LG Bonn: Unverpixelte Online-Veröffentlichung von Polizei-Einsätzen kann strafbar sein

21.04.2022

Die unverpixelte Online-Veröffentlichung von Polizei-Einsätzen kann strafbar sein. (LG Bonn, Urt. v. 08.06.2021 - Az.: 25 Ns 69/21, 25 Ns . 790 Js 802/19 - 69/21).

Der Angeklagte betrieb ein Online-Portal, auf dem er selbstgedrehte Videos über Polizei- und Rettungskräfte veröffentlichte. Seine Haupteinnahmequelle sind die dabei so erzielte Klick-Vergütung.

Er veröffentlichte im Jahr 2020 ein Video über einen lokalen Polizeieinsatz:

"Das Video zeigt von Sekunde 0 bis Sekunde 11 einen Rettungswagen, der mit Martinshorn die Straße entlang fährt. Von Sekunde 10 bis Sekunde 15 sind ein roter Behindertentransporter sowie ein Pkw zu sehen, die offensichtlich miteinander kollidiert sind. Am rechten Bildrand stehen einige Polizeibeamte bei der Unfallaufnahme. In Sekunde 17 bis Sekunde 22 schließt der Polizeibeamte (...) die Tür des grauen Pkw und geht zwischen dem Pkw und dem roten Behindertentransporter durch. Sein Gesicht ist klar und unverpixelt zu sehen.

Sekunden 22 bis 38 zeigen die verunfallten Fahrzeuge. Von Sekunde 38 bis 42 ist zu sehen, wie eine Polizeibeamtin die Tür des verunfallten Pkw schließt.

Das Video ist weder kommentiert noch sonst wie redaktionell bearbeitet, es handelt sich lediglich um eine Aneinanderreihung von nicht professionell zusammengeschnittenen Bildsequenzen. Die Außengeräusche sind ungefiltert zu vernehmen, Gesprächsmitschnitte enthält das Video nicht. Insgesamt gibt das Video einen Routineeinsatz der Polizei wieder, bei dem weder Polizeigewalt noch spektakuläre Bilder von einer besonderen Örtlichkeit oder Unfallsituation zu sehen sind. Auch sind keine bekannte oder prominente Personen des öffentlichen Lebens abgebildet."

Das LG Bonn hat den Angeklagten wegen der unerlaubten Veröffentlichung von Bildern nach § 33 KUrhG schuldig gesprochen und eine Strafe von 70 Tagessätzen verhängt.

Das Gericht führt zunächst aus, unter welchen Umständen grundsätzlich auch unverpixelte Aufnahmen von Rettungskräften-Einsätzen erlaubt sind:

"Ohne die nach § 22 KUG erforderliche Einwilligung dürfen allerdings gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG Bildnisse aus dem Bereiche der Zeitgeschichte verbreitet und zur Schau gestellt werden.

Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 27.12.2019, VI ZR 504/18, Beck Online) hat sich für die Einordnung eines Bildes als solches aus dem Bereich der Zeitgeschichte am abgestuften Schutzkonzept der §§ 22,23 KUG orientiert. Nach dieser Entscheidung dürften Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden. Hiervon besteht allerdings gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG eine Ausnahme, wenn es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt. Diese Ausnahme gilt aber nicht für eine Verbreitung, durch die berechtigte Interessen eines Abgebildeten verletzt werden.

Schon die Beurteilung, ob ein Bildnis dem Bereich der Zeitgeschichte (...) zuzuordnen ist, erfordert eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Artikel 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 Grundgesetz, Artikel 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Presse aus Artikel 5 Abs. 1 GG, Artikel 10 Abs. 1 EMRK andererseits.

Maßgebend für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, ist der Begriff des Zeitgeschehens. Dieser darf nicht zu eng verstanden werden. Im Hinblick auf den Informationsbedarfs der Öffentlichkeit umfasst er alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Es gehört zum Kern der Pressefreiheit, dass die Presse innerhalb der gesetzlichen Grenzen einen ausreichenden Spielraum besitzt, in dem sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden kann, was öffentliches Interesse beansprucht. Dazu zählt auch die Entscheidung, ob und wie ein Presserzeugnis bebildert wird. Eine Bedürfnisprüfung, ob eine Bebilderung veranlasst war, findet nicht statt.

