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Die einzelnen News
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1.
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EuGH-Generalanwalt: Facebook darf öffentliche personenbezogene Daten nur eingeschränkt zum Zweck der personalisierten Werbung benutzen
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Generalanwalt Rantos: Die öffentliche Äußerung der eigenen sexuellen Orientierung durch den Nutzer eines sozialen Netzwerks macht dieses Datum „offensichtlich öffentlich“, doch erlaubt dies nicht dessen Verarbeitung zum Zweck der personalisierten Werbung Im Laufe des Jahres 2018 legte Meta Platforms Ireland ihren Nutzern in der Europäischen Union neue Nutzungsbedingungen für Facebook vor. Die Einwilligung zu diesen Bedingungen ist erforderlich, um sich registrieren oder auf von Facebook bereitgestellte Konten und Dienste zugreifen zu können. Herr Maximilian Schrems, ein Facebook-Nutzer und Aktivist im Bereich des Datenschutzes, hat diese Bedingungen akzeptiert. Er habe oft Werbung, die auf homosexuelle Personen abgezielt habe, und Einladungen zu entsprechenden Veranstaltungen erhalten. Diese Werbungen hätten sich nicht unmittelbar auf seine sexuelle Orientierung gestützt, sondern auf die Analyse seiner Interessen. Da er mit der Behandlung seiner Daten unzufrieden war, und diese sogar für rechtswidrig hielt, klagte Herr Schrems vor den österreichischen Gerichten. In der darauffolgenden Zeit erwähnte er öffentlich bei einer Podiumsdiskussion seine sexuelle Orientierung, veröffentlichte darüber aber nichts auf seinem Facebook-Profil. Der Oberste Gerichtshof hat Fragen zur Auslegung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)1. Er möchte vom Gerichtshof wissen, ob ein Netzwerk wie Facebook personenbezogene Daten, über die es verfügt, ohne zeitliche Einschränkung für Zwecke der zielgerichteten Werbung analysieren und verarbeiten darf. Des Weiteren fragt er den Gerichtshof, ob eine Äußerung einer Person über die eigene sexuelle Orientierung anlässlich einer Podiumsdiskussion die Verarbeitung von anderen diesbezüglichen Daten zu dem Zweck erlaubt, dieser Person personalisierte Werbung anzubieten. Zur ersten Frage schlägt Generalanwalt Athanasios Rantos dem Gerichtshof vor, zu entscheiden, dass die DSGVO dem entgegenstehe, dass personenbezogene Daten für Zwecke der zielgerichteten Werbung ohne Einschränkung nach der Zeit verarbeitet würden. Das nationale Gericht habe auf der Grundlage insbesondere des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu beurteilen, inwieweit der Zeitraum der Speicherung und die Menge der verarbeiteten Daten im Hinblick auf das legitime Ziel der Verarbeitung dieser Daten für Zwecke der personalisierten Werbung gerechtfertigt seien. Zur zweiten Frage vertritt der Generalanwalt vorbehaltlich der dem Obersten Gerichtshof obliegenden Sachprüfungen die Ansicht, dass der Umstand, dass sich Herr Schrems bei einer öffentlichen Podiumsdiskussion in vollem Bewusstsein über die eigene sexuelle Orientierung geäußert habe, eine Handlung darstellen könne, mit der er dieses Datum im Sinne der DSGVO „offensichtlich öffentlich gemacht“ habe. Er weist darauf hin, dass Daten über die sexuelle Orientierung zwar in die Kategorie besonders geschützter Daten fielen, für die ein Verarbeitungsverbot gelte, doch gelte dieses Verbot dann nicht, wenn diese Daten von der betroffenen Person offensichtlich öffentlich gemacht worden seien. Eine solche Stellungnahme erlaube jedoch für sich genommen nicht die Verarbeitung zum Zweck der personalisierten Werbung. Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-446/21 | Schrems (Offenlegung von Daten gegenüber der Öffentlichkeit) Quelle: Pressemitteilung des EuGH v. 25.04.2024
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2.
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EuGH: Bekanntheit einer Marke wird schrittweise erworben und geht schrittweise auch verloren
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Im November 2019 meldete die Kneipp GmbH (Kneipp), ein deutsches Unternehmen für kosmetische Mittel, beim EUIPO das Wortzeichen „Joyful by nature“ als Unionsmarke an. Die angemeldete Marke erfasste vor allem kosmetische Mittel, Duftkerzen und Marketing-Dienstleistungen. Im Juli 2020 legte das Maison Jean Patou, ein französisches Unternehmen für Luxuswaren (vor allem Mode und Parfüms), Widerspruch gegen die Eintragung der angemeldeten Marke ein. Das EUIPO gab dem Widerspruch teilweise statt und stellte fest, dass die Marke „JOY“ in einem wesentlichen Teil der Union große Wertschätzung genieße, die der Inhaber der angemeldeten Marke angesichts der Ähnlichkeit der beiden Marken in unlauterer Weise ausnutzen könnte. Kneipp hat beim Gericht der Europäischen Union Klage gegen die Entscheidung des EUIPO erhoben. Das Gericht weist diese Klage ab. Das Gericht stellt fest, dass die Marke „JOY“ in einem wesentlichen Teil des Unionsgebiets, insbesondere in Frankreich, für Parfümeriewaren und Parfüms Wertschätzung genießt. Diese Marke hat in der Vergangenheit einen hohen Bekanntheitsgrad erworben, der, selbst wenn man annähme, dass er über die Jahre abgebaut haben mag, noch zum Zeitpunkt der Anmeldung der angemeldeten Marke vorlag, so dass bis zu diesem Zeitpunkt eine gewisse „Restbekanntheit“ überdauern konnte. Des Weiteren äußert sich das Gericht zur Beweislast für die Bekanntheit und weist darauf hin, dass einige Zeit vor oder nach dem Anmeldetag der in Rede stehenden Marke erstelltes Dokument sachdienliche Hinweise enthalten kann, wenn man berücksichtigt, dass die Bekanntheit einer Marke im Allgemeinen schrittweise erworben wird. Es stellt klar, dass die gleichen Erwägungen für den Verlust einer solchen Bekanntheit gelten, die im Allgemeinen ebenfalls schrittweise verloren geht. Da keine konkreten Beweise dafür vorliegen, dass die Bekanntheit, die die ältere Marke im Lauf von vielen Jahren schrittweise erlangt hat, im letzten geprüften Jahr plötzlich verschwunden ist, war die Marke „JOY“ zum maßgeblichen Zeitpunkt noch bekannt. Das Gericht bestätigt auch, dass die ältere Marke eine ihre Eintragung rechtfertigende Unterscheidungskraft besitzt, dass sie der angemeldeten Marke ähnlich ist und dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die beiden Marken gedanklich miteinander in Verbindung gebracht werden könnten. Unter diesen Umständen besteht aber die Gefahr, dass der Inhaber der angemeldeten Marke den Ruf der älteren Marke in unlauterer Weise ausnutzen könnte. Urteil des Gerichts in der Rechtssache T-157/23 | Kneipp / EUIPO – Patou (Joyful by nature) Quelle: Pressemitteilung des EuGH v. 24.04.2024
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3.
