Will ein Netzwerkbetreiber dauerhaft einen Social-Media-Account deaktivieren, so bedarf es grundsätzlich einer vorherigen Abmahnung des Users. Dies gilt auch dann, wenn zuvor mehrere Beiträge des Nutzers gelöscht wurden (OLG Brandenburg, Urt. v. 08.03.2022 - Az.: 4 U 1050/21).
Der Kläger wandte sich gegen die dauerhafte Sperrung seines Social-Media-Accounts. Der verklagte Plattform-Betreiber hatte in der Vergangenheit mehrere Beiträge des Klägers gelöscht. Nachdem das mehrfach hintereinander passiert war, erfolgte sie ohne vorherige Anhörung oder Abmahnung das Benutzerkonto des Klägers.
Zu Unrecht, wie nun das OLG Brandenburg entschied.
Aus der neuesten BGH-Rechtsprechung ergebe sich, dass der User bei solchen umfangreichen Handlungen grundsätzlich vorab angehört und die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt werden müsse:
"Die vorübergehende (...) Deaktivierung und die dauerhafte Aussetzung oder Kündigung von Konten (...) erfordern in gleicher Weise eine Abwägung der gegenüberstehenden Grundrechtspositionen im Wege der praktischen Konkordanz, was nach der o.a. Rechtsprechung des BGH auch die Berücksichtigung verfahrensrechtlicher Sicherungen beinhaltet. Dass die Netzwerkbetreiber vor dem Ergreifen von Sanktionen die ihnen zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts ergreifen müssen, gilt nicht nur für vorübergehende Maßnahmen, sondern erst recht für die dauerhafte Kündigung eines Nutzerkontos, die die Grundrechte des Nutzers in weitaus stärkerem Maße beeinträchtigt als etwa die 30-tägige Versetzung in den "read-only"-Modus.
Eine solche Sachverhaltsaufklärung vor einer fristlosen Kündigung wird sowohl in den §§ 314, 626 BGB als auch in Ziff. 4.2. der Nutzungsbedingungen durch das Regelerfordernis der Abmahnung sichergestellt.
Der Senat hat bereits entschieden, dass die bloße Unterstützung einer Hassorganisation die Kündigung des Unterstützeraccounts grundsätzlich nur dann rechtfertigen kann, wenn zuvor eine "gewährte Abhilfefrist" abgelaufen oder eine Abmahnung erfolglos ausgesprochen wurde."
Zwar sei es in besonderen Ausnahmefällen möglich, von einer vorherigen Abmahnung abzusehen. Dies sei jedoch nur schwerwiegenden Rechtsverstößen möglich. Es reiche nicht aus, dass in der Vergangenheit mehrere Beiträge gelöscht worden seien:
"Eine Frist für die Abhilfe ist nur dann nicht erforderlich, wenn die andere Seite die Erfüllung ihrer Pflichten ernsthaft und endgültig verweigert oder wenn nach Abwägung der Interessen beider Parteien besondere Umstände eine sofortige Kündigung rechtfertigen (...).
Auch eine Abmahnung ist nach § 314 BGB nur unter diesen Voraussetzungen entbehrlich. Abweichend hiervon hat sich die Beklagte in Ziff. 4.2 ihrer Nutzungsbedingungen ihr Recht zur Ausübung einer fristlosen Kündigung jedoch in jedem Fall an eine vorherige Abmahnung geknüpft und sich lediglich eingeräumt, im Einzelfall auf eine Abhilfefrist zu verzichten.
Eine solche Abweichung von den gesetzlichen Vorschriften ist, da sie ausschließlich den Nutzer begünstigt, ohne weiteres zulässig. Bei verständiger Würdigung von Ziff. 4.2. der Nutzungsbedingungen ist allerdings die fristlose Kündigung des Nutzungsvertrages trotz fehlender Abmahnung dann zulässig, wenn sie nicht auf ein gegen die Nutzungsbestimmungen gestütztes Verhalten, sondern auf eine gegen die grundsätzliche, im Widerspruch zu den Gemeinschaftsstandards stehende politisch-ideologische Ausrichtung des Nutzers und die dadurch hervorgerufene Zerrüttung des Vertragsverhältnisses gestützt wird, wie dies bei "Hassorganisationen" im Sinne der Gemeinschaftsstandards der Fall ist (Senat Urteil vom 16. Juni 2020 – 4 U 2890/19 –, Rn. 46, juris). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor."