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Kategorie: Onlinerecht

LG Berlin II: Wettbewerbswidrige Dark Patterns (ua. manipulative Countdowns) bei Bestellung im Online-Shop

Onlinehändler dürfen Kunden nicht mit falschem Widerrufsrecht, irreführenden Countdowns oder manipulativen Zusatzangeboten täuschen.

Onlinehändler dürfen Verbraucher nicht mit falschen Informationen zum Widerrufsrecht oder manipulativem Verkaufsdruck täuschen (LG Berlin II, Urt. v. 11.02.2025 - Az.: 15 O 287/24).

Klägerin war der Verbraucherzentrale Bundesverband, der einen Online-Shop verklagte, der ein Buch in Papierform zum Kauf anbot.

Die Verbraucherschützer monierten drei Punkte:

a) Informationen zum Ausschluss des Widerrufsrechts:

Der Online-Shop verwendete folgende Formulierung:

“Hiermit stimme ich zu, dass C(…) mit der Ausführung des Vertrages vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass ich mit dieser Zustimmung mit Beginn der Ausführung des Vertrages mein Widerrufsrecht verliere.”

b) Countdown-Timer bei Angeboten:

Auf der Website wurden Zusatzangebote mit einem 15-minütigen Timer beworben. Dieser Countdown vermittelte den Eindruck, das Angebot sei nur innerhalb dieser Zeitspanne verfügbar. Tatsächlich konnte das Angebot durch einfaches Aktualisieren der Webseite erneut für 15 Minuten verlängert werden. Auch mehrfach. 

c. Verzögerte Bestellbestätigungsseite:

Nach dem Klick auf den Button “Jetzt kostenpflichtig bestellen” wurde der Kunde nicht sofort zur Bestellbestätigung weitergeleitet. Stattdessen wurden ihm zwei weitere Webseiten mit kostenpflichtigen Zusatzangeboten angezeigt. Erst nachdem er diese zweimal aktiv abgelehnt hatte, , erschien die Bestellbestätigung. Die Ablehnungsoption war unauffällig gestaltet. 

Das LG Berlin II stufte alle drei Themen als wettbewerbswidrig ein.

1. Widerrufsrecht:

Der Text sei unwahr und täusche den Verbraucher. 

Denn bei einem Vertrag über die Lieferung von körperlichen Waren (wie hier: ein Buch in Papierform), erlösche das gesetzliche Widerrufsrecht nicht automatisch mit der Vertragsausführung. 

Dieses Erlöschen sei gesetzlich vielmehr nur für bestimmte digitale Inhalte vorgesehen, nicht aber für Waren in physischer Form. Der Online-Shop verwende damit einen Text, der bei Verbrauchern den falschen Eindruck erwecke, dass sie auf ihr Widerrufsrecht verzichten müssten.

Dies sei im vorliegenden Fall besonders problematisch, weil der Text in einem optisch hervorgehobenen roten Kasten gestanden hätte und vom Kunden hätte aktiv bestätigt werden müssen, um die Bestellung überhaupt abschließen zu können. Die Verlinkung auf die AGB reiche nicht aus, um den falschen Eindruck zu korrigieren, da die meisten Kunden diese AGB nicht lesen würden.

“Voraussetzung für das Erlöschen des Widerrufsrechts ist nach dieser Vorschrift u.a., dass es sich um Verträge über die Bereitstellung von nicht auf einem körperlichen Datenträger befindliche digitale Inhalte handelt. Digitale Inhalte sind gern. § 327 Abs. 2 Nr. 1 BGB Daten, die in digitaler Form erstellt und bereitgestellt werden. Dies war vorliegend nicht der Fall, es handelt sich um ein gedrucktes Buch.”

Und weiter:

"Es liegt auch kein Fall vor, bei dem eine objektiv unrichtige Angabe sofort durch eine zutreffende Angabe neutralisiert wird und dadurch jedenfalls die erforderliche Täuschungseignung entfällt (…). Für eine Auflösung einer unrichtigen Angabe bedurfte es einer im unmittelbaren räumlichen Zusammenhang befindlichen eindeutigen Erklärung. 

Die Ausführungen in den AGB der Beklagten helfen insoweit schon deswegen nicht weiter, da der durchschnittliche Verbraucher die AGB bestätigt, ohne überhaupt deren Inhalt tatsächlich zur Kenntnis genommen zu haben. Im vorliegenden Fall kann die angegriffene Erklärung aber auch durch einen aufklärenden Hinweis schon deswegen nicht ins Gegenteil verkehrt werden, da die Erklärung eindeutig ist."

