Die Veröffentlichung unverpixelter Fotos von einem Verdächtigen kann ausnahmsweise bereits im Ermittlungsverfahren erlaubt sein, wenn an der Berichterstattung ein erhebliches öffentlichen Interesse besteht (hier: Wirecard-Strafverfahren) (BGH, Urt. v. 27.05.2025 - Az.: VI ZR 337/22).
Ein ehemaliger Manager einer Wirecard-Tochterfirma klagte gegen das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Dieses hatte ihn im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal namentlich genannt und ein älteres Porträttfoto von ihm veröffentlicht. Der Kläger war eine zentrale Figur in dem milliardenschweren Bilanzbetrugsfall, hatte sich freiwillig der Staatsanwaltschaft gestellt, war zeitweise in U-Haft und trat als Kronzeuge auf. Er wurde zudem im Bundestags-Untersuchungsausschuss öffentlich angehört.
Das LG München I untersagte die Bildveröffentlichung, hielt aber die Namensnennung für zulässig. Das OLG München bestätigte dieses Urteil teilweise und lehnte die Berufung gegen das Verbot der Bildveröffentlichung ab.
Der BGH hob das Urteil jedoch: Die Veröffentlichung des Fotos war rechtmäßig. Die Klage wurde insgesamt abgewiesen.
Im vorliegenden Fall komme der Pressefreiheit Vorrang zu. Der Kläger sei in einen der größten Wirtschaftsskandale Deutschlands verwickelt gewesen und habe eine Tochterfirma geleitet, über die ein Großteil der manipulierten Gewinne gelaufen sei. Die Berichterstattung diene einem erheblichen öffentlichen Interesse und erfülle den Informationsauftrag der Presse.
Zudem handle es sich bei dem Foto um ein “Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte”. Es zeige den Kläger in neutraler Weise und sei bereits zuvor in offiziellen Zusammenhängen verwendet worden.
Die Bildveröffentlichung sei daher im Rahmen des Persönlichkeitsrechts zulässig gewesen. Auch deshalb, weil der Kläger durch sein freiwilliges Auftreten in der Öffentlichkeit ein gesteigertes Interesse an seiner Person selbst mitverursacht habe:
"Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei dem beanstandeten Foto um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Die bereits im Rahmen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen kann der erkennende Senat selbst vornehmen, da keine weiteren Tatsachenfeststellungen erforderlich sind. Sie fällt zugunsten der Pressefreiheit aus. An dem berichteten Geschehen besteht ein überragendes, sich auch auf die Identität und das Aussehen des Klägers erstreckendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit, hinter dem sein Interesse am Schutz seiner Persönlichkeit auch unter Berücksichtigung der für ihn streitenden Unschuldsvermutung zurückzutreten hat. (…)
Gegenstand der Berichterstattung ist der Wirecard-Skandal, einer der größten und spektakulärsten Wirtschaftsskandale in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland."