Das LG Siegen (Urt. v. 02.03.2006 - Az:: 7 O 74/05) hat in einer schon etwas länger zurückliegenden Entscheidung unter gewissen Umständen den Rechtsmissbrauch bei Internet-Abmahnungen bejaht.
Beide Parteien boten Waren bei eBay an. Der Beklagte hielt sich dabei nicht an die Vorschriften des gesetzlichen Widerrufsrechts, so dass der Kläger ihn abmahnte. Daraufhin gab der Beklagte eine Unterlassungserklärung ab, lehnte jedoch die Kosten ab.
Diese klagte der Kläger nun vor dem LG Siegen ein.
Zu Unrecht wie die Richter meinten. Zwar lag zum Zeitpunkt der Abmahnung ein Wettbewerbsverhältnis vor. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung jedoch konnte der Kläger nicht mehr ausreichend darlegen, dass er überhaupt noch einen Shop betrieb:
"Das Fortbestehen eines Wettbewerbsverhältnisses zwischen den Parteien wird aber durch die vom Kläger überreichten Kopien nicht nachgewiesen. Unter Benutzung der darin enthaltenen Angaben lässt sich ein Wettbewerbsverhältnis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht mehr feststellen.
Das Ergebnis der Suche bei eBay nach einem Shop des Klägers namens "N(...)" führt zur Antwort, dass dieser Shop nicht mehr betrieben wird. Dies ist durchaus auch glaubhaft, da der Betreiber des Shops im Verhältnis zu anderen Betreibern von eBay-Shops eine auffällig hohe Anzahl an negativen Kritiken einschließlich des Vorwurfs des Betruges zu verzeichnen hatte (...).
Die Suche eines Shops des Beklagten unter der Bezeichnung "Der kleine Hobbit" ergibt ebenfalls keinen unter dieser Bezeichnung auftretenden. Auch nach der Eingabekombination " Räucherstäbchen UND Sofort&Kaufen" liefert die Suche unter Benutzung der Umkreissuche mit der Postleitzahl der beiden Parteien kein Ergebnis, das auf einen der angegebenen eBbay-Shops oder eine wirtschaftliche Tätigkeit der Parteien in diesem Marktbereich hindeuten würde.
Dieses entspricht auch den Angaben des Beklagten in der mündlichen Verhandlung, wonach er seinen Shop bei eBay nicht mehr betreibt. Der Kläger hat trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens in der mündlichen Verhandlung an dieser unentschuldigt nicht teilgenommen, obwohl dies in seinem Interesse zur Sachaufklärung sinnvoll gewesen wäre (den Erlass eines Ordnungsgeldbeschlusses hat sich die Kammer vorbehalten)."
Darüber hinaus ist das LG Siegen der Meinung, hier liege ein Rechtsmissbrauch vor:
"Demnach sprechen alle Umstände dafür, dass der Kläger den Unterlassungsanspruch geltendgemacht hat, um gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen (...).
Die Parteien waren von vornherein nur mit einem geringen Teil ihres Angebots Wettbewerber und besiedelten mehrere 100 km voneinander entfernt. Soweit sich das Warenangebot überhaupt überschritten hatte, war dies in einem geringen Umfange hinsichtlich "Räucherstäbchen" der Fall.
Hinzukommt, dass in dem Warenangebot des Klägers die Warengruppe Räucherstäbchen nicht nur zahlenmäßig eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Sie war auch preismäßig im unteren Bereich seines Warenangebotes angesiedelt, wie die vorgelegten Ausdrucke seines Warenangebotes seines Internetshops belegen. Der Kläger hat nach den von ihm vorgelegten Ausdrucken seines Angebots (...) Räucherstäbchen nur in geringem Umfange vertrieben und diese zu Preisen zwischen 1,99 € bis 16,50 € angeboten. Im Vergleich zu seinen übrigen Angeboten aus dem Bereich der Wohnungsausstattung bewegten sich diese überwiegend im Niedrigpreissegment.
Der einzige feststellbare Wettbewerbsverstoß des Beklagten war vom Umfang und Dauer her begrenzt. Sofern von einem ernsthaften wirtschaftlichen Interesse des Klägers überhaupt gesprochen werden konnte, ist dieses heute, nach dem beide Parteien ihre Shops bei eBay nicht mehr betreiben, nicht mehr ersichtlich.
Dieses belegt auch das Verhalten des Klägers im Prozess. Obwohl sein persönliches Erscheinen in der mündlichen Verhandlung angeordnet war, ist er ohne eine Entschuldigung oder Erklärung nicht erschienen. Während ein nennenswertes persönliches Interesse des Klägers an der Verfolgung eines wettbewerbsrechtlichen Anspruches jedenfalls heute nicht mehr feststellbar ist, ist das Kosteninteresse seines Prozessbevollmächtigten offensichtlich, der als einer von mehreren freien Mitarbeiter in der Anwaltskanzlei ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Abwicklung eines solchen Mandats hat."
Und dann trifft das Gericht noch eine mutige Entscheidung zur Höhe des Streitwerts:
"Der Streitwert wird (...) auf bis zu 500 € festgesetzt, da der Rechtsstreit ausschließlich um die Kosten der Abmahnung in Höhe von 372,36 € geführt wurde.
Aber auch dann, wenn auf die inzidenter zu entscheidende Frage des Wettbewerbsverstoßes abgestellt wird, ist ein darüberhinausgehender Streitwert nicht anzunehmen. Dabei kommt es nicht entscheidend auf den Wert der Wettbewerbshandlung für den Beklagten an, sondern auf den Umfang der Beeinträchtigung des Wettbewerbs aus der Sicht des Klägers, da diese den Wert des Klageangriffes bestimmt. Wesentlicher Umstand ist, dass die Parteien einander im Wettbewerb lediglich auf einer Marktplattform im Internet in sehr begrenztem Umfange und für eine vorübergehende Zeit begegnet waren und heute beide dort nicht mehr anzutreffen sind. Daher ist bereits aus diesen Gründen der Streitwert auf bis zu 500 € festzusetzen."
Mit anderen Worten: Auch wenn es um die eigentliche Wettbewerbsverletzung und nicht nur um die Abmahnkosten gegangen wäre, wäre das Gericht bloß von einem grundsätzlichen Streitwert von 500,- EUR ausgegangen.
Abgemahnte sollten diese Einstufung mit äußerster Vorsicht lesen, denn es handelt sich hier um eine allein gebliebene Ansicht auf breiter Front. So nimmt z.B. das OLG Frankfurt a.M. bei ähnlichen Verletzungen selbst dann einen Streitwert von 5.000,- EUR an, wenn es diesen sogar noch wegen der geringen Größe der Unternehmen reduziert hat, vgl. die Kanzlei-Infos v. 18.11.2006.