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.

2. Countdown-Timer:

Der Einsatz des Countdown-Timers in dieser Form sei eine wettbewerbswidrige Täuschung. 

Es handle sich um eine bewusst eingesetzte Verknappung, um den Verbraucher zu einer schnellen Kaufentscheidung zu drängen. 

Die angezeigte Zeitbeschränkung sei falsch, denn das Angebot bestünde in Wirklichkeit auch danach noch:

"Bei dem angegebenen Zeitraum von 15 Minuten handelt es sich nach Auffassung der Kammer um einen sehr begrenzten Zeitraum, der es dem Verbraucher nicht ermöglicht, das Angebot hinreichend zu prüfen und nach Angeboten anderer zu suchen.

Dieser Druck erhöht sich auch deshalb, da das Angebot im Rahmen eines bereits bestehenden Bestellvorgangs erfolgt, der dem Verbraucher eine anderweitige Suche nochmals aufgrund der Sorge erschwert, dass auch der aktuelle Bestellvorgang bei zu langem Zuwarten abgebrochen werden könnte. (…)

Der maßgebliche Zeitdruck wird (…) erhöht, wenn ein Verbraucher der unzutreffenden Vorstellung unterliegt, er habe nur 15 Minuten Zeit, obwohl er tatsächlich mehr Zeit hat. 

Wie häufig der Nutzer den Countdown tatsächlich verlängern kann, wird bereits nicht vorgetragen. Nach dem insoweit unstreitigen Vortrag des Klägers war dies jedenfalls zweimal möglich, so dass schon mindestens ein Zeitraum von 45 Minuten zur Verfügung stand, um eine Kaufentscheidung zu treffen. Dieser Zeitraum kann dann allerdings nicht mehr als „sehr begrenzt“ verstanden werden."

3. Bestellbestätigungsseite:

Der Einsatz der zwei Zwischenseiten vor Erreichen der Bestellbestätigung sei ein Fall der aggressiven geschäftlichen Handlung.

Durch diese Gestaltung werde der Kunde in eine Zwangslage gebracht: Er wisse nicht, ob seine Bestellung erfolgreich war und könne sich somit dem Zusatzangebot nicht entziehen, ohne weitere Handlungen vorzunehmen.

Die Ablehnungsmöglichkeiten seien zudem unauffällig gestaltet, während die Annahme-Buttons groß und auffällig gewesen sein.

Insgesamt handle um eine gezielte Beeinflussung durch sogenannte Dark Patterns, d.h. manipulative Elemente im Bestellprozess, die psychologischen Druck aufbauen und die Entscheidungsfreiheit einschränken würden:

"Denn durch die Wahl der Gestaltung des Bestellprozesses, in Form der Überleitung zu zwei weiteren Angeboten und des Zwangs diese beiden Angeboten entweder aktiv auszuwählen oder abzulehnen - zumal unter dem bereits (…) geschilderten Zeitdruck sichert die Beklagte sich gegenüber den Verbrauchern eine Machtposition. 

Die Verbraucher erhalten nach Anklicken von „Jetzt kostenpflichtig bestellen“ nicht unmittelbar eine Rückmeldung, ob ihre Bestellung angenom¬men wurde und der Vertrag zustande gekommen ist, sondern werden - wenn sie den Text in kleiner blauer Schrift überhaupt als anklickbaren Button wahrnehmen - auf Webseiten weitergeleitet, welche ihnen sogar eine dahingehende Ungewissheit belässt („ACHTUNG! Klicke nicht auf „zurück“ und schließe diese Seite unter keinen Umständen, um eine doppelte Abbuchung zu vermeiden! STOPP! Fast geschafft!" in Verbindung mit „75 %“ bzw. „85 % vollständig“). 

Die Verbraucher werden sodann von der Beklagten gezwungen, hinsichtlich eines weiteren Angebots eine Entscheidung zu treffen und sind dieser damit im Rahmen des Bestellprozesses völlig ausgeliefert. 

Indem die Beklagte sodann zusätzlich die von den Verbrauchern erzwungene Willenserklärung zur Ablehnung des Angebots in der streitgegenständlichen Art und Weise ausgestaltet (kleine blaue Schrift, der schon nicht als Link erkennbar ist), setzt sie die Verbraucher unter Druck und beeinflusst sie damit unangemessen bei ihrer geschäftlichen Entscheidung."

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.

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