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Kategorie: Onlinerecht

OLG Stuttgart lässt Anklage wegen Verlinkung zu linksunten.indymedia zu

Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat heute auf eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft Karlsruhe das Hauptverfahren gegen einen Redakteur eines Rundfunksenders vor der 5. Großen Strafkammer des Landgerichts Karlsruhe eröffnet und die Anklage der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vom 20.04.2023 wegen Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot gemäß § 85 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und Absatz 2 Strafgesetzbuch zur Hauptverhandlung zugelassen. Den Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 16.05.2023, in dem die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt worden war, hat der Senat aufgehoben.

Anklagevorwurf und bisheriger Verfahrensgang
Die Anklage der Staatsanwaltschaft Karlsruhe legt dem Angeklagten zur Last, die weitere Betätigung der unanfechtbar verbotenen Vereinigung „linksunten.indymedia“ unterstützt zu haben, indem er seinen auf der Website eines Radiosenders veröffentlichten Bericht mit der als Archivseite abrufbaren Internetseite der verbotenen Vereinigung verlinkt habe, auf der auch um Spenden für die Finan-zierung des Internetportals gebeten werde.

Die zuständige Kammer des Landgerichts Karlsruhe hat die Eröffnung des Hauptverfahrens mit Beschluss vom 16.05.2023 abgelehnt. Das für eine Strafbarkeit nötige Fortbestehen der verbotenen Vereinigung „linksunten.indymedia“ könne nicht festgestellt werden. Auch sei die Tat nicht von einer für ein Unterstützen des organisatorischen Zusammenhalts oder der weiteren Betätigung der Verei-nigung strafrechtlichen Relevanz.

Entscheidung des Senats
Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vom 23.05.2023 hat das Oberlandesgericht Stuttgart mit Beschluss vom heutigen Tag die Nichteröffnungsentscheidung aufgehoben, das Hauptverfahren eröffnet und die Anklage der Staatsanwalt-schaft Karlsruhe vom 20.04.2023 zur Hauptverhandlung zugelassen.

Voraussetzung für die Eröffnung des Hauptverfahrens sei gemäß § 203 Strafprozessordnung, dass nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig sei. Dafür bedarf es - anders als für eine Verurteilung - noch keiner Überzeugung des Gerichts von der Schuld.

Wegen der besseren Aufklärungsmöglichkeiten in der Hauptverhandlung reiche es vielmehr aus, wenn entweder die Verurteilung mit den zur Verfügung stehenden Beweis-mitteln überwiegend wahrscheinlich erscheine oder ein Zweifelsfall vorliege, zu dessen Klärung die besonderen Erkenntnismittel der Hauptverhandlung notwendig seien. Diffizile Beweiswürdigungsfragen dürften nicht im Zuge der nicht-öffentlichen und nicht-unmittelbaren vorläufigen Tatbewertung des für die Eröffnungsentscheidung zuständigen Gerichts endgültig entschieden werden.

Nach diesem Maßstab sei der Angeklagte des Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot hinreichend verdächtig und die Anklage der Staatsanwaltschaft Karlsruhe zur Hauptverhandlung zuzulassen.

Dass die unanfechtbar verbotene Vereinigung „linksunten.indymedia“ noch existiere und ihren Willen, die verbotene Internetpräsenz fortzuführen, nicht aufgegeben habe, sei überwiegend wahrscheinlich. So sei die verbotene Website niemals gelöscht oder endgültig nicht mehr betrieben worden. Vielmehr sei diese – nach zeitweiser Unterbrechung – nun wieder online.

Auch noch mehr als zwei Jahre nach der Verbotsverfügung sei dazuhin eine verbotene Betätigung des Vereins erkennbar, indem das Archiv der verbotenen Website mit umfangreichen Informationen zur Vereinstätigkeit und Möglichkeiten zu einer finanziellen Unterstützung hochgeladen worden sei.

Es bestehe der hinreichende Tatverdacht, dass der Angeklagte mit dem in seinem Artikel bei verständiger Würdigung zu sehenden Werbeappell für die Tätigkeit der verbotenen Vereinigung die weitere Betätigung der Vereinigung willentlich unterstützt habe. Das Handeln des Angeklagten sei geeignet, der Vereinigung die angestrebte Wirkung ihrer Internetpräsenz zu ermöglichen. Zweifel, dass der Angeklagte diesen offensichtlichen Umstand nicht erkannt habe, lägen fern.

Der Bericht des Angeklagten sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht von der Pressefreiheit gedeckt (Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz).

Zwar dürfe der Angeklagte diese für seinen Artikel grundsätzlich in Anspruch nehmen. Die Pressefreiheit finde ihre Schranken aber in den allgemeinen Gesetzen. Damit unterliege die Berichterstattung des Angeklagten auch dem Geltungsbereich des § 85 Strafgesetzbuches, der den demokratischen Rechtsstaat vor Angriffen gegen die verfassungsmäßige Ordnung schütze. Wie weit die Beschränkung gehe, in welchem Verhältnis Pressefreiheit und etwa das Strafgesetz also stehen, sei im jeweiligen konkreten Konfliktfall abwägend zu lösen.

Danach sei es vorliegend überwiegend wahrscheinlich, dass der Artikel des Angeklagten als Verbreitung des Gedankenguts der Vereinigung anzusehen sei und nicht nur als straflose (Sympathie-)Werbung. Denn im Vordergrund des Artikels stehe der Werbeeffekt für die Vereinigung und die Hinleitung auf deren Internetseite, so dass der Artikel geradezu als „Verlängerung“ der Internetseite erscheine. Mit diesem Appellcharakter unterscheide sich der Artikel des Angeklagten grundlegend von anderen Berichten, die ebenfalls einen Link auf das Archiv enthielten, dazu aber sachlich über das Gesamtgeschehen und die Standpunkte der Kritiker der Verbotsverfügung informierten.

Weitere Informationen zu dem Verfahren
Die 5. Große Strafkammer des Landgerichts Karlsruhe hat nun nach Durchführung einer Hauptverhandlung über den Anklagevorwurf zu entscheiden. Gegen ein Urteil des Landgerichts Karlsruhe steht das Rechtsmittel der Revision zum Bundesgerichtshof offen.

Aktenzeichen
2 Ws 2/23 – Oberlandesgericht Stuttgart
31 Ws 257/23 Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart
5 KLs 540 Js 44796/22 Landgericht Karlsruhe
540 Js 44796/22 Staatsanwaltschaft Karlsruhe

Quelle: Pressemitteilung des OLG Stuttgart v. 13.06.2023

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