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BGH: Zum Begriff "Kopie der personenbezogenen Daten" in Art. 15 Abs. 3 DSGVO
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Der BGH hat sich in einer Grundlagen-Entscheidung dazu geäußert, was alles zum Begriff der Kopie von personenbezogenen Daten iSd. Art. 15 Abs.3 DSGVO gehört (BGH, Urt. v. 15.03.2024 - Az.: VI ZR 330/21). Die Beklagte war in der Vergangenheit als Finanzberaterin für die Klägerin tätig. Sie beriet die Klägerin über Kapitalanlagen und Versicherungen. Die Klägerin forderte nun von der Beklagten auf Basis des Art. 15 Abs.3 DSGVO eine Kopie sämtlicher personenbezogener Daten, insbesondere Telefonnotizen, Aktenvermerke, Protokolle, E-Mails, Briefe und Zeichnungsunterlagen für Kapitalanlagen. Die Vorinstanzen sprachen der Klägerin ihr Begehren zu. Der BGH folgte dieser Ansicht nur teilweise und wies den Rest der Klage hingegen ab. Die Richter differenzieren dabei zwischen Briefen und E-Mails der Klägerin auf der einen Seite und den restlichen Dokumenten auf der anderen Seite. 1. Briefe und E-Mails der Klägerin: Anspruch begründet Hinsichtlich der Briefe und E-Mails der Klägerin sei der Anspruch begründet, so die Richter: "b) Art. 15 Abs. 1 DSGVO gibt der betroffenen Person gegenüber dem datenschutzrechtlich Verantwortlichen (Art. 4 Nr. 7 DSGVO) ein Auskunftsrecht über die Verarbeitung personenbezogener Daten. Art. 15 Abs. 3 DSGVO legt die praktischen Modalitäten für die Erfüllung der dem datenschutzrechtlich Verantwortlichen obliegenden Verpflichtung fest, indem er unter anderem die Form bestimmt, in der die personenbezogenen Daten zur Verfügung zu stellen sind, nämlich in Form einer "Kopie" der Daten, gewährt aber kein anderes Recht als das in Art. 15 Abs. 1 DSGVO vorgesehene (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 - C-487/21, NJW 2023, 2253 Rn. 31 f.). Auf dieser Grundlage hat die Klägerin nur Anspruch auf Überlassung von Kopien der von ihr verfassten, bei den Beklagten vorhandenen Schreiben und E-Mails."
2. Alle andere Dokumente: Anspruch unbegründet Alle anderen Dokumente hingegen würden nicht unter den Begriff der Kopie des Art. 15 Abs.3 DSGVO fallen. Das beträfe insbesondere die Briefe und E-Mails, die die Beklagte selbst erstellt habe: "Demgegenüber handelt es sich (…) weder bei Schreiben und E-Mails der Beklagten, noch bei Telefonnotizen, Aktenvermerken oder Gesprächsprotokollen der Beklagten und auch nicht bei Zeichnungsunterlagen für Kapitalanlagen zwangsläufig in ihrer Gesamtheit um personenbezogene Daten der Klägerin, auch wenn sie Informationen über die Klägerin enthalten. Zwar ist bei internen Vermerken wie Telefonnotizen oder Gesprächsprotokollen, die festhalten, wie sich die Klägerin telefonisch oder in persönlichen Gesprächen äußerte, denkbar, dass der Vermerk ausschließlich Informationen über die Klägerin enthält. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass dies in allen Fällen so ist. Deshalb ergibt sich aus dem Erfordernis, eine vollständige Auskunft über personenbezogene Daten zu erteilen, kein Anspruch der Klägerin darauf, dass - wie von ihr gefordert - alle diese Dokumente im Gesamten als Kopie zu überlassen sind."
Lediglich dann, wenn ausnahmsweise besondere Gründe vorlägen, könne etwas anderes gelten. Ein solcher Ausnahmegrund sei hier jedoch nicht ersichtlich. "Zwar kann sich die Reproduktion von Auszügen aus Dokumenten oder gar von ganzen Dokumenten oder auch von Auszügen aus Datenbanken unabhängig vom Erfordernis, eine vollständige Auskunft zu erteilen, dann als unerlässlich erweisen, wenn die Kontextualisierung der verarbeiteten Daten erforderlich ist, um ihre Verständlichkeit zu gewährleisten und der betroffenen Person die wirksame Ausübung ihrer Rechte zu gewährleisten (…). Die Klägerin hat aber weder in den Vorinstanzen dazu vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, dass die Kontextualisierung der verarbeiteten Daten erforderlich ist, um ihre Verständlichkeit zu gewährleisten, sodass ausnahmsweise die Übermittlung einer Kopie der geforderten Telefonnotizen, Aktenvermerke, Gesprächsprotokolle, E-Mails und Briefe der Beklagten sowie Zeichnungsunterlagen für Kapitalanlagen nötig wäre."
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4.
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BGH: Amazon hat überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb
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Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat heute die Feststellung des Bundeskartellamts bestätigt, dass Amazon eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb hat. Erstmals hat der Kartellsenat damit in erster und letzter Instanz über eine Beschwerde gegen eine Feststellung nach § 19a Abs. 1 GWB entschieden. Die am 19. Januar 2021 in Kraft getretene Regelung des § 19a GWB dient der Modernisierung und Stärkung der wettbewerbsrechtlichen Missbrauchsaufsicht. Sie sieht ein zweistufiges Verfahren vor. Danach kann das Bundeskartellamt in einem ersten Schritt die überragende marktübergreifende Bedeutung des Unternehmens für den Wettbewerb feststellen (§ 19a Abs. 1 GWB) und dem betroffenen Unternehmen in einem zweiten Schritt bestimmte Verhaltensweisen untersagen (§ 19a Abs. 2 GWB). Sachverhalt: Amazon ist weltweit unter anderem im Bereich des E-Commerce, als stationärer Einzelhändler und als Anbieter von cloudbasierten IT-Dienstleistungen (Amazon Web Services, AWS) tätig. Der Konzern war zum 27. Dezember 2021 mit einer Marktkapitalisierung von 1,721 Billionen USD das fünftwertvollste Unternehmen der Welt, wobei der Börsenwert innerhalb der vorangegangenen sieben Jahre um etwa 443 % gestiegen war. Das Unternehmen erzielte im Geschäftsjahr 2021 weltweit Umsätze von rund 469,8 Mrd USD. Auf Deutschland entfielen davon rund 37,3 Mrd USD. Damit stellte Deutschland auf den Umsatz bezogen nach den USA den zweitwichtigsten (Absatz-)Markt für Amazon dar. Die jährlichen Gewinne stiegen von (weltweit) 3 Mrd USD im Geschäftsjahr 2017 auf 33,4 Mrd USD in 2021, mithin um 1013 %. Amazon gehört mit 1,6 Mio Mitarbeitern zum 31. Dezember 2021 zu den größten Arbeitgebern weltweit. Das Bundeskartellamt hat mit Beschluss vom 5. Juli 2022 nach § 19a Abs. 1 GWB festgestellt, dass Amazon.com, Inc. einschließlich der mit ihr verbundenen Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Die Feststellung ist auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft befristet. Gegen diesen Beschluss haben Amazon.com, Inc. und eine deutsche Konzerngesellschaft Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, den Beschluss aufzuheben. Während des Beschwerdeverfahrens wurde Amazon von der Europäischen Kommission als Torwächter gemäß Art. 3 Digital Markets Act (DMA) benannt. Für die von Amazon betriebenen Vermittlungsplattformen Amazon Marketplace und Amazon Advertising gelten in der Europäischen Union seit dem 7. März 2024 die das Marktverhalten regelnden Vorschriften des DMA. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Der Bundesgerichtshof ist für die Beschwerde gemäß § 73 Abs. 5 Nr. 1 GWB in erster und letzter Instanz zuständig. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen insoweit nicht. § 19a Abs. 1 GWB und der auf Grund dieser Vorschrift erlassenen Feststellungsverfügung stehen auch keine unionsrechtlichen Gründe entgegen. § 19a Abs. 1 GWB ist eine Vorschrift des nationalen Wettbewerbsrechts, deren Anwendung neben dem DMA zulässig ist. Da sich die Feststellungsverfügung nicht auf einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft bezieht, verstößt sie auch nicht gegen das sich aus der Richtlinie 2000/31/EG (E-Commerce-Richtlinie) ergebende Verbot der Einschränkung des freien Verkehrs von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat. § 19a Abs. 1 GWB musste ferner bei der Europäischen Kommission nicht nach der Richtlinie (EU) 2015/1535 notifiziert werden, weil es sich nicht um eine allgemein gehaltene Vorschrift betreffend Dienste der Informationsgesellschaft im Sinn dieser Richtlinie handelt. Danach bestand kein Anlass, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zu richten. Das Bundeskartellamt hat gemäß § 19a Abs. 1 GWB zu Recht festgestellt, dass Amazon in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten gemäß § 18 Abs. 3a GWB tätig ist und dem Konzern eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Amazon unterhält weltweit 21 länderspezifische Domains mit Handelsplattformen (Amazon Store) und vertreibt darüber als Hersteller und Einzelhändler physische und digitale Waren an Endkunden (etwa Amazon Retail, Home Entertainment, Twitch, Prime Video, Kindle Content, Amazon Music, Amazon Games, Amazon Echo und Amazon Alexa, Amazon Fire, Fire TV, SmartHome-Geräte). Gleichzeitig betreibt Amazon die Handelsplattformen als Online-Marktplätze und ermöglicht es dritten Online-Händlern gegen Provisionszahlung, ihre Waren Endkunden anzubieten. Amazon hat eine eigene Logistikinfrastruktur und vermittelt - auch in Deutschland - Versandaufträge zwischen dritten Online-Händlern und Versanddienstleistern. Amazon Advertising bringt Werbekunden und Anbieter von Werbeflächen zusammen. Die Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb setzt keine konkrete Wettbewerbsgefahr oder Wettbewerbsbeeinträchtigung voraus. Vielmehr reicht dafür das Vorliegen der strategischen und wettbewerblichen Möglichkeiten aus, deren abstraktes Gefährdungspotential durch die Vorschrift adressiert wird. § 19a Abs. 1 GWB soll dem Bundeskartellamt eine effektivere Kontrolle derjenigen großen Digitalunternehmen ermöglichen, deren Ressourcen und strategische Positionierung ihnen erlauben, erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen, den Wettbewerbsprozess zum eigenen Vorteil zu verfälschen sowie ihre bestehende Marktmacht auf immer neue Märkte und Sektoren zu übertragen. Das Bundeskartellamt hat zutreffend festgestellt, dass Amazon über solche strategischen und wettbewerblichen Potentiale verfügt. Der Konzern ist auf einer Vielzahl von verschiedenen, vertikal integrierten und in vielfältiger und konglomerater Weise miteinander verbundenen Märkten tätig und hat eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt für Online-Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler. Er verfügt über eine überragende Finanzkraft und einen überragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten wie etwa Kunden- und Nutzerdaten, Daten aus dem Betrieb der Handelsplattformen und Werbeplattformen und damit verbundenen Diensten sowie aus dem Betrieb von AWS. Amazon hat als Betreiber von zahlreichen nationalen Online-Marktplätzen weltweit und in Deutschland eine Schlüsselposition für den Zugang von Einzelhändlern zu ihren Absatzmärkten und kann erheblichen Einfluss auf die Vertriebstätigkeit von Dritthändlern ausüben. Die nunmehrige Geltung der Regelungen des DMA und die während des Beschwerdeverfahrens gegenüber der Europäischen Kommission im Rahmen eines Missbrauchsverfahrens abgegebenen Zusagen von Amazon stehen der Feststellung nicht entgegen. Beschluss vom 23. April 2024 - KVB 56/22 - Amazon Quelle: Pressemitteilung des BGH v. 23.04.2024
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5.
