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LG Kiel: Bestellung eines GVU-Sachverständigen im Strafverfahren rechtswidrig

Das LG Kiel (Beschl. v. 14.08.2006 - Az.: 37 Qs 54/06) hatte darüber zu entscheiden, ob ein Mitarbeiter der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU) im Rahmen eines Strafverfahrens als Sachverständiger herangezogen werden darf, wenn die GVU selber ein maßgebliches Interesse am Ausgang des Verfahrens hat.

Im vorliegenden Fall wurde u.a. ein beschlagnahmter PC vom GVU-Mitarbeiter im Rahmen eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens überprüft.

Ein solches Vorgehen hat das LG Kiel mit klaren Worten verneint.

Zunächst führen die Richter aus, welche grundsätzlichen Prinzipien bei der Bestellung eines Sachverständigen zu beachten sind:

"Das Amtsgericht gibt zunächst den rechtlichen Rahmen zutreffend wieder. Zwar ist nach den Bestimmungen der StPO der Kreis der Personen, die bei einer Durchsuchung zugegen sein dürfen, nicht abschließend und fest umrissen. Grenzen ergeben sich aber aus Aufgabe und Stellung, die den Ermittlungsbehörden im gesetzlich geordneten Ermittlungs- und Strafverfahren zukommt.

Gemeinsam mit den Gerichten erfüllt die Staatsanwaltschaft die Aufgabe der Justizgewährung, in deren Rahmen sie an das Legalitätsprinzip gebunden ist. Aus dieser Stellung folgt, dass sie zur Unparteilichkeit verpflichtet ist. Sie hat ihr Handeln so einzurichten, dass beim Bürger kein nachvollziehbarer Verdacht dahingehend entstehen kann, die Staatsanwaltschaft habe gegen das Gebot der Unparteilichkeit verstoßen. Beauftragt die Staatsanwaltschaft die Polizei, für sie Ermittlungshandlungen vorzunehmen, hat das Handeln der Polizei den gleichen Anforderungen zu genügen.

Das bedeutet nicht, dass es den Ermittlungsbehörden generell verwehrt wäre, Privatpersonen zur Durchsuchung - oder auch anderen Ermittlungshandlungen - hinzuzuziehen, doch muss die Hinzuziehung für den Fortgang der Ermittlungen erforderlich sein."


Auf die Bestellung von GVU-Sachverständigen äußern sich die Richter wie folgt:

"Diesen Anforderungen genügt die Hinzuziehung eines Mitarbeiters der GVU zur Durchsuchung und die anschließende Übersendung der sichergestellten Datenträger zur Auswertung (...) nicht. (...)

Zu Recht geht das Amtsgericht davon aus, dass es sich bei dem Mitarbeiter (...) um keinen neutralen Sachverständigen handelt. Dafür spricht (...) schon der Umstand, dass es sich bei der GVU um eine Organisation von Unternehmen der Film- und Software-Entertainmentbranche und ihrer nationalen und internationalen Verbände handelt, die sich satzungsgemäß die Ermittlung und Verfolgung von Fällen der so genannten Produktpiraterie zur Aufgabe gemacht hat.

Das unterscheidet ihre Mitarbeiter erheblich von neutralen Sachverständigen, die am Ausgang des Verfahrens kein Interesse haben, erst recht nicht das Interesse einer Ermittlung und Verfolgung gerade der zu untersuchenden Tat."


Und weiter:

"Darüber hinaus folgt die fehlende Unparteilichkeit des hinzugezogenen Mitarbeiters (...) aus Weiterem: Er hat wesentliche Teile des Ermittlungsverfahrens selbst übernommen. Vor Ort bei der Durchsuchung hat er selbstständig den Rechner überprüft, alle für die weitere Untersuchung erforderlichen Feststellungen getroffen und den weiteren Gang der Untersuchung de facto bestimmt, war mithin investigativ tätig.

Er erhielt sogleich im Anschluss an die Durchsuchung sämtliche sichergestellten Gegenstände „für die weitere Bearbeitung/Auswertung“. Dann fertigte er am 29. 11. 2005 einen Auswertungsbericht, behielt die sichergestellten Gegenstände aber weiterhin und überließ diese - nach Aktenlage ohne jede Rücksprache mit Polizei oder Staatsanwaltschaft - der Rechtsabteilung der GVU. Diese fertigte in Vollmacht „der Rechteinhaber“ eine umfassende Strafanzeige einschließlich rechtlicher Würdigung und Hinweisen an die Staatsanwaltschaft nach Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren und übersandte mit der Strafanzeige die beschlagnahmten Gegenstände zurück. (...)

Bei einer derart weitreichenden „Privatisierung des Ermittlungsverfahrens“, bei der Polizei und Staatsanwaltschaft nur noch formal in Erscheinung treten, sämtliche wesentlichen Ermittlungsschritte aber von der GVU bestimmt oder durchgeführt wurden, haben die Ermittlungsbehörden nicht nur ihr Handeln nicht so eingerichtet, dass beim Bürger kein nachvollziehbarer Verdacht dahingehend entstehen kann, die Staatsanwaltschaft habe gegen das Gebot der Unparteilichkeit verstoßen.

Dieser Eindruck muss sich dem Bürger vielmehr geradezu aufdrängen."


Welche Konsequenzen in der Praxis sich durch eine solche Bestellung ergeben können, zeigt anschaulich auch der aktuelle c´t-Artikel "Vorverurteilt - Staatsanwaltschaft glaubt Urheberrechtsvertretern blind".

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