Das leichtfertige Liken von rechtsextremen Facebook-Inhalten rechtfertigt dann keine Entlassung eines Soldaten, wenn dies als Jugendlicher erfolgte und er sich inzwischen glaubwürdig distanziert (VG Hamburg, Urt. v. 29.03.2023 - Az.: 21 K 4032/22).
Es ging um die außerordentliche Entlassung eines Soldaten aus dem Dienst, weil dieser in seiner Jugend leichtfertig rechtsextreme Facebook-Inhalte geliked hatte:
"Hierbei sei ein „Gefällt mir“-Eintrag auf dem Facebook-Profil des Klägers gesichert worden, welcher eindeutige Bezüge zum Phänomenbereich Rechtsextremismus aufweise.
Der Kläger habe die rechtsextreme Musikband „SPN/S“ geliked, außerdem die AfD Brandenburg, die seit Juni 2020 vom Verfassungsschutz beobachtet werde. Dem Bericht war eine Bildschirmaufnahme des Facebook-Profils des Klägers beigefügt, aus der erkennbar ist, dass der Kläger unter anderem auch die Seiten der Bekleidungsmarken „Pro Violence Streetware“, „Black Jackets“, „PGwear“, „Label 23“ und „Yakuza“ geliked hat."
Und weiter:
"Daraufhin vernahm die Beklagte den Kläger am 9. März 2021 persönlich.
Er gab an, ein Kumpel von ihm habe in der Band gespielt. Ihm sei die Band angezeigt worden und da er den Musiker kenne, habe er die Seite geliked. Die Einstufung der Band als rechtsextrem sei ihm nicht bekannt, zu dem Musikstil könne er nichts sagen.
Er wisse nicht mehr, wann er die Markierung gesetzt habe, jedenfalls aber vor seiner Zeit in der Bundeswehr. Dabei habe er sich nichts gedacht und höre auch die Musik der Band nicht. Auf Nachfrage der Beklagten erklärte der Kläger weiter, er habe einmal auf Facebook die Seite der AfD Brandenburg mit „Gefällt mir“ markiert, weil er eine Veranstaltung der Partei besucht habe. Dies könne im Jahr 2016 gewesen sein. Er habe die Veranstaltung interessant gefunden und daraufhin die Seite geliked. Ergänzend führte der Kläger aus, er sei früher „jung und dumm“ gewesen und habe sich die Seiten nicht richtig durchgelesen. Er distanziere sich von jeglichem rechtsradikalen Gedankengut."
Das VG Hamburg ließ diese Umstände nicht ausreichen, eine Entlassung aus dem Soldatendienst zu rechtfertigen:
"Das Gericht verkennt nicht, dass Anhaltspunkte vorliegen, die grundsätzlich bei objektiver Betrachtung auf eine fehlende charakterliche Eignung hindeuten könnten. Der Kläger hat unstreitig die Facebook-Seite der als rechtsextrem eingestuften Band „SPN/S“ sowie die Seite des Landesverbandes Brandenburg der AfD, welcher unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht, mit „Gefällt mir“ markiert, außerdem auch Seiten von Bekleidungsmarken mit jedenfalls gewaltverherrlichenden Namen (insbesondere „Pro Violence“). Nach einer Gesamtbetrachtung der Umstände und unter Berücksichtigung des persönlichen Eindrucks, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung von dem Kläger gewinnen konnte, ist die Annahme einer fehlenden charakterlichen Eignung allerdings dennoch rechtswidrig."
Und weiter:
"Soweit es die vom Kläger auf Facebook getätigten „Gefällt mir“-Angaben betrifft, können diese zur Überzeugung des Gerichts keine Zweifel an der Verfassungstreue des Klägers begründen. Vielmehr ist bereits anzunehmen, dass der Kläger diese Likes in „jugendlichem Leichtsinn“ getätigt hat, ohne sich der dahinter stehenden Inhalte oder der daraus folgenden möglichen Konsequenzen bewusst gewesen zu sein.
Der Kläger hat hierzu glaubhaft vorgetragen, dass er die Seite der Band „SPN/S“ nur geliked habe, um einem der Bandmitglieder zu gefallen und weil er es gut gefunden habe, jemanden zu kennen, der in einer Band spiele. Mit der Musik der Band habe er sich nicht auseinandergesetzt und sich deren Lieder auch nicht angehört.
Zu seinem Nutzungsverhalten bezüglich Facebook hat er in der mündlichen Verhandlung weiter ausgeführt, er habe Facebook vor seinem Eintritt in die Bundeswehr viel genutzt, mittlerweile sei er dort jedoch nicht mehr aktiv und nutze nur noch die Erinnerungsfunktion für die Geburtstage seiner Freunde. Zudem hat der Kläger plausibel geschildert, er habe früher möglichst viele Freunde auf Facebook haben wollen, weil man damit „cooler“ gewesen sei."
Gleiches gilt auch für die Likes betreffend die Seite der AfD Brandenburg und der verschiedenen Bekleidungsmarken. Hinsichtlich der AfD Brandenburg hat der Kläger vorgetragen, eine Informationsveranstaltung besucht und dabei erkannt zu haben, dass er sich nicht mit den von der Partei vertretenen Ansichten identifizieren könne. Er hat geschildert, die Veranstaltung gemeinsam mit seinem Großvater besucht zu haben, der sich als FDP-Mitglied über die Kommunalpolitik anderer Parteien habe informieren wollen.
Diese zur Überzeugung des Gerichts glaubhafte Angabe spricht dagegen, dass der Kläger das Like gesetzt hat, um seine Zustimmung zu dem Parteiprogramm der AfD auszudrücken. Ungeachtet dessen stand der Landesverband der AfD Brandenburg zum Zeitpunkt der „Gefällt mir“-Markierung noch nicht unter Beobachtung des Verfassungsschutzes und handelt es sich bei der AfD um eine Partei, die nicht verboten und sowohl im Bundestag als auch in zahlreichen Länderparlamenten vertreten ist.
Auch deshalb durfte die Beklagte Zweifel an der charakterlichen Eignung des Klägers nicht auf diese „Gefällt mir“-Angabe zu stützen. Hinsichtlich der Bekleidungsmarken hat der Kläger ebenfalls glaubhaft geschildert, dass diese im Ortsbild in seinem Heimatort Forst, nahe Cottbus, üblich seien und er sich nicht damit auseinandergesetzt habe, was die Markennamen inhaltlich bedeuten könnten. Er habe einfach dazugehören wollen. Diese Angaben des Klägers fügen sich schlüssig in das Gesamtbild ein, dass er quasi wahllos Likes auf Facebook gesetzt hat, ohne sich Gedanken über den Inhalt der jeweiligen Seiten zu machen und dass er dabei von dem Wunsch geleitet wurde, sich in sein Umfeld einzufügen."