Das Informationsinteresse besteht jedoch nicht schrankenlos. Vielmehr wird der Eingriff in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt. Es bedarf mithin einer abwägenden Berücksichtigung der kollidierenden Rechtspositionen. Die Belange der Medien sind dabei in einen möglichst schonenden Ausgleich mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des von einer Berichterstattung Betroffenen zu bringen. Im Rahmen der Abwägung kommt dem Gegenstand der Berichterstattung maßgebliche Bedeutung zu, wobei der Informationsgehalt der Bildberichterstattung unter Berücksichtigung der zugehörigen Textberichterstattung zu ermitteln ist. Entscheidend ist insbesondere, ob die Medien im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtern, damit sie den Informationsanspruch des Publikums erfüllen und zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen, oder ob sie - ohne Bezug zu einem zeitgeschichtlichen Ereignis - lediglich die Neugier der Leser befrieden."

Dann beschäftigt sich das Gericht mit der Frage, wie diese Grundsätze auf Aufnahmen von Polizeieinsätzen zu übertragen sind:

"Generell ist deshalb davon auszugehen, dass das Persönlichkeitsrecht von Polizeibeamten hinter dem öffentlichen Interesse der Verbreitung von Informationen und Bildaufnahmen jedenfalls dann zurücktreten muss, wenn ein Vorgang von gesellschaftlicher Tragweite und Bedeutung betroffen ist (...). Ein solches überwiegendes öffentliches Interesse ist regelmäßig bei Überschreitung polizeilicher Befugnisse und Polizeigewalt anzunehmen (...). Darüber hinaus spricht für einen abgeschwächten Schutz des Persönlichkeitsrechts von Polizeibeamten, dass die Aufnahmen die Tätigkeit der Polizisten in ihrer hoheitlichen Funktion betreffen und nicht als Privatpersonen (...).

Darüber hinaus dürfen nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG Bilder von Versammlungen, Auszügen und ähnlichen Vorgängen veröffentlicht werden, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben. Diese Begriffe sind weit zu verstehen und umfassen alle Ansammlungen von Menschen, die den kollektiven Willen haben, etwas gemeinsam zu tun; die Ansammlung muss sich in der Öffentlichkeit abspielen und für diese wahrnehmbar sein (...).

Hierunter fallen Demonstrationen, Karnevalsumzüge, Sportveranstaltungen und größere Tagungen (...). Für in der Öffentlichkeit stattfindende private Feiern besteht Abbildungsfreiheit dann, wenn ein Informationsinteresse aufgrund der Bekanntheit der Beteiligten oder anderer besonderer Umstände gegeben ist (...). Sichern Polizisten diese Veranstaltung ab, umfasst die Abbildungsfreiheit nicht nur die eigentliche Versammlung selbst, sondern auch den Rahmen, also auch die Polizeibegleitung (Fricke, ebenda). Nach diesen Maßstäben ist eine Abbildung begleitender Polizeibeamter zulässig, sofern nicht berechtigte Interessen entgegenstehen (...). Das Veröffentlichen von Portraitaufnahmen von Polizeibeamten, die anlässlich einer solchen Veranstaltung angefertigt werden, unterliegen allerdings wiederum den Einschränkungen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG."

Diese Regelungen würden im vorliegenden Fall jedoch nicht berufen, so die Richter. Denn den gefilmten Ereignissen fehle der zeitgeschichtliche Charakter:

"Es werden lediglich alltägliche Routineeinsätze der Polizei gezeigt, die keinen Vorgang von gesellschaftlicher Tragweite und Bedeutung zum Gegenstand haben.

