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Newsletter vom 31.05.2023
Betreff: Rechts-Newsletter 22. KW / 2023: Kanzlei Dr. Bahr


1. EuGH: Vergessene Widerrufsbelehrung bei vollständig erbrachter Dienstleistung = kein Vergütungsanspruch und kein Wertersatz

1. EuGH: Grundsatz des Sendestaats gilt auch für grenzüberschreitende Programmverbreitung über Satelliten

2. EuG: DSGVO nicht anwendbar bei Pseudonym mit relativem Personenbezug, wenn Datenempfänger keine Mittel zur Re-Identifizierung hat

3. EuG: Der Begriff "Emmentaler" kann nicht als Unionsmarke für Käse geschützt werden

4. BGH: Auslistungsbegehren gegen Internet-Suchdienst Google

5. OLG Hamm: Drohnenaufnahmen nicht von der urheberrechtlichen Panoramafreiheit gedeckt

6. OVG Münster: Widerruf einer Inkassolizenz wegen Eintreibung von Geldern aus unlauteren Geschäftsmodellen

7. OLG Schleswig: YouTube darf für bestimmte Videos auch gegen Creator-Willen Altersbeschränkungen festlegen

8. VG Hamburg: Leichtfertiges Liken von rechtsextremen Facebook-Inhalten rechtfertigt keine Entlassung eines Soldaten

9. LG Koblenz: Neben Kündigungsbutton auch weitere Beendigungsmöglichkeit auf Webseite erlaubt ("1und1.de")

10. VG Koblenz: Glücksspielrechtliche Sperrungsanordnung gegenüber TK-Anbieter rechtswidrig

Die einzelnen News:

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1. EuGH: Grundsatz des Sendestaats gilt auch für grenzüberschreitende Programmverbreitung über Satelliten
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Ein Satellitenbouquet-Anbieter, der verpflichtet ist, für eine Handlung in Form der öffentlichen Wiedergabe, an der er mitwirkt, die Zustimmung der Inhaber der betreffenden Urheberrechte und verwandten Schutzrechte einzuholen, muss diese Zustimmung folglich nur in dem Mitgliedstaat einholen, in dem die programmtragenden Signale in die zum Satelliten führende Kommunikationskette eingegeben werden Bei der Klägerin des Ausgangsverfahrens, der Staatlich genehmigten Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger regGenmbH (AKM), handelt es sich um eine österreichische Verwertungsgesellschaft für Urheberrechte.

Sie verfügt für Werke der Tonkunst über eine Betriebsgenehmigung mit der Befugnis zur treuhändigen Wahrnehmung von Senderechten im österreichischen Hoheitsgebiet. Bei der Gesellschaft Canal+ Luxembourg Sàrl (im Folgenden: Canal+) handelt es sich um einen in Luxemburg ansässigen Fernsehbetreiber, der in Österreich Pakete verschlüsselter Programme (Satellitenbouquets) mehrerer in anderen Mitgliedstaaten ansässiger Sendeunternehmen über Satellit in hoher Auflösung (High Definition) und in Standardauflösung (Standard Definition) anbietet.

Die Eingabe der jeweiligen programmtragenden Satellitensignale in die Kommunikationskette (Uplink) erfolgt zum überwiegenden Teil durch die Sendeunternehmen selbst, in wenigen Fällen durch Canal+, in den anderen Mitgliedstaaten. Versendet wird ein Sendestream, in dem das gesamte Programm in High-Definition-Qualität mit zusätzlichen Informationen wie Audiodaten oder Untertiteldaten enthalten ist. Nach „Rücksendung“ durch den Satelliten wird der Stream mittels Satelliten-Empfangsanlage innerhalb des Sendegebiets empfangen. Dabei wird der Stream geteilt, und die einzelnen Programme werden über ein Endgerät und einen Decoder dem Nutzer zugänglich.

Die von Canal+ angebotenen Satellitenbouquets beinhalten kostenpflichtige und kostenlose Fernsehprogramme. Letztere sind im Gegensatz zu den kostenpflichtigen nicht kodiert und im österreichischen Hoheitsgebiet für jedermann in Standard-Definition-Qualität zu empfangen. Da AKM die Ansicht vertrat, dass Canal+ die von ihr wahrgenommenen Rechte verletze, erhob sie bei den österreichischen Gerichten Klage, die im Wesentlichen auf Unterlassung der Verbreitung der Satellitensignale in Österreich durch Canal+ sowie auf Zahlung einer Entschädigung gerichtet war; sie machte geltend, in den Mitgliedstaaten, in denen die Handlung in Form der Sendung oder öffentlichen Wiedergabe über Satellit stattfinde, sei für diese Nutzung keine Bewilligung eingeholt worden, und sie habe dieser Verbreitung in Österreich nicht zugestimmt.

Der mit einer Revision gegen ein Urteil des Oberlandesgerichts Wien (Österreich), das u. a. die Ansicht vertrat, die in Rede stehenden Satellitenbouquets erreichten ein neues Publikum, d. h. ein Publikum, das sich von dem der frei zugänglichen Übertragungen der Sendeunternehmen unterscheide, befasste Oberste Gerichtshof (Österreich) beschloss, dem Gerichtshof eine Frage zur Auslegung der Richtlinie 93/831, insbesondere ihres Art. 1 Abs. 2 Buchst. b, zur Vorabentscheidung vorzulegen. Gemäß dieser Bestimmung findet die öffentliche Wiedergabe über Satellit nur in dem Mitgliedstaat statt, in dem die programmtragenden Signale unter der Kontrolle des Sendeunternehmens und auf dessen Verantwortung in eine ununterbrochene Kommunikationskette eingegeben werden, die zum Satelliten und zurück zur Erde führt.

Würdigung durch den Gerichtshof
Der Gerichtshof erkennt für Recht, dass ein Satellitenbouquet-Anbieter, der verpflichtet ist, für eine Handlung in Form der öffentlichen Wiedergabe über Satellit, an der er mitwirkt, die Zustimmung der Inhaber der betreffenden Urheberrechte und verwandten Schutzrechte einzuholen, diese Zustimmung – entsprechend der dem betreffenden Sendeunternehmen erteilten Zustimmung – nur in dem Mitgliedstaat einholen muss, in dem die programmtragenden Signale in die zum Satelliten führende Kommunikationskette eingegeben werden.

Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass die Anwendung der in Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/83 aufgestellten Regel voraussetzt, dass es sich um eine „öffentliche Wiedergabe über Satellit“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a und c dieser Richtlinie, die kumulative Voraussetzungen hierfür enthalten, handelt.

