Online-Werbung: Der Antrag von Amazon auf Aussetzung ihrer Pflicht, ein Werbearchiv öffentlich zugänglich zu machen, wird zurückgewiesen
Amazon Services Europe gehört zum Amazon-Konzern. Ihre geschäftlichen Aktivitäten umfassen den Online-Einzelhandel und weitere Dienstleistungen wie Cloud Computing und Online-Streaming. Sie erbringt Online-Marktplatzdienste an Drittverkäufer und ermöglicht ihnen, Waren im Amazon Store zum Kauf anzubieten.
Mit Beschluss vom 23. April 2023, der gemäß der Verordnung über einen Binnenmarkt für digitale Dienste erlassen wurde, benannte die Kommission Amazon Store als sehr große Online-Plattform. Dies bedeutet u. a., dass Amazon Store ein Werbearchiv mit detaillierten Informationen über ihre Online-Werbung öffentlich zugänglich machen muss.
Amazon beantragte beim Gericht der Europäischen Union die Nichtigerklärung dieses Beschlusses. Sie stellte außerdem einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz. Mit Beschluss vom 27. September 2023 ordnete der Präsident des Gerichts die Aussetzung des Beschlusses der Kommission an, soweit Amazon Store damit verpflichtet wird, das Werbearchiv öffentlich zugänglich zu machen. Die Kommission hat gegen den Beschluss des Präsidenten des Gerichts beim Gerichtshof ein Rechtsmittel eingelegt.
Mit seinem heutigen Beschluss hebt der Vizepräsident des Gerichtshofs den Teil des Beschlusses des Präsidenten des Gerichts auf, mit dem der Beschluss der Kommission in Bezug auf das Werbearchiv ausgesetzt wird. Er stellt fest, dass der Kommission unter Verstoß gegen den Grundsatz eines kontradiktorischen Verfahrens die Möglichkeit vorenthalten wurde, zu den Argumenten, die von Amazon im Verfahren vor dem Gericht vorgetragen wurden, Stellung zu nehmen. Da die Kommission vor dem Gerichtshof die Argumente vorgetragen hat, mit denen sie dem Vorbringen von Amazon vor dem Gericht entgegentreten wollte, entscheidet der Vizepräsident des Gerichtshofs den Rechtsstreit endgültig und weist den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurück.
Der Vizepräsident des Gerichtshofs ist der Ansicht, dass das Vorbringen von Amazon, die vom Unionsgesetzgeber eingeführte Pflicht, ein Werbearchiv öffentlich zugänglich zu machen, schränke ihre Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf unternehmerische Freiheit rechtswidrig ein, dem ersten Anschein nach nicht als unerheblich und außerdem völlig haltlos angesehen werden kann.
Zudem würde Amazon, wenn keine Aussetzung erfolgt, vor einem eventuell ergehenden Urteil, mit dem der Beschluss der Kommission für nichtig erklärt wird, wahrscheinlich einen schwerwiegenden und nicht wiedergutzumachenden Schaden erleiden.
Diese Feststellungen sind jedoch für sich allein genommen nicht entscheidend. Es ist nämlich zu prüfen, ob die Abwägung sämtlicher beteiligter Interessen die Versagung der Aussetzung rechtfertigen kann. Hierzu stellt der Vizepräsident des Gerichtshofs fest, dass Amazon in dem Fall, dass die Aussetzung nicht gewährt wird, weiterhin ein Interesse an der Nichtigerklärung des Beschlusses der Kommission hätte. Außerdem ist nicht dargetan, dass in diesem Fall die Existenz oder die langfristige Entwicklung von Amazon auf dem Spiel stünden.
Darüber hinaus würde die Aussetzung bedeuten, das vollständige Erreichen der Ziele der Verordnung über einen Binnenmarkt für digitale Dienste möglicherweise über mehrere Jahre hinauszuschieben und damit möglicherweise ein Online¬Umfeld bestehen oder sich entwickeln zu lassen, das eine Bedrohung für die Grundrechte darstellt; der Unionsgesetzgeber war aber der Auffassung, dass die sehr großen Online-Plattformen eine wichtige Rolle in diesem Umfeld spielen. Die vom Unionsgesetzgeber vertretenen Interessen gehen im vorliegenden Fall den materiellen Interessen von Amazon vor, weshalb die Abwägung zugunsten der Zurückweisung des Aussetzungsantrags ausfällt.
Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs in der Rechtssache C-639/23 P(R) | Kommission/Amazon Services Europe
Quelle: Pressemitteilung des EuGH v. 27.03.2024