werbung dafür. Diese Kühlergrills enthalten ein Teil, dessen Form dieser Marke ähnlich oder mit ihr identisch ist und das für die Anbringung des Audi-Emblems gedacht ist. Audi hat diesen Händler verklagt. Ihm soll verboten werden, nachgebaute Kühlergrills, die ein mit der Marke AUDI identisches oder ihr ähnliches Zeichen enthalten, zu vermarkten. Das mit dieser Klage befasste polnische Gericht möchte wissen, welchen Umfang der Schutz aus dieser Marke hat. Es hat sich an den Gerichtshof gewandt, um zu klären, ob die Vermarktung von Autoersatzteilen wie der in Rede stehenden Kühlergrills nach dem Unionsrecht eine „Benutzung eines Zeichens im geschäftlichen Verkehr“ darstellt, die die Funktionen der Marke AUDI beeinträchtigen kann. Es fragt sich auch, ob der Inhaber dieser Marke einem Dritten eine solche Benutzung verbieten kann. In seinem Urteil bejaht der Gerichtshof dies. Er stellt zunächst fest, dass die für Geschmacksmuster vorgesehene Reparaturklausel nicht anwendbar ist. Sodann führt er aus, dass im vorliegenden Fall die Kühlergrills nicht vom Inhaber der Marke AUDI stammen und ohne seine Zustimmung auf den Markt gebracht werden. Das Teil, das für die Anbringung des Audi-Emblems gedacht ist, ist für ihre Vermarktung durch den Dritten in die Kühlergrills integriert. Es ist für das Publikum, das ein solches Ersatzteil kaufen will, sichtbar. Dies könnte einen sachlichen Zusammenhang zwischen dem fraglichen Ersatzteil und dem Inhaber der Marke AUDI darstellen. Daher kann eine solche Benutzung die Funktionen der Marke, die u. a. darin bestehen, die Herkunft oder die Qualität der Ware zu garantieren, beeinträchtigen. Der Gerichtshof überlässt es dem nationalen Gericht, zu prüfen, ob das fragliche Teil des Kühlergrills mit der Marke AUDI identisch oder ihr ähnlich ist und ob der Kühlergrill mit einer oder mehreren Waren, für die diese Marke
eingetragen ist, identisch oder ihnen ähnlich ist. Wenn das nationale Gericht der Auffassung ist, dass die Marke AUDI in der Union bekannt ist, muss ihr Inhaber allerdings unter bestimmten Bedingungen verstärkten Schutz genießen. In diesem Fall spielt es keine Rolle, ob die fraglichen Kühlergrills und die Waren, für die diese Marke eingetragen ist, identisch, ähnlich oder verschieden sind. Der Gerichtshof bestätigt auch, dass das Unionsrecht, wenn die Wahl der Form des Teils, das für die Anbringung des Emblems des Automobilherstellers gedacht ist, von dem Willen geleitet ist, einen Kühlergrill zu vermarkten, der dem Originalkühlergrill so getreu wie möglich ähnelt, das ausschließliche Recht dieses Herstellers und Inhabers der Marke, die Benutzung eines identischen oder ähnlichen Zeichens zu verbieten, nicht beschränkt. Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-334/22 | Audi (Emblemhalterung auf einem Kühlergrill) Quelle: Pressemitteilung des EuGH v. 25.01.2024
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4.