Demnach handelt es sich bei einer Übertragung um eine einzige „öffentliche Wiedergabe über Satellit“, wenn sie durch eine „Eingabe“ programmtragender Signale ausgelöst wird, die „unter der Kontrolle des Sendeunternehmens und auf dessen Verantwortung“ durchgeführt wird, wenn die Signale „in eine ununterbrochene Kommunikationskette, die zum Satelliten und zurück zur Erde führt“, eingegeben werden, wenn die Signale „für den öffentlichen Empfang bestimmt“ sind und wenn, falls die Signale codiert sind, die Mittel zu ihrer Decodierung „durch das Sendeunternehmen selbst oder mit seiner Zustimmung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht“ werden.

Sodann stellt sowohl eine indirekte als auch eine direkte Übertragung von Fernsehprogrammen, die alle diese kumulativen Voraussetzungen erfüllt, eine einzige öffentliche Wiedergabe über Satellit dar und ist damit unteilbar. Die Unteilbarkeit einer solchen Wiedergabe bedeutet jedoch nicht, dass der Bouquet-Anbieter bei ihr ohne die Erlaubnis des Inhabers der betreffenden Rechte tätig werden darf.

Schließlich benötigt eine solche Erlaubnis u. a. jede Person, die eine solche Wiedergabe auslöst oder die während einer solchen Wiedergabe in der Weise tätig wird, dass sie die geschützten Werke mittels der betreffenden Wiedergabe einem neuen Publikum zugänglich macht, d. h. einem Publikum, an das die Urheber der geschützten Werke nicht gedacht haben, als sie einer anderen Person eine Erlaubnis erteilten.

Eine öffentliche Wiedergabe über Satellit wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende wird durch das Sendeunternehmen ausgelöst, unter dessen Kontrolle und auf dessen Verantwortung die programmtragenden Signale in die Kommunikationskette, die zum Satelliten führt, eingegeben werden. Zudem macht dieses Sendeunternehmen dadurch die geschützten Werke in aller Regel einem neuen Publikum zugänglich. Folglich benötigt das betreffende Sendeunternehmen die in Art. 2 der Richtlinie 93/83 vorgesehene Erlaubnis.

Der Gerichtshof stellt des Weiteren fest, dass das Sendeunternehmen, da eine solche öffentliche Wiedergabe über Satellit als nur in dem Mitgliedstaat vorgenommen gilt, in dem die programmtragenden Signale in die zum Satelliten führende Kommunikationskette eingegeben werden, die Erlaubnis nur in diesem Mitgliedstaat einholen muss. Bei der Festlegung der angemessenen Vergütung der Rechteinhaber für eine solche Wiedergabe ihrer Werke muss jedoch allen Aspekten der Sendung, wie ihrer tatsächlichen und potenziellen Einschaltquote, Rechnung getragen werden.

Wird die tatsächliche oder potenzielle Einschaltquote teilweise in anderen Mitgliedstaaten als dem erzielt, in dem die programmtragenden Signale in die zum Satelliten führende Kommunikationskette eingegeben werden, ist es daher gegebenenfalls Sache der verschiedenen betroffenen Verwertungsgesellschaften, geeignete Lösungen zu finden, um eine angemessene Vergütung der Rechteinhaber zu gewährleisten.

Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass weitere Akteure im Rahmen einer öffentlichen Wiedergabe über Satellit dergestalt tätig werden, dass sie die geschützten Werke oder Gegenstände einem größeren Publikum zugänglich machen als dem Zielpublikum des betreffenden Sendeunternehmens. In einem solchen Fall ist die Tätigkeit der betreffenden Akteure von der dem Sendeunternehmen erteilten Erlaubnis nicht gedeckt. Dies kann u. a. dann der Fall sein, wenn ein Akteur den Kreis derjenigen, die Zugang zu der betreffenden Wiedergabe haben, erweitert und dadurch die geschützten Werke oder Gegenstände einem neuen Publikum zugänglich macht.

Im Übrigen stellt der Gerichtshof fest, dass nach den Erwägungsgründen 5, 14 und 15 der Richtlinie 93/83 mit deren Art. 1 Abs. 2 Buchst. b sichergestellt werden soll, dass jede „öffentliche Wiedergabe über Satellit“ ausschließlich dem Urheberrecht und dem Leistungsschutzrecht des Mitgliedstaats unterliegt, in dem die programmtragenden Signale in die zum Satelliten führende Kommunikationskette eingegeben werden. Daher liefe es diesem Ziel zuwider, wenn ein Satellitenbouquet-Anbieter die Zustimmung der Inhaber der betreffenden Urheberrechte und verwandten Schutzrechte auch in anderen Mitgliedstaaten einholen müsste.

Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-290/21 | AKM (Bereitstellung von Satellitenbouquets in Österreich)

Quelle: Pressemitteilung des EuGH v. 25.05.2023

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2. EuG: DSGVO nicht anwendbar bei Pseudonym mit relativem Personenbezug, wenn Datenempfänger keine Mittel zur Re-Identifizierung hat
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Es handelt sich um kein personenbezogenes Datum und die DSGVO ist nicht anwendbar bei Pseudonymen mit relativem Personenbezug, wenn der jeweilige Datenempfänger keine Mittel zur Re-Identifizierung hat (EuG, Urt. v. 26.03.2023 - Az.: T-557/20).

Inhaltlich ging es um eine Entscheidung der Europäischen Datenschutzbeauftragten (EDSB). Kläger war der Einheitliche Abwicklungsausschuss, der insolvenzbedrohte Banken (SRB) betreut. U.a. werden dazu Stellungnahmen von Betroffenen an den externen Wirtschaftsprüfer Deloitte übermittelt.

Die Übermittlung erfolgte über einen gesicherten und speziell dafür vorgesehenen virtuellen Server übermittelt.  Die persönlichen Daten wurden durch einen alphanumerischen Code ersetzt, Zugang zu diesem Code hatte nur der Abwicklungsschuss, nicht jedoch Deloitte.

Nun stellte sich die Frage, ob es sich aus der Sicht von Deloitte um personenbezogene Daten handelt und die DSGVO anwendbar ist.

Der EuG entschied überraschenderweise: Nein.

Ein Personenbezug scheide immer dann, wenn der jeweilige Datenempfänger nicht über die Mittel verfüge, die betroffenen Personen zu re-identifizieren:

"Da der 16. Erwägungsgrund der Verordnung 2018/1725 auf die Mittel Bezug nimmt, die vernünftigerweise entweder von dem Verantwortlichen oder von einem „Dritten“ eingesetzt werden könnten, ist sein Wortlaut ein Indiz dafür, dass es für die Einstufung eines Datums als „personenbezogenes Datum“ (...) nicht erforderlich ist, dass sich alle zur Identifizierung der betreffenden Person erforderlichen Informationen in den Händen einer einzigen Person befinden (vgl. entsprechend Urteil vom 19. Oktober 2016, Breyer, C-582/14, EU:C:2016:779, Rn. 43).

Der Gerichtshof führte jedoch weiter aus, dass der Umstand, dass über die zur Identifizierung des Nutzers einer Website erforderlichen Zusatzinformationen nicht der Anbieter von Online-Mediendiensten verfügt, sondern der Internetzugangsanbieter dieses Nutzers, daher nicht auszuschließen vermag, dass die von einem Anbieter von Online-Mediendiensten gespeicherten dynamischen IP-Adressen für ihn personenbezogene Daten darstellen (Urteil vom 19. Oktober 2016, Breyer, C-582/14, EU:C:2016:779, Rn. 44).

Zu prüfen war nach Auffassung des Gerichtshofs jedoch, ob die Möglichkeit, eine dynamische IP-Adresse mit den Zusatzinformationen zu verknüpfen, über die der Internetzugangsanbieter verfügt, ein Mittel darstellt, das vernünftigerweise zur Bestimmung der betreffenden Person eingesetzt werden kann (Urteil vom 19. Oktober 2016, Breyer, C-582/14, EU:C:2016:779, Rn. 45).

Der Gerichtshof wies darauf hin, dass dies nicht der Fall gewesen wäre, wenn die Identifizierung der betreffenden Person gesetzlich verboten oder praktisch nicht durchführbar gewesen wäre, z. B. weil sie einen unverhältnismäßigen Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskräften erfordert hätte, so dass das Risiko einer Identifizierung de facto vernachlässigbar erschienen wäre (Urteil vom 19. Oktober 2016, Breyer, C-582/14, EU:C:2016:779, Rn. 46).

Im vorliegenden Fall wird nicht bestritten, dass zum einen der in den an Deloitte übermittelten Informationen enthaltene alphanumerische Code als solcher nicht ausreichte, um die Verfasser der Stellungnahmen zu identifizieren, und zum anderen Deloitte keinen Zugang zu den Identifizierungsdaten hatte, die während der Registrierungsphase erhoben wurden und anhand deren dank des alphanumerischen Codes die Teilnehmer mit ihren Kommentaren in Verbindung gebracht werden konnten."


Und weiter:
"Der EDSB führt also unzutreffend aus, dass nicht untersucht werden müsse, ob Deloitte anhand der übermittelten Informationen deren Verfasser rückidentifizieren könne oder ob diese Rückidentifizierung hinreichend wahrscheinlich sei.

In der überarbeiteten Entscheidung ging der EDSB davon aus, dass für die Annahme, die an Deloitte übermittelten Informationen seien personenbezogene Daten, die Tatsache ausreiche, dass der SRB über die zusätzlichen Informationen verfüge, anhand deren eine Rückidentifizierung der Verfasser der Stellungnahmen möglich sei. Gleichzeitig stellte er aber auch fest, dass die während der Registrierungsphase erhobenen Identifizierungsdaten Deloitte nicht mitgeteilt worden seien.

 Aus der überarbeiteten Entscheidung geht somit hervor, dass der EDSB sich auf die Prüfung einer möglichen Rückidentifizierung der Verfasser der Stellungnahmen aus der Perspektive des SRB (und nicht der von Deloitte) beschränkt hat.

 Wie aber aus der oben in Rn. 92 angeführten Rn. 45 des Urteils vom 19. Oktober 2016, Breyer (C-582/14, EU:C:2016:779), hervorgeht, war vom EDSB festzustellen, ob es sich bei der Möglichkeit, die an Deloitte übermittelten Informationen mit den dem SRB vorliegenden zusätzlichen Informationen zu kombinieren, um ein Mittel handelte, das von Deloitte vernünftigerweise zur Bestimmung der Verfasser der Kommentare eingesetzt werden konnte.

Somit durfte der EDSB, weil er nicht geprüft hat, ob Deloitte das Recht hatte, auf die für die Rückidentifizierung der Verfasser der Stellungnahmen erforderlichen zusätzlichen Informationen zuzugreifen, und ob dieser Zugriff auch praktisch durchführbar war, nicht zu dem Ergebnis gelangen, dass die an Deloitte übermittelten Informationen sich auf eine „identifizierbare natürliche Person“ im Sinne von Art. 3 Nr. 1 der Verordnung 2018/1725 beziehen.

106    Nach alledem ist dem ersten Klagegrund stattzugeben und die überarbeitete Entscheidung für nichtig zu erklären, ohne dass es einer Prüfung des zweiten Klagegrundes bedarf.


Der EuG hat die Entscheidung der EDSB daher für nichtig erklärt.

Sollte sich die Rechtsansicht des EuG durchsetzen, dürfte dies ganz massive Auswirkungen für die Praxis haben, da hierdurch der Anwendungsbereich der DSGVO erheblich eingeschränkt werden würde.

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3. EuG: Der Begriff "Emmentaler" kann nicht als Unionsmarke für Käse geschützt werden
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Für Emmentaler Switzerland wurde beim Internationalen Büro der Weltorganisation für geistiges Eigentum die internationale Registrierung des Wortzeichens EMMENTALER für „Käse mit der geschützten Ursprungsbezeichnung Emmentale" vorgenommen.

Diese internationale Registrierung wurde dem Europäischen Amt für geistiges Eigentum (EUIPO) angezeigt, jedoch wies die Prüferin die Anmeldung zurück.

Emmentaler Switzerland legte daher eine Beschwerde ein, die sodann von der Zweiten Beschwerdekammer mit der Begründung zurückgewiesen wurde, dass die angemeldete Marke beschreibend sei.

Mit seinem Urteil weist das Gericht die gegen die Entscheidung der Beschwerdekammer gerichtete Klage ab. Es prüft in dieser Rechtssache, ob die Beschwerdekammer, indem sie die angemeldete Marke als beschreibend ansah, gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung 2017/1001 verstoßen hat.

Außerdem präzisiert das Gericht das Zusammenspiel zwischen Art. 74 Abs. 2 dieser Verordnung, der beschreibenden Zeichen oder Angaben gewidmet ist, die als Kollektivmarken bezeichnet werden können, und Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung, der beschreibende Marken betrifft.

Würdigung durch das Gericht
Was zum einen den beschreibenden Charakter der angemeldeten Marke angeht, ist das Gericht angesichts der von der Beschwerdekammer berücksichtigten Indizien der Auffassung, dass die maßgeblichen deutschen Verkehrskreise das Zeichen EMMENTALER unmittelbar als Bezeichnung für eine Käsesorte verstehen.

Da es für die Ablehnung der Eintragung eines Zeichens genügt, dass dieses Zeichen in einem Teil der Union, der gegebenenfalls aus einem einzigen Mitgliedstaat bestehen kann, beschreibenden Charakter hat, ist die Beschwerdekammer zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die angemeldete Marke beschreibend ist, ohne dass es erforderlich wäre, Gesichtspunkte zu prüfen, die nicht die Wahrnehmung der maßgeblichen deutschen Verkehrskreise betreffen.