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OLG Celle: Arbeitgeber-Bewertungsplattform ist ggü. betroffenem Unternehmen nach § 21 TTDSG zur Auskunft verpflichtet
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Der Betreiber einer Arbeitgeber-Plattform ist ggü. dem betroffenem Unternehmen, das bewertet wurde, grundsätzlich zur Auskunft verpflichtet und muss die Daten des Bewertenden (Name, Anschrift, E-Mail-Adresse) herausgeben, wenn die Bewertung Fake ist und eine Straftat darstellt (OLG Celle, Beschl. v. 02.04.2024 - Az.: 5 W 10/24). Die Klägerin betrieb ein Unternehmen und wurde auf der Arbeitgeber-Bewertungsplattform, die die Beklagte betrieb, außerordentlich negativ von einem Dritten bewertet. Sie machte daraufhin einen Auskunftsanspruch geltend und verlangte die gespeicherten Daten über den Dritten, der die Wertung abgegeben hatte (insb. Name, Anschrift, E-Mail-Adresse). Nach ihrem Standpunkt handle es sich um eine Fake-Bewertung, da der Dritte nie bei ihr angestellt gewesen sei. Sie benötigte die Daten, um gegen die Person vorgehen zu können. Die Plattform legte daraufhin einen teilweise geschwärzten Vertrag vor, den sie bei dem Dritten als Nachweis für die Beschäftigung angefordert hatte. Aus dem Dokument ging hervor, dass die Klägerin die Arbeitgeberin des Dritten gewesen war. Zudem legte die Beklagte eine eidesstattliche Versicherung vor, dass ihr der Dritte weitere Dokumente (u.a. Kündigungsschreiben und Lichtbilder eines Online-Gruppen-Chats) vorgelegt habe, aus denen sich die Beschäftigung unzweifelhaft ergebe. Der Klägerin reichten diese Angaben nicht und machte den Auskunftsanspruch, den sie auf § 21 TTDSG stützte, gerichtlich geltend. Sie trug vor, dass der Straftatbestand der üblen Nachrede (§ 186 StGB) bzw. Verleumdung (§ 187 StGB) durch die Fake-Bewertung erfüllt sei. Vor dem LG Hannover bekam sie Recht. In der Rechtsmittelinstanz hingegen wies das OLG Celle das Begehren nun zurück. Grundsätzlich sei § 21 TTDSG die richtige Anspruchsgrundlage, um solche Ansprüche durchzusetzen, so das OLG Celle: "Nach § 21 Abs. 2 TTDSG darf ein Anbieter von Telemedien im Einzelfall Auskunft über bei ihm vorhandene Bestandsdaten erteilen, soweit dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger Inhalte, die von § 10 a Abs. 1 TMG oder § 1 Abs. 3 NetzDG erfasst werden, erforderlich ist. Gemäß § 1 Abs. 3 NetzDG sind rechtswidrige Inhalte Inhalte im Sinne des Abs. 1, die den Tatbestand der §§ 86, 86 a, 89 a, 91, 100 a, 111, 126, 129 - 129 b, 130, 131,140, 166, 184 b, 185 - 187, 189, 201 a, 241 oder 269 des StGB erfüllen und nicht gerechtfertigt sind."
Jedoch sah das OLG Celle - anders als die Vorinstanz - keinen hinreichend deutlichen Hinweis auf eine Straftat. Daher sei auch das Auskunftsbegehren unbegründet: "Allerdings ist der Senat nach Würdigung aller Umstände des vorliegenden Falles davon hinreichend überzeugt (...), dass die bewertende Person tatsächlich bei der Antragstellerin tätig gewesen ist. a) Die Antragstellerin hat die Behauptung aufgestellt, dass "in dem Beitrag über ein tatsächlich nicht bestandenes Arbeitsverhältnis berichtet wird" (Seite 5 der Antragsschrift). b) Die Beteiligte nimmt diese Behauptung der Antragstellerin in Abrede (z. B. Seite 7 des Schriftsatzes vom 7. September 2023, Bl. 56 d. A.). Soweit der Beteiligten in diesem Rahmen eine sekundäre Darlegungslast zukommen sollte, ist sie dieser hinreichend nachgekommen. aa) Insbesondere unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs in dem Urteil vom 1. März 2016 (VI ZR 34/15, juris Rn. 37 ff.), das - in Abgrenzung zum Auskunftsverfahren nach § 21 TTDSG - die eigene Haftung des Portalbetreibers als mittelbarer Störer betrifft - bejaht ein Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung auch im Auskunftsverfahren eine sekundäre Darlegungslast des beteiligten Portalbetreibers, weil dem jeweiligen Antragsteller insoweit eine nähere Darlegung nicht möglich sei und dieser auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung habe (OLG Nürnberg, Beschluss vom 17. Juli 2019 - 3 W 1470/19, juris Rn. 41). Andere Obergerichte lassen dahinstehen, ob den Diensteanbieter stets eine sekundäre Darlegungslast treffe und fordern aber, dass dieser etwaige Zweifel konkret benennt, soweit dies ihm möglich ist, ohne hierdurch bereits die Identität des Nutzers aufzudecken (OLG Köln, Beschluss vom 11. März 2021 - 15 W 10/21, juris Rn. 67; OLG Celle, Beschluss vom 7. Dezember 2020 - 13 W 80/20, juris Rn. 18). bb) Der Senat muss sich dazu nicht verhalten. Denn in jedem Fall genügen vorliegend die von Seiten der Beteiligten durchgeführten Nachforschungen und -Prüfungen den - strengen - Anforderungen, die der Bundesgerichtshof - im Rahmen einer anderen Fallgestaltung - in Rn. 43 seines Urteils vom 1. März 2016 (VI ZR 34/15) aufgestellt hat: Die Beteiligte hat sich von Seiten der bewertenden Person den damaligen (ungeschwärzten) Arbeitsvertrag mit der Antragstellerin vorlegen lassen. Sie hat die Daten in diesem Arbeitsvertrag mit den im Bewerterprofil hinterlegten Daten abgeglichen. Darüber hinaus hat die Beteiligte bei der bewertenden Person die weitere Substantiierung ihrer Bewertung angefragt und daraufhin von der bewertenden Person ihr damaliges Kündigungsschreiben, Lichtbilder eines Online-Gruppen-Chats sowie eine ausführliche Stellungnahme zu den streitgegenständlichen Bewertungsaussagen erhalten. Darüber noch hinausgehende (Nachforschungs-)Tätigkeiten der Beteiligten sind aus Sicht des Senats kaum vorstellbar und jedenfalls nicht geboten."