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EuGH: Zeichen "NOAH" als Marke für Polohemden und Sweater kann weiterhin als Marke eingetragen bleiben
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Das Gericht bestätigt, dass das Bildzeichen NOAH als Unionsmarke für „Polohemden“ und „Sweater“ weiter eingetragen bleiben kann Im Jahr 2008 ließ Herr Yannick Noah, ehemaliger französischer Tennisspieler, beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) folgendes Bildzeichen als Unionsmarke eintragen: (…) Diese Eintragung betraf u. a. Waren aus Leder und Lederimitationen, Bekleidungsstücke einschließlich Polohemden und Sweatern sowie Spiele und Spielzeug. Im Jahr 2019 stellte die Noah Clothing LLC, eine Gesellschaft mit Sitz in New York (Vereinigte Staaten), die Bekleidung vermarktet, beim EUIPO einen Antrag auf Erklärung des Verfalls dieser Marke mit der Begründung, dass sie innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren in der Europäischen Union für sämtliche betroffenen Waren nicht ernsthaft benutzt worden sei. Im Juli 2022 erklärte das EUIPO die angegriffene Marke für alle in Rede stehenden Waren mit Ausnahme von „Polohemden“ und „Sweater“ für verfallen. Die Noah Clothing LLC beantragt, die Entscheidung des EUIPO aufzuheben, soweit dieses die angegriffene Marke nicht auch für „Polohemden“ und „Sweater“ für verfallen erklärt hat. Das Gericht weist diese Klage ab. Es stellt fest, dass der Umstand, dass die angegriffene Marke von ihrem Inhaber in einer Form benutzt wurde, die sich leicht von ihrer eingetragenen Form unterscheidet, da sie zusätzlich den ersten Buchstaben des Vornamens von Herrn Yannick Noah, nämlich den Großbuchstaben „Y“, gefolgt von einem Punkt, enthielt, ihre ursprüngliche Unterscheidungskraft nicht beeinflusst hat. Somit entspricht die Form dieser Marke, wie sie im geschäftlichen Verkehr benutzt wurde, insgesamt ihrer eingetragenen Version. Das Gericht stellt auch fest, dass die angegriffene Marke im Hinblick auf den Vertrieb von „Pullundern“ benutzt wurde, d. h. von Waren, die von ihrer Eintragung nicht ausdrücklich erfasst sind, was die Relevanz dieser Benutzung für den Nachweis einer ernsthaften Benutzung aber nicht in Frage stellt. Diese Bekleidungsstücke sind nämlich wie Sweater dazu bestimmt, den Oberkörper zu bedecken, so dass sie auch als „Sweater“ eingestuft werden können, die von dieser Eintragung erfasst sind.
Schließlich bestätigt das Gericht, insbesondere unter Berücksichtigung einer relativ konstanten Vermarktung im maßgeblichen Zeitraum und der Marketingstrategie in Form einer limitierten Auflage der Bekleidung, dass der Inhaber der angegriffenen Marke diese für „Polohemden“ und „Sweater“ tatsächlich ernsthaft benutzt hat. Urteil des Gerichts in der Rechtssache T-562/22 | Noah Clothing / EUIPO – Noah (NOAH) Quelle: Pressemitteilung des EuGH v. 24.01.2024
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BAG: Arbeitnehmer, der Jahresurlaub nicht nehmen konnte, hat Anspruch auf finanzielle Vergütung
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Ein Arbeitnehmer, der nicht seinen gesamten Jahresurlaub nehmen konnte, bevor er auf eigenen Wunsch aus dem Dienst ausgeschieden ist, hat Anspruch auf eine finanzielle Vergütung Die Mitgliedstaaten können sich zur Beschränkung dieses Anspruchs nicht auf Gründe im Zusammenhang mit der Eindämmung öffentlicher Ausgaben berufen Ein im öffentlichen Dienst beschäftigter Arbeitnehmer war von Februar 1992 bis Oktober 2016 als Verwaltungsleiter bei der italienischen Gemeinde Copertino tätig. Er schied aus dem Dienst aus, um in den vorzeitigen Ruhestand einzutreten, und verlangte eine finanzielle Vergütung für die während seines Arbeitsverhältnisses nicht genommenen 79 Tage bezahlten Jahresurlaubs. Die Gemeinde Copertino trat diesem Begehren entgegen und berief sich dabei auf die in den italienischen Rechtsvorschriften enthaltene Regel, wonach die im öffentlichen Dienst beschäftigten Arbeitnehmer anstelle des bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen bezahlten Jahresurlaubs in keinem Fall Anspruch auf eine finanzielle Vergütung haben. Das mit dem Rechtsstreit zwischen dem Arbeitnehmer und der Gemeinde Copertino befasste italienische Gericht hat Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Regel mit dem Unionsrecht. Nach der Arbeitszeitrichtlinie1 hat nämlich