Was zum anderen den Schutz der angemeldeten Marke als Kollektivmarke betrifft, weist das Gericht darauf hin, dass Kollektivmarken nach Art. 74 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 abweichend von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c dieser Verordnung aus Zeichen oder Angaben bestehen können, die im Verkehr zur Bezeichnung der geografischen Herkunft der betreffenden Waren oder Dienstleistungen dienen können.

Diese Ausnahme ist jedoch eng auszulegen. Von ihrer Reichweite sind somit keine Zeichen erfasst, die als Hinweis auf die Art, die Beschaffenheit, die Menge, die Bestimmung, den Wert, die Zeit der Herstellung oder eine andere Eigenschaft der betreffenden Waren anzusehen sind, sondern lediglich Zeichen, die als eine Angabe der geografischen Herkunft dieser Waren erachtet werden.

Da die angemeldete Marke für die maßgeblichen deutschen Verkehrskreise eine Käsesorte beschreibt und nicht als geografische Herkunftsangabe für den betreffenden Käse wahrgenommen wird, kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass sie als Kollektivmarke keinen Schutz genießt.

Urteil des Gerichts in der Rechtssache T-2/21 | Emmentaler Switzerland / EUIPO (EMMENTALER)

Quelle: Pressemitteilung des EuG v. 24.05.2023

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4. BGH: Auslistungsbegehren gegen Internet-Suchdienst Google
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Bundesgerichtshof entscheidet über Auslistungsbegehren gegen den Internet-Suchdienst von Google

Sachverhalt:
Der Kläger ist für verschiedene Gesellschaften, die Finanzdienstleistungen anbieten, in verantwortlicher Position tätig oder an ihnen beteiligt.

Die Klägerin war seine Lebensgefährtin und Prokuristin einer dieser Gesellschaften.

Auf der Webseite eines US-amerikanischen Unternehmens, dessen Ziel es nach eigenen Angaben ist, "durch aktive Aufklärung und Transparenz nachhaltig zur Betrugsprävention in Wirtschaft und Gesellschaft beizutragen", erschienen im Jahr 2015 mehrere Artikel, die sich kritisch mit dem Anlagemodell einzelner dieser Gesellschaften auseinandersetzten. Einer dieser Artikel war mit Fotos der Kläger bebildert. Über das Geschäftsmodell der Betreiberin der Webseite wurde seinerseits kritisch berichtet, u.a. mit dem Vorwurf, sie versuche, Unternehmen zu erpressen, indem sie zunächst negative Berichte veröffentliche und danach anbiete, gegen ein sog. Schutzgeld die Berichte zu löschen bzw. die negative Berichterstattung zu verhindern. Die Kläger machen geltend, ebenfalls erpresst worden zu sein.

Sie begehren von der Beklagten als der Verantwortlichen für die Internetsuchmaschine "Google", es zu unterlassen, die genannten Artikel bei der Suche nach ihren Namen und den Namen verschiedener Gesellschaften in der Ergebnisliste nachzuweisen und die Fotos von ihnen als Vorschaubilder ("thumbnails") anzuzeigen. Die Beklagte hat erklärt, die Wahrheit der in den verlinkten Inhalten aufgestellten Behauptungen nicht beurteilen zu können.

Bisheriger Prozessverlauf:
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger blieb ohne Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren mit Beschluss vom 27. Juli 2020 zunächst ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union zwei Fragen zur Auslegung von Art. 17 Abs. 1 DS-GVO zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat diese Fragen mit Urteil vom 8. Dezember 2022 (C-460/20, NJW 2023, 747 = AfP 2023, 42) beantwortet.

Die Auslistung hänge nicht davon ab, dass die Frage der Richtigkeit des aufgelisteten Inhalts im Rahmen eines von dieser Person gegen den Inhalteanbieter eingelegten Rechtsbehelfs einer zumindest vorläufigen Klärung zugeführt worden ist.

Der Betreiber der Suchmaschine sei verpflichtet, einem Auslistungsantrag stattzugeben, wenn die eine Auslistung begehrende Person relevante und hinreichende Nachweise vorlege, die ihren Antrag zu stützen vermögen und belegen, dass die in dem aufgelisteten Inhalt enthaltenen Informationen offensichtlich unrichtig seien oder zumindest ein für diesen gesamten Inhalt nicht unbedeutender Teil dieser Informationen offensichtlich unrichtig sei.

Hinsichtlich der Vorschaubilder sei dem Informationswert dieser Fotos - unabhängig vom Kontext ihrer Veröffentlichung auf der Internetseite, der sie entnommen sind, aber unter Berücksichtigung jedes Textelements, das mit der Anzeige dieser Fotos in den Suchergebnissen unmittelbar einhergeht und Aufschluss über den Informationswert dieser Fotos geben kann - Rechnung zu tragen.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der Bundesgerichtshof hat daraufhin die mündliche Verhandlung fortgesetzt. Die Revision war teilweise erfolgreich.

Bezüglich der beanstandeten Verweise auf die genannten Artikel hat der Bundesgerichtshof die klagabweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt. Bei einem Artikel fehlte es bereits an dem notwendigen Bezug zu der Person des Klägers. Hinsichtlich der beiden anderen Artikel haben es die Kläger versäumt, gegenüber der Beklagten den ihnen obliegenden Nachweis zu führen, dass die dort enthaltenen Informationen offensichtlich unrichtig sind.

Bezüglich der Vorschaubilder hatte die Revision der Kläger hingegen Erfolg und der Bundesgerichtshof hat die Beklagte zur Auslistung der Vorschaubilder in der beanstandeten Form verpflichtet. Eine Anzeige der für sich genommen nicht aussagekräftigen Fotos der Kläger als Vorschaubilder ohne jeden Kontext war nicht gerechtfertigt.

Urteil vom 23. Mai 2023 - VI ZR 476/18

Vorinstanzen: Oberlandesgericht Köln – Urteil vom 8. November 2018 – 15 U 178/17
Landgericht Köln – Urteil vom 22. November 2017 – 28 O 492/15

Quelle: Pressemitteilung des BGH v. 23.05.2023

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5. OLG Hamm: Drohnenaufnahmen nicht von der urheberrechtlichen Panoramafreiheit gedeckt
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In einer urheberrechtlichen Streitigkeit zwischen der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst und einem Verlag aus dem Ruhrgebiet hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm entschieden, dass mittels einer Drohne gefertigte Bildaufnahmen nicht von der urheberrechtlichen Panoramafreiheit gedeckt sind.

Die klagende Verwertungsgesellschaft nimmt den beklagten Verlag auf Unterlassung, Schadensersatz und Abmahnkosten in Anspruch. In zwei von der Beklagten veröffentlichten Büchern werden Kunstwerke auf Bergehalden im Ruhrgebiet vorgestellt. Dabei hat die Beklagte auch Fotografien der im Streit stehenden Kunstwerke "Sonnenuhr mit Geokreuz", "Spurwerkturm", "Nachtzeichen", "Himmelstreppe", "Tetraeder" und "Landmarke Geleucht" verwendet, die mit einer Drohne aufgenommen wurden.

Eine Lizenz von der Klägerin hat die Beklagte vor der Veröffentlichung dieser Bilder nicht erworben. Vielmehr vertritt die Beklagte die Auffassung, die Verwendung der Fotografien sei von der Panoramafreiheit des Urheberrechtsgesetzes gedeckt.

Das Landgericht Bochum hat der Klage insgesamt stattgegeben. Mit ihrer Berufung hat die Beklagte ihr Ziel auf Klageabweisung vor dem Oberlandesgericht Hamm weiterverfolgt. Abgesehen von einer geringfügigen Reduzierung des Schadensersatzes hat der für das Urheberrecht zuständige 4. Zivilsenat das Urteil des Landgerichts bestätigt und die Berufung zurückgewiesen. Die in § 59 Abs. 1 Satz 1 Urheberrechtsgesetz (UrhG) geregelte Panoramafreiheit gestatte zwar auch die gewerbliche Nutzung von hierunter fallenden Fotografien.

Im Rahmen der Panoramafreiheit sei es nämlich zulässig, Werke, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden, unter anderem mit Mitteln der Fotografie zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich wiederzugeben. Auch befänden sich die hier in Rede stehenden Kunstwerke an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen, da die Bergehalden, auf denen die Kunstwerke errichtet wurden, entweder selbst öffentlich zugänglich seien oder jedenfalls von öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen aus wahrgenommen werden könnten.

Die Einschränkung des Urheberrechts durch die Panoramafreiheit, die eine unentgeltliche Nutzung gestatte, schließe jedoch nur diejenigen Perspektiven ein, die von öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen aus bestehen. Hierzu gehöre nicht der Luftraum. Der Einsatz von Hilfsmitteln zur Erlangung einer anderen Perspektive sei nicht mehr von der Panoramafreiheit gedeckt. Dies habe der Bundesgerichtshof bereits für den Einsatz einer Leiter entschieden. Für den Einsatz einer Drohne könne nichts anderes gelten.


Nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm muss die Beklagte die Wiedergabe der angegriffenen Drohnenbilder und deren Verbreitung unterlassen und der Klägerin Schadensersatz in Form einer Lizenzgebühr über 1.824 Euro sowie gut 2.000 Euro Abmahnkosten, jeweils zuzüglich Zinsen, zahlen. Da noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Bewertung von Drohnenaufnahmen im Rahmen der Panoramafreiheit vorliegt, hat der Senat die Revision der Beklagten zugelassen. Die Beklagte hat Revision zum Bundesgerichtshof eingelegt, so dass das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm nicht rechtskräftig ist.

Vorinstanz:
Landgericht Bochum, Urteil vom 18. November 2021 (Az. 8 O 97/21)

Quelle: Pressemitteilung des OLG Hamm v. 24.05.2023

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6. OVG Münster: Widerruf einer Inkassolizenz wegen Eintreibung von Geldern aus unlauteren Geschäftsmodellen
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Der Widerruf der Registrierung eines Inkassounternehmens wegen dauerhaft unqualifizierter Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit der Internetseite "www.probenheld.de" und der App "Park & Collect" war voraussichtlich rechtmäßig. Das hat das Oberverwaltungsgericht heute entschieden und die vorausgegangene Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf geändert.

Die Antragstellerin ist ein Inkassounternehmen, das vom Oberlandesgericht Düsseldorf in Bezug auf Inkassodienstleistungen in das Rechtsdienstleistungsregister eingetragen worden war. In der Vergangenheit hat sie unter anderem Forderungen geltend gemacht, die im Zusammenhang mit der Internetseite "www.probenheld.de" generiert worden waren, über die vermeintlich kostenlose Proben bestellt werden konnten.

Weiter betrieb die Antragstellerin die App "Park & Collect", über welche Parkplatzinhaber Parkverstöße melden und einen "Tarif" zwischen 1 und 40 Euro angeben konnten. Diesen Betrag machte die Antragstellerin nach Halterermittlung gegenüber den Fahrzeughaltern als Schadensersatzforderung geltend. Später betrieb sie die App nicht mehr selbst, trat gegenüber den Fahrzeughaltern aber weiterhin als Inkassodienstleisterin auf.

Sie unterbreitete diesen nunmehr im Auftrag der Parkplatzinhaber außergerichtliche Vergleichsangebote, damit die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen vermieden werden könne. Beim Oberlandesgericht gingen zahlreiche Beschwerden ein, in denen unter anderem das Bestehen der geltend gemachten Forderungen bestritten und das Geschäftsgebaren der Antragstellerin als unlauter beanstandet  wurde.

Es widerrief daraufhin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Registrierung der Antragstellerin, weil sie die erforderliche Zuverlässigkeit nicht mehr besitze und dauerhaft unqualifizierte Rechtsdienstleistungen erbringe. Dem Eilantrag der Antragstellerin gab das Verwaltungsgericht Düsseldorf statt.

Die dagegen gerichtete Beschwerde des Landes hatte nun vor dem Oberverwaltungsgericht Erfolg.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat der 4. Senat im Wesentlichen ausgeführt: Die Annahme, die Antragstellerin erbringe dauerhaft unqualifizierte Rechtsdienstleistungen, war schon deshalb gerechtfertigt, weil sie wiederholt und erheblich unternehmerische Sorgfaltspflichten verletzt und im erheblichen Umfang Rechtsdienstleistungen über die eingetragene Befugnis hinaus erbracht hat. Sie hat es wiederholt unterlassen, das Bestehen geltend gemachter Forderungen trotz seit dem Jahr 2018 substantiiert erhobener Einwände näher zu prüfen, und Forderungen geltend gemacht, die erkennbar ganz oder teilweise nicht bestanden.

Schon unmittelbar nach Beginn ihrer Inkassotätigkeit in Bezug auf die Internetseite "www.probenheld.de" lagen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass über die Antragstellerin in betrügerischer Absicht unberechtigte Forderungen geltend gemacht werden sollten.

Es gab eine Vielzahl gleichgelagerter Beschwerden von Beschwerdeführern, sie seien allein aufgrund einer Registrierung auf dieser Internetseite, aber ohne erkennbaren Vertragsschluss mit unberechtigten Forderungen überzogen worden. Die Antragstellerin hat die zweifelhaften Forderungen monatelang weiter unter Erhöhung des Zahlungsdrucks geltend gemacht.