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6.
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OLG Stuttgart: Personalisierte Briefwerbung auch nach DSGVO ausdrücklich erlaubt, kein DSGVO-Schadensersatz
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Die personalisierte Briefwerbung ist nach Art. 6 Abs.1 f) DSGVO ausdrücklich erlaubt, da die Direktwerbung und die damit verbundene Neukundengewinnung ein berechtigtes Interesse iSd. DSGVO darstellen (OLG Stuttgart, Beschl. v. 02.02.2024 - Az.: 2 U 63/22). Der Kläger fand in seinem Briefkasten personalisierte Werbung einer Versicherung. Er machte daraufhin gegen den Dienstleister, der der Absender der Nachricht war, einen DSGVO-Schadensersatzanspruch geltend. Erstinstanzlich hatte das LG Stuttgart (Urt. v. 25.02.2022 - Az.: 17 O 807/21) den Anspruch abgelehnt, weil das Handeln der Beklagten durch die berechtigten Interessen gedeckt sei, vgl. dazu unsere Kanzlei-News v. 29.03.2022. Im Rahmen der Berufung hat sich das OLG Stuttgart dieser Ansicht angeschlossen und das Rechtsmittel als erfolglos eingestuft. Die Zusendung der Werbung sei durch Art. 6 Abs.1 f) DSGVO abgedeckt, so die Richter: "Entgegen der Auffassung der Berufung ist für die Rechtmäßigkeit einer Direktwerbung nicht Voraussetzung, dass bereits eine Kundenbeziehung besteht. Bei seiner Auslegung des Artikels 6 Absatz 1 Satz 1 lit. f DS-GVO hat das Landgericht überzeugend den Erwägungsgrund Nr. 47 herangezogen, der die Direktwerbung beispielhaft als berechtigtes Interesse im Sinne der genannten Norm anerkennt. Unter diesem Begriff versteht die Verordnung – etwa in Artikel 21 Absatz 2 DS-GVO – jede unmittelbare Ansprache der be troffenen Person, etwa durch Zusendung von Briefen (…). Weder aus Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 lit. f DS-GVO noch aus den Erwägungsgründen ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Direktwerbung nur innerhalb einer bestehenden Kundenbeziehung als berechtigtes Interesse anerkannt wird. Unter dem Begriff der berechtigten Interessen sind vielmehr sämtliche rechtlichen, wirtschaftlichen oder ideellen Interessen zu verstehen (…), die auch außerhalb oder im Vorfeld einer Kundenbeziehung liegen können. Zutreffend hat das Landgericht auch gesehen, dass das berechtigte Interesse eines Dritten – hier das Interesse der X(…) AG - n der Verteilung der Werbebotschaft – dem Interesse des Beklagten als Verantwortlichen gleichsteht."
Hierzu sei auch die Verarbeitung personenbezogener Daten erlaubt: "Weiter hat das Landgericht überzeugend herausgearbeitet, dass die Verarbeitung der personenbezogenen Daten erforderlich war. Insbesondere steht der Erforderlichkeit nicht der Einwand der Berufung entgegen, dass auch eine Übersendung der Werbung per elektronischer Post möglich wäre. Zwar sollen personenbezogene Daten nicht verarbeitet werden, wenn der Zweck der Verarbeitung in zumutbarer Weise durch andere Mittel erreicht werden kann, die weniger stark in die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Personen eingreifen (…). Dabei kann der Kläger die Beklagte allerdings nicht darauf verweisen, die Zusendung elektronischer Nachrichten sei weniger belastend für Betroffene. Nach der Wertung der deutschen Rechtsordnung stellt die Versendung elektronischer Nachrichten ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung vielmehr eine unzumutbare Belästigung dar (vgl. § 7 Absatz 2 Nr. 2 UWG), während die Zusendung eines Briefes mit einer sofort als Werbung erkennbaren Botschaft als zulässig bewertet wird (BGH, Urteil vom 30. April 1992 – I ZR 287/90, juris Rn. 14 – Briefwerbung; BGH, Urteil vom 3. März 2011 – I ZR 167/09, juris Rn. 19 – Kreditkartenübersendung)."
Noch deutlicher wird das Gericht bei Abwägung der Interessen: "Weiter hat das Landgericht auch überzeugend die Interessen der Streitparteien miteinander abgewogen und ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Interessen, Grundrechte und Grundfreiheiten des Klägers die Interessen der Beklagten und ihrer Auftraggeberin jedenfalls nicht überwiegen. Alleine das Interesse des Klägers, keine Werbung zu erhal- ten, führt nicht zu einer ihm günstigen Interessenabwägung. Erst wenn er einen Widerspruch erhebt, ist die künftige Direktwerbung unzulässig (Artikel 21 Absatz 2 DS-GVO). "
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7.