So ist an keiner Stelle eine Überschreitung von allgemeinen polizeilichen Befugnissen oder gar Polizeigewalt gegen Bürger dargestellt oder auch nur im Ansatz erkennbar. Auch der Gegenstand der Polizeieinsätze, jeweils die Aufnahme von schlichten Verkehrsunfällen, ist in beiden Fällen weder aufsehenerregend oder gar spektakulär.

Schließlich waren auch nicht bekannte oder prominente Persönlichkeiten an den Unfällen beteiligt. Dementsprechend schätzte auch der Presse-Dienst der Polizei die Fälle nicht als berichtenswert ein, weil er zu beiden Einsätzen jeweils keine Presse-SMS in den Verteiler gestellt hat.

Aus Sicht der Kammer stellt der in § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG definierte Begriff "Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte" eine Hürde für die Relevanz und Tragweite eines zu berichtenden Ereignisses dar, die zunächst genommen werden muss, um eine Ausnahme von dem in § 22 KUG geregelten Grundsatz zu rechtfertigen. Wenn ansonsten jedes beliebige Ereignis, an dem lediglich Polizeibeamte beteiligt sind und welches sich auf den Straßen einer Stadt und damit in der Öffentlichkeit abspielt, als ein Ereignis der Zeitgeschichte gewertet würde, käme dem Begriff "Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte" keine eigenständige Bedeutung mehr zu."

Und weiter:

"Da sich der Angeklagte vorliegend auch nur auf seine allgemeine Meinungsfreiheit, nicht aber auf die weitergehende Pressefreiheit berufen kann, ist es ihm grundsätzlich erlaubt, Polizeieinsätze zu filmen, soweit er deren Abläufe nicht stört oder gar behindert. Die Veröffentlichung der aufgenommenen Videos ist hingegen nicht schrankenlos.

Unter Einbeziehung des Schutzkonzeptes der §§ 22, 23 KUG und Abwägung aller entgegenstehenden Grundrechtspositionen wird der Angeklagte in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit nicht unverhältnismäßig beschränkt, wenn er Polizeibeamte in Situationen, wie sie in den beiden hier gegenständlichen Videos gezeigt werden, uneingeschränkt filmen kann, sie dann aber im Rahmen der Veröffentlichung seiner Videos aufgrund des Persönlichkeitsschutzes verpixelt darstellen muss.

Unverpixelt kann er sie nur dann darstellen, wenn er zuvor deren ausdrückliche Einwilligung eingeholt hat. Die Aussagekraft seiner Videos - wenn es denn eine solche überhaupt gibt - wird dadurch nicht oder nur unwesentlich eingeschränkt. Hinzu kommt, dass der Angeklagte seine inhaltlich eher schlichten gehaltenen Videos nicht hochlädt, um einen berechtigten Informationsanspruch der Öffentlichkeit zu befriedigen und so zu einem bestimmten Thema zur Bildung der öffentlichen Meinung beizutragen. Vielmehr bedient der Angeklagte - ohne Bezug zu einem zeitgeschichtlich relevanten Ereignis - lediglich die Neugier und Sensationslust seiner User. Sein vorrangiges Motiv ist es, mit der Veröffentlichung der Videos möglichst viel Geld zu verdienen, wobei die Wahrscheinlichkeit zum Geldverdienen umso mehr steigt, je drastischer bzw. dramatischer etwaige Videos sind. Es steht also nicht das journalistische Berichten über Ereignisse der Zeitgeschichte im Vordergrund, sondern der rein wirtschaftliche Profit.

In diesem Fall sind also auch Polizeibeamte im Einsatz durch § 22, 23, 33 KUG geschützt, wenn sie jedenfalls in solchen, von der Pressefreiheit nicht geschützten Videos unverpixelt gezeigt werden, wie sie Gegenstand dieses Urteils sind.

Die Kammer weist aber ausdrücklich darauf hin, dass es sich vorliegend um eine Einzelfallentscheidung handelt, die keinesfalls generell auf alle Fälle des Veröffentlichens von Bildnissen von Polizeibeamten im Einsatz übertragbar ist."