Ihr Verhalten lässt jedenfalls eine für eine qualifizierte Rechtsdienstleistung nicht hinnehmbare Gleichgültigkeit gegenüber mutmaßlich betrügerischen Geschäftsgebaren ihrer Auftraggeber erkennen. Diese Gleichgültigkeit prägte auch ihre Tätigkeit bei der Einziehung von vermeintlichen Schadensersatzforderungen aus Parkverstößen.

Die Antragstellerin hat jedenfalls billigend in Kauf genommen, dass die für ihre Mandanten geltend gemachten Schadensersatzansprüche nicht bestanden.

Denn es lagen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der von dem App-Nutzer angegebene "Tarif" regelmäßig nicht der Höhe eines tatsächlich entstandenen Schadens entsprach, ein bezifferbarer Schaden vielmehr regelmäßig schon gar nicht eingetreten war. Indem sie später ihr Geschäftsmodell änderte und den Fahrzeughaltern zeitlich befristete "außergerichtliche Vergleichsangebote" machte, erbrachte sie zudem in erheblichem Umfang Rechtsdienstleistungen über ihre eingetragene Befugnis hinaus. Der Beschluss ist unanfechtbar.

Aktenzeichen: 4 B 1590/20 (I. Instanz: VG Düsseldorf 20 L 1778/20)

Quelle: Pressemitteilung des OVG Münster v. 24.05.2023

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7. OLG Schleswig: YouTube darf für bestimmte Videos auch gegen Creator-Willen Altersbeschränkungen festlegen
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Der Plattformbetreiber YouTube  darf für bestimmte Videos auch gegen den jeweiligen Willen des YouTube-Creators Altersbeschränkungen festlegen (OLG Schleswig, Beschl. v. 14.12.2022 - Az.: 9 U 123/22).

Der klägerische Creator unterhielt unter einem Pseudonym einen YouTube-Channel mit etwa 25.000 Abonnenten, um dort Videos mit Inhalten zu verbreiten, die einer bestimmten Partei nahestanden. U.a. zeigte der Kläger auch Ausschnitte aus Straßenkrawallen in Stuttgart aus dem Jahr 2020, in denen körperliche Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten gezeigt wurden:

"In jenem Video ist ab Minute 3:39 eine Szene zu sehen, in der eine Person mit Anlauf und gestrecktem Bein in einen Polizisten, der sich zu einer festgehaltenen Person herunterbeugt, hineinspringt, so dass dieser zu Boden geworfen wird. Die Szene wird eingeleitet mit den Worten „Besonders erschreckend ist diese Szene...“ und danach noch einmal unter Zuhilfenahme eines Zooms und in Zeitlupe wiederholt."

YouTube versah dieses Videos kurze Zeit nach der Veröffentlichung mit einer Altersbeschränkung, sodass nur noch erwachsene User mit einem

YouTube-Account das Video anschauen konnten.  Der Kläger sah sich hierin in seinen Rechten verletzt und klagte gegen dieses Vorgehen.

Das OLG Schleswig bewertete das Handeln von YouTube jedoch für rechtmäßig:

"Mit der Einrichtung einer Altersbeschränkung für das streitgegenständliche Video hat die Beklagte ihre vertraglichen Pflichten gegenüber dem Kläger nicht verletzt.

Die in den Nutzungsbedingungen vorgesehene Möglichkeit der Auferlegung einer Altersbeschränkung ist auch wirksam zwischen den Parteien vereinbart worden und verstößt insbesondere weder inhaltlich noch im Hinblick auf das für die Auferlegung vorgesehene Verfahren gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB (...).

Die Beklagte hat die Altersbeschränkung auf die Richtlinie zu gewalttätigen oder grausamen Inhalten und die Richtlinie zu Hassrede stützen können, weil der klägerische Beitrag Gewaltszenen und Straßenkämpfe zeigt, die auf minderjährige Zuschauer, insbesondere im Zusammenhang mit dem kommentierenden Inhalt, eine jugendgefährdende Wirkung haben können. Damit ist die von der Beklagten getroffene Entscheidung sachlich begründet und nachvollziehbar (...)."


Es sei auch nicht unverhältnismäßig in die Rechte des Creators auf freie Meinungsäußerung eingegriffen worden:
"Die in der Auferlegung der Altersbeschränkung liegende Beeinträchtigung der Meinungsäußerungsfreiheit des Klägers ist von diesem hinzunehmen, da die Beklagte mit dieser Maßnahme zulässigerweise von ihren vertraglich vereinbarten Rechten Gebrauch gemacht hat. Die Beklagte hat vorliegend bei der Auferlegung einer Altersbeschränkung für das streitgegenständliche Video die dargestellten Anforderungen an eine zulässige Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit des Klägers eingehalten.

Weder ist die Maßnahme willkürlich noch fehlt es an einem sachlichen Grund für die Altersbeschränkung. Vielmehr ergibt sich eine jugendgefährdende Wirkung des Videos aus der Gesamtschau von dessen Inhalt, namentlich den gezeigten Bildern und dem gesprochenen Kommentar, wobei die erstinstanzlich eingehend behandelte Gewaltszene nur einer von mehreren Aspekten ist, die die Auferlegung einer Altersbeschränkung rechtfertigen."



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8. VG Hamburg: Leichtfertiges Liken von rechtsextremen Facebook-Inhalten rechtfertigt keine Entlassung eines Soldaten
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Das leichtfertige Liken von rechtsextremen Facebook-Inhalten rechtfertigt dann keine Entlassung eines Soldaten, wenn dies als Jugendlicher erfolgte und er sich inzwischen glaubwürdig distanziert (VG Hamburg, Urt. v. 29.03.2023 - Az.: 21 K 4032/22).

Es ging um die außerordentliche Entlassung eines Soldaten aus dem Dienst, weil dieser in seiner Jugend leichtfertig rechtsextreme Facebook-Inhalte geliked hatte:

"Hierbei sei ein „Gefällt mir“-Eintrag auf dem Facebook-Profil des Klägers gesichert worden, welcher eindeutige Bezüge zum Phänomenbereich Rechtsextremismus aufweise.

Der Kläger habe die rechtsextreme Musikband „SPN/S“ geliked, außerdem die AfD Brandenburg, die seit Juni 2020 vom Verfassungsschutz beobachtet werde. Dem Bericht war eine Bildschirmaufnahme des Facebook-Profils des Klägers beigefügt, aus der erkennbar ist, dass der Kläger unter anderem auch die Seiten der Bekleidungsmarken „Pro Violence Streetware“, „Black Jackets“, „PGwear“, „Label 23“ und „Yakuza“ geliked hat."