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LG Frankfurt a.M.: Neben Kündigungsbutton auf Webseite auch noch weitere Kündigungsmöglichkeiten erlaubt
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Die Regelung in § 312k Abs.2 BGB verbietet nicht, neben dem gesetzlich vorgeschriebenen Kündigungsbutton auf der Webseite auch noch weitere Kündigungsmöglichkeiten anzubieten (LG Frankfurt a.M., Urt. v. 30.08.2023 - Az.: 2-06 O 411/22). Das verklagte Telekommunikations-Unternehmen bot einen Kündigungsbutton auf seiner Webseite zur Beendigung der Dauerschuldverhältnisse an. Zusätzlich bot es auch noch andere Kündigungswege an. Die stufte die Klägerin als wettbewerbswidrig ein. Das LG Frankfurt a.M. teilte diese Ansicht nicht und wies die Klage ab: "Auf den angegriffenen Seiten ist jeweils eine Bestätigungsschaltfläche i.S.d. § 312k Abs. 2 S. 3 Nr. 2 BGB mit der Beschriftung „Jetzt kündigen“ vorhanden. Die Schaltfläche ist gut lesbar und über ihre Betätigung kann ein Verbraucher die Kündigungserklärung abgeben. Eine Vorgabe, dass die Bestätigungsseite keine anderen, außer den in § 312k Abs. 2 S. 3 BGB geregelten Elementen enthalten darf, ergibt sich weder aus dem Wortlaut, der Gesetzgebungsgeschichte noch aus dem Sinn und Zweck des § 312k Abs. 2 BGB. Auch wenn nach der Gesetzesbegründung die Angaben, die der Verbraucher zu machen hat, zugleich als Minimalvorgabe und als Maximalvorgabe zu verstehen sind (…), betrifft dieser Aspekt nur die Angaben, die gemacht werden müssen, nicht die konkrete Gestaltung der Bestätigungsseite im Übrigen."
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8.
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VG Gelsenkirchen: Verpflichtung zur Identitätsprüfung bei E-Scooter-Verleih rechtmäßig
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Mit im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ergangenen Beschlüssen hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen heute die Anträge von zwei E-Scooter-Verleihfirmen abgelehnt, mit denen diese sich gegen Ordnungsverfügungen der Stadt Gelsenkirchen gewandt hatten. In den Verfügungen hatte die Stadt den Unternehmen die von diesen beantragten Erlaubnisse zur Straßennutzung versagt und ihnen zugleich aufgegeben, die E-Scooter bis zum 20. April 2024 aus dem öffentlichen Verkehrsraum zu entfernen. Das der Sache nach auf den vorläufigen Weiterbetrieb des E-Scooter-Verleihs gerichtete Begehren der Unternehmen auf Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen blieb ohne Erfolg, weil nicht glaubhaft gemacht worden ist, dass ein entsprechender Anspruch besteht. Es ist nicht erkennbar, dass die Entscheidung der Stadt, die Erteilung der Erlaubnisse von einer Identitätsprüfung der Nutzer abhängig zu machen, offensichtlich ermessensfehlerhaft ist und nur die Erlaubniserteilung einer ordnungsgemäßen Ausübung des der Stadt zustehenden Ermessens entspricht. Darüber hinaus drohen den Unternehmen auch keine unzumutbaren, nicht mehr rückgängig zu machenden Nachteile. Die vorgetragenen finanziellen Einbußen reichen nicht aus. Drohende existenzielle Notlagen sind nicht geltend gemacht worden. Hinsichtlich der von der Stadt verfügten Entfernung der E-Scooter aus dem öffentlichen Verkehrsraum überwiegt das öffentliche Interesse an einer sofortigen Erfüllung dieser aller Voraussicht nach rechtmäßig ausgesprochenen Verpflichtung allein deshalb, weil die öffentlichen Verkehrsflächen ohne die erforderlichen Sondernutzungserlaubnisse genutzt werden und es nicht offensichtlich ist, dass den Unternehmen ein Anspruch auf Erlaubniserteilung zusteht. Gegen die Entscheidungen kann Beschwerde erhoben werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen entscheidet. Aktenzeichen: 2 L 444/24 und 2 L 495/24 Quelle: Pressemitteilung des VG Gelsenkirchen v. 15.04.2024
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9.
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LG Kiel: Klage gegen Chat-Kontrolle bei Facebook-Messanger abgewiesen
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Die Klage gegen Meta, keine automatisierte Datenanalyse und Kontrolle (sog. Chat-Kontrolle) in ihrem Facebook-Messenger durchzuführen, hat das LG Kiel abgewiesen (LG Kiel, Urt. v. 04.04.2024 - Az.: 13 O 40/23). Geklagt hatte Patrick Breyer, ein Abgeordneter des EU-Parlaments, der sich gegen die umfangreiche Überprüfung beim Facebook-Messenger wehrte. In seiner Eigenschaft als Abgeordneter kommunizierte er über das Tool mit Bürgern. Die optional vorgesehene Ende-zu-Ende-Verschlüsselung für jeden Chat richtete er nicht ein. Wörtlich beantragte er u.a vor Gericht.: “…die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, den Inhalt und die näheren Umstände von mittels „Facebook-Messenger“ versandten Nachrichten von und an den Kläger zur Suche nach möglicherweise rechtswidrigen Inhalten oder Kontaktaufnahmen automatisiert zu analysieren, zu kontrollieren und an Dritte weiterzugeben (..)”
Das LG Kiel wies die Klage als unzulässig ab. 1. Unzuständiges Gericht: Das Gericht in Kiel sei nicht örtlich zuständig, sondern vielmehr das in Brüssel, so die Richter: "Allerdings liegt der Ort des Eintritts des schädigenden Ereignisses nicht im Gerichtsbezirk des Landgerichts Kiel, sondern am Ort des Interessenmittelpunktes des Klägers in Brüssel. (...) Der Kläger hat schon nicht darzulegen vermocht, dass sein Interessenmittelpunkt im Gerichtsbezirk des Landgerichts Kiel liegt. Auch der nach dem Hinweis der Kammer im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 01.02.2024 erfolgte weitere Vortrag des Klägers, er habe in Kiel eine Eigentumswohnung sowie familiäre Beziehungen, ist vorliegend nicht ausreichend, um den Interessenmittelpunkt, nach den dargestellten Maßstäben, des Klägers in Kiel zu begründen. Vielmehr bestimmt sich der Interessenmittelpunkt des Klägers aufgrund seiner Tätigkeit als Abgeordneter im Europäischen Parlament in Brüssel. Die berufliche Tätigkeit des Klägers als Abgeordneter bestimmt im Wesentlichen seinen derzeitigen Aufenthaltsort. So unterhält der Kläger ebenfalls eine Wohnung in Brüssel, um seiner parlamentarischen Arbeit nachgehen zu können. Dass der Kläger in Brüssel keine Familie hat, ist insofern für die Entscheidung über den tatsächlichen Interessenmittelpunkt unerheblich. Selbst wenn man diesen Vortrag für ausreichend erachten würde, wäre der Kläger insofern beweisfällig geblieben. Denn er hat auch auf den Hinweis der Kammer im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 01.02.2024 keinen Beweis angeboten."
