Ein Rechtsanwalt darf Gläubigerdaten, die er aus einer Insolvenzakte erhalten hat, zur eigenen Akquise verwenden und die Betroffenen anschreiben. Es handelt sich um eine datenschutzrechtlich zulässige Zweckänderung, die von den berechtigten Interessen nach Art. 6 Abs. 1 f) DSGVO gedeckt ist (OLG Dresden, Urt. v. 09.01.2024 - Az.: 4 U 1274/23).
Der Beklagte war ein Anwalt, der sich auf Verbraucherschutzrecht spezialisiert hatte. Er hatte Gläubiger einer GmbH, die vor kurzem in Insolvenz gegangen war, per Post angeschrieben. Die personenbezogenen Daten hatte er der Insolvenzakte entnommen.
Die Empfänger wehrten sich gegen diese Datenverwendung, weil sie meinten, es liege ein DSGVO-Verstoß vor.
Das OLG Dresden folgte dieser Auffassung nicht, sondern stufte das Handeln des Juristen als zulässig ein.
1. Berechtigtes Interesse nach Art. 6 Abs.1 f) DSGVO ist Rechtfertigungsgrund:
Denn die Speicherung, so die Robenträger, sei durch die berechtigten Interessen nach Art. 6 Abs.1 f) DSGVO erlaubt:
"a) Als berechtigtes Interesse an der Verwendung von Namen und Anschrift der Kläger für das Schreiben vom 18.05.2022 hat der Beklagte glaubhaft dargelegt, dass er als vornehmlich auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes und damit auch mit Blick auf das Gemeinwohl tätiger Rechtsanwalt für Bank- und Kapital- sowie Versicherungsrecht vor allem insolvenzgeschädigte Kleinanleger auf bestehende rechtliche Möglichkeiten hinweisen wollte. Die Wahrnehmung von Verbraucherschutzinteressen als Schwerpunkt seiner beruflichen Tätigkeit wird belegt durch Presseberichte (…) und den Internetauftritt seiner Kanzlei, die diesen Interessenschwerpunkt widerspiegelt.
Daneben ist im Rahmen der Abwägung auch das wirtschaftliche Interesse des Beklagten an der Datenverarbeitung zu Akquisezwecken als berechtigtes Interesse einzustellen, da das Schreiben zumindest auch darauf abzielte, von den Adressaten mandatiert zu werden. In Erwägungsgrund Nr. 47 zur DSGVO wird ausdrücklich klargestellt, dass die Durchführung von Direktmarketingmaßnahmen als berechtigtes Interesse betrachtet werden kann, deren Zulässigkeit vermutet wird. Nichts anderes kann für alle sonstigen Werbemaßnahmen gelten, zu denen das streitgegenständliche Schreiben zählt. Eine Verarbeitung personenbezogener Daten zu Werbezwecken kann damit grundsätzlich auf den Erlaubnistatbestand der Interessenabwägung nach Art. 6 Abs. 1 lit. f gestützt werden (…).
b) Auf Seiten der Kläger steht ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das gegen die unbefugte Nutzung ihrer Namens- und Adressdaten für Werbezwecke streitet, auch vor dem Hintergrund des Bekanntwerdens ihrer „Geschädigtenstellung“ bei einem fehlgeschlagenen Investment und Einzelheiten ihrer finanziellen Situation, sowie ihr Interesse am Schutz ihrer allgemeinen Persönlichkeitsrechte vor Belästigung durch unerwünschte Werbung und aufgedrängten Informationen.
c) Die somit nach Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO erforderliche Abwägung ergibt, dass die Verarbeitung durch den Beklagten als Verantwortlichen rechtmäßig ist, da die Interessen, Grundrechte und Grundfreiheiten der Kläger als betroffene Personen am Schutz ihrer Daten nicht überwiegen."
2. Nur geringe Schutzbedürftigkeit der Daten:
Da es sich bei den Informationen lediglich um Adressdaten handle, seien diese auch deutlich geringer schutzbedürftig:
"Insgesamt ist das Schreiben in seiner konkreten Ausgestaltung als Verbraucherinformation und als Werbemaßnahme unter Verwendung von eher als unkritisch anzusehenden Adressdaten mit der DSGVO zu vereinbaren.
Jedenfalls sind im Rahmen der Interessenabwägung keine überwiegenden Interessen auf Klägerseite zu erkennen. Zwar ist zu berücksichtigen, dass es sich um Daten handelte, die durch die besondere anwaltliche Stellung, in Ausnutzung der besonderen anwaltlichen Informations- bzw. Akteneinsichtsrechte, erlangt worden sind, und deren Verwendung äußerst limitiert ist (…).
Gleichwohl ist die ausdrückliche Hervorhebung der Direktwerbung in Erwägungsgrund 47 zur DSGVO ein Hinweis darauf, dass Werbung nicht nur ein „berechtigtes Interesse“ darstellt, sondern dass Werbung vielmehr bei der Interessenabwägung im Sinne einer gesetzlichen Vermutung grundsätzlich zulässig ist, solange der Maßstab der Erforderlichkeit eingehalten wird, der überdies eher weit auszulegen ist. Zum Ausgleich sieht die DSGVO in Art. 21 Abs. 2 für das Direktmarketing ein bedingungsloses Widerspruchsrecht der betroffenen Person vor (…). Damit wird den Interessen der Kläger hinreichend Rechnung getragen."
Anmerkung von RA Dr. Bahr:
Erst vor kurzem hat das LG Freiburg (Urt. v. 20.09.2023 - Az.: 8 O 63/23) ähnlich entschieden und einer Anwaltskanzlei zugestanden, die Anlegerdaten einer insolventen Unternehmergruppe zur eigenen Akquisition zu verwenden, vgl. die Kanzlei-News v. 01.01.2024.