Und weiter:
"Daraufhin vernahm die Beklagte den Kläger am 9. März 2021 persönlich.

Er gab an, ein Kumpel von ihm habe in der Band gespielt. Ihm sei die Band angezeigt worden und da er den Musiker kenne, habe er die Seite geliked. Die Einstufung der Band als rechtsextrem sei ihm nicht bekannt, zu dem Musikstil könne er nichts sagen.

Er wisse nicht mehr, wann er die Markierung gesetzt habe, jedenfalls aber vor seiner Zeit in der Bundeswehr. Dabei habe er sich nichts gedacht und höre auch die Musik der Band nicht. Auf Nachfrage der Beklagten erklärte der Kläger weiter, er habe einmal auf Facebook die Seite der AfD Brandenburg mit „Gefällt mir“ markiert, weil er eine Veranstaltung der Partei besucht habe.

Dies könne im Jahr 2016 gewesen sein. Er habe die Veranstaltung interessant gefunden und daraufhin die Seite geliked. Ergänzend führte der Kläger aus, er sei früher „jung und dumm“ gewesen und habe sich die Seiten nicht richtig durchgelesen. Er distanziere sich von jeglichem rechtsradikalen Gedankengut."


Das VG Hamburg ließ diese Umstände nicht ausreichen, eine Entlassung aus dem Soldatendienst zu rechtfertigen:
"Das Gericht verkennt nicht, dass Anhaltspunkte vorliegen, die grundsätzlich bei objektiver Betrachtung auf eine fehlende charakterliche Eignung hindeuten könnten.
Der Kläger hat unstreitig die Facebook-Seite der als rechtsextrem eingestuften Band „SPN/S“ sowie die Seite des Landesverbandes Brandenburg der AfD, welcher unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht, mit „Gefällt mir“ markiert, außerdem auch Seiten von Bekleidungsmarken mit jedenfalls gewaltverherrlichenden Namen (insbesondere „Pro Violence“). Nach einer Gesamtbetrachtung der Umstände und unter Berücksichtigung des persönlichen Eindrucks, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung von dem Kläger gewinnen konnte, ist die Annahme einer fehlenden charakterlichen Eignung allerdings dennoch rechtswidrig."

Und weiter:
"Soweit es die vom Kläger auf Facebook getätigten „Gefällt mir“-Angaben betrifft, können diese zur Überzeugung des Gerichts keine Zweifel an der Verfassungstreue des Klägers begründen. Vielmehr ist bereits anzunehmen, dass der Kläger diese Likes in „jugendlichem Leichtsinn“ getätigt hat, ohne sich der dahinter stehenden Inhalte oder der daraus folgenden möglichen Konsequenzen bewusst gewesen zu sein.

Der Kläger hat hierzu glaubhaft vorgetragen, dass er die Seite der Band „SPN/S“ nur geliked habe, um einem der Bandmitglieder zu gefallen und weil er es gut gefunden habe, jemanden zu kennen, der in einer Band spiele. Mit der Musik der Band habe er sich nicht auseinandergesetzt und sich deren Lieder auch nicht angehört.

Zu seinem Nutzungsverhalten bezüglich Facebook hat er in der mündlichen Verhandlung weiter ausgeführt, er habe Facebook vor seinem Eintritt in die Bundeswehr viel genutzt, mittlerweile sei er dort jedoch nicht mehr aktiv und nutze nur noch die Erinnerungsfunktion für die Geburtstage seiner Freunde. Zudem hat der Kläger plausibel geschildert, er habe früher möglichst viele Freunde auf Facebook haben wollen, weil man damit „cooler“ gewesen sei."

Gleiches gilt auch für die Likes betreffend die Seite der AfD Brandenburg und der verschiedenen Bekleidungsmarken. Hinsichtlich der AfD Brandenburg hat der Kläger vorgetragen, eine Informationsveranstaltung besucht und dabei erkannt zu haben, dass er sich nicht mit den von der Partei vertretenen Ansichten identifizieren könne. Er hat geschildert, die Veranstaltung gemeinsam mit seinem Großvater besucht zu haben, der sich als FDP-Mitglied über die Kommunalpolitik anderer Parteien habe informieren wollen.

Diese zur Überzeugung des Gerichts glaubhafte Angabe spricht dagegen, dass der Kläger das Like gesetzt hat, um seine Zustimmung zu dem Parteiprogramm der AfD auszudrücken. Ungeachtet dessen stand der Landesverband der AfD Brandenburg zum Zeitpunkt der „Gefällt mir“-Markierung noch nicht unter Beobachtung des Verfassungsschutzes und handelt es sich bei der AfD um eine Partei, die nicht verboten und sowohl im Bundestag als auch in zahlreichen Länderparlamenten vertreten ist.

Auch deshalb durfte die Beklagte Zweifel an der charakterlichen Eignung des Klägers nicht auf diese „Gefällt mir“-Angabe zu stützen.

Hinsichtlich der Bekleidungsmarken hat der Kläger ebenfalls glaubhaft geschildert, dass diese im Ortsbild in seinem Heimatort Forst, nahe Cottbus, üblich seien und er sich nicht damit auseinandergesetzt habe, was die Markennamen inhaltlich bedeuten könnten. Er habe einfach dazugehören wollen. Diese Angaben des Klägers fügen sich schlüssig in das Gesamtbild ein, dass er quasi wahllos Likes auf Facebook gesetzt hat, ohne sich Gedanken über den Inhalt der jeweiligen Seiten zu machen und dass er dabei von dem Wunsch geleitet wurde, sich in sein Umfeld einzufügen."



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9. LG Koblenz: Neben Kündigungsbutton auch weitere Beendigungsmöglichkeit auf Webseite erlaubt ("1und1.de")
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 Neben dem Kündigungsbutton ist auch weitere Beendigungsmöglichkeit auf der Webseite durch Einloggen in das Kundenkonto erlaubt. Es ging im vorliegenden Fall um den Anbieter 1&1 ("1und1.de") (LG Koblenz, Urt. v. 07.03.2023 - Az.: 11 O 21/22).

Die Beklagte betrieb die Webseite "1und1.de"  und bot unterschiedliche Möglichkeiten an, einen bestehenden Vertrag zu beenden. Neben einem Online-Formular mit Kündigungsmöglichkeit, das mit "Jetzt kündigen"  bezeichnet war, konnte der User auch einen Button mit dem Titel "Kündigungs-Assistent"  anklicken.

Dies stufte die Klägerin als Verstoß gegen den neuen  § 312k BGB ein und klagte.