ein Arbeitnehmer, der seinen gesamten bezahlten Jahresurlaub vor dem Ende seines Arbeitsverhältnisses nicht nehmen konnte, Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub. Mit seinem Urteil bestätigt der Gerichtshof, dass das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegensteht, die es verbietet, dem Arbeitnehmer eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub zu zahlen, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis auf eigenen Wunsch beendet. Hinsichtlich der vom italienischen Gesetzgeber mit dem Erlass der betreffenden nationalen Regelung verfolgten Ziele weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Anspruch der Arbeitnehmer auf bezahlten Jahresurlaub, einschließlich seiner etwaigen Ersetzung durch eine finanzielle Vergütung, nicht rein wirtschaftlichen Überlegungen wie der Eindämmung öffentlicher Ausgaben untergeordnet werden darf. Demgegenüber entspricht das Ziel in Bezug auf die organisatorischen Erfordernisse des öffentlichen Arbeitgebers für die ordnungsgemäße Planung des Urlaubszeitraums der Zielsetzung der Richtlinie, die darin besteht, dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zu erholen, und ihn dazu anzuhalten, seinen Urlaub in Anspruch zu nehmen. Somit kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass das Unionsrecht nur dann nicht dem Verlust dieses Anspruchs entgegensteht, wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaub aus freien Stücken nicht genommen hat, obwohl ihn der Arbeitgeber dazu aufgefordert und über das Risiko des Verlusts dieses Anspruchs am Ende eines Bezugs- oder zulässigen Übertragungszeitraums informiert hat. Folglich verstoßen das Erlöschen des Urlaubsanspruchs am Ende des Bezugs- oder zulässigen Übertragungszeitraums und – bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – das entsprechende Ausbleiben der Zahlung einer finanziellen Vergütung für den nicht genommenen Jahresurlaub gegen Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2003/88 und gegen Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen
Union, wenn der Arbeitgeber nicht nachweisen kann, dass er mit aller gebotenen Sorgfalt gehandelt hat, um den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage zu versetzen, den ihm zustehenden bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-218/22 | Comune di Copertino Quelle: Pressemitteilung des EuGH v. 18.01.2024
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6.
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OLG Frankfurt a.M.: Facebook muss auch rechtswidrige Postings löschen, die sinngleich oder kerngleich sind
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Die konkrete Kenntnis eines rechtsverletzenden Posts (hier: Falschzitat) verpflichtet einen Plattformbetreiber - hier Meta -, auch andere sinngleiche Äußerungen zu löschen. Der Umstand, dass die Bewertung automatisiert aufgefundener sinngleicher Äußerungen teilweise einer kontextgebundenen menschlich-händischen Überprüfung bedarf, führt nicht zur Unzumutbarkeit. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) bestätigte mit heute verkündeter Entscheidung den eingeklagten Unterlassungsanspruch. Die Klägerin ist Politikerin und für die Fraktion Bündnis90/Die Grünen im Bundestag. Sie wendet sich u.a. gegen ein sog. Meme, das über die von der Beklagten betriebene Plattform Facebook gepostet wurde. Es zeigt die Klägerin mit Bild und unter Nennung ihres Vor- und Zunamens sowie der als Zitat gekennzeichneten Äußerung: „Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal türkisch lernen!“. Diese Äußerung hat die Klägerin unstreitig nie getätigt. Das Landgericht hatte die Beklagte hinsichtlich dieses Meme verpflichtet, es zu unterlassen, identische oder kerngleiche Inhalte auf der Plattform öffentlich zugänglich zu machen und sie zudem zur Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 10.000,00 € verurteilt. Die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten hatte nur hinsichtlich der Verurteilung zur Zahlung einer Geldentschädigung, nicht aber hinsichtlich der Unterlassungsverpflichtung Erfolg. Das Landgericht habe der Klägerin zutreffend einen Unterlassungsanspruch zuerkannt, bestätigte das OLG. Das Falschzitat stelle einen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin dar. Es verletze sie in ihrem Recht am eigenen Wort. Die Beklagte hafte als