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus etwaigen Verbraucherschutzvorschriften. Denn im vorliegenden Fall habe der Kläger aufgrund seines Abgeordneten-Status nicht als Konsument gehandelt: "Der Kläger hat nicht als Verbraucher den Vertrag mit der Beklagten geschlossen. Der Verbraucherbegriff ist eng auszulegen und anhand der Stellung dieser Person innerhalb des konkreten Vertrags in Verbindung mit dessen Natur und Zielsetzung und nicht anhand ihrer subjektiven Stellung zu bestimmen (…). Bei Verträgen, die sowohl privaten als auch beruflichen oder gewerblichen Zwecken dienen, liegt kein Verbrauchergeschäft vor, es sei denn, der beruflich-gewerbliche Zweck ist derart nebensächlich, dass er im Gesamtzusammenhang des betreffenden Geschäfts nur eine ganz untergeordnete Rolle spielt (…). Vorliegend hat der Kläger die streitgegenständliche Facebook-Seite (…) im Januar 2019 aus Anlass seiner Kandidatur zur Europawahl 2019 für Wahlkampfzwecke eingerichtet. Die Einrichtung der Facebook-Seite und damit auch die Nutzung des Facebook-Messengers diente hiernach ausschließlich beruflichen Zwecken des Klägers. Entgegen der Auffassung des Klägers stellt seine Tätigkeit als Abgeordneter auch eine berufliche Tätigkeit dar. Von Art. 17 EuGVVO werden nach ständiger Rechtsprechung des EuGH nur Verträge erfasst, die eine Einzelperson ohne Bezug zu einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit oder Zielsetzung und unabhängig von einer solchen allein zu dem Zweck schließt, ihren Eigenbedarf beim privaten Verbrauch zu decken (…). Diesen Grundsätzen zufolge ist der streitgegenständliche Vertrag ausschließlich im Zusammenhang mit den beruflichen bzw. politischen Interessen des Klägers und seiner Tätigkeit als Abgeordneter abgeschlossen worden. Der Kläger nutzt die Facebook-Seite unstreitig ausschließlich zu diesen beruflichen Zwecken."
2. Unbestimmtheit der Klage: Ferner stufte das Gericht die Klage als zu unbestimmt ein, denn in dem Antrag werde lediglich der Gesetzeswortlaut wiedergegeben: "Dabei genügt die bloße Wiedergabe unbestimmter Tatbestandsmerkmale der verletzten Rechtsnorm in der Regel nicht (…). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze genügt der vom Kläger gestellte Unterlassungsantrag dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO nicht. Der Unterlassungsantrag bezieht sich verallgemeinert darauf es zu unterlassen, „den Inhalt und die näheren Umstände von mittels „Facebook-Messenger“ versandten Nachrichten von und an den Kläger zur Suche nach möglicherweise rechtswidrigen Inhalten oder Kontaktaufnahmen automatisiert zu analysieren, zu kontrollieren und an Dritte weiterzugeben“. Dieser Antrag gibt lediglich formelhaft die Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 TTDSG in verallgemeinerter Form wieder, ohne dabei konkret auf das begehrte Verbot einzugehen. (…) Insoweit genügt der Antrag gerade nicht noch den Bestimmtheitserfordernissen (…). Dies ist wäre dann der Fall, wenn der Kläger hinreichend deutlich macht, dass er nicht ein Verbot im Umfang des Gesetzeswortlauts beansprucht, sondern sich mit seinem Unterlassungsbegehren an der konkreten Verletzungshandlung orientiert. Die Bejahung der Bestimmtheit setzt in solchen Fällen allerdings grundsätzlich voraus, dass sich das mit dem selbst nicht hinreichend klaren Antrag Begehrte im Tatsächlichen durch Auslegung unter Heranziehung des Sachvortrags des Klägers eindeutig ergibt und die betreffende tatsächliche Gestaltung zwischen den Parteien nicht in Frage gestellt ist, sondern sich der Streit der Parteien ausschließlich auf die rechtliche Qualifizierung der angegriffenen Verhaltensweise beschränkt (…). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Auch unter Heranziehung des Sachvortrags des Klägers ist nicht ersichtlich, welche Verhaltensweise der Kläger von der Beklagten tatsächlich begehrt."
3. Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis: Es fehle zudem am notwendigen Rechtsschutzbedürfnis, denn der Kläger hätte viel schneller und einfacher an sein Ziel kommen können, wenn er die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung des Messengers aktiviert hätte: “Darüber hinaus fehlt es dem Kläger auch an einem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Mit dem Erfordernis des Rechtsschutzbedürfnisses als Einschränkung des durch Art. 20 Abs. 3 GG iVm Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich abgesicherten Justizgewährleistungsanspruchs (lediglich) soll verhindert werden, dass die Gerichte als Teil der Staatsgewalt unnütz oder gar unlauter bemüht werden oder ein gesetzlich vorgesehenes Verfahren zur Verfolgung zweckwidriger und insoweit nicht schutzwürdiger Ziele ausgenutzt wird. Es sollen solche Klagebegehren nicht in das Stadium der Begründetheitsprüfung gelangen, die – gemessen am Zweck des Zivilprozesses – ersichtlich eines staatlichen Rechtsschutzes durch eine materiell-rechtliche Prüfung nicht bedürfen (…).”
Und weiter: "Vorliegend fehlt es an diesen Voraussetzungen. Zum einen kann der Kläger seine von ihm aufgeführten Interessen effektiver und schneller durchsetzen, indem er in den Chats manuell die „Ende-zu-Ende“- Verschlüsselung aktiviert (vgl. OLG Hamm, GRUR 2023, 1791 Rn. 217 f.). Eine Kontrolle der Nachrichten auf kinderpornografische Inhalte ist insofern nach dem übereinstimmenden Parteivortrag nicht mehr möglich. Zum anderen geht es dem Kläger vorliegend nicht um den Schutz seiner Individualinteressen, sondern um die Durchsetzung einer politischen Kampagne. Dies kann indes nicht im Rahmen eines Zivilprozesses verfolgt werden."
Der Kläger hat die Berufung vor dem Oberlandesgericht Schleswig angekündigt.