Ab dem 01.07.2022 besteht für Unternehmen im Online-Bereich die gesetzliche Pflicht, Dauerschuldverhältnisse, die online abgeschlossen werden können, auch wieder online zu kündigen (sog. Kündigungsbutton)

Das LG Koblenz bewertete die Ausgestaltung jedoch für rechtskonform:

"Trotz der weiteren Schaltfläche „Kündigungs-Assistent“ sind die Bestätigungsseite und die Schaltfläche „Jetzt kündigen“ unmittelbar und leicht zugänglich.

Das Erfordernis der leichte Zugänglichkeit setzt voraus, dass der Verbraucher mit den ihm zur Verfügung stehenden (technischen) Mitteln die Information erreichen kann, diese also ohne Schwierigkeiten auffindbar und wahrnehmbar sind (...).

Es lässt sich für den Verbraucher, der über die Schaltfläche „Jetzt kündigen“ auf die Bestätigungsseite gelangt ist, trotz der Schaltfläche „Kündigungs-Assistent“ unmittelbar erkennen, wie nach Angabe der erforderlichen Daten mit einem Klick gekündigt werden kann. 

Direkt bei Aufruf der Seite ist jedenfalls die Überschrift „Kündigungsformular“ – und je nach Bildschirmauflösung auch die ersten Zeilen des Formulars – erkennbar. Auch wenn der Verbraucher eine Internetseite gewöhnlich von oben nach unten liest, ist vor dem Hintergrund, dass beim ersten Blick die Überschrift „Kündigungsformular“ zu sehen ist, davon auszugehen, dass derjenige, der direkt ohne weitere Umwege kündigen will, bis zum Ende des Formulars scrollt, wo direkt unter dem For-CR 2023, 338mular die eindeutige Schaltfläche „Jetzt kündigen“ zu sehen ist. Durch die Schaltfläche „Kündigungs-Assistent“ wird die Kündigung nicht unzulässig erschwert."


Und weiter:
"Auch wenn der Verbraucher diese Schaltfläche zuerst wahrnimmt, ist zu erwarten, dass er den Unterschied zwischen einer sofortigen Kündigung und einem Kündigungsassistenten erkennt. Das Wort „Assistent“ sagt gerade aus, dass eine Hilfestellung bei der Abgabe der Kündigung erfolgt, nicht dass dies die schnellste und direkteste Möglichkeit der Kündigung ist. Auch wenn die Schaltfläche „Kündigungs-Assistent“ aufgrund der Stellung oben auf der Seite zuerst wahrgenommen wird, ist dem Verbraucher dadurch nicht jegliche Wahrnehmung der restlichen Seite genommen. Das Kündigungsformular mit der Schaltfläche „Jetzt kündigen“ schließt unmittelbar an und ist nicht etwa auf der Seite versteckt.

Auch die optische Gestaltung lenkt nicht von der Schaltfläche „Jetzt kündigen“ ab. Die Schaltfläche „Kündigungs-Assistent“ ist nicht attraktiver gestaltet, um mehr Aufmerksamkeit als die andere Schaltfläche zu erregen.

Beide Schaltflächen haben die gleiche Größe. Zwar ist der Hintergrund der Schaltfläche „Kündigungs-Assistent“ gelb gestaltet, auch die Schaltfläche „Jetzt kündigen“ ist aber durch blaue Schrift auf weißen Hintergrund gut erkenn- und nicht übersehbar. Selbst wenn ein Verbraucher auf die Fläche „Kündigungs-Assistent“ drückt und sich anschließend nicht einloggen möchte, kann er zudem unproblematisch das nur einen Teil der Seite einnehmende Fenster durch Klicken auf das „x“ am rechten oberen Rand schließen und gelangt wieder auf die Bestätigungsseite mit dem Kündigungsformular."


Anmerkung von RA Dr. Bahr:
Das LG Köln hat Ende letzten Jahres entschieden, dass die Abfrage eines Passwortes beim Kündigungsbutton nicht erlaubt ist, vgl. die Kanzlei-News v. 02.11.2022.

Ob sich die Meinung des LG Koblenz in der Rechtsprechung durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Bislang gibt es nur sehr wenige Entscheidungen zum neuen Kündigungsbutton. Die weitere Entwicklung der Rechtsprechung bleibt abzuwarten.

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10. VG Koblenz: Glücksspielrechtliche Sperrungsanordnung gegenüber TK-Anbieter rechtswidrig
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Für die gegenüber einer Anbieterin von Telekommunikationsdienstleistungen ergangene Sperrungsanordnung für unerlaubte Glücksspielangebote im Internet fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Dies entschied das Verwaltungsgericht Koblenz.

Die Beklagte erließ im Rahmen der Glücksspielaufsicht eine Sperrungsanordnung gegen die Klägerin, eine Telekommunikationsdienstleistungsanbieterin.

Dabei gab sie der Klägerin u. a. auf, bestimmte Internetseiten der beigeladenen Lotterieunternehmen mit Sitz in der Republik Malta im Rahmen ihrer technischen Möglichkeiten als Zugangsvermittlerin zu sperren, sodass ein Zugriff über die von der Klägerin in Deutschland zur Verfügung gestellten Zugänge zum Internet nicht mehr möglich sei.

Weiter ordnete die Beklagte an, künftig von ihr mitgeteilte Internetseiten, auf denen nach Art und Umfang wesentlich deckungsgleiche unerlaubte Glücksspielangebote vermittelt bzw. veranstaltet werden (sog. Mirror-Pages), zu sperren.

Die von der Klägerin gegen die glücksspielrechtliche Sperrungsanordnung erhobene Klage hatte Erfolg. Die angegriffene Sperrungsanordnung sei rechtswidrig.

Für die von der Beklagten gegenüber der Klägerin angeordnete Sperrung von Internetseiten eines ausländischen Glücksspielanbieters bestehe keine Rechtsgrundlage. Insbesondere könne sie nicht auf die herangezogenen Regelungen im Glücksspielstaatsvertrag 2021 gestützt werden. Die als Zugangsvermittlerin auftretende Klägerin sei schon kein verantwortlicher Diensteanbieter im Sinne der hier einschlägigen Normen.

Weil die von der Beklagten herangezogene Rechtsgrundlage im Glücksspielstaatsvertrag 2021 eine abschließende Sonderregelung darstelle, könne der Erlass der Sperrungsanordnung auch nicht unter Rückgriff auf die im Glücksspielstaatsvertrag 2021 enthaltene Auffangermächtigung gerechtfertigt werden. Mangels Rechtsgrundlage könne die weitere, die sog. Mirror-Pages betreffende Sperrungsanordnung ebenfalls keinen Bestand haben.

Gegen diese Entscheidung können die Beteiligten einen Antrag auf Zulassung der Berufung stellen.

(Verwaltungsgericht Koblenz, Urteil vom 10. Mai 2023, 2 K 1026/22.KO)

Quelle: Pressemitteilung des VG Koblenz v. 24.05.2023

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