so genannte mittelbar verantwortliche Störerin auch dafür, dass sie es zu unterlassen habe, alle weiteren identischen oder kern- bzw. sinngleichen Posts zu diesem Post zu löschen, betonte das OLG. Durch die mit anwaltlichem Schreiben erfolgte Übermittlung der konkreten URLs hinsichtlich der von der Klägerin angegriffenen Posts habe die Beklagte unmittelbar Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt. Zudem werde in dem Schreiben definiert, was die Klägerin unter sinngleich verstehe. Diese Kenntnis und Information habe eine Prüf- und Verhaltenspflicht hinsichtlich der Existenz sinngleicher Inhalte ausgelöst, die ebenfalls zu löschen gewesen wären. Die Beklagte treffe - nach der E-Commerce-Richtlinie - zwar keine allgemeine Überwachungs- und aktive Nachforschungspflicht hinsichtlich rechtswidriger Inhalte. Die konkrete Kenntnis der Rechtsverletzung verpflichte die Beklagte jedoch, künftig derartige Störungen zu verhindern. Dies gelte nicht nur für wortgleiche Inhalte, sondern auch dann, wenn die darin enthaltenen Mitteilungen sinngemäß ganz oder teilweise Gegenstand einer erneuten Äußerung seien. Bei der Nachforschung nach derartigen sinngleichen Äußerungen müsse zwar nach der Rechtsprechung des EuGH aus Gründen der Zumutbarkeit auf „automatisierte Techniken und Mittel“ zurückgegriffen werden können. Dies sei hier jedoch auch grundsätzlich der Fall. Der Umstand, dass es in Fällen der Wiedergabe des Meme mit eigenen Zusätzen (sog. Caption) einer Sinndeutung bedürfe, so dass nicht rein automatisiert vorgegangen werden könne, stehe dem nicht entgegen. Der Senat fordere keine - europarechtswidrige - autonome rechtliche Prüfung des Inhalts solcher Posts, die sich vom Ursprungspost lösen. Der Beklagten werde nur die Beurteilung auferlegt, ob die Unterschiede aufgrund der abweichenden Gestaltung gegenüber dem Meme nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Empfängers bewirkten, dass erkennbar werde, dass ein Falschzitat vorliege oder nicht. Diese menschlich-händische Einzelfallbewertung sei in Kombination mit technischen Verfahren automatisch erkannter bereits hochgeladener Inhalte zumutbar. Im Übrigen könne mithilfe des Einsatzes sog. KI-Systeme eine weitere automatische Vorfilterung erfolgen. Der Klägerin stehe jedoch kein Anspruch auf Geldentschädigung zu. Dabei könne offenbleiben, ob bei einer hartnäckigen Verweigerung, einem Unterlassungsanspruch nachzukommen, ein solcher Anspruch begründet sei. Hier fehle es jedenfalls an einer solchen hartnäckigen Verweigerung. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Beklagte als sog. Hostprovider eine Prüf- und Verhaltenspflicht in Bezug auf sinngleiche Inhalte treffe, die Revision zugelassen. Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 25.1.2024, Az. 16 U 65/22 (vorausgehend LG Frankfurt am Main, Urteil vom 8.4.2022, Az. 2-03 O 188/21) Quelle: Pressemitteilung des OLG Frankfurt a.M. v. 25.01.2024
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OLG Hamburg: 4.000,- EUR DSGVO-Schadensersatz für unerlaubte Bank-Meldung an SCHUFA
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Meldet eine Bank grob pflichtwidrig unerlaubte Forderungen an die SCHUFA, hat der Betroffene einen Anspruch auf DSGVO-Schadensersatz iHv. 4.000,- EUR (OLG Hamburg, Urt. v. 10.01.2024 - Az.: 13 U 70/23). Die verklagte Bank meldete, ohne dass die gesetzlichen Voraussetzungen vorlagen, ihre Forderungen, die den Kläger betrafen, an die SCHUFA. Eine solche Datenschutzverletzung rechtfertige insgesamt einen Schadensersatz iHv. 4.000,- EUR, so die Hamburger Richter, wenn konkrete negative Konsequenzen eintreten. Dies war im vorliegenden Fall gegeben, da einzelne Finanzinstitute ihre Geschäftsbeziehungen reduzierten: "Hierdurch ist dem Kläger auch ein ersatzfähiger immaterieller Schaden entstanden. Das Landgericht hat sorgfältig und überzeugend begründet, dass der Kläger durch die zweifache unberechtigte Meldung an die Schufa eine Beeinträchtigung seines sozialen Ansehens durch die Darstellung als unzuverlässiger Schuldner hinnehmen musste. Der Kläger hat zudem belegt, dass sich aus der Auskunft der Schufa und der verschlechterten Einschätzung des Bonitätsrisikos konkrete negative Konsequenzen in Bezug auf die Gewährung eines Kredits durch die ING (…) sowie die Sperrung seiner Kreditkarte bei der Hanseatic Bank (…) ergeben haben."
Hinsichtlich der Höhe führen die Juristen aus: "Bei der Bemessung des danach zuzuerkennenden Schmerzensgeldes sind nach Auffassung des Berufungsgerichts jedoch nicht alle Umstände hinreichend gewichtet worden. (…) Maßgeblich sind hiernach die im deutschen Recht für die Schmerzensgeldbemessung maßgeblichen Kriterien, womit die Höhe des Ersatzanspruchs auf Grund einer Würdigung der Gesamtumstände des Falls unter Berücksichtigung der dem Schmerzensgeld zukommenden Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion festzusetzen ist. Danach muss zum einen dem Umstand, dass auf Seiten der Beklagten jedenfalls bedingter Vorsatz angenommen werden muss, besondere Bedeutung beigemessen werden. Die Beklagte hat die erste Meldung vorgenommen, obwohl der Kläger die Forderung auf ihren eigenen Hinweis hin, dass eine Meldung an die Schufa (nur dann) erfolgen werde, sofern er die Forderung nicht bestritten habe, mit Schreiben vom 1.12.2019 (…) ausdrücklich bestritten hat. Auch die zweite Meldung erfolgte trotz weiteren Bestreitens durch den Kläger (…), seiner Aufforderung zur Löschung und einer zwischenzeitlich erfolgten Löschung durch die Schufa selbst (…)."
Da die verklagte Bank besonders pflichtwidrig gehandelt habe, sei ein erhöhter Schadensersatz-Betrag iHv. 2.000,- EUR pro Verstoß anzunehmen. Da zwei unerlaubte Meldungen erfolgt seien, betrage der Gesamtwert somit 4.000,- EUR: "Ein solches Verhalten kann nicht anders gedeutet werden, als dass die Beklagte wissentlich und jedenfalls unter billigender Inkaufnahme des als möglich erkannten pflichtwidrigen Erfolges ihre Pflichten aus der DSGVO verletzt hat. Hinzu kommt, dass die Beklagte sich trotz Aufforderung durch den Kläger und Darlegung der Rechtswidrigkeit der Meldung geweigert hat, den Negativeintrag zu widerrufen. Unter Berücksichtigung der dargestellten Umstände und im Hinblick auf einen kürzlich vom Senat entschiedenen vergleichbaren Fall, wo es weder zu konkreten Auswirkungen durch die Schufa-Meldung gekommen war noch ein vorsätzliches Vorgehen der Beklagten festgestellt werden konnte (13 U 71/21) und vom Senat ein Schmerzensgeld in Höhe von € 1.000,- je Meldung zuerkannt worden war, wird ein deutlich höherer Betrag in Höhe von € 2.000,- je Meldung, mithin insgesamt € 4.000,00 als angemessen, aber auch als ausreichend erachtet, so dass die weitergehende Berufung zurückzuweisen ist."
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OLG Karlsruhe: Erstattung von Abmahnkosten nur dann, wenn in Abmahnung Kostenberechnung klar erläutert wird
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Eine Erstattung von Abmahnkosten aus einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung sind nur dann möglich, wenn in dem Abmahnschreiben klar und verständlich die Kostenberechnung erläutert wird. Hierfür genügt es nicht, wenn nur der Streitwert und die Gesamtkosten erwähnt werden (OLG Karlsruhe, Urt. v. 14.01.2024 - Az.: 6 U 28/23). Es ging um die Bezahlung von Abmahnkosten aus einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung. Die Klägerseite verlangte die Bezahlung. Die Beklagtenseite wandte ein, dass in der Abmahnung nicht hinreichend die Umstände der Abmahnkosten erläutert würden. Zu Recht, wie das OLG Karlsruhe nun entschied und die Klage hinsichtlich der Abmahnkosten abwies: "Die Abmahnung gibt zwar (…) eine Höhe des geltend gemachten Aufwendungsersatzanspruchs und deren Einforderung an. Sie genügt aber nicht der Anforderung, diese Angabe klar und verständlich zu machen und dabei anzugeben, wie sich der Aufwendungsersatzanspruch berechnet. Die Abmahnung gibt nur an, die zu erstattenden Kosten machten aufgrund eines Streitwerts von 10.000 € einen Betrag von 1.192,86 € aus. Sie gibt weder an, welche Art von Gebühr(en) und welcher Gebührensatz der Berechnung zugrunde liegen, noch ob in dem geforderten Betrag Umsatzsteuer enthalten ist."
Und weiter: "Dabei kann dahinstehen, ob eine Angabe des geforderten Betrags in Verbindung mit einer Angabe des Gegenstandswerts genügt, wenn der Abgemahnte aus diesen Angaben durch eigene Rück- oder Proberechnung erschließen kann, dass eine der Kostenforderung eine – regelmäßig angesetzte – 1,3-fachen Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV-RVG bei nebst Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen in Höhe von 20 % der Gebühren, höchstens 20 € zugrundeliegt, wobei sich aus dem angegeben Kostenbetrag ferner erschließen lässt, ob diese mit oder ohne Umsatzsteuer erstattet verlangt wird (siehe aber etwa MünchKommUWG/Schlingloff, 3. Aufl., UWG § 13 Rn. 255). Dies ist im Streitfall nämlich ebenso wenig möglich wie sonstige Berechnungen zur Feststellung, welche Parameter zu dem in der Abmahnung genannten Kostenbetrag führen konnten. Bei dem angegebenen Streitwert von 10.000 € würden sich Gebühren in Höhe einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr und einer Pauschale von 20 € selbst zuzüglich Umsatzsteuer lediglich auf 973,66 € belaufen. Es ist der Abmahnung nicht zu entnehmen, welche anderen (höheren) Ansätze eines Streitwerts und/oder Gebührensatzes mit oder ohne Umsatzsteuer zu dem von der Abmahnung genannten Betrag geführt haben könnte."
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OLG Stuttgart: Litigation-PR genießt nicht privilegierte Äußerungen einer Strafverteidigung
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Mit Urteil vom heutigen Tag hat der 4. Zivilsenat unter Vorsitz von Vorsitzendem Richter am Oberlandesgericht Markus Geßler die Berufung einer Strafverteidigerin des Inspekteurs der Polizei Baden-Württemberg gegen das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 3. August 2023 (Aktenzeichen 11 O 82/23) als unbegründet zurückgewiesen. Der Senat hat damit das landgerichtliche Urteil im einstweiligen Verfügungsverfahren (Eilrechtsschutz) bestätigt, mit dem der Strafverteidigerin mehrere Äußerungen in einer Presseerklärung im Zusammenhang mit dem vor der 5. Großen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart geführten Strafverfahren Az. 5 KLs Js 118377/21 untersagt wurden. Sachverhalt und Entscheidung des Landgerichts Die Verfügungsbeklagte (im folgenden Beklagte) ist eine Strafverteidigerin des Inspekteurs der Polizei Baden-Württemberg, gegen den beim Landgericht Stuttgart ein Strafverfahren wegen sexueller Nötigung der hiesigen Verfügungsklägerin (im folgenden Klägerin) geführt wurde (Az. 5 KLs Js 118377/21) und das am 14. Juli 2023 mit einem Freispruch endete. Dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die vorliegend in Rede stehende Presseerklärung enthielt mehrere Äußerungen zu der Klägerin und wurde von der Beklagten vor Beginn der Hauptverhandlung am 21. April 2023 an Medienvertreter verteilt. Auf Antrag der Klägerin hatte das Landgericht Stuttgart der Beklagten im Wege der einstweiligen Verfügung untersagt in Bezug auf die Klägerin zu behaupten, a) „Die Staatsanwaltschaft Stuttgart erhebt Anklage aufgrund der Aussage der Anzeigenerstatterin, die … nachweislich mehrfach zu dem Verlauf des Abends mit Andreas R. gegenüber der Polizei die Unwahrheit gesagt hat.“ und/oder b) dass die Verfügungsklägerin „zu einem anderen, deutlich älteren und verheirateten Vorgesetzten im Innenministerium seit Monaten ein intimes Verhältnis unterhalten hat“ und/oder c) „In einer Sprachnachricht an diesen Liebhaber hat die Anzeigenerstatterin unmittelbar nach dem Abend mit Andreas R. selbst ausgeführt, dass sie genau gewusst habe, was sie tue, man könne nichts auf den Alkohol schieben.“ und/oder d) „Wir haben es hier mit einer Anzeigenerstatterin zu tun, deren beruflicher und persönlicher Lebensweg dadurch geprägt war, dass sie bewusst ältere, höher gestellte Männer suchte, um die Kontakte zu ihrem eigenen Vorteil auszunutzen.“ jeweils wenn dies geschieht wie im Rahmen der „Presseerklärung vom 21. April 2023 der Verteidigung des Angeklagten Andreas R.“