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10.
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AG München: Fünfmal Klicken auf Webseite ist kein Versehen mehr = keine Anfechtung wegen Erklärungsirrtum möglich
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Im Streit um Ansprüche auf Rückerstattung aus einem Reisevertrag wies das Amtsgericht München eine Klage auf Zahlung von 3.948,91 EUR ab. Der Kläger hatte bei der Beklagten zum Preis von 4.548,26 EUR eine 9-tägige Reise für sich und seine Ehefrau im Juni 2023 nach Faro (Portugal) gebucht. Im Anschluss stornierte der Kläger im Internet auf der Homepage der Beklagten die Reise. Die Beklagte buchte sodann vom Konto des Klägers Stornierungsgebühren in Höhe von 3.859,21 EUR ab. Der Kläger leitete daraufhin am selben Tag eine E-Mail an die Beklagte weiter, um die Stornierung rückgängig zu machen. Der Kläger behauptete, er habe erst nach Buchung der Reise erfahren, dass neben dem Hotel eine Baustelle liege. Er habe sich zudem im Internet lediglich über eine Umbuchung informieren wollen und habe unbeabsichtigt wegen der Unübersichtlichkeit der Homepage die Reise storniert. Er habe deswegen die abgegebene Willenserklärung zur Stornierung angefochten. Die Beklagte trug vor, der Kläger habe keine genauen Angaben über die besagte Baustelle getroffen. Im Übrigen sei die Buchung wirksam storniert worden. Für die endgültige Stornierung seien mehrere einzelne Schritte erforderlich gewesen. Eine unbeabsichtigte Kündigung sei im System unmöglich. Dem Reiseveranstalter sei durch den Rücktritt des Kunden hingegen ein Schaden entstanden. Das Amtsgericht München wies die Klage ab und begründete dies wie folgt: "Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde vom Kläger wirksam storniert. Eine wirksame Anfechtung der Stornierung aufgrund eines Irrtums in der Erklärungshandlung nach § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB ist nicht gegeben. Ein Irrtum im Sinne von § 119 BGB ist das unbewusste Auseinanderfallen von Willen und Erklärung. Nach § 119 Abs. 1 2. Fall BGB liegt zudem ein Irrtum in der Erklärungshandlung vor, wenn schon der äußere Erklärungstatbestand nicht dem Willen des Erklärenden entspricht. Dies ist beispielsweise beim Versprechen, Verschreiben oder Vergreifen der Fall […]. Zwar gab der Kläger an, die Homepage der Beklagten sei für ihn unübersichtlich gewesen, da diverse Klicks erforderlich gewesen seien. Es kann grundsätzlich nach der allgemeinen Lebenserfahrung sein, dass man versehentlich einmalig etwas anklickt, was dem eigentlichen Willen nicht entspricht. Es erscheint jedoch lebensfremd, dass bei der Durchführung eines Vorgangs wie hier der Buchungsstornierung mit insgesamt fünf verschiedenen Schritten jedes Mal ein „Verklicken“, und damit ein Irrtum in der Erklärungshandlung vorgelegen haben soll. Aus den von der Beklagtenpartei vorgelegten Anlage ergibt sich insoweit, dass der Kläger für eine endgültige Stornierung der Reise erst mehrere einzelne Schritte durchführen musste: Zur Auslösung des endgültigen Stornierungsvorgangs musste der Kläger insgesamt viermal aktiv per Mausklick bestätigen, dass er eine Stornierung wünsche. Dabei musste er bei Schritt 1 zunächst angeben, aus welchem Grund er seine Reise stornieren wollte. Im Anschluss bei Schritt 2 musste der Kläger angeben, was genau er stornieren wollte. Bei dem darauffolgenden Schritt 3 wurde der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass beim Auswählen „Buchung stornieren“, die Stornierung durchgeführt, und im Namen des Reisenden eine Rückerstattung beantragt werde. Erst durch Anklicken dieses Feldes gelangte der Kläger zum letzten und 4. Schritt, wo nochmals um Bestätigung gebeten wurde, dass tatsächlich mit der Stornierung fortzufahren sei. […] Dass das Anklicken versehentlich geschah, und nicht dem Willen des Klägers entsprach, ist aufgrund des dargelegten Vorgangs für das Gericht nicht nachvollziehbar. Ein Irrtum in der Erklärungshandlung durch Vertippen sieht das Gericht hier dementsprechend nicht gegeben. Es ist vielmehr davon nach Auffassung des Gerichts davon auszugehen, dass dem Kläger bewusst gewesen sein muss, dass er bei Durchführung des gesamten Buchungsvorgangs eine endgültige Stornierung vornahm - und nicht bloß wie von ihm vorgegeben - eine Umbuchung. Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde somit wirksam storniert. Die Beklagte war zudem berechtigt, aufgrund des Rücktritts vom Vertrag durch den Kläger vor Reisebeginn einen Betrag in Höhe von 3.859,21 € als angemessene Entschädigung im Sinne von § 651 h Abs. 1 Satz 3 BGB zu verlangen. […] Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte schlüssig dargetan hat, dass sie bei der Buchung der einzelnen Leistungen, nämlich der Flüge und des Hotels, jeweils in Vorleistung gehen musste. […] Die Gesamtaufwendungen der Reiseleistungen beliefen sich hierbei auf 4.036,29 €. […] Die Klagepartei kann sich hingegen nicht darauf berufen, sie habe ein Anspruch auf Rückerstattung aufgrund Ziffer 9. der AGB der Beklagten. Die pauschale Behauptung des Klägers, es habe neben dem Hotel eine Baustelle gegeben, führt nicht zu einer vertraglichen Pflicht der Beklagten, alternative Lösungen anbieten zu müssen. Insoweit fehlt es bereits - so wie von der Beklagten zutreffend angegeben - an einem schlüssigen und konkreten Vortrag dahingehend, dass von der behaupteten Baustelle ausreichender Baulärm ausging, der zu einem nicht unwesentlichen Reisemangel geführt habe. Auch eine entsprechende Mängelanzeige, so wie vom Gesetz gefordert, erfolgte nicht."
Urteil des Amtsgerichts München vom 18.04.2024 - Aktenzeichen: 275 C 20050/23 Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Quelle: Pressemitteilung des AG München v. 29.04.2024
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