Wer einen Online-Coaching-Vertrag zur Selbstständigkeit im Online-Marketing bucht, sich aber noch nicht zur Aufnahme einer eigenständigen Tätigkeit entschlossen hat, ist als Verbraucher anzusehen. In diesem Fall besteht ein fernabsatzrechtliches Widerrufsrecht (LG Landshut, Urt. v. 10.05.2024 - Az.: 54 O 305/24).
Der Kläger, ein arbeitsloser Kfz-Mechatroniker, schloss einen Coachingvertrag zum Thema “Digitaler Vertrieb - Einkommen auf Autopilot” ab, nachdem er durch Werbung auf YouTube und Instagram auf das Angebot aufmerksam geworden war. Der Vertrag enthielt eine Klausel, die den Verzicht auf das Widerrufsrecht bestätigte.
Der Kläger überwies als erste Zahlung rund 2.000,- Euro, widerrief den Vertrag dann aber und verlangte sein Geld zurück.
Die Beklagte lehnte dies ab. Dem Kläger stünde kein Widerrufsrecht zu, da er den Coachingvertrag zur Aufnahme seiner selbstständigen Tätigkeit gebucht habe und damit Unternehmer und kein Verbraucher sei. Einem Unternehmer stünde aber kein Widerrufsrecht zu.
1. Kläger ist Verbraucher = Widerrufsrecht
Das LG Landshut entschied, dass der Kläger im vorliegenden Fall als Verbraucher aktiv geworden sei, sodass er die Rückabwicklung des Vertrags verlangen könne.
Entscheidend sei, dass der Kläger sich damals noch nicht abschließend sicher war, ob er tatsächlich eine selbstständige Tätigkeit aufnehmen wollte:
"Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Kläger allerdings nicht als Existenzgründer (und somit als Unternehmer im Sinne des § 14 BGB) einzustufen, sondern als Verbraucher im Sinne des § 13 BGB, welcher ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abgeschlossen hat, die überwiegend weder seiner gewerblichen noch seiner selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann.
In der Anhörung hat der Kläger angegeben, dass er (wie immer noch) zum Zeitpunkt Vertragsschlusses arbeitssuchend war und gelernter Kfz-Mechatroniker ist.
Er hat für sich eine Selbstständigkeit überlegt, kann diese allerdings noch nicht anstreben, da er den dafür erforderlichen Meisterbrief noch nicht vorweisen kann. Damit war offenbar eine Selbstständigkeit im Bereich Kfz-Mechatronik, da er dafür den Meisterbrief benötigt. Er hat auch angegeben, dass er sich für das Beratungsgespräch nur aus Neugier angemeldet hat.
Ob er sich tatsächlich, wie man dem vom Kläger angeführten Beitrag des Comedians Jan Böhmermann entnehmen kann, zur Einkommensgenerierung „mittels zerrissener Hosen“ breitschlagen lassen wollte, konnte der Anhörung des Klägers nicht entnommen werden. Neugier allein verleitet einen Verbraucher nicht dazu, sich im Hinblick auf kaum nachvollziehbare Versprechung ohne jede Substanz (Einkommen ohne jeglichen Arbeitseinsatz, weil „Autopilot“) selbstständig zu machen oder eine selbstständige Tätigkeit vorzubereiten."
Und weiter:
"In Anbetracht dessen ist der Kläger somit nicht als Existenzgründer einzustufen, da er sich noch nicht zur Aufnahme eines Unternehmens entschlossen hat, sondern diese Entscheidung (zur Führung eines Unternehmens wie –) allenfalls vorbereitet hat (…).
Sollte sich der Kläger nach Inanspruchnahme des „Coachings“ der Beklagten, welches tatsächlich durch die – - erfolgen sollte, wirklich zu einer „Einkommensgenerierung im Autopilot“ entschließen, hätte er diese Entscheidung erst nach dem Coaching getroffen, das Coaching selber wäre allenfalls eine Art von Informationsbeschaffung gewesen. Die von der Beklagten vertriebenen Coachings dienen also allenfalls der Vorbereitung einer Entscheidung, ob man eine Existenz gründen möchte oder nicht (…)."
2. Verzicht auf Widerrufsrecht aus formalen Gründen unwirksam
Die Vertragsklausel, wonach der Kläger auf sein Widerrufsrecht verzichtete, sei aus formalen Gründen unwirksam. Denn es fehle an der notwendigen Belehrung:
"Die Widerrufsfrist hat noch nicht zu laufen begonnen, da die Beklagte den Kläger nicht über sein Widerrufsrecht belehrt hat (§ 356 Abs. 3 BGB).
(…) Das Widerrufsrecht des Klägers ist auch nicht nach § 356 Abs. 5 BGB erloschen, da wie bereits ausgeführt, keine digitalen Inhalte vorliegen, sondern die Beklagte, gegebenenfalls durch ihre „Subunternehmer“ wie –, zur persönlichen Erbringung der Coachingdienstleistungen verpflichtet war und somit nicht nur digitale Inhalte heruntergeladen werden konnten, sondern auch per WhatsApp oder „Livecall“ Echtzeitkontakte mit real lebenden Personen geschuldet waren.
d) Das Widerrufsrecht ist auch nicht nach § 356 Abs. 4 Nr. 1 BGB erloschen, da die Beklagte die Dienstleistung noch nicht vollständig erbracht hat. Angesichts des Ratenzahlungsplanes ist davon auszugehen, dass die Dienstleistungen der Beklagten bis 06.11.2024 für den Kläger zur Verfügung gestanden hätten, in diesem Zeitraum also ein Coaching erfolgt wäre und somit die Dienstleistung bis dahin erst vollständig erbracht worden wäre."