Entscheidung des 4. Zivilsenats Mit ihrer dagegen gerichteten Berufung verfolgte die Beklagte die Abänderung des landgerichtlichen Urteils und die Abweisung der Unterlassungsklage. Mit Urteil vom heutigen Tag hat der 4. Zivilsenat die Berufung zurückgewiesen. Zwar werde ein Rechtsanwalt, soweit er sich im Interesse eines Mandanten äußere, nicht als Privatperson tätig, sondern in seiner Funktion als Rechtsanwalt und Vertreter seines Mandanten, dies regelmäßig in dessen Namen und in Vollmacht. Vorliegend handele es sich aber schon nach dem Einleitungssatz der Pressemitteilung nicht um eine Erklärung des Inspekteurs der Polizei, sondern um eine ausdrücklich persönliche Erklärung der Beklagten im eigenen Namen. Die in Rede stehenden Äußerungen seien keine privilegierten Äußerungen einer Strafverteidigung im Rahmen des Strafverfahrens, sondern eine sogenannte Litigation-PR, mit der die Kommunikation der Verteidigung nach außen strategisch gesteuert werden sollte. Bei einer solchen Pressearbeit als Öffentlichkeitsarbeit neben einem Strafverfahren seien die gleichen Grundsätze zu beachten, die für öffentliche Äußerungen gelten. Danach beeinträchtigten die Äußerungen die Klägerin in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, da sie sich kritisch mit deren Verhalten im Ermittlungsverfahren beschäftigten und in ihrem sozialen Geltungsanspruch beeinträchtigten. Die erforderliche Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Klägerin und dem Äußerungsrecht der Beklagten führe zu einem Vorrang der schützenswerten Interessen der Klägerin. Die Aussage, die Klägerin habe „nachweislich mehrfach zu dem Verlauf des Abends mit Andreas R. gegenüber der Polizei die Unwahrheit gesagt“, sei eine unwahre und für eine Polizistin als Berufszeugin ehrenrührige Tatsachenbehauptung, die die Klägerin nicht hinnehmen müsse. Denn die für die Wahrheit ihrer Behauptung beweisbelastete Beklagte sei insoweit beweisfällig geblieben. Das Strafurteil sei nicht rechtskräftig und deshalb als solches im einstweiligen Verfügungsverfahren noch kein taugliches Beweismittel für eine Glaubhaftmachung. Die Behauptung der Beklagten zu einem intimen Verhältnis der Klägerin zu einem Vorgesetzten im Innenministerium sei unstreitig unwahr und betreffe die Privatsphäre der Klägerin. Auf ein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse könne sich die Beklagte nicht berufen, insbesondere auch nicht aus dem erklärten Ziel, einer öffentlichen Vorverurteilung ihres Mandanten vorzubeugen. Denn es sei nicht Aufgabe einer Strafverteidigerin, die Öffentlichkeit über ein Strafverfahren zu informieren. Bei der Veröffentlichung des (wesentlichen) Inhalts einer Sprachnachricht handele es sich um Inhalte, die dem Bereich der Privat- beziehungsweise Geheimsphäre zuzuordnen seien. Die Wiedergabe des Inhalts einer solch vertraulichen Kommunikation sei regelmäßig rechtswidrig, ohne dass es auf den Wahrheitsgehalt dieser Informationen ankomme. Es bleibe ohne Relevanz, dass die Sprachnachricht in der öffentlichen Hauptverhandlung des Strafverfahrens thematisiert worden sei, denn hierdurch sei diese nicht Teil der Sozialsphäre geworden. Bei den Äußerungen zum beruflichen und persönlichen Lebensweg handele es sich um eine Meinungsäußerung mit einem Tatsachenkern, der mangels hinreichender Anknüpfungstatsachen als