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OVG Koblenz: Anwendbares Recht bei Internet-Verletzungen

Stellt sich bei Internet-Delikten die Frage nach dem anwendbaren Recht, geht es herkömmlicherweise um das Problem, ob deutsches oder ausländisches Recht Anwendung findet.

Im Fall des OVG Koblenz (Beschl. v. 23.06.2008 - Az.: 7 A 10285/08.OVG) war dies ein wenig anders: Das Gericht hatte sich nicht mit der Frage auseinanderzusetzen, ob überhaupt deutsches Recht anwendbar ist. Sondern vielmehr mit dem Punkt, welches Recht welchen Bundeslandes Gültigkeit genießt.

Im konkreten Fall sammelte der Kläger über das Internet Spenden. Die Seiten waren somit auch in Rheinland-Pfalz abrufbar.

Die zuständige Ordnungsbehörde in Rheinland-Pfalz auferlegte dem Kläger gewisse Auskunfts- und Dokumentationspflchten. Dieser war der Ansicht, dass das Bundesland Rheinland-Pfalz gar nicht zuständig sei, weil er dort nicht seine Niederlassung habe.

Diese Meinung teilten die Koblenzer Richter nicht und hielten das Bundesland Rheinland-Pfalz für zuständig:

"Des weiteren macht der Zulassungsantrag geltend, dass als Sammlungen im Sinne des rheinland-pfälzischen Sammlungsgesetzes nur solche im Landesgebiet selbst anzusehen sein. Daran fehle es jedoch im Falle einer bloßen Abrufbarkeit eines Spendenaufrufes im Internet von Rheinland-Pfalz aus.

Dem ist indessen nicht zu folgen.

Dem Wortlaut des § 9 Abs. 1 SammlG, der ausdrücklich auch den Fall einer „Sammlung ... durch öffentliche Aufrufe“ anspricht, enthält keinerlei Einschränkungen dahingehend, dass es sich hierbei um vom Landesgebiet aus erfolgende Aufrufe handeln muss.

Zudem werden die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie das Vertrauen der Bevölkerung in die ordnungsgemäße Durchführung der Sammlung, deren Schutz § 9 SammlG bezweckt, dort gefährdet, wo der Aufruf seinen Adressaten erreicht und gespendet wird.

Dies ist dann, wenn der Spendenaufruf von Rheinland-Pfalz aus abgerufen wird, regelmäßig das Landesgebiet, womit der Gesetzeszweck insoweit ebenfalls für eine weite Auslegung des Sammlungsbegriffes spricht. Überdies entsprechen Vorschriften, die mit ihrem Regelungsgehalt nicht ausschließlich an den Ort einer Verletzungs- oder Gefähr­dungshandlung anknüpfen, sondern auch an den Ort, an dem der Verletzungserfolg bzw. Gefährdung eintritt, durchaus gängiger Rechtspraxis."


Das Gericht zieht bei seiner Rechtsprechung insbesondere die Rechtsprechung zum Online-Glücksspielrecht als Parallele heran:

"So war bereits bisher im - dem vorliegenden Sachverhalt durchaus vergleichbaren - Fall einer im Internet angebotenen Möglichkeit, sich an einem Glücksspiel zu beteiligen, nach den §§ 9 Abs. 1, 284 Abs. 1 StGB als Veranstaltungsort jeder Ort anzusehen, an dem ein Internetnutzer das Wettgebot annimmt (...).

Dies stellt nunmehr auch nochmals der zum 1. Januar 2008 in Kraft getretene Glücksspielstaatsvertrag in § 3 Abs. 4 klar, wonach ein Glücksspiel dort veranstaltet und vermittelt wird, wo dem Spieler die Möglichkeit zur Teilnahme eröffnet wird (...).

Das so gewonnene Auslegungsergebnis wird auch durch eine Folgenbetrachtung bestätigt: Zum einen stünde es bei anderer Sichtweise dem Sammlungsträger letztlich offen, sich trotz möglicherweise massiver Spendeneinwerbung in den Bundesländern über die Auswahl seines Sitzes oder des Ortes der Einstellung seiner Aufrufe in das Internet weitgehend einer behördlichen Kontrolle zu entziehen.

Zum anderen droht auch bei Zugrundelegung der hier vertretenen Auffassung nicht etwa - wie der Kläger meint - eine „weltumspannende Allzuständigkeit“ des Beklagten für jeden in Rheinland-Pfalz abrufbaren Spendenaufruf im Internet."


Anmerkung von RA Dr. Bahr:
Die Entscheidung des OVG Koblenz ist eine der wenigen Entscheidungen zum innerstaatlichen Kollisionsrecht in Deutschland.

Mag der Beschluss für die öffentliche Verwaltung auch ordentlich praktikabel sein, juristisch überzeugend ist er keineswegs.

Denkt man nämlich die Argumentation des OVG zu Ende, hieße dies nichts anderes, als dass für sämtliche Internet-Angebote 16 unterschiedliche Landesordnungen gelten, an die sich ein Betreiber halten müsste.

Einen spezifischen Bezug der Online-Seiten zum Bundesland Rheinland-Pfalz hat das Gericht nicht dargelegt. Dies wäre aber Voraussetzung gewesen, damit das rheinland-pfälzische Landesrecht Anwendung findet.

Kritik verdient insbesondere die gerichtliche Äußerung, dass durch die "geschickte Wahl der Niederlassung" sich der einzelne Betroffene nicht der behördlichen Verantwortung entziehen dürfe. Das Grundgesetz sieht ausdrücklich den föderalistischen Staatsaufbau und die Freizügigkeit im gesamten Bundesgebiet vor. Aus diesem Umstand nun etwas Nachteiliges für den Betroffenen ableiten zu wollen, ist - gelinde gesagt - abwegig.

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