rechtswidrig anzusehen sei. Die Aussage beeinträchtige die Klägerin dazuhin in ihrem sozialen Achtungsanspruch und in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, weil sie damit als berechnende nur auf ihren eigenen Vorteil bedachte Person dargestellt werde, die Gefühle insoweit zurückstelle. Eine Revision gegen das im einstweiligen Verfügungsverfahren ergangene Urteil ist nicht eröffnet. Das Urteil ist damit rechtskräftig. Aktenzeichen OLG Stuttgart: 4 U 129/23 LG Stuttgart: 11 O 92/23 Quelle: Pressemitteilung des OLG Stuttgart v. 24.01.2024
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LAG Kiel: Rechtfertigt Schwenken eines Filetiermessers eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses?
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Wer mit einem äußerst scharfen Filetiermesser hantiert, muss besonders sorgfältig agieren, um Verletzungen von Kollegen auszuschließen. Nicht jeder Fehlgebrauch rechtfertigt aber eine Kündigung ohne vorherige einschlägige Abmahnung. Dies hat wie bereits zuvor das Arbeitsgericht Lübeck (3 Ca 1157/22) das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (5 Sa 5/23) am 13. Juli 2023 entschieden. Der 29-jährige Kläger ist bei der Beklagten, die mehr als 10 Mitarbeiter beschäftigt, seit Juni 2019 als Industriemechaniker beschäftigt. Am 1. Juni 2022 arbeitete er mit einer Mitarbeiterin und einem Mitarbeiter an einem Probierstand. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger der Mitarbeiterin ein Filetiermesser mit einer Klingenlänge von 20 cm mit einem Abstand von 10 bis 20 cm an den Hals hielt und damit deren Leib und Leben bedrohte. Die Beklagte kündigte dem Kläger daraufhin mit Kündigung vom 14. Juli 2022 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31. Oktober 2022. Die Kündigungsschutzklage des Klägers war in zwei Instanzen erfolgreich. Sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung sind unwirksam. Es fehlt an einem hinreichenden Kündigungsgrund. Z war kommt eine ernstliche Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben u.a. von Arbeitskollegen als „an sich“ als wichtiger Grund für eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung in Betracht. Dies setzt aber voraus, dass der Arbeitnehmer mit dem Willen handelt, dass der Kollege die Drohung zur Kenntnis nimmt und als ernst gemeint auffasst. Selbst den Vortrag der Beklagten als zutreffend unterstellt kann jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts auf einen bedingten Vorsatz beim Kläger geschlossen werden. Vielmehr ist es auch möglich, dass der Kläger das Messer schlicht in der rechten Hand haltend sich mit dem Oberkörper zur Mitarbeiterin gedreht hat und bei dieser Drehbewegung dessen rechte Hand mit dem Messer nahe an deren Hals gelangt ist. Die Kündigungen können aber auch nicht darauf gestützt werden, dass der Kläger allein durch das Hantieren mit dem Messer Leib und Leben der Mitarbeiterin objektiv und fahrlässig gefährdet hat. Der unsachgemäße Umgang mit einem Messer stellt zwar eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar. Diese hätte nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz den Ausspruch einer fristlosen oder fristgerechten Kündigung nur gerechtfertigt, wenn der Kläger zuvor wegen einer ähnlichen Pflichtverletzung abgemahnt worden wäre. Insbesondere steht auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht zur Überzeugung des Landesarbeitsgerichts fest, dass der Kläger das Messer bewusst und aktiv an den Hals der Mitarbeiterin gehalten hat. Die Entscheidung ist rechtskräftig. Quelle: Pressemitteilung des LAG Kiel v. 16.01.2024
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